Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

Ich finde, das wäre ein Weg gewesen, der Berlin gut angestanden hätte, der aber aufgrund der Position, die RotRot hier eingenommen hat, eigentlich nicht möglich ist. Frau Kollegin Kolat! Es wäre ein gutes Signal allein gewesen, ein deklaratorisches Signal vielleicht auch, wenn es gelungen wäre, eine solche Regelung in der Verfassung zu verankern, weil es gerade einem Haushaltsnotlageland wie Berlin gut zu Gesicht gestanden hätte, deutlich zu machen, dass wir eine solche Regelung auch für Berlin wollen.

[Zuruf von Dilek Kolat (SPD)]

Insofern werbe ich an dieser Stelle noch einmal für unseren Änderungsantrag. Es ist bedauerlich, dass hier im Hause nicht möglich ist, was in anderen Ländern gelungen ist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Graf! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Matuschek das Wort.

[Christoph Meyer (FDP): Frau Matuschek erklärt uns jetzt, wann die Handlungsspielräume eingeschränkt werden!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FDP und CDU wollen die sogenannte Schuldenbremse in der Berliner Landesverfassung verankern, nicht erst 2020, wie es im Grundgesetz vorgesehen ist, sondern sofort. „Schuldenbremse“ klingt doch so schön, das klingt so nach Ende der Verschwendung, das klingt so moralisch. Ist es das auch wirklich, oder wollen Sie nicht eigentlich etwas ganz Anderes bezwecken? Wollen Sie uns nicht doch auch ein X für ein U vormachen? Warum die Eile? Warum die Eile, eine Landesverfassungsregelung hinzukriegen, wo doch das Grundgesetz ganz unmittelbar gilt, auch in Berlin? Die Schuldenbremse gilt deshalb, sie gilt ab 2020. Mal sehen, ob es überhaupt bis dahin hält, aber was treibt Sie, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP? Ist es die pure Angst vor politischer Verantwortung? Denn Haushaltspolitik ist Schwerpunktsetzung, und diese sollte der Inhalt politischen Ringens der Parteien um Wählergunst sein und nicht der Blechorden für gnadenloses Sparen.

[Christoph Meyer (FDP): Das hat man aber bei Ihnen nicht gemerkt!]

Oder haben wir es mit dem Versuch zu tun, schon vor der Wahl kommende soziale Grausamkeiten durch Verweis auf juristische Zwänge zu rechtfertigen, wenn man denn an die Regierung käme? Sie können sich vorstellen, dass wir da nicht mitmachen werden. Wir machen vor allen Dingen verantwortungsvolle Haushaltspolitik.

Dennoch will ich versuchen, anhand dreier Argumente zur Schuldenbremse unsere Position darzulegen: Erstens – ein viel geäußertes Argument, nur mit der Schuldenbremse sei Ausgabendisziplin zu erreichen. Ein zweites Argument: Nur mit der Schuldenbremse sei die Nachhaltigkeit für künftige Generationen zu erzielen. Und ein drittes, gern gehörtes Argument: Nur mit den Schuldenbremse sei Verschuldung abzubauen. Dazu will ich im Einzelnen folgendermaßen Stellung nehmen:

Erstens – zur Ausgabendisziplin: Das Land Berlin hatte 2002 Ausgaben in Höhe von 21,06 Milliarden Euro. Im Jahr 2009 betrugen diese Ausgaben 21,32 Milliarden Euro. Das ist also nominal eine Steigerung um gerade mal 1,2 Prozent.

[Björn Jotzo (FDP): Was waren denn die Sondereffekte?]

Im vergleichbaren Zeitraum, Herr Jotzo, stiegen die öffentlichen Ausgaben in Großbritannien um 6,7 Prozent und in den USA um 6,3 Prozent. Innerhalb der Bundesrepublik hat Berlin einen Spitzenplatz beim Sparen eingenommen, und das völlig ohne Schuldenbremse, sondern einzig und allein wegen der politischen Entscheidungen, die Rot-Rot vorgenommen hat. Worunter Berlin aber in dieser Zeit zunehmend leiden musste, weshalb auch die beste Ausgabendisziplin nur zum Teil ihre Wirkung entfalten konnte, waren die schwindenden Einnahmen. Berlin hat heute kein Ausgabenproblem, sondern ein Einnahmenproblem. Und die wiederholten Steuersenkungen

unter Rot-Grün, Rot-Schwarz oder Schwarz-Gelb führten und führen dazu, dass wir nicht über, sondern unter unseren Verhältnissen leben.

