Protokoll der Sitzung vom 08.03.2012

Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.

Basierend darauf brauchten Ehefrauen die Zustimmung ihres Ehemannes, wenn sie eine Erwerbsarbeit aufnehmen wollten. Die legten sie ihrem Arbeitgeber dann schriftlich vor. In dem Jahr, als das abgeschafft wurde, kam ich übrigens in die Oberschule. Also so lange ist es nicht her.

Mit meiner Generation sollte dann schon mal alles anders werden. Aufgrund der sozialdemokratischen Bildungsreform der frühen Siebziger waren wir schon in der Breite mächtig gut ausgebildet. Wir wuchsen mit der neuen Frauenbewegung auf, mit dem Gefühl, dass uns die Hälfte des Himmels gehört. Die Uniabschlüsse haben wir dann in zu großen Zahlen gemacht, viele auch besser als die Jungs. Aber die Realität heute ist: Wir sind das Schlusslicht in Europa, was das Gender-Pay-Gap angeht.

[Unruhe]

Wenn ich Sie ganz kurz unterbrechen darf! – Meine Damen und Herren! Es wäre angenehm, wenn Sie der Rednerin lauschen würden und Nebengespräche nach außen verlagern würden.

Eben wurde diesem Thema hier große Bedeutung beigemessen. – Da hatte die katholische Arbeitertochter vom Lande nun Abitur, vielleicht hatte sie studiert und landete doch wieder hinterm Herd. Neben der Tatsache, dass wir das sozial selektivste Bildungssystem haben, gehört das für mich auf die Schamliste ganz nach oben. Es ist aber nicht nur zum Schämen, es ist kurzsichtig und dumm. Es ist falsch, weil mittlerweile erwiesen ist, dass Gesellschaften, in denen Frauen gleiche Chancen haben, erfolgreicher, glücklicher und nachhaltiger sind. Armut, Bildungsferne, psychische Belastung hängen direkt mit ökonomischer Eigenständigkeit der Frauen zusammen.

Löst sich das alles nicht von selbst? Haben wir nicht die bestausgebildete Frauengeneration am Start, die es je gab? Meinen nicht viele 20-Jährige, Gleichstellungspolitik brauchen sie nicht? – Ein Blick auf die Statistik: Das Bild vom Bermudadreieck zwischen Promotion, Kinderwunsch und 30. Geburtstag ist klischeehaft und biologistisch, aber es beschreibt trotzdem das, was viele Frauen erleben und erlebt haben. Die jüngeren sollen das nicht mehr erleben, aber auch viele von den nun schon älteren

Frauen, die sich durchgekämpft haben, wollen noch mal mit dem Kopf durch die gläserne Decke.

Ich will jetzt allerdings sagen, dass wir schon zahlreiche Erfolge hatten. Als ich anfing zu studieren, gab es am Fachbereich exakt eine Professorin. Heute ist Berlin zwar nicht bei 50 Prozent, aber immerhin bei 28 Prozent. Das ist ein Erfolg der Gleichstellungspolitik im Bereich der Universitäten.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Evrim Sommer (LINKE)]

Wir sind da vorne. Wir sind in Berlin besser als der Bundesdurchschnitt, und zwar deutlich besser.

[Evrim Sommer (LINKE): Ja, aber warum? Wer hat hier regiert?]

Weil wir eine gute Gleichstellungspolitik in dem Bereich gemacht haben und die auch fortführen!

Was müssen wir nun tun? – Systeme, Führungsstrukturen in Unternehmen, Parteien, Universitäten haben so eine Dynamik der Selbstreproduktion. Die jeweilige Führungsetage sucht sich Nachfolger, die möglichst wie die sind, die vorher schon da waren. Das ist gar nicht böswillig. Aber der Mann sucht sich halt einen jungen Mann, der ihm sehr ähnlich ist und als der natürliche Nachfolger erscheint. Man spiegelt sich da gegenseitig. Das macht alle Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit, auch von Diversity so schwierig, und deswegen brauchen wir hier zunächst mal starrere Regelungen, bis sich das durch Vielfalt geändert hat.

Der Begriff der Frauenförderung ist nicht zu Unrecht in der wissenschaftlichen Diskussion durch den Begriff Empowerment ersetzt worden, denn es geht nicht darum, irgendwelche persönlichen Defizite auszugleichen, die vielleicht etwas mit weiblichen Gehirnen zu tun haben. Es geht darum, vorhandene Potenziale zu entfesseln, die Beschränkungen aufzuheben. Der korrekte Begriff wäre also Entfesselung, Entgrenzung und Entschränkung.

Berlin ist dabei auf einem guten Weg. Bei uns beträgt das Gender-Pay-Gap nach offiziellen Angaben nur 19 Prozent. Aber ist das das Verdienst der Berliner Politik? Was kommt als Nächstes, damit Berlin irgendwann mit einer runden Null beim Gender-Pay-Gap durchs Ziel geht? Dazu befragen wir unseren Senat. Wir fragen nach Arbeit und Bildung, Berufsorientierung und Karrierechancen, nach Einkommen von Frauen und nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer.

