Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

[Beifall bei der SPD]

Frau Dr. Tesch! Auch wenn Sie zu sechs Anträgen reden, müssen Sie langsam zum Ende kommen!

Danke, Frau Präsidentin! – Ich hatte ja schon gesagt, dass ich nicht zu allen Anträgen sprechen kann. Das wird das Hohe Haus sicher auch insgesamt nicht so interessieren. Das diskutieren wir dann in der gewohnten epischen Länge im Bildungsausschuss. – Ich danke Ihnen!

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Tesch! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt Herr Steuer das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Rede der Kollegin Dr. Tesch stand ein wenig unter der Überschrift: Alles ist nicht ganz so schlimm, es wird schon ein bisschen besser, zu sechs Anträgen kann ich sowieso nicht reden. – Ich finde das für das wichtige Thema zu wenig, Frau Dr. Tesch!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Die Grünen legen heute sechs Anträge vor, die allesamt das tun und fordern, was dreieinhalb Fraktionen in diesem Haus für richtig halten, nämlich konkrete Verbesserungen für die Schulen in Berlin auf den Weg zu bringen, anstatt nur über die Frage der Schulstruktur zu reden und sie in den Vordergrund zu stellen, wie es die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Frau Bluhm, heute wieder getan hat.

Grüne, CDU, FDP und die Zöllner-Harant-Partei sind sich einig: Eine Einheitsschule oder Gemeinschaftsschulen, in die alle Schüler nach der sechsten Klasse gehen oder bleiben, löst kein einziges Problem der Berliner Schulen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Die Einheitsschule löst nicht den Unterrichtsausfall, nicht die Sorge um das Experiment des jahrgangsübergreifenden Unterrichts in der flexiblen Schulanfangsphase, nicht die geringe Mittelausstattung, nicht die Arbeitsüberlastung der Lehrer, die letztlich zu dem hohen Krankenstand führt, nein, die Einheitsschule löst kein einziges Problem.

Deshalb werden wir das Ablenkungsmanöver von Linkspartei und SPD-Linken nicht mitmachen.

Ein Antrag, den die Grünen heute vorlegen, zeigt exemplarisch, dass es um die Details geht und nicht um die große Ideologie. Es geht um die flexible Schulanfangsphase, um die individuelle Förderung. Die findet nicht einfach nur deshalb statt, weil ich alle Schüler zusammensetze und sie zusammen unterrichte. Wenn man integrieren will, wenn lernschwächere Schüler eine Chance haben sollen, dann brauchen sie auch besondere Unterstützung.

[Beifall bei der CDU]

Eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten ist möglich, es kommt aber auf die Details an. Ich fordere deshalb den Bildungssenator und die Koalition auf, die Schulen mit der flexiblen Schulanfangsphase nicht allein zu lassen. Es ist ein Alarmsignal, dass über 50 Prozent der Schulen ein Jahr später mit der flexiblen Schulanfangsphase beginnen wollen. Unser Antrag lautet: Machen Sie die flexible Schulanfangsphase freiwillig, zwingen Sie die Schulen nicht dazu, aber wenn sie dazu nicht bereit sind, gehen Sie auf den grünen Antrag ein, der völlig richtig ist, und der festhält, dass die Schulen besondere Unterstützung bei der flexiblen Schulanfangsphase benötigen!

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Es steht zu befürchten, dass die Koalition – wie bisher – auch diese sechs Anträge der Grünen wieder ablehnen wird. Während die Oppositionsfraktionen gute Politik machen und Dutzende von Anträgen einbringen, machen Sie nichts anderes, als über Ihr Lieblingsprojekt Einheitsbzw. Gemeinschaftsschule zu philosophieren. Offenbar unter dem Schock der Zöllner-Antwort vorhin in der Aktuellen Stunde erklärt Frau Bluhm, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, gegenüber einer Agentur, dass noch vor der Sommerpause das Schulgesetz geändert werden müsse, damit mit der Einführung der Einheitsschule in Berlin begonnen werden könne. Wer regiert hier eigentlich? – Hier wackelt offensichtlich der Schwanz mit dem Hund! Während der Bildungssenator erklärt, Schulstruktur stehe nicht im Vordergrund, macht die PDS Druck und sagt, wir wollen das jetzt und sofort.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Linkspartei!]

Die Debatte über die Einführung Ihrer Gemeinschaftsschule braucht Zeit. Sie haben versprochen, dass das auf der Basis der Freiwilligkeit passieren soll, jetzt hingegen wollen Sie das forcieren und Druck machen, jetzt wollen Sie das sozusagen im Schweinsgalopp durch das Abgeordnetenhaus bringen – damit sind wir nicht einverstanden!

