Protokoll der Sitzung vom 09.06.2011

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Michael Müller (SPD)]

Der Arbeitsmarkt, das Lohngefüge sind weitgehend aus den Fugen geraten. Das müssen wir ändern, das wollen wir ändern. Deshalb wird die SPD nicht nachlassen, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn weiter zu fordern.

[Beifall bei der SPD]

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, angemessen am wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch ökonomisch notwendig. Noch immer setzen wir ausschließlich auf die Erfolge im Export und vernachlässigen die Binnennachfrage. Wir alle wissen: Nur eine vernünftige Lohnpolitik stärkt die Binnennachfrage und entlastet die Sozialausgaben. Wir haben in Berlin gehandelt. Die rot-rote Koalition hat in Berlin das Vergabegesetz mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro auf den Weg gebracht, und wir werden in einem nächsten Schritt den Mindestlohn auf 8,50 Euro erhöhen. Dafür steht die Berliner SPD.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Längst haben auch die Arbeitgeber erkannt, dass nur ein gesetzlicher Mindestlohn vor Wettbewerbsverzerrung schützen kann.

[Mieke Senftleben (FDP): Ich will 9 Euro!]

Deshalb begrüßen wir die Imagekampagne des Handwerks „Gute Arbeit, fairer Lohn“.

Entschuldigung, Frau Grosse, wenn ich Sie unterbreche! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dragowski?

Nein! Auch ich möchte heute keine Zwischenfragen.

[Mieke Senftleben (FDP): Heute nicht, sonst immer?]

Wir brauchen klare Regeln auf dem Arbeitsmarkt, damit aus der wirtschaftlichen Erholung ein selbsttragender Aufschwung wird. Dazu gehören ein gerechter Lohn und die Stärkung einer neuen Qualität der Arbeit.

Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik in Berlin setzen wir alles daran, dass noch mehr Menschen neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten und somit am Aufschwung Berlins teilhaben. Mit dem Programm der Joboffensive setzen wir auf eine schnelle und passgenaue Vermittlung der Langzeitarbeitslosen in Berlin. Damit startet Berlin ein Pilotprojekt. Die zwölf Jobcenter machen es sich zur Aufgabe, 10 000 langzeitarbeitslose Menschen in den nächsten zwei Jahren in Arbeit zu bringen – auf den ersten Arbeitsmarkt. Berlin hat seinen finanziellen Anteil geleistet.

Durch den Bau des neuen Flughafens Willy Brandt in Schönefeld haben wir Arbeitsplätze geschaffen und werden wir Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze, die in die Zukunft ausgerichtet sind. Berlin und Brandenburg bilden seit zwei Jahrzehnten eine gemeinsame Wirtschafts- und Arbeitsmarktregion. Die Menschen in der Region erleben dies zunehmend als eine Einheit. Hier sollten wir zukünftig länderübergreifend noch besser zusammenarbeiten, die Potenziale der Region nutzen und Kooperationen in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit ausbauen und intensivieren.

Mit der Schließung des Flughafens Tegel verfügt Berlin über ein herausragendes wirtschaftliches Entwicklungsgebiet. Hierzu gibt es ein umfassendes Konzept, das die Ansiedlung von Zukunftstechnologien, Gewerbe und neue Arbeitsplätze vorsieht. Mit der Gründung einer Entwicklungsgesellschaft wird das Planungskonzept in eine erfolgreiche Ansiedlungs- und Wirtschaftspolitik umgesetzt. Die Nachnutzung ist eine Chance für die Zukunft, eine Chance für die Berlinerinnen und Berliner.

Über 100 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind in den letzten zwei Jahren entstanden, und es werden mehr werden. Tourismus und Kreativwirtschaft gehören genauso dazu wie die Bio- und Medizintechnik, die Energietechnik und die Kommunikationstechnik.

Mit dem „Industriepolitischen Dialog“ arbeiten wir zusammen mit den Unternehmensverbänden, den Kammern und den Gewerkschaften für noch mehr Arbeitsplätze in der modernen Industrie. Der UVB belegt, dass die Berliner Industrie ihre Leistungsfähigkeit in den vergangenen

Jahren erheblich verbessert hat. Die Exportquote ist auf 48 Prozent gestiegen und liegt damit auf Bundesniveau. – Herr Melzer! Das haben Sie natürlich hier nicht zitiert. – Hervorzuheben ist hierbei die verstärkte Zusammenarbeit mit der Berliner Wirtschaft und der Berliner Politik wie z. B. im Steuerungskreis Industriepolitik, beim Masterplan Industrie und im Rahmen der Standortkampagne „Ich bin ein Berliner“. Laut aktueller Broschüre des UVB Berlin-Brandenburg müssen diese Initiativen fortgeführt werden.

[Uwe Goetze (CDU): Angefangen!]

Ich darf aus der Broschüre des UVB, Mai 2011, zitieren. – Wie bitte?

[Uwe Goetze (CDU): Die müssen erst einmal angefangen werden!]

Ach, Herr Goetze! Von vorgestern!