Zu den vorliegenden Anträgen, die wir mitbehandeln: Um Probleme zu lösen und geeignete Maßnahmen einzuleiten, braucht man erst mal eine gute Datenbasis, eine Analyse des Problems. Dabei kann der Einsatz von Software zielführend sein, und sie ist auch in manchen Unternehmen schon mit positiven Ergebnissen eingesetzt wor

den. Ich denke, wir werden diesen Antrag im Ausschuss ausführlich beraten.

Zum Thema Gender-Budgeting kann ich nur sagen, dass die Aussage, das Instrument wurde nur sporadisch angewandt, angesichts der Menge an Zahlenmaterial, das uns zu diesem Thema im Haushaltsplan vorliegt, selbst aus Oppositionssicht etwas lächerlich wirkt. Sie wissen doch ganz genau, dass Berlin eine absolute Vorreiterrolle einnimmt und die Instrumente kontinuierlich ausbaut.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Es ist aber wie schon bei dem anderen Thema: Eine Datenbasis weist den Weg, ist aber noch nicht die Lösung. Mit Daten muss gearbeitet werden. Mit den Genderdaten zu arbeiten, ist die Aufgabe dieses Parlaments, was in der entsprechenden Arbeitsgruppe auch geschieht.

[Beifall von Iris Spranger (SPD) und Franziska Becker (SPD)]

Nach einer Phase der Datenerhebung können wir nun mehr und mehr Aufgaben und Ziele formulieren. Lassen Sie uns das in allen Ausschüssen tun! Frau Kofbinger! Sie haben hier das Beispiel obdachlose Frauen genannt, und das ist ja nun gerade ein wunderbares Beispiel, dass hier im Einvernehmen aller Fraktionen gesagt wurde, diesen Punkt müssen wir uns angucken, dazu muss eine Anhörung stattfinden, und da gucken wir ganz genau hin.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Aber dann muss doch das Geld fließen!]

Und genau darum geht es in der täglichen parlamentarischen Arbeit, und genau deshalb werden wir uns diesen Antrag auch noch einmal intensiv angucken und beraten, wenn wir ihn überwiesen haben. – Danke!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Abgeordnete Frau Sommer das Wort. – Bitte sehr!

Heute jährt sich zum 101. Mal der Internationale Frauentag. Es kommt äußerst selten vor, dass dieser Tag auf eine Plenarsitzung fällt. Das möchte ich zum Anlass nehmen, um einige Worte zu den Ergebnissen der rot-roten Gleichstellungspolitik der letzten zehn Jahre zu äußern.

Wir haben in Berlin hinsichtlich der Gleichstellung viel erreicht: In unserer Regierungszeit haben wir erkämpft, dass in Berlin der Frauenanteil in Aufsichtsräten der landeseigenen Unternehmen auf fast 50 Prozent gestiegen ist.

[Beifall bei der LINKEN]

Außerdem werden zwei der bedeutendsten Berliner landeseigenen Unternehmen von Frauen geführt: die BVG und die BSR.

Darüber hinaus haben wir ein Regierungsprogramm verabschiedet, dass die Frauenpolitik zu einer Gesamtaufgabe für die Stadt Berlin macht. Wir haben auch das Landesgleichstellungsgesetz novelliert und damit die Rechte von Frauenvertreterinnen gestärkt. Berlin spielte bislang in der Frauenpolitik bundesweit eine Vorreiterrolle.

Mit der neuen SPD-CDU-Koalition weht jedoch ein anderer Wind durch Berlin. Kaum ist die neue Regierung im Amt, werden Führungspositionen neu besetzt, und zwar wieder mit Männern. Kürzlich wurde bekannt, dass im Aufsichtsrat der BVG eine Position neu mit einem Mann besetzt wurde, die zuvor eine Frau innehatte. Die jahrelang hart erkämpfte Parität ist nun dahin.

Noch ein anderes Beispiel: In der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG soll nun ein Mann die Position des stellvertretenden Vorsitzenden im Aufsichtsrat übernehmen, die zuvor auch eine Frau innehatte. Im „Tagesspiegel“ von heute wurde das ganz deutlich dargestellt.

Zwar steht in der Koalitionsvereinbarung Ihrer Regierung, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, dass Sie die Gleichstellungspolitik in Berlin weiterführen wollen. Aber diese Beispiele, liebe Frau Kolat, sprechen eine andere Sprache.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Es gibt noch mehr Beispiele. Die Koalition von SPD und CDU leistet sich erstaunlich viele Staatssekretäre. Trotz der Vermehrung dieser Posten ist der Anteil von Frauen qua Amt eher gesunken. – Liebe Abgeordnete der SPDFraktion! Sie möchte ich deshalb fragen: Warum schicken Sie zwei Männer in den Rundfunkrat? Warum machen Sie das? Warum stoppt Herr Nußbaum ein Bewerbungsverfahren für eine Spitzenposition bei der BSR? Auch Herr Nußbaum müsste inzwischen doch wissen, dass das Berliner Landesgleichstellungsgesetz ein transparentes Auswahlverfahren mit öffentlicher Ausschreibung vorschreibt.

