Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

In Berlin ist es teilweise schon so weit gekommen, dass man sich zum Schämen nicht mehr ins Ausland begeben muss, der Ruf eilt uns voraus.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Ja, es war eben zu sehen!]

Ob es die Berlin-liebt-dich-nicht-Kampagne in Kreuzberg ist, die Hetzveranstaltung der Grünen mit dem Titel „Hilfe, die Touristen kommen“

[Zurufe von der SPD: Schämt euch!]

oder die zunehmenden Beschwerden von Anwohnern wegen lauter Rollkoffer auf den Straßen oder nächtlichem Lärm auf bestimmten Berliner Brücken, Berlin wird – so scheint es, und auch in Teilen des politischen Spektrums – gastfeindlich.

[Beifall bei der FDP – Thomas Birk (Grüne): Tätä, tätä!]

Vielleicht erinnern Sie sich noch, gerade bei den Grünen: Vor einigen Jahren gab es einen Bezirk, der wollte die Schwaben loswerden. Nun sind es die gemeinen Touristen.

[Volker Ratzmann (Grüne): Wieso sind die denn gemein?]

Fremdenfeindlichkeit hat viele Facetten. Dies ist sicherlich die harmloseste. Aber dennoch sollten wir heute im Abgeordnetenhaus darüber diskutieren und eine klare Haltung des Hauses, auch gerade von den Grünen, einfordern. Die FDP freut sich im Gegensatz zu den Grünen über jeden Touristen, der in die Stadt kommt.

[Beifall bei der FDP und der SPD– Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Kurt Wansner (CDU) – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Wir auch!]

Touristen stärken den Einzelhandel, schaffen Arbeitsplätze und machen die Stadt bunter, interessanter und vielfältiger. Das sind eigentlich alles Umschreibungen, die auch von den Grünen früher einmal geteilt worden sind. Mittlerweile sind sie aber piefig, veränderungsfeindlich und eingekiezt – gerade in Kreuzberg.

[Beifall bei der FDP und der SPD – Beifall von Gernot Klemm (Linksfraktion)]

Berlin ist nach London und Paris auf Platz 3 der beliebtesten europäischen Reiseziele

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

und im Kongressgeschäft mittlerweile unter den Top-5Destinationen weltweit. Allein im Jahr 2010 hatten wir in Berlin über 20 Millionen Übernachtungen und dazu noch einmal 130 Millionen Tagesbesucher. Das sind knapp eine halbe Million Menschen jeden Tag. 230 000 Arbeitsplätze für Berliner und rund 9 Milliarden Euro Einnahmen im Jahr allein durch den Tourismus sind eine Chance für unsere Stadt – und kein Risiko.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Peter Schwenkow (CDU)]

Anti-Touristenkampagnen richten da massiven Schaden für die Stadt als Standort an. Allein die Diskussion, die Sie von den Grünen unter dem Stichwort „Matratzenmaut“ angetrieben haben, zeigt exemplarisch, was Berlins Unternehmen unter eine Landesregierung mit grüner Beteiligung droht: mehr Bürokratie, zusätzliche Belastungen und das willkürliche Abkassieren zulasten aller, nicht nur der Berliner Wirtschaft.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Gernot Klemm (Linksfraktion) – Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Mann kann dem auch etwas Positives abgewinnen. Ein großer Teil der Berlinreisenden, die Sie aus der Stadt vertreiben wollen, liebe Kollegen von den Grünen, kommt aus anderen Bundesländern. Ich freue mich, dass

Sie es diesen Wählern dort so leicht machen, sich bei der nächsten Wahl gegen die grüne Lebensstilintoleranz zu entscheiden. Machen Sie ruhig weiter so!

[Beifall bei der FDP]

Wir gehen da einen anderen Weg.

[Volker Ratzmann (Grüne): Genau! – Weitere Zurufe von den Grünen]

Wir wollen und müssen die touristische Anziehungskraft Berlins weiter stärken.

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

Berlin muss Tourismusmetropole Nummer 1 werden. Ausbau von internationalen Flugverbindungen nach Asien und Übersee

[Zuruf von Heidi Kosche (Grüne)]

ich weiß, dass Sie das nicht wollen, Frau Kosche –, der Flughafen Berlin-Brandenburg darf kein Regionalflughafen werden, das sieht ja Herr Ratzmann anders. Frau Künast möchte es dennoch. Wir brauchen eine möglichst intakte Verkehrsinfrastruktur. – Auch dagegen wehren sich die Grünen. – Wir stehen für eine weitere Lockerung der Ladenöffnungszeiten und das Abschaffen von weiteren Reglementierungen. Wir könnten zum Beispiel auch darüber diskutieren, wie man die Außenbezirke der Stadt stärker ins Tourismuskonzept einbindet. All das könnten wir heute in der Aktuellen Stunde miteinander diskutieren.

