Gesetze und Regeln zu schaffen, die Frauen aus ihren vom Mann gegebenen Abhängigkeiten per Gesetz herausholen. Das beginnt bei konsequenten Reformen des Scheidungs- und Unterhaltsrechts und endet in der oft noch nicht „gegenderten“ Amtssprache in den Rathäusern.
Mit der Forderung nach Vereinbarung von Familie und Arbeit stehen auch die Männer vor einer neuen Mutprobe. Elterngeld und Vätermonate geben einen kleinen Vorgeschmack auf das, was aus unserem konservativen Lager noch kommen wird. Wir wollen dabei nicht übersehen, dass mehr Rechte auch immer mehr Pflichten bedeuten. Der 8. März ist ein guter Tag, Frauen einmal daran zu erinnern, dass sie für Unabhängigkeit und ein ökonomisch und sozial gutes Leben selbst Verantwortung übernehmen müssen. Zweitklassigkeit in den aktuellen Verdiensten, in den späteren Rentenansprüchen sind kein Schicksal, dem man ausgeliefert ist und dem man nicht entkommt, weil für die Kinder noch nicht genügend Betreuungsplätze da sind.
Ich bin gleich fertig! – Der Mann als Versorger ist für viele Frauen oft auch eine bequeme Lösung. Meine Erfahrungen gehen in eine Zeit zurück, als die gesellschaftliche Bedeutung der Frauen anders bewertet und auch anders gefeiert wurde. Gleiche Arbeit, gleiche Zeit, gleiche Entlohnung waren weitgehend gelöste Probleme. Toleranz und die Teilhabe von Männern an der Kindererziehung waren jahrzehntelang gelebtes Leben.
Zur Toleranz leistet auch das neue Antidiskriminierungsgesetz sehr gute Dienste. Im richtigen Umgang mit diesem Thema könnte ein weiterer Sprung gelingen. Als Abgeordnete möchte ich allen Frauen Mut machen, für die Durchsetzung ihrer Rechte zu kämpfen, Verantwortung mit Vergnügen zu tragen und immer der eigenen Intuition zu folgen. – Danke!
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, bitte ich Sie, mit mir den Gouverneur der Provinz Gürüschane, Herrn Enver Salihoglu, den Gouverneur der Provinz Tokat, Herrn Erdogan Gürbüz, und eine Delegation, die anlässlich der ITB hier in Berlin weilt, herzlich zu begrüßen.
Erlauben Sie mir die Bemerkung: Die Herren kommen aus der Geburtsstadt unserer Kollegen Dilek Kolat und Özcan Mutlu. – Herzlich willkommen bei uns!
Wir fahren jetzt fort in der Tagesordnung, und Frau Evrim Baba von der Linksfraktion hat das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Wort zu Frau Görsch möchte ich vorweg sagen. – Frau Görsch! Eines haben Sie bei Ihrem historischen Rückblick vergessen: Frau und Sozialismus gehören zusammen.
[Mieke Senftleben (FDP): Nein! – Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Heiterkeit – Gregor Hoffmann (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]
Fast 100 Jahre ist es her, dass der Internationale Frauentag beschlossen wurde. Eine lange Zeit, eine kurze Zeit! Die rechtliche Gleichstellung haben wir, doch wie sieht der Alltag von Frauen aus? Wie verhält es sich mit ihrer Beteiligung an Macht und an Einkommen? Wie teilen sich Männer und Frauen bezahlte und unbezahlte Arbeit?
Da ist Schneckentempo angesagt, und Statistikerinnen haben ausgerechnet, dass wir in Deutschland bei dem Tempo der letzten Jahre noch 350 Jahre brauchen, um die volle Gleichberechtigung zu erreichen. Aber nun kommt gerade Bewegung auf.
Lachen Sie nicht so, das ist Tatsache! – Ganze Zeitungsseiten stellen mit großer Prominenz einen neuen Feminismus heraus, und der Buchtitel von Thea Dorn – „Die neue F-Klasse – sagt uns, wie die Zukunft von Frauen gemacht wird.