Liebe Frau Kolat! Liebe Frauen von der SPD-Fraktion! Warum lassen Sie sich das alles gefallen? Diese Frage möchte ich Ihnen stellen. In der letzten Legislaturperiode haben wir doch gemeinsam das Landesgleichstellungsgesetz novelliert. Wir haben alle erdenklichen Schlupflöcher geschlossen, damit die Gleichstellungspolitik mit Ernsthaftigkeit vorangetrieben wird. Dafür haben wir von anderen Bundesländern doch viel Lob bekommen! Nun machen Sie mit einem neuen Koalitionspartner eine Kehrtwende – so viel zu 100 Tagen rot-schwarzer Koalition.

Dass ich so etwas am Internationalen Frauentag feststellen muss, ist überaus beschämend für Sie, liebe SPD und liebe CDU. Kaum war Ihre Regierung im Amt, wurde gleich versucht, das novellierte Landesgleichstellungsgesetz zu umgehen. Da kann ich nur sagen: Bravo, weiter so! So etwa bei der bekannten Ernennung des Polizeipräsidenten durch den Innensenator. Dass war ein klarer Bruch des Landesgleichstellungsgesetzes.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und es gab keinen Grund zur Eile. Die kommissarische Polizeipräsidentin, Frau Koppers, macht nämlich ihre Arbeit gut.

[Beifall bei der LINKEN]

Durch unseren öffentlichen Druck konnte dies glücklicherweise verhindert werden. Wir wollen nun hoffen, dass Herr Henkel die Stelle so ausschreibt – er hat ja heute gesagt, die Ausschreibung sei auf dem Weg –, dass sich auch Frauen bewerben können wie die amtierende Polizeipräsidentin Frau Koppers.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Eine Selbstverständlichkeit!]

Für die nicht, liebe Anja! – Bereits bei der Neuaufteilung der Ressorts wurde deutlich, dass die Berliner Gleichstellungspolitik stagniert. Frauen waren bei RotRot Teil des Wirtschaftsressorts, das bekanntermaßen ein Ressort mit besonderen Gestaltungsmöglichkeiten ist. Das war bundesweit einmalig. Die Zusammenlegung der Ressorts Wirtschaft und Frauen hat einen Schub beim Umgang mit Gleichstellungsthemen in den öffentlichen Unternehmen in Berlin ausgelöst. Ohne sie wäre die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte nicht möglich gewesen.

Das ist nun anders. Frauen sind Teil des Ressorts Integration und Arbeit. Der neue Ressortzuschnitt ist ein gewaltiger Rückschritt. Die Berliner Wirtschaft wird wieder stärker zu einer Männerdomäne, und Frauen werden eher zum Integrationsfall. Da hilft es auch nicht, Frau Kolat, wenn Sie mit Herrn Schweitzer Erklärungen unterschreiben, dass Frauen an die Spitze sollen. Das hilft hier gar nicht. Wir haben die Landesinitiative gehabt, die unser Frauensenator Harald Wolf auf den Weg gebracht hat. Da hilft es wirklich nicht, wie Sie verfahren, nur mit der IHK zusammenzuarbeiten. Wir hatten die Landesinitiative mit den Kammern, den Gewerkschaften und vielen, vielen anderen Akteuren auf den Weg gebracht, um Frauen auch in der Privatwirtschaft zu fördern. Da hätten Sie doch ansetzen können!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Aber Sie machen eine Show und unterschreiben eine Erklärung lediglich mit der IHK. Da soll einer mal schlau werden! So müssen wir schmerzhaft erkennen, dass der lange Weg zur Geschlechtergerechtigkeit in Berlin nun wieder steiniger geworden ist. Sie dürfen aber sicher sein, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dass wir Frauenpolitikerinnen zusammen mit den Frauen

vertreterinnen und Aktivistinnen das bisher Erreichte verteidigen werden.

Hinsichtlich der Anträge möchte ich heute nicht ins Detail gehen, denn sie werden in den Ausschuss für Arbeit, Integration und Frauen überwiesen. Dort werden wir dezidiert darüber diskutieren. Es scheint mir jedoch wichtig, einige Worte zu unserem Antrag zu sagen: Zunächst ist es unfassbar, dass Frauen in diesem Land 23 Prozent weniger als Männer für die gleiche Arbeit verdienen. Ich möchte daran erinnern, dass Lohngerechtigkeit eine der zentralen Forderungen der Frauen war, die vor mehr als hundert Jahren den Frauentag ins Leben gerufen haben. Hat sich in dieser Zeit wirklich so wenig verbessert?