Protokoll der Sitzung vom 09.06.2011

Da reicht es eben nicht, ein Dreivierteljahr vor der Wahl auf Industriepolitik zu machen, wenn man vorher nichts getan hat.

[Beifall bei den Grünen]

Für den Arbeitsmarkt sieht es nach zehn Jahren genauso traurig aus. Wie können Sie überhaupt von Erfolg reden, wenn in Deutschland die Arbeitslosenzahlen auf einem Tiefstand sinken, wenn man in der Republik hier und da von Vollbeschäftigung spricht, doch in Berlin die Zahl der Arbeitslosen entgegen dem Trend zunimmt? Sie steigt an, mitten im Aufschwung. Wir sind mit 13,6 Prozent Arbeitslosenquote Schlusslicht bei der Arbeitslosigkeit. Bundesweit die höchste Arbeitslosigkeit, die höchste Jugendarbeitslosigkeit bundesweit und auch die höchste Arbeitslosenquote unter Migranten bundesweit. Die Anzahl der Langzeiterwerbslosen? – Ist auch die höchste bundesweit. Inzwischen haben uns sogar Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern überholt und liegen vor uns in der Arbeitslosenstatistik. Wie konnte das eigentlich passieren?

[Henner Schmidt (FDP): Senatspolitik!]

Obwohl Sie doch so gern vom sozialen Miteinander reden, die Realität Ihrer Regierung ist alles andere als sozial.

[Martina Michels (Linksfraktion): Das sagt die Hartz-IV-Partei!]

Berlin ist mit über hunderttausend Menschen die Hauptstadt der Aufstocker, Berlin ist die Hauptstadt der prekären Beschäftigung,

[Martina Michels (Linksfraktion): Dass Sie nicht rot werden, verstehe ich nicht!]

mehr als die Hälfte Ihres rot-roten Jobwunders ist darauf zurückzuführen. Minijobs, Teilzeitjobs, befristete Projektarbeitsplätze, da ist Berlin Spitzenreiter,

[Martina Michels (Linksfraktion): Hartz-IV-Partei Grüne!]

nicht andere Bundesländer. Berlin ist da Spitzenreiter, weil Ihre Politik die falsche ist. Nicht andere Bundesländer haben diese schlechten Zahlen.

[Beifall bei den Grünen – Martina Michels (Linksfraktion): Unglaublich!]

Das ist die Bilanz Ihrer Politik. Sie haben den Aufschwung nicht für gute und zukunftsfähige Arbeitsplätze genutzt. Es reicht eben nicht aus, ein dreiviertel Jahr vor der Wahl einen Ausbildungspakt auf den Weg zu bringen oder Masterpläne zu formulieren. Das ist später Aktionismus, Herr Gaebler!

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Ich habe gar nichts gesagt!]

Sie sind immer so hektisch unterwegs, Herr Gaebler! Aktionismus passt zu Ihnen ja immer.

[Andreas Gram (CDU): Herr Gaebler ist die Ruhe selbst!]

Der Berliner Wirtschaft droht ein Fachkräftemangel, weil Sie sich jahrelang auf den öffentlichen Beschäftigungssektor konzentriert und an der Ausbildungs- und Weiterbildungspolitik gespart haben. Wo ist eigentlich Ihre Aussage zur modernen, grünen Wirtschaftspolitik? Wirtschaftliche Dynamik, Klimaschutz und effiziente Ressourcennutzung ist überall eine Binsenweisheit, nur bei Rot-Rot noch nicht angekommen. Die letzten zehn Jahre hatten Sie dazu nichts zu sagen und in Ihren Programmen für die nächsten fünf ist darüber nichts zu lesen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Dann lesen Sie uns mal Ihr Wahlprogramm vor! – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Das Klimaschutzgesetz ist vom Regierenden Bürgermeister persönlich gestoppt worden, obwohl alle wissen, dass allein durch energetische Sanierung 20 000 Jobs entstehen – und zwar Vollzeitbeschäftigung, keine prekäre Beschäftigung. Davon wollen Sie aber nichts wissen. Dass große Firmen längst um diesen wachsenden Markt wetteifern, Siemens gründet eine neue Sparte, die „Infrastructures & Cities“ heißt, Infrastruktur für die Städte ist längst das Gewinnerthema,

[Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

und was macht Siemens? – Es geht damit nach München, weil sich dafür hier in Berlin keiner interessiert hat. Nicht in der Bundeshauptstadt werden wirtschaftliche Innovationen für Großstädte entwickelt, nein, das hat dieser Senat verbockt. Wie schade für Berlin, kann man da nur sagen. Was für ein Armutszeugnis für diesen Senat.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Andreas Gram (CDU) und Andreas Statzkowski (CDU)]

Weil man angesichts dieser dann doch etwas ernüchternden Fakten lieber darüber nicht reden möchte, haben Sie sich dahin gerettet, lieber über ihr Vergabegesetz zu reden und dort neue Wohltaten anzukündigen – als Ablenkungsmanöver. Wir haben vor einem Jahr ein Vergabegesetz auf den Weg gebracht,

[Christian Gaebler (SPD): Das ist jetzt auf einmal Ihr Gesetz, oder was?]

das soziale und nach vielen Mühen und Verhandlungen mit Ihnen auch ökologische Kriterien beinhaltet. Doch wo stehen wir nach einem Jahr? – Trotz Vergabegesetz erreichen uns schlechte Nachrichten. Die öffentlichen Unternehmen fühlen sich davon häufig nicht angesprochen,

[Zurufe von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion) und Martina Michels (Linksfraktion)]

wenn beim Charité Facility-Management der Tarifvertrag für den Wachschutz sogar noch umgangen wird, um noch weniger zu bezahlen, wenn bei der BSR Tagelöhner angeheuert werden, wenn Vivantes Subunternehmer nutzt, um Pflegekräfte möglichst günstig einzustellen, wenn die Kulturverwaltung Förderbescheide unterschreibt, in denen mit einem Stundenlohn von 3,50 Euro kalkuliert wird, wo bleibt da eigentlich das Eingreifen von Rot-Rot?