Die „taz“ zeigt wieder einmal Sinn für das Kuriose und bringt es auf den Punkt. Nur mit den rot-grünen Expazifisten konnte es gelingen, Deutschland in den Krieg zu führen. Nur eine siebenfache Mutter schafft es, das überkommene Mutterbild zu modernisieren. Im Osten jedenfalls rennt Frau von der Leyen mit ihrem Programm offene Türen ein. Hier gibt es noch immer die Infrastruktur mit Kindergärten und Krippen und qualifiziertem Personal.
Der europäische Vergleich zeigt aber eines ganz aktuell: Deutschland gehört zu den Ländern mit den größten gleichstellungspolitischen Defiziten. Hartz IV mit seiner Bedarfsgemeinschaft ist nur ein Teil des Rollback.
Frau Senftleben! Ich glaube, Sie können auch noch etwas dazulernen, was die Gleichstellung anbetrifft. Hören Sie zu! –
Der mit Rot-Grün begonnene neoliberale Kurs in Deutschland grenzt große Bevölkerungsteile aus. 70 % aller im Niedrigsektor Beschäftigten sind Frauen. Mit Minijobs werden mehr Frauen in Armut gedrängt. Der Sozialabbau verschärft ganz besonders die Situation von Frauen. Von einer Wirtschaftsentwicklung ohne soziale Sicherung profitieren wenig Frauen. Für die meisten heißt es: Prekäre Beschäftigung und Teilzeitjobs oder verlängerte Arbeitszeiten und weniger Lebensqualität! Dem Heer von Arbeitslosen stehen Millionen Überstunden gegenüber. Ohne eigene Existenzsicherung keine Gleichberechtigung!
Jetzt werden Vereinbarkeit von Beruf und Familie hauptsächlich unter demographischen Gesichtspunkten diskutiert. Erinnern wir uns: Den Akademikerinnen wird Kinderlosigkeit vorgeworfen. Da werden nicht Arbeitsbedingungen und harter Konkurrenzdruck thematisiert, sondern den Frauen – und nur den Frauen – wird Eigensucht und Verantwortungslosigkeit attestiert. Solange sich aber die Arbeitsbedingungen nicht ändern, die Menschen nicht wissen, ob und wo sie morgen Arbeit finden, fällt die Entscheidung oft ganz offen gegen Kinder. Globalisierung und Flexibilisierung in der Arbeitswelt zielen nicht auf interessante und verträglichere Arbeitsbedingungen, sondern folgen dem Profit. Nur aufgrund ihres Geschlechts haben es Frauen im Berufsleben besonders schwer. Jeder dritte Absolvent fand sofort einen Arbeitsplatz, jedoch nur jede achte Frau.
Besonders deutlich aber sind beim Berufsstart unter gleichen Voraussetzungen die Einkommensunterschiede. Während die Hälfte der Frauen mit weniger als 1 500 € zufrieden sein muss, fängt das männliche Einkommen bei dieser Grenze überhaupt erst an. Dieses Muster setzt sich fort, auch in Führungspositionen – ganz oben. Weibliche Führungskräfte verdienen im Schnitt 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Das sind echte Diskriminierungstatbestände. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wurde vor 50 Jahren beschlossen, aber so ist die Realität: Frauen verdienen ein Viertel weniger als Männer.
Unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn bietet jedenfalls auch in dieser Hinsicht einen Einstieg, denn davon würden zu 70 % Frauen profitieren.
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Die rot-rote Koalition hat dies nach dem Offenbarungseid der großen Koalition berücksichtigt und von Anfang an mit Nachdruck Frauenförderung und Geschlechtergerechtigkeit gleichermaßen verfolgt. Beides ist für uns Regierungsprogramm. Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir in der Frauenpolitik nicht abgebaut. Zum Draufsatteln fehlte uns aber leider das Geld.
Wir haben beachtliche Ergebnisse erreicht. Der Senat hat frauenpolitische Schwerpunkte beschlossen. Wir haben ein eigenständiges Frauenressort. So konnte Berlin trotz der Haushaltsnotlage die wesentlichen Standards halten, und zwar bei der Fraueninfrastruktur, bei Frauenförderung, im Antigewaltbereich, bei Weiterbildung und Wiedereinstieg ins Berufsleben, bei der Kinderbetreuung und im Gesundheitsbereich. – Das Berliner Gleichstellungsgesetz und die Genderaktivitäten strahlen über Berlin hinaus. Gegenwärtig wird ein gleichstellungspolitisches
Rahmenprogramm für den Senat insgesamt erarbeitet. Grundlage dafür ist der Bericht zur Situation von Frauen in Berlin.
