Protokoll der Sitzung vom 01.09.2011

[Zuruf von Ralf Hillenberg (fraktionslos)]

Herr Kirschner hatte gute Nachrichten mitgebracht: Die von der HOWOGE übernommenen maroden Plattenbaubestände sollen saniert werden – bis 2013, über 2 000 Wohnungen, eine super Sache! Senatorin Junge-Reyer war ebenfalls mit einer frohen Botschaft gekommen. Der Stadtumbau Ost würde in Buch zu einer Förderung von 12 bis 15 Millionen Euro führen.

Auch der Abgeordnete Hillenberg hätte auf der öffentlichen Versammlung etwas zu erzählen gehabt, hat er aber nicht. Im Restaurant „Il Castello“ wurde nicht darüber gesprochen, wer denn den Auftrag zur Sanierung der Plattenbauten als Planer erhalten hatte. Richtig! Das war Herr Hillenberg. Direkt vom Vorstand der HOWOGE unter rechtswidriger Umgehung von Vergaberichtlinien! Ein Auftrag im Wert von 700 000 Euro! Dabei ist bekannt, dass bereits bei Aufträgen ab 200 000 Euro gesetzlich eine europaweite Ausschreibung vorgesehen ist. Das spielte aber für die HOWOGE keine Rolle, für Herrn Hillenberg nicht und für Frau Senatorin Junge-Reyer offenbar ebenfalls nicht.

[Zuruf von den Grünen: Hört, hört!]

Ein Ausschreibung fand weder im Fall Buch noch in vielen anderen Fällen statt. Herr Hillenberg profitierte erneut von rechtswidrig ausgereichten Aufträgen.

Herrn Hillenberg – wir haben ihn ja als Zeugen gehört – war nicht so ganz wohl mit den Aufträgen im eigenen Wahlkreis, wie er uns berichtete – Zitat –:

Ich habe da mal nachgefragt. Mensch, nun ist das auch noch mein Wahlkreis!

Aber niemand, den er gefragt hatte, sah darin ein Problem. Ich weiß nicht, wen Sie alles gefragt haben, Kollege Hillenberg!

[Ralf Hillenberg (fraktionslos): Das sage ich Ihnen nachher!]

Ein halbes Jahr nach der Bürgerversammlung im Lokal wird presseöffentlich, was 2009 niemand erklärt hatte: Enorme Mietsteigerungen und auch das Engagement von Herrn Hillenberg als Unternehmer! Eine Zeitung hat nachgefragt, ob das gemeinsame Parteibuch der SPD bei der Auftragsvergabe eine Rolle gespielt haben könnte, und dazu ist von Herrn Hillenberg die inzwischen legendäre Antwort gegeben worden: „Man kennt sich eben!“

[Ralf Hillenberg (fraktionslos): Das haben Sie nicht richtig gelesen!]

Während sich die Geschäftsleitung der HOWOGE und Herr Hillenberg recht gut kannten, traf das angeblich auf die Frau Senatorin nicht zu. Sie hat uns im Ausschuss erklärt – Zitat –:

Ich bin immer davon ausgegangen, dass Herr Hillenberg Bauunternehmer ist, aber welche Aufträge er von wem bekommen hat, das war mir nie bekannt.

Dabei ist Kollege Hillenberg nicht als besonders schweigsam bekannt, und er ist ja auch bei anderen Bauvorhaben tätig gewesen. Ich erinnere an das bekannte Projekt Niedrigenergiehaus in Berlin-Lichtenberg, Schulze-BoysenStraße. Auch dort hat die Senatorin Herrn Hillenberg getroffen und hat uns dazu im Ausschuss gesagt: Ich habe gedacht, das ist der örtliche Abgeordnete.

[Zuruf von Joachim Esser (Grüne)]

So einfach haben Sie uns das zu erklären versucht. Frau Senatorin Junge-Reyer! Wir haben erhebliche Zweifel an dieser Aussage. Wir gehen davon aus, dass Sie mehr gewusst haben. Wir gehen davon aus, dass Sie sehr wohl gewusst haben, in welchen verschiedenen und sich überschneidenden Rollen Herr Hillenberg tätig gewesen ist.

Wir haben im Ausschuss festgestellt, dass Herr Dr. Sarrazin, der Finanzsenator, auf Bitten von Herrn Hillenberg seinen Bereich, seine Verwaltung angewiesen hat, bestimmte Informationen zu beschaffen. Das halten wir doch für einen interessanten Vorgang, denn wenn ein Abgeordneter, der beruflich in einem Bereich tätig ist, direkt auf die Senatsverwaltung einwirken kann und Gegenstand von Gesellschaftergesprächen von großen Un

ternehmen wird, so sind das Vorgänge, denen es insgesamt an Transparenz mangelt.