Zum Abschluss noch folgender Hinweis: Zur FußballWM 2006 lautete das Motto: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Es ist schade, dass heute, fünf Jahre später, ausgerechnet zur Frauenfußball-WM anscheinend einige dieses Bild in das Gegenteil verkehren wollen. Darüber wollen wir heute mit Ihnen reden. Deshalb bitte ich um die Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Danke schön, Herr Kollege Meyer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD. Wer dem SPD-Antrag für die Aktuelle Stunde seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD und die Linksfraktion. Die Gegenprobe! – Das sind CDU und FDP. Ersteres war die Mehrheit. Dann ist der Antrag so angenommen. Enthaltungen? – Von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe das Thema der Aktuellen Stunde wie üblich unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf und werde es mit dem Tagesordnungspunkt 29 verbinden. Die anderen Anträge haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann mache ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten aufmerksam. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht der Fall sein, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Folgende Senatsmitglieder sind für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Senatorin Lompscher wird von ca. 18.30 Uhr bis 19.30 Uhr abwesend sein, um den Verdienstorden 1. Klasse an den Präsidenten der Deutschen Rheuma-Liga Berlin zu verleihen. Der Regierende Bürgermeister wird bis ca. 15.45 Uhr abwesend sein, weil er beim Staatsbesuch des japanischen Kronprinzenpaares in Berlin weilt.

Dann habe ich noch die Freude, Schüler der Oberstufe des Beethoven-Gymnasiums mit dem Lehrer Herrn Fink an der Spitze herzlich bei uns zu begrüßen. – Herzlich willkommen, dass Sie zu uns gekommen sind!

[Beifall]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat Frau Abgeordnete Christa Müller von der SPD-Fraktion mit der Frage über

Neue Chancen auf dem Ausbildungsmarkt?

Bitte schön, Frau Müller!

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich frage den Senat:

1. Wie bewertet der Senat die aktuelle Entwicklung des Ausbildungsmarktes in Berlin?

2. Mit welchen Maßnahmen unterstützt der Senat die schulisch leistungsschwächeren Jugendlichen auf dem Weg in eine betriebliche Berufsausbildung, und wie beugt der Senat einem möglichen Fachkräftemangel in der Zukunft vor?

Danke schön, Frau Müller! – Vom Senat antwortet Frau Bluhm, die Sozialsenatorin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Müller! In den letzten Tagen haben sich IHK und Handwerkskammer zur Situation der Besetzung von Ausbildungsplätzen geäußert. Zu lesen war, dass es noch viele offene Stellen gibt. Ich begrüße die Initiative der Wirtschaft, darauf noch einmal ausdrücklich aufmerksam zu

machen, denn nach mageren Jahren beschert nun der Geburtenknick den Jugendlichen deutlich bessere und neue Chancen auf einen Ausbildungsplatz, insbesondere auf einen dualen Ausbildungsplatz. Die Berliner Unternehmen sagen den Jugendlichen: Berlin braucht dich! – und der Senat sieht das genauso.

Die Zahl der neu begründeten Ausbildungsverhältnisse ist von 29 036 im Jahr 2009 auf 29 102 im Jahr 2010 gestiegen. Dies beruht im Wesentlichen auf einer Erhöhung im Bereich der Medizinalfachberufe der öffentlich-rechtlichen Laufbahn im unmittelbaren Landesdienst und der vollqualifizierenden Ausbildung in Berufsfachschulen. Die abgeschlossenen Ausbildungsverträge für duale Ausbildungsberufe nach dem Berufsausbildungsgesetz reduzierten sich dagegen von 19 466 im Jahr 2009 auf 18 994 im Jahr 2010.

Dennoch können wir, seit wir die von Prognos vorgelegte Fachkräftestudie diskutiert haben, vermerken, dass wir uns sehr intensiv bemüht haben, dieses Thema anzugehen, auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Und wir spüren eine Umbruchsituation, ein Umdenken von vielen Berliner Unternehmen, dass die Unternehmen einen eigenen Beitrag leisten müssen und dass die beste Sicherung von Fachkräften die Ausbildung von zukünftigen Fachkräften im eigenen Unternehmen ist. Denn die Situation ist die, dass wir in vielen Berliner Unternehmen ältere Belegschaften haben und gleichzeitig eine geringere Zahl von Schulabgängern, die für eine Ausbildung infrage kommen.