Diese Initiativen müssen fortgeführt werden wie das vom Senat, UVB und weiteren Partnern entwickelte Aktionsprogramm Elektromobilität. Hier ist das Ziel, Berlin zu einem Schaufenster für Elektromobilität auszubauen, Forschungsprojekte und Feldversuche zu stärken und somit die Komponentenfertigung in unserer Stadt anzusiedeln. Damit können das Wirtschaftswachstum in der Stadt angekurbelt und neue industrielle Arbeitsplätze geschaffen werden.

Zitat Ende – der UVB! Die Zusammenarbeit mit den Berliner Unternehmen zeigt an diesem Beispiel sehr deutlich, dass unsere Wirtschaftspolitik, die Wirtschaftspolitik von Rot-Rot auf dem richtigen Weg ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der wirtschaftliche Aufschwung muss aber auch den jungen Menschen in unserer Stadt eine Chance bieten. Deshalb appelliere ich immer wieder an die Unternehmen: Geben Sie auch den jungen Menschen eine Chance, die nicht olympiareif von den Schulen kommen! Schaffen Sie mehr Ausbildungsplätze in unserer Stadt, und sorgen Sie somit dafür, dass der Fachkräftemangel behoben wird! Wenn die Appelle keine Früchte tragen – auch das sage ich hier ganz klar –, ist die Ausbildungsplatzabgabe immer noch der richtige Weg.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Michael Wegner (CDU): Ach nee!]

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und beziehe mich auf eine Forderung der Industriegewerkschaft Metall, die eine Weiterbildungsabgabe fordert,

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

denn die Kurzarbeit hat gerade auch in Berlin gezeigt, dass die Weiterbildung noch lange nicht in den Köpfen der Arbeitgeber, aber leider auch nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angekommen ist.

[Andreas Gram (CDU): Sorgen Sie erst mal für eine ordentliche Schulausbildung!]

Wenn wir Berlin zur Hauptstadt der Zukunftsindustrien machen wollen, dann ist die Weiterbildung der richtige und entscheidende Weg.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und nun zum Thema „Generation Praktikum“: Junge Menschen, die nach ihrem Studium Praktika absolvieren, erhalten geringen oder gar keinen Lohn, und das geht überhaupt nicht. Das darf sich eine moderne Gesellschaft nicht leisten. Wer arbeitet, muss auch anständig und gerecht entlohnt werden.

[Mieke Senftleben (FDP): Was ist „anständig“?]

Berlin ist auf dem richtigen Weg mit den Zukunftstechnologien im Handel, im Handwerk, mit den Menschen in unserer Stadt, die bereit sind, ihr Bestes zu geben. Für die Berliner SPD ist klar: Gute Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung sind die beste Imagekampagne für Berlin, die beste Nachwuchswerbung und die beste Möglichkeit, Fachkräfte zu finden, auszubilden und zu halten und somit Berlins Wirtschaft zu stärken.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grosse! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Pop das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass der Regierende Bürgermeister sich nicht für Wirtschaftspolitik interessiert, zeigt sich ja nicht nur heute.

[Christian Gaebler (SPD): Der ist bei der Kanzlerin wegen des Atomausstiegs!]

Mit meiner Einstiegsbemerkung wollte ich Ihnen eine Freude machen, Herr Gaebler, damit Sie sofort loskreischen können.

Nach dem Einbruch durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

erleben wir es nun zum zweiten Mal, dass sich die Berliner Wirtschaft erholt, dass sie Fahrt aufnimmt. Gefüllte Auftragsbücher lassen die Unternehmer und Unternehmerinnen positiv in die Zukunft schauen. Laut den aktuellen Konjunkturberichten der IBB und der IHK, die auch schon zitiert worden sind, können wir in diesem Jahr sogar mit 3 Prozent Wachstum rechnen. Unser Dank und Anerkennung gelten den Unternehmerinnen und Unternehmern in dieser Stadt.

Entschuldigung, Frau Pop! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gleich nach dem dritten Satz? Also, bitte! Nein!

Jenen, die in Berlin ihre Chancen ergreifen, ihre Ideen und Innovationen verwirklichen und damit Arbeitsplätze sichern und schaffen, gilt unser Dank.

[Beifall bei den Grünen]

Viel Gutes passiert in dieser Stadt, obwohl in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des rot-roten Senats jahrelang der Stillstand regierte. Ihre schlechte Bilanz können Sie schlecht hinter der guten Prognose 2011 verstecken. Wie sind die Fakten? – Nach wie vor hat Berlin die geringste Exportquote im Vergleich der Bundesländer. Wir liegen bei 13 Prozent, bundesweit im Durchschnitt liegt sie bei 30 Prozent. Sie loben sich für die positive Entwicklung in der Industrie und steigende Beschäftigung. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die Anzahl der Erwerbstätigen im produzierenden Bereich ist von 2002 bis 2010 um fast 20 Prozent gesunken. Die Versäumnisse von zehn Jahren Stillstand wiegen einfach schwer, Herr Klemm. Sie sind noch nicht so lange dabei.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Er ist noch nicht so alt, das ist wahr!]

Da reicht es eben nicht, ein Dreivierteljahr vor der Wahl auf Industriepolitik zu machen, wenn man vorher nichts getan hat.