Wir müssen heute auch darüber diskutieren, wer eigentlich unsere Unternehmen steuert. Die Bausenatorin behauptete, erst im Januar 2010 von den Vorwürfen gegen die HOWOGE erfahren zu haben. Nun stellt sich die Frage – und ich habe deswegen auch heute in der Spontanen Fragestunde den Finanzsenator etwas gefragt –: Wer ist zuständig? Wer kann Weisungen geben? – Das ist eigentlich klar geregelt: Der Finanzsenator! – Frau Senatorin Junge-Reyer hat 2002 ein Rundschreiben an die Gesellschaften geschickt und ihnen mitgeteilt, sie seien öffentliche Auftraggeber, es gebe bestimmte Regularien usw. Sie hat sich in der Folge aber nicht darum gekümmert, zu erreichen, dass man das z. B. mittels einer Weisung den Gesellschaften auch richtig verdeutlicht. Herr Dr. Sarrazin hat uns im Ausschuss zu Protokoll gegeben:

Ich sage Ihnen darüber hinaus: Ich habe Briefe der Stadtentwicklungsverwaltung, wenn es irgend ging, grundsätzlich gar nicht wahrgenommen.

Das ist Zusammenarbeit in diesem Senat. So kann man öffentliche Unternehmen nicht steuern. Das ist ein Skandal.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir wollen in Untersuchungsausschüssen immer für die Zukunft lernen und Schlussfolgerungen ziehen. Das erwarten wir auch vom Senat. Wenn ich, wie eben schon angedeutet, den Finanzsenator etwas gefragt habe und er gesagt hat, plötzlich sei die Bausenatorin wieder für die Wohnungsbaugesellschaften eher zuständig und er nicht, dann können Sie sehen, dass im Senat offenbar niemand die einschlägigen Regularien kennt. Es ist ganz klar: Der Finanzsenator ist zuständig, und wenn Sie, Frau Senatorin Junge-Reyer, von Missständen erfahren, dann müssen Sie sich an den wenden. Wenn Sie sich mit ihm nicht einigen können, müsste man es vielleicht zur Chefsache machen. Es muss dann in der Senatssitzung geklärt werden, welche Schritte einzuleiten und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. All das ist in dem Fall nicht passiert. Über viele Jahre hinweg hat die HOWOGE Aufträge freihändig vergeben und alle Regularien missachtet.

Wir wollen Transparenz in Berlin. Fälle wie bei der HOWOGE, wie beim Spreedreieck, wie bei Berlin Partner oder wie bei der BSR – wenn ich an die Anklage gegen den Finanzvorstand denke – sind doch ein Alarmsignal. Berlin darf nicht weiter die Hauptstadt des Filzes sein, sondern muss die Hauptstadt der Transparenz werden. Das wollen die Berlinerinnen und Berliner, und das wollen auch wir.

[Beifall bei den Grünen]

Wo es Regeln gibt, sind sie einzuhalten. Da, wo es keine ausreichenden Regeln gibt, müssen wir nachbessern. Ich nenne nur das Stichwort Vergabegesetz. Herr Buchholz! Sie haben uns vorhin hier erklärt, es ginge Ihnen hauptsächlich um Mindestlohn und die Arbeitsnormen. Das ist alles richtig. Darum geht es uns ebenfalls. Uns geht es

aber auch darum, dass Wettbewerb stattfindet. Uns geht es darum, dass Ausschreibungen kostengünstige Ergebnisse bringen. Deshalb haben wir eine Veränderung für das Vergabegesetz vorgeschlagen, die hier heute auch zur Abstimmung steht.

Wir wollen erreichen, dass in dem Bereich, in dem die europäischen Regelungen wegen der Schwellenwerte noch nicht gelten, also unterhalb der europäischen Werte, ganz klare Ausschreibungsregelungen für alle Unternehmen des Landes Berlin erlassen werden. Dass Sie das hier ablehnen, deutet darauf hin, dass Sie nicht verstanden haben, wie viel Transparenz in Berlin noch fehlt.

[Beifall bei den Grünen]

Eine weitere Frage ist – das macht der Fall von Herrn Hillenberg deutlich –, wie wir damit umgehen, dass wir in einem Teilzeitparlament Parlamentarier haben, die nebenbei auch eine berufliche Existenz, die eine Firma haben, die öffentliche Aufträge selbstverständlich auch entgegennehmen und ausführen kann. Auch darüber muss Transparenz hergestellt werden. Wenn jemand in einem Ausschuss sitzt und sich dabei mit einer Wohnungsbaugesellschaft befasst, alle anderen aber gar nicht wissen, dass er Auftragnehmer dieser Wohnungsbaugesellschaft ist, bleibt etwas im Dunklen, ist etwas im Unklaren. Das ist ein schwieriger Punkt, an dem wir einfach mehr Transparenz benötigen. Deshalb lassen Sie uns auch darüber nachdenken, die Transparenzregularien für Abgeordnete zu prüfen und an dieser Stelle zu präzisieren.