Im bundesweiten Vergleich ist die Beschäftigungssituation von Frauen in Berlin besser. Sie sind seltener in Teilzeit oder in Minijobs beschäftigt. Das Nettoeinkommen der Berlinerinnen ist höher als im Bundesgebiet. Hier setzen wir mit der Landesinitiative für Chancengleichheit in der Wirtschaft an. Darauf zielen unsere Anträge, die wir heute eingebracht haben. Gleichstellung ist kein Extra, sondern Bestandteil von Wirtschaftspolitik.
Fortschritte in der Gleichstellungspolitik beruhen im Wesentlichen darauf, dass Vorgaben verbindlich sind und vorgeschriebene Verfahren, Quoten und Beteiligungsrechte auch durchgesetzt werden. Hier müssen wir künftig noch stärker mit geeigneten Instrumenten und Verfahren der Steuerung und Kontrolle ansetzen, und zwar über den öffentlichen Dienst hinaus. Bei jedem Euro, den die öffentliche Hand ausgibt, muss gefragt werden: Wie partizipieren Frauen daran?
Es gibt in zweifacher Hinsicht neue Ansätze rot-roter Frauenpolitik. Dabei geht es um strategische Herangehensweisen.
Erstens: Die Erfahrungen mit gezielter Gleichstellungspolitik im Hochschulbereich durch das Zusammenspiel verschiedener Instrumente lassen sich ausweiten. Die Förderung von Frauen an Hochschulen trägt zu deren Profilierung und Effizienzsteigerung bei. Diese Erkenntnis setzt sich langsam durch. Die Voraussetzungen sind da. Qualifizierte Frauen, Hochschulgesetz und Landesgleichstellungsgesetz bieten den Rahmen. Frauenbeauftragte sind mit weitreichenden Kompetenzen und Mitwirkungsrechten ausgestattet, und Hochschulverträge stimulieren gleichstellungsbezogene Leistungsparameter. Das Berliner Programm zur Förderung der Chancengleicheit von Frauen in Forschung und Lehre ist dabei von besonderer Bedeutung. Der Senatsbeschluss dazu ist gefasst. In der Koalitionsvereinbarung haben sich beide Regierungsparteien zur Aufstockung verpflichtet. Die Frauen sind dazu bereit. Diese Chance werden wir zu nutzen wissen, denn der Ausbau der Studienplatzkapazitäten und die Gleichstellungspolitik sind kein Gegensatz. Frauen aus dem Berliner Programm stehen nicht neben dem Lehrbetrieb, sonern mitten drin. d Zweitens: Der ressortübergreifende Politikansatz, wie er mit dem runden Tisch gegen häusliche Gewalt praktiziert wird, ist weiterzuverfolgen. Was als Selbsthilfe unter Frauen begann, hat sich zum professionellen Arbeits- und Investitionssystem entwickelt. Die Fortschreibung des Aktionsplans gegen häusliche Gewalt sichert, dass weitere Konzepte zur Prävention und zum Schutz vor Gewalt entwickelt werden. Wir werden dafür sorgen, dass sie finanziert werden. Täterarbeit, pro-aktive Beratung und Prävention in der Schule sowie wirksame Schutzmaßnahmen für Migranten sind von besonderer Bedeutung.
Wir werden mit Nachdruck gegen Menschenhandel und Zwangsverheiratung vorgehen. Alle Opfer von Gewalt haben unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus Anspruch auf unseren Schutz. Auch hier können wir auf bereits bestehende und gut vernetzte Kommissionen verweisen, die schon jetzt hochprofessionell arbeiten und durch genaue Kenntnis der Situation der Betroffenen wissen, wie zu helfen ist.
erstens eigenständige Existenzsicherung einschließlich der gerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit;
zweitens das Recht auf Selbstbestimmung einschließlich des wirksamen Schutzes vor Diskriminierung und Gewalt;
drittens gleichberechtigte Beteiligung an der Macht einschließlich der Übernahme von Führungspositionen in Politik und Arbeitsleben!
viertens: Das sind selbstverständlich auch notwendige Voraussetzungen für die Emanzipation in Berlin. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!