Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Radziwill! Herr Brauner! Worüber wollen Sie gleich in der Aktuellen Stunde noch sprechen? Sie haben doch Ihr Pulver schon komplett verschossen!
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Heiterkeit bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]
Heute soll nun endlich die bereits seit Wochen geforderte Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters kommen, und das wurde auch Zeit, kann man dazu nur
sagen! Wobei von „Regieren“ bei dieser Koalition auch nach fast einem Jahr nicht wirklich die Rede sein kann. Manche mögen es ja bereits über neue Pannen und Pleiten schon vergessen haben, dass bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit etliche Stimmen aus der eigenen Fraktion fehlten. Den ersten Rücktritt eines CDU-Senators wegen der SchrottimmobilienAffäre gab es noch vor der Regierungserklärung zu den Richtlinien in der Politik. Seit Monaten geht es in der SPD drunter und drüber: Da wurde mal eben der Bürgermeister Müller aus dem Amt des Parteivorsitzenden geworfen, und die S-Bahnausschreibung des Senats wird auch gleich von der SPD-Fraktion mitblockiert. Verlorengegangen ist unterwegs auch der Doktortitel des CDU-Fraktionsvorsitzenden Graf.
Nachdem Sie, Herr Wowereit, letzten Freitag nach der Aufsichtsratsitzung des Flughafens die inzwischen vierte Verschiebung des Eröffnungstermins des Flughafens auf den 27. Oktober 2013 und eine Kostenexplosion um erst mal 1,2 Milliarden Euro verkündet haben, noch während sich die ganze Stadt fragte, was man Ihnen eigentlich noch glauben kann, und sich alle über das Chaos auf der Baustelle, über das Versagen des Aufsichtsrates und die massiven Kostensteigerungen zu Recht erregten, kam gleich am Samstag der nächste Hammer: der Abtritt der Wirtschaftssenatorin von Obernitz von der CDU – und verdrängte das BER-Desaster aus den Schlagzeilen, welch ein Zufall! Kaum hat die SPD ein Problem namens Flughafen, Verschiebung und Kostenexplosion, bekommt die CDU einen Tag später auch ein Problem. Meine Damen und Herren von der SPD und der CDU: Meinen Sie eigentlich diesen Vorgang, wenn Sie von koalitionsinterner Arithmetik sprechen? Gestartet sind Sie als selbsternannte Koalition von Vernunft und Stabilität, heute stehen Sie da als Koalition der Pannen, Pleiten und Entlassungen!
Wer hätte es eigentlich gedacht, dass ausgerechnet SPD und CDU auch hier die selbsternannte Koalition von Infrastruktur und Wirtschaftskraft nach einem Dreivierteljahr ohne Wirtschaftssenatorin und ohne Infrastrukturchef Projekt Flughafen dasteht?
Mit dem Debakel in Schönefeld, Herr Wowereit, haben Sie unserer Stadt den größten Schaden seit der Pleite der Bankgesellschaft zugefügt. Die Zeche werden – wie bei der Bankgesellschaft – leider wieder die Berlinerinnen und Berliner zahlen müssen. Für Ihr Versagen am BER müssen nun zusätzliche Gelder in dreistelliger Millionenhöhe fließen, Geld, das woanders in der Stadt fehlt: beim
Schuldenabbau, bei den dringend benötigten Kitaplätzen oder den Straßenreparaturen in der Stadt – die Liste ließe sich lang fortsetzen. Das werden die Menschen schmerzlich merken, und es wird Ihnen dieses Mal nicht gelingen, das Versagen und die Kostenexplosion zur Erfolgstory umzudefinieren. Wer soll Ihnen das eigentlich noch glauben?
Monatelang haben Sie die Dinge treiben lassen, sich hinter Durchhalteparolen verschanzt und sind allen Fragen aus dem Weg gegangen. Dass Sie es auch noch für nötig hielten, bei diversen Sommerveranstaltungen über das Flughafendebakel zu witzeln, hat nicht nur mich fassungslos gemacht. „Meint er das ernst?“ – fragt der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe entgeistert. Wenn Sie heute in Ihrer Regierungserklärung wieder wie so oft – und wie es die Überschrift auch schon vermuten lässt – die Verantwortung aller anderen einklagen, der Medien, der Opposition – die Textbausteine sind ja bekannt –,
dann denken Sie vielleicht ausnahmsweise mal einen Augenblick lang über Ihre eigene Verantwortung nach!
