Vielen Dank, Herr Dr. Behrendt! – Die Kollegin Seibeld erhält nun für die CDU das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linken kommt zu einem Zeitpunkt, wo die aktuelle Diskussion um mehr oder minder geglückte Privatisierung öffentlicher Unternehmen läuft, und greift diese Probleme auf. Einig sind wir uns, dass der Privatisierungshype der letzten Jahrzehnte gestoppt werden soll. Auf den ersten Blick hat der Antrag durchaus Charme, auf den zweiten und dritten treten allerdings immer mehr Defizite zutage.
Verhältnismäßig wenig Bedenken bestehen unsererseits bezüglich der Veröffentlichung von Privatisierungsverträgen, sofern dadurch keine Geschäftsgeheimnisse Dritter in Gefahr sind, die Verträge also schon unterschrieben
sind. Dieses Kriterium wird allerdings durch die in dem Antrag implizierte schwebende Unwirksamkeit der Verträge bis zum positiven Volksentscheid konterkariert, denn für spätere Neuverhandlungen wären dann Geschäftsgeheimnisse für die etwaige Konkurrenz bereits offengelegt, was zu einer doch wohl nicht gewünschten Wettbewerbsverzerrung führen würde.
Die Veräußerung von öffentlichen Unternehmen im weitesten Sinne sowie jede Form von Mitbestimmung in öffentlichen Unternehmen soll künftig erst nach einem erfolgreichen Volksentscheid gültig sein. Diese Forderung begegnet neben ein paar handwerklichen Mängeln, auf die ich noch komme, vor allem vier Bedenken. Erstens: Der Antrag hat offenkundig eine ideologische Intention, denn warum zwar die Privatisierung von Unternehmen, nicht aber die Rekommunalisierung von Unternehmen einem Volksentscheid unterliegen sollte, ist doch nur mit der Auffassung zu erklären, dass Privatisierung per se schlecht und Rekommunalisierung per se gut ist.
Zweitens: Der Antrag ist meiner Auffassung nach nicht mit Artikel 62 Abs. 2 der Verfassung von Berlin zu vereinbaren, denn danach sind Volksentscheide, die Haushaltsrelevanz besitzen, nicht zulässig. Und was könnte mehr Haushaltsrelevanz besitzen als die Privatisierung eines öffentlichen Unternehmens?
Drittens: Der Antrag geht davon aus, dass die in Deutschland derzeit vorhandene repräsentative Demokratie infrage gestellt und ein neues Mischsystem geschaffen wird. Artikel 28 in Verbindung mit Artikel 20 Grundgesetz sehen die Staatsform der repräsentativen Demokratie vor. Das schließt zwar plebiszitäre Elemente in den Ländern nicht aus, setzt aber ein Übergewicht des parlamentarischen Gesetzgebers voraus. Eine solche staatsrechtliche Diskussion können wir gern führen – nur weil es im Grundgesetzt so geregelt ist, heißt es nicht, dass man es nicht auch anders regeln kann. An der Stelle finde ich es allerdings unredlich, eine solche abstrakt staatsrechtliche Diskussion an einer populistischen Einzelfrage zu diskutieren, nämlich an der Frage der Privatisierung von öffentlichen Unternehmen.
Viertens betreffen meine wesentlichen Bedenken die hohen Quoren. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass sie immer wieder zu Problemen bei der Durchführung von Volksentscheiden führen. Sie haben selbst bei relativ populären Themen wie der Offenhaltung des Flughafens Tempelhof und der Frage der Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion zur Folge gehabt, dass die Quoten nicht erreicht worden sind. Um wie viel eher ist zu befürchten, dass bei den Sachverhalten, die hoch komplex sind und von vielen in der Bevölkerung nur mit erheblichem Aufwand erfasst werden können, ohne dass tatsächlich die Bürger eine klare Position zum Ausdruck bringen wollen, allein wegen der komplexen Sachverhalte eine Beteiligung an den Volksentscheiden gar nicht erst stattfinden wird.
Wäre der Antrag ernst gemeint, hätte ich in der Begründung einen Passus dazu gefunden, wie eigentlich die Bevölkerung in die Möglichkeit versetzt werden soll, sich mit den Privatisierungsvorhaben ernsthaft auseinanderzusetzen. Nur die Zurverfügungstellung von Privatisierungsverträgen im Internet kann es doch nicht sein. Das bedeutet, dass die Teilhabe, die Möglichkeit, sich zu informieren, auf den Bevölkerungsteil begrenzt bleibt, der einen Zugang zum Internet hat.
Letztlich kann es doch nur darauf hinauslaufen, dass zum Teil 1 000 Seiten dicke Verträge an jeden Berliner Bürger, der bei einem Volksentscheid stimmberechtigt ist, verschickt werden müssten. Weder zur Frage der Machbarkeit noch zur Frage der daraus resultierenden Kosten habe ich dem Antrag etwas entnehmen können.