Zweitens – zur Nachhaltigkeit: Richtig ist, dass Zinsen und Tilgungen unsere Haushaltsspielräume einengen. Deswegen ist der Abbau der Verschuldung ein Schwerpunkt der Haushaltspolitik. Aber richtig ist auch, Investitionen in Bildung, Kitas und Hochschulen sind Investitionen in die Zukunft,

[Beifall bei der Linksfraktion]

die nachhaltige Wirtschaftskraft, also künftige Steuermehreinnahmen erst ermöglichen. Und richtig ist auch, dass die Ausgaben zur Bewältigung von sozialer Ausgrenzung, von gesellschaftlicher Spaltung in dauerhaft Arme und Hoffnungslose und besser und besser Verdienende, noch besser Verdienende unendlich teurer sind als jedes Programm zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Schaffung von sozialversicherten und nützlichen Arbeitsplätzen wie z. B. im ÖBS. Wo aber soll die Schuldenbremse nach den Vorstellungen der FDP, gestern gerade Hauptausschuss wieder vorgetragen, ansetzen? – Beim ÖBS, bei den Kitas. Und die Grünen legen noch eins drauf: beim öffentlichen Dienst. – Das ist nicht nachhaltig, das ist schlicht und einfach unsozial.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Drittes Argument – Schuldenabbau: Berlin hat unter RotRot nicht nur Neuverschuldung gesenkt, wir waren sogar das erste und ziemlich einsame Bundesland, das zum Abbau der Schulden übergehen konnte. Leider kam die Krise dazwischen. Aber dieser Fakt ist das Verdienst rotroter Politik, und es ist nicht vom Himmel gefallen. Auch deswegen werden wir Ihren Anträgen nicht zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Matuschek! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Esser das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werter Herr Meyer! Es ist natürlich ein bisschen ein Showantrag. Das wissen Sie so gut wie wir alle. Auf diese Art und Weise kommt man nicht zu einer Verfassungsänderung. Noch nicht mal CDU und FDP haben sich auf einen Text geeinigt. Ich kann Ihnen versichern, bei uns gibt es einen Fraktionsbeschluss für die Aufnahme der Schuldenbremse in die Berliner Landesverfassung. Da müsste man aber mal miteinander reden, welche Formulierung man nimmt, ob man sich an der hessischen Formulierung orientiert, ob man sich an der aus Schleswig-Holstein orientiert, ob man sich an der im Grundgesetz orientiert. Es gibt da die verschiedensten Möglichkeiten. Da muss man natürlich, damit man es hinkriegt, mit der SPD hier reden. Die SPD

hat es schließlich im Bundestag beschlossen. Ansonsten hätte es eine Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung ja gar nicht gegeben. Die war bei der Einführung der Schuldenbremse eine treibende Kraft, das muss man ja auch mal sagen, egal was hier in Berlin früher für Aufstände, als wäre man ein Separatist und Berlin würde nicht mehr zu Deutschland gehören, aus den Reihen der SPD gekommen ist.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Diese ganzen Schlachten sind ja offensichtlich geschlagen. Wir haben Frau Kolat gehört. Alle Klagen sind weg. Die Rechtslage ist eigentlich klar. Und es gibt natürlich gute Gründe aus unserer Sicht, auch in Berlin Dinge zu regeln. Wir können etwa in Nordrhein-Westfalen sehen, wie das so ist, wenn man zwei Schuldenbegrenzungsregelungen hat statt nur einer. Das ist auch die Berliner Situation. Und wir müssen meiner Ansicht nach auch die Ausnahmeregelungen, die für Notfälle und im Konjunkturabschwungsfalle vorgesehen sind, im Rahmen, wie das Grundgesetz sagt, unserer länderspezifischen verfassungsrechtlichen Kompetenzen regeln. Aber wir haben das noch nicht geregelt. Wir müssen das regeln. Und daher denke ich auch, dass man in der nächsten Legislaturperiode zu einem konsensualen Verfahren kommen wird, wo die Fraktionen miteinander sprechen und sich dann auf eine gemeinsame Formulierung einigen und diese etwas unklare Lage, die wir noch haben, bereinigen. Das, denke ich, ist jedenfalls das, was wir Ihnen vorschlagen. Da ist meiner Ansicht nach deswegen auch klar, dass wir dann eben Ihrem Antrag nicht zustimmen, denn das ist eigentlich auf diese Art und Weise eben sinnlos.

