Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Ausführungen waren in Teilen richtig. Man muss an der Stelle sagen, dass es sich um eine Testphase für ein Bedarfskneeling handelt. Die politische Botschaft in diesem Haus ist, dass wir am automatischen Kneeling festhalten. Das Kneelingverfahren ist ein fester Bestandteil barrierefreier öffentlicher Mobilität. Die Barrierefreiheit sichert Teilhabe, und Mobilität sollte modern sein. Im Stadtentwicklungsplan Verkehr ist die Vision formuliert, bis zum Jahr 2020 die Verkehre in der Stadt komplett barrierefrei zu machen.

[Elke Breitenbach (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage]

Daran halten wir fest. Zum Barrierefreiheit gehören genauso die taktilen Leitsysteme auf Bahnsteigen, die Niederflurigkeit bei Straßenbahnen, die Ausrüstung der Bahnhöfe mit Fahrstühlen und Rampen. All das muss finanziert werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Nein! – Das Kneelingverfahren bedeutet für viele Menschen einen erleichterten Ein- und Ausstieg in die Busse der BVG. Die BVG hat als landeseigenes Unternehmen auch Vorbildfunktion für andere Verkehrsunternehmen in der Region Berlin-Brandenburg.

Noch einmal zur Richtigstellung: Das derzeitige Pilotprojekt der BVG für ein Bedarfskneeling entspricht nicht unseren Vorstellungen von barrierefreier Mobilität.

Die Argumente vonseiten der BVG für ein Bedarfskneeling können genannt werden: Die BVG bringt Kostenfragen an. Eine Hydraulik verschleißt scheinbar durch häufigeren Gebrauch schneller, und damit erhöht sich die Werkstattfrequenz der Busse, und die Verfügbarkeit sinkt. All das muss abgewogen werden. Das gilt auch für die Argumente der Personalvertretung, bei der auch gesundheitliche Fragen der Busfahrer eine Rolle spielen.

Dem gegenüber stehen aber die berechtigten Interessen der Fahrgäste: Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, ältere Menschen, Kinder, Jugendliche, Familien mit Kinderwagen. Sie sind in unserem Blickfeld.

Im Hinblick auf die linke Hysterie muss man einmal feststellen, dass das Kneeling von uns Sozialdemokraten nicht infrage gestellt wird.

Dieser etwas ungünstig kommunizierte Testlauf, der auch keine Spezifizierung an den Bussen zulässt – am Bus ist nicht ausgeschildert, dass das Kneeling nicht mehr stattfindet und ein Bedarfskneeling angeboten wird –, wird ein Ende haben. Die Auswertung des Testlaufs wird dann sicher im Ausschuss behandelt. Ich kündige schon einmal an, dass ich mich auch weiterhin für ein automatisches Kneeling aussprechen werde.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Der Abgeordnete Gelbhaar hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserem Antrag, wie es auch der Antrag der Linken tut, fordern wir heute hier, das automatische Absenken der Busse an den Haltestellen zu erhalten. Bislang waren alle über 1 000 Busse mit dem automatischen Kneeling ausgestattet. Daher stellt sich die Frage, warum ein solcher Antrag überhaupt nötig ist. Wir haben es heute schon gehört: Die BVG meint – und da ist mir die Position der Koalition nicht ganz klar geworden –, das Einknicken der Busse bliebe doch erhalten – Stichwort Bedarfskneeling, das Absenken auf Knopfdruck –, man müsse doch nur einem Knopf drücken. Was treibt die BVG überhaupt um, diese Einschränkung zu fordern? Sie hat ein Pilotverfahren durchgeführt, das nicht kommuniziert wurde. Das hat sich erst durch Nachfrage ergeben. Das reiht sich ein bisschen in die Frage ein, warum der VBB-Begleitservice eingeschränkt wird. Da deutet sich eine Linie an, die uns Grünen – und nicht nur uns – nicht gefällt.

Als Gründe für die Umstellung benannte die BVG zuforderst die Wartungsanfälligkeit des Systems. Das mag

stimmen, aber Infrastruktur kostet nun einmal Geld. Und an dieser Stelle ist das Geld gut angelegt.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Weiterhin teilt die BVG mit, es sei nur für wenige Fahrgäste ein Nutzen erkennbar. Wenn man das interpretiert, bedeutet das: Ausgrenzung ist hinnehmbar, wenn sie nur einen kleinen Teil betrifft. Das ist für mich, für uns Grüne keine akzeptable Argumentation, und das sollte für das ganze Haus gelten.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es wurde auch angeführt, die Busfahrer würden dadurch krank. Wir haben das mit einer Kleinen Anfrage abgefragt, und weder der Senat noch die BVG konnten das so bestätigen. Für diese Behauptung gibt es bislang kein Fundament. Vielmehr – das teilte die BVG mit – wurde das automatische Absenken an jeder Haltestelle als störend empfunden. Das ist aber kein ausreichender Grund. Wenn man das annehmen würde, wäre das unsolidarisch. Die Fahrgäste akzeptieren das Absenken seit vielen Jahren. Dieser Grund scheint mir nur vorgeschoben.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Die von der BVG genannten Gründe überzeugen mich jedenfalls nicht. Das Bedarfskneeling ist und bleibt eine Verschlechterung.