Der Kollege Dr. Behrendt hat bereits zur Frage der Aufzählung in den Buchstaben a bis d gesagt, darüber müssten wir noch einmal diskutieren. Das erscheint mir bisher sehr schwammig und mit Rechtssicherheit nur schwer zu vereinbaren. Es sollen Dinge unter den Vorbehalt der Zustimmung der Bevölkerung gestellt werden, bei denen
man sich die Frage stellt, ob überhaupt noch eine Kita an einen freien Träger vergeben werden kann, ohne dass wir einen Volksentscheid machen müssen. Da glaube ich, besteht dann doch noch Diskussionsbedarf. Insgesamt freue ich mich auf eine spannende, anregende Diskussion im Rechtsausschuss und bin schon jetzt gespannt auf die weitreichenden Lösungsansätze der antragstellenden Fraktion. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Kollegin Seibeld! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Dr. Weiß das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege!
Der Antrag der Linksfraktion ist aus unserer Sicht begrüßenswert nicht allein nur deshalb, weil er ein Mehr an demokratischer Mitbestimmung regelt, sondern auch aus Gründen, die bereits aufgeführt worden sind, und die bei Privatisierungsvorhaben in besonderer Art und Weise gegeben sind. Der eine Aspekt ist die Kontrolle. Da wurde historisch schon viel Richtiges gesagt. Der Antrag wäre vor 10 oder 15 Jahren zu einer besseren Zeit gekommen, aber das sollte uns nicht daran hindern, ihn jetzt zu beschließen.
Es sind eben so einige Aspekte, die in solchen Privatisierungsvorhaben angelegt sind. Das eine ist die historische Erfahrung, dass sie – wie sich später herausstellt – oft gegen die Interessen des Gemeinwohls gerichtet sind. Der zweite Aspekt ist der der Tragweite. Der entscheidende Unterschied, Frau Seibeld, zwischen Kommunalisierung und Privatisierung ist doch der, dass ich eine Privatisierung nicht einfach rückgängig machen kann. Eine Rekommunalisierung kann ich durch eine Privatisierung rückgängig machen, aber ein Privatisierung rückgängig zu machen, ist im Zweifel äußerst schwer. Das brauche ich hier niemandem zu erklären, dafür haben wir genug praktische Beispiele.
Weil es eben eine Entscheidung von solcher Tragweite ist, dass sie einmal praktisch kaum reversibel ist – oder jedenfalls nicht ohne hohe Kosten – und damit gleichzeitig ein demokratischer Spielraum aus der Hand gegeben wird, bestehen gute Gründe, gerade an dieser Stelle einen Vorbehalt und die Pflicht eines Volksentscheids festzulegen. Man kann das ganz gut mit der anderen Stelle in der Berliner Verfassung vergleichen, in der jetzt Volksentscheide verpflichtend vorgeschrieben sind, genau an der Stelle der Verfassung, die die Volksgesetzgebung regelt, wo es auch darum geht, sich dagegen abzusichern, dass
der parlamentarische Gesetzgeber am Volksgesetzgeber vorbei operieren kann, um demokratischen Spielraum einzuschränken.
Der dritte Punkt, der in der Diskussion bereits erwähnt worden ist, ist die Transparenz. Das ist eine Grundvoraussetzung, denn man kann den Volksgesetzgeber nicht über Dinge entscheiden lassen, über die er nicht umfassend informiert ist. Insofern ist auch die Veröffentlichungspflicht der Verträge, wie sie hier festgeschrieben ist – ich glaube, Bremen ist nicht ganz so weit gegangen – absolut richtig und konsequent. Das ist eine notwendige Grundvoraussetzung. Wir haben über diese Forderung ja auch isoliert an anderer Stelle beim Transparenzgesetz diskutiert und werden darüber noch weiter diskutieren.
Ich möchte dann noch auf zwei Gegenargumente eingehen. Das eine ist das, was Herr Zimmermann gesagt hat, und zwar, dass man eigentlich die Phase der Privatisierungen hinter sich habe und inzwischen klüger geworden sei. Das will ich in der Form gar nicht in Abrede stellen, obwohl ich auch sagen muss, ganz so einfach, wie Sie es darstellen, scheint es mir nicht zu sein. Erst vor Kurzem konnte ich in der Presse die Aussage lesen, dass man die Beteiligungen des Landes Berlin an öffentlichen Unternehmen in jedem Einzelfall genau prüfen müsste. Diejenige Person, die das gesagt hat, die sitzt hier im Raum und ist Ihre neue, vereidigte Wirtschaftssenatorin. Ich will einmal so sagen: Das Rad der Geschichte, das sich seit den 1990er-Jahren gedreht hat, kann sich auch wieder in eine andere Richtung drehen. Wenn wir über eine Verfassungsänderung reden, reden wir über sehr grundsätzliche Fragen, die über längere Zeit Bestand haben sollen und nicht nur in der tagespolitischen Entwicklung.
Sehr schön! – Herr Dr. Weiß! Können Sie noch einmal wiederholen, was die frisch vereidigte Wirtschaftssenatorin auf Mandat der CDU gesagt hat? Ich glaube, das Plenum hat es nicht mitbekommen,
Nein, sie hat es nicht mir gesagt, sie hat es in der Zeitung gesagt. Es ist leicht nachzulesen. Ich kann es nicht wörtlich zitieren, aber es ging – wie gesagt – darum,
So, man kann den Satz so stehen lassen, ich möchte darüber auch gar nicht groß diskutieren, aber es zeigt doch, dass die Diskussion nicht ganz so einfach ist, wie Sie das dargestellt haben.