[Beifall bei der CDU]

Herr Muñoz kritisiert das dreigliedrige Schulsystem, und die PDS applaudiert. Frau Bluhm findet das ganz großartig, erklärt das doch letztlich ihr Einheitsschulexperiment in Berlin. Welches dreigliedrige Schulsystem meint Herr Muñoz eigentlich? – Meint er das Bayerische dreigliedri

ge Schulsystem, wo es keine Gesamtschule gibt und ein Drittel der Schüler auf die Hauptschule geht? Meint er das Berliner Schulsystem, das im Grunde genommen viergliedrig ist, wo nur 8,6 Prozent der Schüler auf die Hauptschule und ein ganz großer Teil auf die Gesamtschulen gehen und wo die Hauptschule letztlich zur Resteschule geworden ist? Meint er das System der neuen Bundesländer, wo das dreigliedrige System nie eingeführt wurde und es ein zweigliedriges System gibt? Oder meint er Hamburg, wo es ein dreigliedriges System gibt, das aus Gymnasium, Gesamtschule und verbundener Haupt- und Realschule besteht? Da gibt es gar keine Hauptschule. Welches dreigliedrige Schulsystem, das dem Bildungserfolg der Kinder im Weg stehen soll, meint Herr Muñoz? – Es ist eben mit einfachen ideologischen Debatten nicht getan, man muss sich die Realität vor Ort anschauen. Es reicht nicht, irgendetwas aufzugreifen, das einem in den Kram passt, um die eigenen Experimente durchzusetzen. Guter Unterricht kann in jeder Schule stattfinden, schlechter Unterricht aber auch!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Bluhm das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Steuer! Ich gehe gerne auf das ein, was Sie gesagt haben. Herr Muñoz meint ein System in Deutschland, eine Gliederung des Schulsystems, in dem auch in Berlin 30 % der Hauptschüler die Schule ohne Schulabschluss verlassen, trotz bester Bedingungen, was das Lehrer-Schüler-Verhältnis und die Ausgabe der Mittel in diesem Schultyp betrifft. Dazu haben Sie nichts gesagt. Herr Muñoz meint ein Schulsystem, in dem wir wesentlich weniger Abiturienten produzieren als erfolgreiche Bildungsnationen. Wir – wie beispielsweise Skandinavien – können uns nicht damit messen, dass 80 bis 90 Prozent eines Schülerjahrgangs das Abitur ablegen und dann noch erfolgreich ein Studium beginnen und abschließen.

[Mieke Senftleben (FDP): Das ist ein großer Irrtum!]

Es sind sehr viel weniger. Und, Herr Steuer, wenn Sie sich dem Gleichheitsgrundsatz und der wichtigen Aussage von Herrn Muñoz verschließen, dass mit dem gegliederten Schulsystem Benachteiligung nicht abgebaut wird – was ureigene Aufgabe von Pädagogik ist –, sondern Benachteiligung verstärkt wird, dann ist das Ihre Sache. Sie verbauen dieser Bundesrepublik Deutschland aber auch wirtschaftspolitisch die Zukunft, denn wenn wir dieses gegliederte Schulsystem mit dieser mangelnden Leistungsfähigkeit, was die Abschlüsse, was die soziale Kompetenz, die Teamfähigkeit und vieles andere betrifft, beibehalten, steuern wir auf einen eklatanten Fachkräftemangel in den nächsten Jahren zu. Weil Sie die ideologi

schen Scheuklappen beibehalten, wird uns die Debatte noch eine Weile erhalten bleiben, sie wird aber zeitgeistig entschieden, und wir in Berlin werden dabei eine besondere Rolle spielen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Deshalb finde ich es auch sinnvoll, die Debatte nicht so detailliert in den einzelnen Anträgen zu führen, sondern sich über strategische Ziele zu verständigen, so wie das andere europäische Länder gemacht haben, nämlich tatsächlich eine Debatte über nationale Ziele zu führen. Das ist der nächste Schritt: Stellen wir uns die Frage, wie wir Chancengleichheit in den nächsten zehn Jahren verbessern, wie wir die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg verringern, wie wir eine Verbesserung der schulischen Leistungen in den nächsten zehn Jahren erreichen, wie wir die Risikogruppe der Schülerinnen und Schüler deutlich reduzieren, wie wir die Zahl der Abiturienten auf mindestens 70 % erhöhen und dann auch die, die ein Studium abschließen, auf 50 %, weil wir das tatsächlich brauchen, um Schritt zu halten im europäischen Maßstab. Das ist die Klammer, über die wir heute reden müssen, deshalb nur noch wenige Anmerkungen zu den Anträgen.

Zur Schulanfangsphase hat Frau Tesch etwas gesagt, zur Frage „Schule ohne Sitzenbleiben“ sind wir in der Koalitionsvereinbarung weitergegangen – auf Seite 10 des Originals ist sowohl die Bezugnahme auf die Pilotschulen als auch darauf, das grundlegende Prüfen des Sitzenbleibens in allen Schulen zur Kann-Regelung zu machen, gegeben. Das geht weiter als ein Extraprogramm für 50 Schulen.

Zu der Frage „Lehrer dauerhaft einstellen“ schlagen wir ein Modell vor: 100 % plus 3 % flexibel und verlässlich an die Einzelschule ohne die dauerkranken Lehrer. Das ist ein Vollzeit-Lehreräquivalent von 350. Mit Ihrem Antrag der 400 Stellen – meinen Sie die zusätzlich oder alternativ? – Dies zu beantworten steht noch aus.