Über Ihre Verantwortung als Aufsichtsrat, die Sie allzu oft mit einer Schirmherrschaft verwechselt zu haben scheinen,
und über Ihre Verantwortung als Regierender Bürgermeister dieser Stadt, mit all Ihrer Kraft zum Wohle der Stadt zu arbeiten und keinen Schaden über die Stadt zu bringen! Herr Wowereit! Wer soll nach alldem noch glauben, dass Sie dieses Projekt zu einem guten Ende führen? Wer soll Ihnen überhaupt noch glauben, dass Sie Erfolge für diese Stadt einfahren können?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Fraktionen haben heute zum Thema Wohnen aktuellen Debattenbedarf angemeldet, wobei es schon ein Unterschied ist, ob ich wie die Koalition über Wohnqualität und Mieterschutz in 15 Prozent des Wohnungsbestandes reden will oder wie die Linke über bezahlbares Wohnen generell.
Dennoch ist festzustellen, dass das Thema Wohnen in der Stadt an Brisanz und Bedeutung gewonnen hat, und es wiegt für die allermeisten Berlinerinnen und Berliner schwerer als die Personalprobleme der CDU oder die Durchhalteparolen der Flughafendilettanten. Keine Frage: Das BER-Desaster ist nicht nur ärgerlich und peinlich, sondern es kommt uns alle teuer zu stehen. Die Taschenspielertricks des Senats und seines Finanzsenators, nach denen 444 Millionen Euro einfach so da sein sollen – nachdem laut Status per 30. Juni nur ein Spielraum von rund 130 Millionen Euro bestand –, sind schlicht dreist.
Nicht nur wir fragen uns, warum vor diesem Hintergrund kein Geld da sein soll, um eine neue soziale Wohnraumförderung zu starten. Wir hatten – ich erinnere daran – einen moderaten Einstieg mit 30 Millionen Euro in diesem Jahr und 70 Millionen Euro im nächsten Jahr beantragt, und die Koalition hat kühl abgelehnt. Warum ist kein Geld da, um den Mietausgleich für Menschen zu verbessern, die nach dem Wegfall der Anschlussförderung mit drastischen Mietsteigerungen konfrontiert sind? Warum ist kein Geld da, um den Mietanstieg im alten Westberliner sozialen Wohnungsbau zu bremsen? Die Durchschnittsmiete liegt hier aktuell bereits bei 5,72 Euro nettokalt und damit weit über dem Mietspiegel. Die Initiativen rings um Kotti und Co. protestieren sei Ende Mai unüberhörbar gegen diesen Zustand. Warum gibt es der Landesetat nicht her, die bezirklichen Behörden gerade auch im Vollzug angemessen auszustatten?
Das sind alles wichtige Fragen, und deshalb wird uns dieses Flughafendesaster und der Nachtrag von zunächst fast 450 Millionen Euro noch lange beschäftigen müssen. Aber das sollte nicht dazu herhalten, andere wichtige Themen in dieser Stadt zu übergehen. Berlin ist und bleibt Mieterstadt. Über 85 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wohnen zur Miete. Deshalb ist es uns überaus wichtig, heute in der Aktuellen Stunde Probleme zu besprechen, von denen die Menschen in dieser Stadt weit mehr betroffen sind – von steigenden Mieten, von der Angst, die Miete bald nicht mehr bezahlen zu können, vertrieben zu werden und keine neue bezahlbare Wohnung zu finden.
Die Linke ist der Auffassung, dass das Mietenbündnis des Senats nicht ausreicht, den Problemen auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu begegnen. Wir sind davon überzeugt, dass es weiterer politischer Maßnahmen und Signale bedarf, um tatsächlich mietdämpfende Effekte zu erzielen. Wenn wir bezahlbares Wohnen in dieser Stadt erhalten und ausweiten wollen – und ich habe den Eindruck, das will auch die Koalition –, dann müssen wir zuallererst den bezahlbaren Wohnungsbestand schützen, von dem wir in dieser Stadt zum Glück noch sehr viel haben, der aber zunehmend unter Druck gerät, weil die Wohnungen immer knapper werden und weil politische
Interventionen zu dessen Schutz unterbleiben. Wir brauchen endlich Instrumente gegen ungebremste Neuvermietungszuschläge, die bereits ein beunruhigendes Ausmaß angenommen haben.