[Christian Gaebler (SPD): Praktikantenarbeit bei den Grünen]

Die ökologischen Kriterien werden nicht eingehalten, wenn die BVG noch Atomstrom bezieht, obwohl der erklärte Wille besteht, dies im Land Berlin nicht mehr zu tun. Überall fehlen hier die Kontrollen. Aber so ist Ihre Politik, da klaffen Symbolpolitik und Realität dramatisch auseinander.

[Beifall bei den Grünen]

Nicht zuletzt der HOWOGE-Skandal belegt, dass im Vergabebereich des Landes Berlin noch einiges im Argen liegt. Wir haben vorgeschlagen, weiteren Filz zu verhindern, wir haben vorgeschlagen, die Landesunternehmen stärker zu verpflichten. Bindend ist bisher für die Landesunternehmen nur das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das mit EU-weiten Schwellenwerten operiert. Alle Aufträge unterhalb dieser Schwellenwerte, das dürften mehr als die Hälfte bei den Landesunternehmen sein, werden in Berlin von keiner einzigen gesetzlichen Regelung erfasst. Da stehen Tür und Tor offen für Geschäfte nach dem hillenbergschen Motto „Man kennt sich“, da sind Vetternwirtschaft und Filz nicht fern.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Was macht denn Herr Mutlu so in seiner Freizeit?]

Das wollen wir ändern, damit Filz und Vetternwirtschaft ein Ende haben und für alle Beteiligten Klarheit und Rechtssicherheit gilt, die Sie von der SPD offensichtlich scheuen.

Das rot-rote Vergabegesetz ist ein Symbolgesetz, die Realität sieht anders aus. Es gibt Lohndumping in öffentlichen Unternehmen, es wird Atomstrom bezogen und die

Geschäfte nach dem Motto „Man kennt sich“ gehen munter weiter. Es ist wie immer bei Rot-Rot: Sie machen Symbolpolitik, die Verbesserungen für die Berlinerinnen und Berliner sind nicht spürbar und erkennbar. Wenn Sie jetzt mit großer Geste kommen und versprechen, den Mindestlohn im Vergabegesetz auf 8,50 Euro zu erhöhen, kann ich dazu nur sagen: Halten Sie erst einmal die 7,50 Euro bei allen Landesunternehmen ein, bevor Sie weitere Versprechen auf den Weg bringen!

[Beifall bei den Grünen]

Sorgen Sie für ein Gesetz, das in der Praxis funktioniert, sozial und ökologisch, wirksam und transparent ist! Das ist fair, das schafft den Aufschwung, der auch tatsächlich bei den Berlinerinnen und Berlinern ankommt.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pop! – Ich wollte Sie nicht gleich nach Ihrem ersten Satz unterbrechen, aber ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass der Regierende Bürgermeister in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr entschuldigt ist. Er weilt auf der Ministerpräsidentenkonferenz.

Jetzt hat der Herr Abgeordnete Klemm das Wort zu einer Kurzintervention.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Pop! Auch noch einmal von hier vorn der Hinweis: Der Regierende Bürgermeister redet gerade mit der Bundeskanzlerin über den Atomausstieg, was Sie gefordert haben.

[Benedikt Lux (Grüne): Er macht trotzdem schlechte Politik!]

Das dürfte ja wohl erlaubt sein.

Frau Pop! Bei Ihrer Rede ist genau das passiert, was ich in meiner vorausgesagt habe. Sie haben gemäkelt und gemeckert, da gekrittelt, hier gekrittelt und jede Menge falsche Behauptungen aufgestellt. Zum Beispiel die zur Einhaltung des Vergabegesetzes. Das ist typisch grün. Aber eines haben Sie nicht gemacht, und dafür gebe ich Ihnen jetzt genau noch drei Minuten Zeit, Sie haben keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie Sie die Wirtschaft in dieser Stadt, die Wirtschaftspolitik neu ausrichten wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Anja Schillhaneck (Grüne): Haben wir jahrelang gemacht!]

Keinen einzigen Vorschlag, keine Idee, nichts, gar nichts von den Grünen! Sagen Sie es uns! Sagen Sie es uns vor den Wahlen! Drei Minuten hätten Sie.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Klemm! – Frau Pop, Sie haben das Wort!

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie haben doch 142 Seiten Wahlprogramm! Da werden Sie uns wohl wenigstens eine Stelle vorlesen können! – Christian Gaebler (SPD): Drei Minuten reichen nicht!]

Hier herrscht ja großartige Aufregung, wenn ich nach vorn komme. Das freut mich!

[Beifall bei den Grünen – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das ist eine Unverschämtheit!]