Zur Frage „neue Arbeitszeitmodelle“ beschreiben Sie die Situation der Anforderung an ein neues Arbeitszeitmodell durchaus richtig. Auch das haben wir vor vielen Wochen in einer Koalitionsvereinbarung getan. Der Weg ist in Ihrem Antrag noch nicht beschrieben, sondern nur die paradigmatische Form. Ich finde es wichtig, dass wir es gemeinsam mit den Gewerkschaften tun, und wir wissen jetzt, dass es eine echte Herausforderung sein wird, die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Wenn Sie an dieser Stelle mit uns gemeinsam darum ringen, dann soll uns das recht sein.

Die Frage „Eigenverantwortlichkeit der Schulen“ gehört, wie ich meine, zu den neuen Arbeitszeitmodellen dazu. Zu der Frage „Aufhebung der Pflicht zur äußeren FachLeistungsdifferenzierung“ finden Sie eine weiter gehende Aussage in der Koalitionsvereinbarung.

Insofern ist die Strukturfrage dann doch kein sekundärer, sondern sie ist ein entscheidender Punkt dafür, dass sie auf der anderen Seite das Bemühen um individuelle För

derung eines jeden Schülers, einer jeden Schülerin geradezu erfordert. Wenn ich eine Schule für alle gestalte, dann stehe ich vor der Herausforderung, die individuelle Förderung für alle zu realisieren und ein Lehr- und Lernklima zu erschaffen, das nicht von Vor- oder Nachbereitung von Selektion und Auslese geprägt ist, sondern gerade von dessen Gegenteil. Erfolgreiche Bildungsnationen machen uns das vor, und dem wird sich auch Herr Steuer irgendwann nicht mehr entziehen können; die Zeit wird auch über diese Debatten hinweggehen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Bluhm! – Für die FDPFraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Senftleben das Wort! – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Herren, meinen Damen! Geschätzte Frau Bluhm! Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, ist es in Finnland so, dass 60 Prozent der finnischen Schüler das Abitur machen. Ein Problem ist da allerdings – und das darf man nicht vergessen –, dass gerade in Finnland bei denjenigen gesiebt wird, die anschließend auf die Universität gehen.

Also müssen wir bei allen Fakten ehrlich bleiben.

Noch einmal ein Wort zu Herrn Muñoz. Herr Muñoz scheint irgendwie so ein Gottvater hier zu sein. Was ist eigentlich gestern Neues veröffentlicht worden? – Nichts! Sachen, die wir 2000 nach dem ersten PISA-Schock alle schon wussten. Herr Senator hat es vorhin so schön gesagt. Ich glaube, er hat acht Punkte aufgezählt, und einer davon ist das Thema Einheitsschulsystem, und ich sage Ihnen nur, Herr Mutlu, Frau Bluhm, betreiben Sie keine Selektion in diesem Fall! Finden Sie das Home-Schooling super? – Das ist doch nun ein wirkliches Selektieren, was Herr Muñoz da vorschlägt. Hier keine Selektion! Das könnte dann fatal werden.

[Beifall bei der FDP]

Wir haben heute mit sechs Anträgen ein wahres Potpourri zum Thema Bildung. Die Grünen haben unter dem Motto Bildung alles zusammengeklaubt, was sich auf die Schnelle finden ließ. Da geht es um eine wirklich olle Kammelle, das ist die Abschaffung des Sitzenbleibens. An dem Antrag ist neu, dass sich einem Programm 50 Schulen anschließen sollen, aber was neu ist, ist nicht unbedingt besser.

Dann haben sich die Grünen nicht davon abschrecken lassen, einen Antrag der CDU aus der letzten Sitzung zu kopieren. Da geht es um die Stärkung der Schulleitung. Auch das ist nicht besonders originell.

Dann zum Thema „flexible Schulanfangsphase“: Das ist nun wirklich ein Gummiband. Das haben wir im Plenum schon öffentlich diskutiert. Ich sage noch einmal: flexible Schulanfangsphase ja, aber freiwillig, und die Rahmenbedingungen müssen stimmen, sprich: Personal und Räume müssen vorhanden sein. Das ist unsere Position. Da reichen auch zwei Sätze, mehr muss ich nicht noch einmal dazu sagen. Ich verweise auf meine Rede von vor sechs Wochen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Die FDP weiß ja alles besser!]

Dann das Thema „Arbeitszeitmodelle“. Auch das ist eine Kopie des FDP-Antrags aus der letzten Legislaturperiode. Ich freue mich aber, dass dieses wieder aufgegriffen wird.

[Beifall bei der FDP – Özcan Mutlu (Grüne): Unser Antrag!]

Ihr Antrag? – Da gucken wir jetzt noch einmal genau nach, Kollege Mutlu!

Dann geht es um die absurde Feststellung, dass wir uns auf 400 neue Lehrer festlegen. Was ist das eigentlich für eine magische Zahl 400? Brauchen wir vielleicht 450? Wissen Sie das? – Mir geht es darum, dass nach Bedarf gearbeitet wird. Der Bedarf muss gedeckt werden.

[Beifall bei der FDP – Özcan Mutlu (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage!]

Frau Senftleben! Entschuldigung!