Ich möchte versuchen, das aus der Sicht der Betroffenen zu erläutern. Stellen Sie sich eine Person mit Kinderwagen und einem Dreijährigen an der Hand vor. Was soll sie am Bus loslassen, den Kinderwagen oder den Dreijährigen? Es ist klar, dass man beides nicht tun kann. Deswegen kann man den Knopf nicht drücken. Deswegen wird es für diese kleine Familie kein Kneeling geben. Das ist ein ganz praktischen Beispiel, das in der Realität vorkommt. Oder nehmen Sie einen Rollstuhlfahrer, der an der Bushaltestelle wartet. Aus dem Bus drängen zwanzig Menschen. Der Busfahrer hängt eine Minute hinter dem Zeitplan. Die Tür schließt sich, ohne dass der Rollstuhlfahrer den Knopf erreichen konnte. Auch für diesen Rollstuhlfahrer hat der Bus keinen Knicks gemacht. Auch für diesen Rollstuhlfahrer gab es keine Möglichkeit, barrierefrei einzusteigen.

Oder stellen Sie sich ältere Menschen vor – z. B. Ihre Urgroßeltern oder Ihre Großeltern oder vielleicht auch schon Ihre Eltern! Viele ältere Menschen sind nicht gut zu Fuß. Das wissen Sie, wie ich es auch weiß. Diese Menschen stehen trotzdem, wie es üblich ist, an der vorderen Bustür. Für diese Menschen senkt sich der Bus nicht, denn dort gibt es gar keinen solchen Knopf. Damit wird der Einstieg zum Sicherheitsrisiko. Für diese Menschen gibt es kein Kneeling und soll es kein Kneeling mehr geben, und deswegen fährt für diese Menschen dann auch kein Bus mehr. Das müssen Sie realistisch so zur Kenntnis nehmen. Im Gegensatz zur BVG, die diese Pilotphase als positiv bewertet, sagen alle anderen – z. B.

alle Behindertenverbände –: Nein, das ist überhaupt nichts Positives. Das ist ein Rückschritt.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition! Deswegen fordere ich Sie auf: Stellen Sie nach den Chaostagen insbesondere dieser Woche für die Berliner Verkehrsinfrastruktur nicht auch noch den funktionierenden Teil der Verkehrsinfrastruktur in Berlin zur Disposition! Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Familien mit Kinderwagen – alle sollen in Berlin weiterhin das Busangebot der BVG uneingeschränkt nutzen können. – Das ist die Begründung für diesen Antrag und für den Antrag der Linken.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Auch diesen Punkt muss man sich als Letztes noch einmal vor Augen führen: Berlin und die BVG haben mit guten Gründen das automatische Kneeling überhaupt erst eingeführt. Warum man das jetzt abschaffen soll, versteht kein Mensch. Die Mobilität und damit die Freiheit, das ganze Stadtgebiet zu erreichen, sollte hier klaren Vorrang haben. Herr Senator! Nehmen Sie die politische Führung hier wieder in die Hand! Widersetzen Sie sich als Eigentümer – Sie sind der Eigentümer – und als Vertreter der Berlinerinnen und Berliner dem Abbau des Mobilitätsangebots in unserer Stadt! – Vielen Dank! – Er nickt!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Friederici das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist so, dass wir zumindest fast alle – zumindest weiß ich das von CDU, SPD, Linken und Grünen – bestrebt sind, die Situation mobilitätsbehinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen zu verbessern.

[Alexander Spies (PIRATEN): Wir auch!]

Liebe Piraten! Von Ihnen haben wir zu der Sache noch nichts gehört, weil wir das Thema bisher hier noch nicht erörtert haben und Sie erst nach uns reden werden. Sie haben ja gleich noch die Möglichkeit. – Das gilt im allgemeinen Straßenverkehr wie etwa bei individuellen Pkw-Fahrten, wo beispielsweise durch gesonderte Parkplätze die Freihaltung für Berechtigte konsequent von der Berliner Polizei gewährleistet wird. Im öffentlichen Bereich wird das konsequent verfolgt, im halbprivaten Bereich wie beispielsweise in Einkaufszentren oder im Umfeld von Verkehrsbauwerken gibt es zuweilen noch Verbesserungsbedarf.

Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs kann die CDU durchaus weitreichende Sympathie dafür entwickeln, alle Verkehrsmittel barrierefrei zu erreichen. Deshalb ist die Förderung und Verbesserung sowie der Ausbau der Barrierefreiheit auch ein zentraler Punkt der Koalition von CDU und SPD. Dabei geht es eben nicht nur um das Einknicken von Bussen, sondern um Wegeänderungen, Aufzugsanlagen, Rampen, Rolltreppen, Gehwegerhöhungen usw. Aber das haben Grüne und Linke offensichtlich auch in diesem Antrag vergessen. Die CDUFraktion freut sich schon jetzt darauf, im Ausschuss von beiden Parteien zu hören, wie ihre Maximalforderung ohne neue Ansätze in welchem Zeitraum umgesetzt werden soll. Woher werden die Grünen und Linken beispielsweise den Sonderfinanzierungsbedarf nehmen, der hier notwendig ist, bzw. wo wollen Sie konkret beim Angebot der BVG entsprechend kürzen? – Da bin ich gespannt.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Alles das werden wir hoffentlich im Ausschuss von den Grünen und Linken hören.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Außerdem sollten wir – und das empfehle ich Ihnen auch – vielleicht erst einmal die momentan ablaufende Evaluationsphase der Berliner Verkehrsbetriebe abwarten.

Wir wollen natürlich von den Grünen und den Linken auch wissen, wieso sie intelligente Lösungen wie beispielsweise Bürgersteigerhöhungen, die eine dauerhafte Barrierefreiheit herstellen könnten – übrigens auch dauerhaft günstiger sind –, an Haltestellen überhaupt nicht wollen.

[Zuruf von Jasenka Villbrandt (GRÜNE)]

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Das würde ja beispielsweise auch ein sehr nachhaltiges Parkverbot bedeuten und auch das Zuladen von dort fremden Autofahrern oder Lastwagenfahrern verhindern. Die CDU freut sich auf die Ausschussberatung ausdrücklich. Sie freut sich übrigens auch darauf, dann endlich einmal die BVG zu hören – den technischen Bereich der BVG und auch die Personalvertretung. Das ist heute nur kurz angesprochen worden. Uns interessiert das auf jeden Fall.

Ich denke, wenn man sich sachkundig und sachfundiert einem Thema nähern will und etwas für die mobilitäts- und gehbinderten Menschen in Berlin tun möchte, dann sollte man erst einmal Sachverstand einholen, bevor man klientelbedingte Anträge einbringt, die am Ende mit Sicherheit nichts außer einer kleinen Schlagzeile bringen werden und nicht zum Ziel beitragen, etwas für diese Menschen und für diese Personengruppe zu tun. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe von der LINKEN]

Für die Piratenfraktion hat jetzt der Abgeordnete ClausBrunner das Wort. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Senatoren beliebigen Geschlechts! Es sind ja nicht mehr so viele da. Sehr geehrte Kollegen beliebigen Geschlechts! Barrierefreiheit ist keine Frage des Geschmacks, des Kontostands oder der Haushaltsplanung, sondern Grundlage für Zugang und Teilhabe. Das ist ein Grundrecht, das auch so im Grundgesetz verankert ist.

1995 hat die Stadt Berlin Leitlinien zum Ausbau als behindertengerechte Stadt festgelegt. In dieser Zeit bis heute wurde schon vieles erreicht, aber das ist kein Anlass, sich auszuruhen oder Rückschritte zuzulassen. Die Gesellschaft altert und ändert sich. Es gibt heute immer mehr Menschen, die bei ihren täglichen Fahrten mit der BVG oder mit der S-Bahn auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Wenn wir, wie im Grundgesetz verankert, die Menschen gleichbehandeln möchten, dann ist Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr Pflicht.

Die BVG als landeseigener Betrieb will jetzt Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder anderweitig in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, zu Bittstellern degradieren, nur um ein paar Hunderttausend Euro einzusparen. Ab 2013 werden 140 Gelenkbusse beschafft. Die kosten zusammen ungefähr 65 Millionen Euro. Das macht einen Stückpreis von 460 000 Euro pro Bus. Wenn ich so viel Geld bezahle, kann ich vom Hersteller doch erwarten, dass ich eine sehr gute Qualität geliefert bekomme und die Funktion Kneeling dauerhaft verwendet werden kann, ohne dass ich den Bus dauernd in die Werkstatt bringen muss.

[Beifall bei den PIRATEN]

Mein Vorredner, der Kollege von der CDU, meinte, man könne ja die Bürgersteige anheben.

[Oliver Friederici (CDU): Wurde schon gemacht!]

Das ist prinzipiell eine gute Idee, aber wer weiß, wie lange solche Bauvorhaben in dem Bereich dauern und