Protokoll der Sitzung vom 08.03.2012

Tagesordnungspunkt 22

Nach zehn Jahren Gender-Budgeting endlich konsequent bei der Haushaltsaufstellung anwenden!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0200

in Verbindung mit

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 18

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0192

in Verbindung mit

lfd. Nr. 7:

Situation von Frauen in Berlin

Große Anfrage der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/0199

Für die Besprechung beziehungsweise Beratung der aufgerufenen Tagesordnungspunkte steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Abgeordnete Kofbinger.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für die richtige Aussprache meines scheinbar sehr komplizierten Namens! – Meine Damen und Herren! Heute, am 101. Internationalen Frauentag, wollen wir über das reden, was Frauen in diesem Land wirklich wichtig ist. Wie wir schon zu Beginn der Sitzung an den schmückenden Beigaben auf den Tischen gesehen haben, gehen da in den Fraktionen offensichtlich die Meinungen ein wenig auseinander. Während manche mutmaßen, es wären Blumen, sind wir der Auffassung, dass es um das hier geht. Ich zeige Ihnen das mal, weil Berlin so wenig davon hat.

[Dr. Manuel Heide (CDU): Schokolade!]

Es geht darum! Ja, das ist Kohle, das ist Schotter. Das ist Knete.

[Dr. Manuel Heide (CDU): Stimmt doch gar nicht! Schokolade!]

Uns geht es hier heute ums Geld!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Deshalb haben wir zum diesjährigen Frauentag auch einen Antrag eingebracht, in dem es ausschließlich darum geht, ohne jedes schmückende Beiwerk. Wir reden heute über den bald zu verabschiedenden Doppelhaushalt 2012/2013 und die Teilhabe der Frauen dieser Stadt an einem Aufgabenvolumen von rund 22 Milliarden Euro. Wir reden über Gender-Budgeting.

Viele von Ihnen werden dieses Wort heute das erste Mal gehört haben. Gestatten Sie mir einen kurzen Blick in die Vergangenheit. Das fing eigentlich alles ganz gut an. Am 27. Juni 2002, also vor fast genau zehn Jahren, beschloss das Abgeordnetenhaus, den Gender-Budget-Ansatz als finanzpolitisches Instrument stufenweise zu implementieren. Damals war Berlin mit diesem Beschluss innovativ und modern. Man hat sich sozusagen an die Spitze der Bewegung gesetzt. Wenn wir nun, zehn Jahre später, auf den Prozess blicken, müssen wir feststellen, dass wir mitten auf dem Weg stehengeblieben sind.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Diese Blockade wollen wir bei Ihnen mit unserem Antrag lösen, der Sie auffordert, einen neuen, diesmal verpflichtenden Anlauf zu nehmen. Zeigen Sie Berlin, wie ehrlich Sie es mit Ihrem Vorhaben eines geschlechtergerechten Haushalts meinen! Verankern Sie Gender-Budgeting endlich in der Landeshaushaltsordnung!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Zu diesem Schritt fordern nicht nur wir Sie seit Jahren auf, sondern auch die Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin; die sind bereits mehrfach an Sie herangetreten. Die konnten Ihnen auch die harten und validen Zahlen an die Hand geben und konkrete Beispiele, woran es hakt und was von Senatsseite besser gesteuert werden muss. Ich nenne nur die Erhebung zu den durchschnittlichen Monatsgehältern, berechnet in pauschalisierten Vollzeitäquivalenten, damit sich das auch vergleichen lässt. Das Ergebnis war ein Lohnunterschied zuungunsten der Frauen zwischen 3,36 und 26,6 Prozent. Bei einer solchen Entgeltlücke im eigenen Betrieb ist der Senat gefragt. Da muss die Chefin persönlich ran – ich meine Herrn Wowereit. Der ist jetzt gerade nicht da. Aber bitte, handeln Sie!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Gender-Budgeting, das wird Sie interessieren, kann aber auch noch mehr. Es ist z. B. eine Möglichkeit, auch in Zeiten geringer haushaltspolitischer Spielräume – die haben wir sicherlich – gleichstellungspolitische Ziele zu realisieren. Ich nenne Ihnen jetzt ein sehr konkretes tagesaktuelles Beispiel. Wir werden am Montag eine Anhörung im Ausschuss von Herrn Senator Czaja haben, da geht es um ein Projekt für obdachlose Frauen. Es ist ein ganz kleines Projekt, das Volumen beträgt ungefähr 100 000 Euro. Das Angebot umfasst acht Schlafplätze und eine psychosoziale Betreuung für Frauen, die ein spezielles Problem mit Gewalterfahrung haben, die psychische Probleme haben. Ihnen ist es aufgrund ihrer Si

tuation eben nicht möglich, die schon vorhandenen gemischten Einrichtungen aufzusuchen. Eigentlich kein Thema; taucht aber nirgendwo auf, kann nicht verglichen werden, wird deshalb eventuell aufgelöst. Hätten Sie der teilweise vorhandenen genderrelevanten Datenerfassung auch eine konkrete Umsetzung folgen lassen, wäre Ihnen dieses sinnvolle Projekt nicht durchgerutscht. Aber wir werden dafür kämpfen, dass dieses Geld bereitgestellt wird.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Aus meinem Bereich könnte ich Ihnen jetzt noch ganz viele Beispiele nennen. Ich sage nur: das Frauennachtcafé, eine wunderbare Einrichtung auch für Frauen mit psychischen Problemen, die sich dann nicht mehr an die Notrufzentralen wenden können, weil die schon nach Hause gegangen sind – Volumen 14 400 Euro; wird wahrscheinlich auch nicht weiterfinanziert.