[Beifall bei den Grünen]

Die Lage selber – Frau Kolat hat sie ja teilweise beschrieben – ist ja für die Zukunft zunächst mal geregelt. Wir haben die Schuldenbremse als Verfassungsvorgabe im Grundgesetz, und sie gilt in Berlin. Wir haben eine Konsolidierungsvereinbarung mit dem Bund, die jetzt klargestellt hat, das strukturelle Defizit im Jahr 2002 in Berlin beträgt 2 Milliarden Euro, und wir müssen dieses nun um 200 Millionen Euro pro Jahr verringern, also 1,8 Milliarden 2011, 1,6 Milliarden 2012 usw. Am Ende der nächsten Legislaturperiode darf das strukturelle Defizit äußerstenfalls noch 800 Millionen Euro betragen. Die Marschtabelle ist klar und eindeutig. Sie gilt für jede Konstellation, die nach den Wahlen in Berlin regieren wird. Diese Marschtabelle müssen wir alle einhalten. Vonseiten der Grünen – so steht es auch in unserem Wahlprogramm – ist klar, diese Marschtabelle werden wir einhalten.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn man die dann allerdings einhält – das sage ich jetzt auch in Richtung des Finanzsenators, der das wahrscheinlich zu Herrn Zawatka im „Tagesspiegel“ lanciert hat –, dann muss man natürlich keinesfalls im Jahr 2016 bereits einen ausgeglichenen Haushalt haben. Da stand dann anonym in der Überschrift: 2016 gilt als realistischer Termin. – Da sage ich Ihnen mal deutlich, bei mir nicht. Das halte ich weder für realistisch angesichts dessen, was an Entwicklung noch kommen wird, und es ist wie gesagt

im Rahmen dieser Marschtabelle – 2020 ausgeglichener Haushalt – auch nicht nötig. Das ist eine Haushaltspolitik, die wir nicht machen müssen. Und da sage ich als Grüner, die werden wir auch nicht machen. Diesen falschen Ehrgeiz wird ja keiner haben können. Wenn ich einfach nur grob zusammenrechne, was wir allein automatisch sicher oder ziemlich sicher geschätzt aus dem Abbau des Solidarpakts Ost, aus den Sozialleistungen mit Rechtsanspruch, aus dem Gehälteranstieg im Tarifvertrag, den RotRot schon gemacht hat, aus dem Zinsanstieg, den wir einfach annehmen müssen, bei den Versorgungskosten für Beamte, bei den Folgen des Bankenskandals und Sonstiges noch haben, kommen leicht 2,5 Milliarden Euro Kosten zusammen, die wir weder steuern bzw. gar nicht mehr steuern können.

Herr Esser! Ihre Redezeit ist längst beendet.

Da sage ich Ihnen mal: Dafür werden wohl im Großen und Ganzen die wunderbaren, schönen Steuermehreinnahmen dieses XXL-Aufschwungs draufgehen. Und der Rest – da, wo wir es gestalten können –

Herr Esser! Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, sonst stellen wir das Mikro ab.

Ja! – wird so aussehen, dass alle unsere Bedürfnisse nach Mehrausgaben an anderer Stelle durch Minderausgaben gegenfinanziert werden müssen.

[Beifall bei den Grünen]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Der Fachausschuss und der Hauptausschuss empfehlen mehrheitlich – gegen FDP, bei Enthaltung der CDU – die Ablehnung des Antrags. Die Änderung der Verfassung erfordert gemäß Artikel 100 der Verfassung von Berlin eine Mehrheit von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Hauses.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU abstimmen. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der FDP. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen zum Ursprungsantrag der Fraktion der FDP auf Verfassungsänderung. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das

ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der CDU. Damit ist auch der Ursprungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Die lfd. Nr. 6 war Priorität der Linksfraktion unter der lfd. Nr. 4.2.

Ich komme damit zu

lfd. Nr. 7:

Zweite Lesung

Gesetz über die Anerkennung der Schulen des Gesundheitswesens (Gesundheitsschulanerkennungsgesetz – GesSchulAnerkG)

Beschlussempfehlung GesUmVer Drs 16/4144 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/4005

Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zehn Paragrafen miteinander zu verbinden, und höre hierzu keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Paragrafen 1 bis 10, Drucksache 16/4005. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.

Der Fachausschuss empfiehlt einstimmig – mit allen Fraktionen – die Annahme der Vorlage. Wer der Gesetzesvorlage zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Gegenprobe? Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Damit ist das Gesundheitsschulanerkennungsgesetz einstimmig beschlossen.

Die Tagesordnungspunkte 8 bis 14 stehen auf der Konsensliste.

Ich komme zu