Wir brauchen wirksamen Schutz vor Zweckentfremdung von Wohnraum. Wir müssen spekulativen Leerstand und Wohnungsabriss verhindern. Wir brauchen Unterstützungsangebote für Mieterinnen und Mieter, die ihre Rechte besser wahrnehmen wollen. Wir müssen den Verlust von Mietwohnungen durch die Umwandlung in Eigentumswohnungen begrenzen, und der Kündigungsschutz bei Umwandlungen muss ausgeweitet und eingehalten werden.
Wir brauchen nicht zuletzt einen anderen Umgang mit städtischen Liegenschaften, damit bezahlbarer Wohnungsneubau überhaupt ermöglicht wird – und, und, und. Die Liste ließe sich fortsetzen.
All das kann Berlin aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung in Angriff nehmen. Da verwundert es schon und ist eben zu wenig, wenn die immergleiche Litanei wiederholt wird: Neubau, Neubau, Neubau – und das Bündnis mit den städtischen Wohnungsunternehmen!
Die Koalition spricht hier von einer erfolgreichen Weichenstellung. Übereinstimmungen und Differenzen zu dieser Einschätzung sollten wir in der Aktuellen Stunde selbst erörtern. Das würde hier und jetzt zu weit führen. Nur so viel sei zum Schluss und vorab für unsere Debatte nachher schon gesagt: Die Linke begrüßt außerordentlich die Wiederentdeckung der Wohnungspolitik insbesondere durch die SPD und ihren Stadtentwicklungssenator.
[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Ülker Radziwill (SPD): Herzlichen Dank!]
Wir haben ein solches Engagement seinerzeit schmerzlich vermisst und letztlich vergeblich eingefordert.
Das hat die heute unübersehbaren Probleme mit verursacht. Deshalb ist der Senat und insbesondere auch der Regierende Bürgermeister gefordert, ein umfassendes Konzept zur Sicherung bezahlbaren Wohnens in Berlin schnell vorzulegen und umzusetzen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Piratenfraktion würde sich heute gern über das Verhalten von Aufsichtsratsmitgliedern in landeseigenen Unternehmen unterhalten – vor allem von Senatoren und anderen Vertretern der Politik und insbesondere vor dem Hintergrund der geschassten Senatorin Obernitz, die Mitglied im Aufsichtsrat der Messe Berlin GmbH war. Wer sich die Tage mal die Wirtschaftsblätter und Magazine angesehen hat, wird feststellen, dass man sich dort immer häufiger mit dem Thema auseinandersetzt: Welche Haftung und welche Verantwortung haben Aufsichtsratsmitglieder oder Mitglieder in Beiräten heutzutage? – Und er wird feststellen, dass die in den letzen Jahren immer mehr zugenommen hat, und zwar vor allem die private Haftung.
Vor diesem Hintergrund ist ein Fehlverhalten wie das von Senatorin Obernitz ein Anlass, um einmal darüber zu reden, wie wir in Zukunft mit den landeseigenen Unternehmen in diesem Punkt umgehen wollen. Wir haben hierbei einiges zu kritisieren. Die Besetzung dieser Posten mit Senatoren qua Amt halten wir für ein echtes Problem, und das hat sich auch als ein echtes Problem herausgestellt, denn im Gegensatz zu früher, wo man einfach nur quasi die Sitzung dann zur Kenntnis nehmen musste, muss man heute aktiv eingreifen in das Geschehen und möglicherweise sogar voraussehen, welche Entscheidungen der Vorstand gerade getroffen hat, um diese zu revidieren. Wenn es beispielsweise um Insolvenzverschleppung geht, muss ein Aufsichtsratsmitglied heute erkennen, dass dort eine Insolvenzverschleppung passiert. Wenn es jedoch keine Ahnung davon hat, was dort eigentlich passiert, dann kann es die auch nicht verhindern. Aber bereits 2009 hat der Bundesgerichtshof gesagt, dass ein Aufsichtsratsmitglied das erkennen muss und dass es, wenn es das nicht erkennt, selber haftbar ist. Da fragen wir uns natürlich: Wie sieht die Ausbildung der Senatoren bzw. der Vertreter, die wir dort hineinschicken, an der Stelle aus? Wissen die genau, wie die Unternehmen funktionieren? Wissen Sie, wie das Geschäftsumfeld funktioniert? Fragen über Fragen!
Danke schön! Das Schöne an der Sache ist: Die Ausbildung als PGF, die wir hier genießen, hat keine Konsequenzen für irgendein wirtschaftliches Unternehmen draußen. – Vielen Dank!