[Beifall bei den Grünen]

Ich will noch zwei Bemerkungen zur Ausschussarbeit machen: Der Kollege Graf hat es bereits angedeutet. Wir hatten erhebliche Probleme mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Sie haben sich geweigert, uns Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Erst als wir sagten, wir würden hinkommen, und einen Lokaltermin ausmachten – der Vorsitzende sagte, wir hätten Rechtsgeschichte geschrieben, das wusste ich noch gar nicht; es ist aber interessant, daran beteiligt zu tun –, haben sie uns ihre vielen Aktenordner gezeigt. Unsere Empfehlung für die Zukunft lautet, dass wir verbindliche Regeln brauchen. Wir brauchen Regeln für Aktenaufbewahrung, wir brauchen konkrete Fristen. Auch müssen die Aufbewahrungspflichten besser geregelt werden. Die Rolle des Landesarchives muss allen Senatsverwaltungen klar gemacht werden. Dann kann so etwas nicht mehr passieren. Sie haben uns beispielsweise Ordner überstellt, in denen die Seiten nicht nummeriert waren. Wir wissen nicht, was vorher entfernt wurde.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit ist beendet.

So kann man Akten in solch wichtigen Fällen nicht führen. – Ich komme zum Schluss. Ein letzter Satz: Sie haben die Geschäftsführer der HOWOGE entlassen. Aber, wie der Volksmund sagt: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Die politische Verantwortung für die von der HOWOGE jahrelang praktizierte Verletzung von Ausschreibungspflichten liegt ganz klar beim Senat, sie liegt bei Senatorin Junge-Reyer und bei Herrn Dr. Sarrazin. Das sei hier zum Schluss noch einmal festgestellt. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Otto! – Für die FDPFraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Kluckert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich am Anfang auch zunächst einmal bei dem Vorsitzenden für die Leitung des Untersuchungsausschusses bedanken. Es war so, wie man es von bürgerlichen Politikern immer erwarten kann, gut vorbereitet und fundiert. Vielen Dank für diese gute Leitung des Ausschusses!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussbüros bedanken. Ohne diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre unsere Arbeit nicht so erfolgreich gewesen. Vielen Dank für die geleistete Arbeit! Vielen Dank auch für die Erstellung des Berichts des Vorsitzenden, den Sie dann zwar verändert haben, der aber eine großartige Leistung auch angesichts der Zeit war.

[Beifall bei der FDP]

Der Ausschuss war schon deshalb sehr sinnvoll, weil er einen interessanten Einblick in den politischen Verfall Berlins nach 20 Jahren SPD-Herrschaft geliefert hat. Wir haben aus den Akten ein Filzgestrüpp kennengelernt, welches einerseits die SPD als Partei und die Wohnungsbaugesellschaften als landeseigene Betriebe, vielleicht auch nur beispielsweise für landeseigenen Betriebe, andererseits auch noch Abgeordnete als Auftragnehmer und Parteimitglieder als Geschäftsführer als Koordinaten hat. Es gibt hier eine Verbindung zwischen politischem Engagement und wirtschaftlichem Vorteil. Man kann sich schon die Frage stellen, ob hier das politische Engagement möglicherweise nur Mittel zum Selbstzweck ist.

[Beifall bei der FDP]

Ein weiterer Punkt, wenn wir von politischem Verfall nach 20jähriger SPD-Herrschaft sprechen, ist die Verlotterung der politischen Sitten. Wir haben Abgeordnete kennengelernt, die sich nicht mehr als Kontrolleure einer Regierung, sondern nur noch als bloße Senatsverteidiger verstehen.

[Beifall bei der FDP]

Auch das ist nicht im Sinne unserer Aufgaben. Wir haben auch Abgeordnete kennengelernt, die es tatenlos hinnehmen, sogar rechtfertigen, dass Rechte des Abgeordnetenhauses, Rechte des Untersuchungsausschusses von einer Senatsverwaltung mit Füßen getreten werden. Wenn wir hier sehen, dass Akten gefiltert und Akten unterschlagen worden sind, und sich Abgeordnete hinstellen und alles verharmlosen oder sagen, es sei alles nicht so schlimm, ist das jedenfalls nicht mein Verständnis von Abgeordnetentätigkeit.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen zunächst, wenn wir gleich zu den Ergebnissen dieses Ausschusses kommen, klarstellen, welche Bedeutung die Vergabe öffentlicher Auftrage im Wettbewerb besitzt. Die Bedeutung für eine solche Vergabe liegt in der Chancengleichheit für alle Unternehmer in dieser Stadt, aber auch für Unternehmer. Wenn es europaweit auszuschreiben geht, dann gilt sie auch europaweit. Es sollen Leistung, Qualität und Wirtschaftlichkeit darüber entscheiden, wer einen Auftrag erhält, und nicht Bekanntschaft oder das Parteibuch. Deshalb ist die Vergabe öffentlicher Aufträge im Wettbewerb so wichtig.

[Beifall bei der FDP]

Sie ist auch wichtig in einem Land, welches jeden Euro zweimal umdreht, um die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen, um sparsam zu wirtschaften. Deswegen braucht man öffentliche Vergabe im Wettbewerb.

Deswegen sind die festgestellten Verstöße der HOWOGE keine Lappalien. Es kommt dabei auch gar nicht darauf an, ob es einen wirtschaftlichen Schaden gab oder nicht. Allein schon entscheidend ist, dass viele Unternehmer keine Chance hatten, einen Auftrag zu erhalten, weil das Parteibuch hier in diesem Fall oftmals in Berlin förderlich ist.