Gender-Budgeting wird bereits in vielen anderen Ländern auf höherem Niveau als in Berlin angewendet. Als ein Beispiel möchte ich Österreich nennen. Das ist mir immer besonders peinlich, aber ich tue das jetzt. Österreich ist weiter als Berlin und wird die geschlechtergerechte Haushaltsaufstellung am 1. Januar 2013 in die Verfassung aufnehmen. Da kann ich nur sagen, das kann Berlin auch. Unser Antrag liegt vor. Gender-Budgeting wurde bereits im letzten Jahrhundert von der EU als Instrument für mehr Transparenz und gerechtere Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger identifiziert und eingeführt. Es ist nun an der Zeit nachzuziehen. Deshalb lassen wir Ihnen in unserem Antrag aber auch die Zeit bis zur Aufstellung des nächsten Doppelhaushalts 2014/15.

Die Zeiten, in denen Berlin im Gender-Budgeting-Prozess führend war, in denen unsere Projekte stilbildend waren, in denen andere sozusagen von uns abgeschrieben haben, diese Zeiten sind vorbei. Bitte erzählen Sie uns nicht wieder Ihr Pilotprojekt in den Bezirken bis 2013, Ihre Haushaltsaufstellung, die gendergerecht veranlagt wird, bis 2014, natürlich ausgeweitet dann in den neuen Haushalt! All diese Sachen sind Absichtserklärungen. Wir möchten es gerne von Ihnen konkret wissen. Kommen Sie mit uns von Ihrem Pilotprojekt zum Politprojekt, gleiche Buchstaben, aber ganz andere Wirkung! Deshalb unterstützen Sie bitte unseren Antrag!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Ich lasse das Geld mal für Sie liegen.

Für die Fraktion der SPD hat jetzt Frau Dr. Czyborra das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst wollte ich anmerken, dass wir durchaus die Bereitschaft hatten, den Internationalen Frauentag zum Thema der Aktuellen Stunde zu machen. Das wurde aber anderweitig so nicht gewünscht.

[Zuruf von Dr. Klaus Lederer (LINKE) – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Definieren Sie mal „anderweitig“!]

Na, von der Fraktion der Grünen, habe ich gehört! Ich war in dieser Sitzung nicht dabei. Ich kann mich da bloß auf die Aussagen beziehen.

[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Wir beschäftigen uns hier ja nicht nur mit dem Antrag zu Gender-Budgeting, sondern am 8. März, dem Internationalen Frauentag, mit der Großen Anfrage zur Situation von Frauen in Berlin. Ich möchte trotzdem erst mal einige allgemeine Dinge zu diesem Tag sagen.

Drei Sätze zur Lage der Frauen auf dieser Erde: Frauen verfügen weltweit über 10 Prozent Anteil am Einkommen und über 1 Prozent Anteil am Reichtum. Zum Ausgleich dafür leisten sie mehr als 50 Prozent der offiziellen Arbeitsstunden und zusätzlich den allergrößten Teil der unbezahlten Arbeit in Familie, Pflege, Haus und Hof. Auf eine bezahlte Arbeitsstunde von Frauen kommen nach Schätzungen natürlich mehr als zwei Stunden unbezahlte Arbeit, bei Männern sind das 20 Minuten.

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Der Tag heißt offiziell Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden. Ich möchte auch noch erwähnen, dass es bis heute und auch in Konflikten, in denen wir uns als Bundesrepublik Deutschland militärisch einmischen, die Frauen sind, die besonders grausam leiden, und systematische Vergewaltigung ein Mittel des Krieges ist. Auch da haben wir nach wir vor Defizite in unserer eigenen Gesellschaft, wie die Frauen, die mit weiblichen Opfern in Kriegsgebieten dieser Welt arbeiten, erschreckend und eindrucksvoll schildern können.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Für mich als Sozialdemokratin hat dieser Tag noch einmal eine besondere Bedeutung, denn dieser Tag wurzelt in der deutschen und amerikanischen Arbeiterinnenbewegung. Seine Einrichtung schaffte aber auch ein Bündnis mit bürgerlichen Frauen.

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Er wurde letztes Jahr 100 Jahre alt. Zunächst war das Frauenwahlrecht auf der Agenda, aber von Anfang an waren es auch soziale Fragen und Fragen nach gerechtem Lohn. Das Frauenwahlrecht, aktiv und passiv, haben wir nun schon eine ganze Weile. Aber bevor wir uns selbstgerecht zurücklehnen, in der Annahme, wir wären Mus

terschüler, sollten wir uns einige Daten ins Gedächtnis rufen.

Noch bis 1977 lautete ein Paragraf im BGB: