Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Ich möchte, dass wir in Berlin ernsthaft über eine ähnliche Regelung diskutieren – über die Parteigrenzen hinweg, da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, zu der man eine Zweidrittelmehrheit braucht.

Ich will an dieser Stelle den SPD-Fraktionsvorsitzenden aus der Bremer Bürgerschaft zitieren, der gesagt hat:

Öffentliche Unternehmen sind daher in einer modernen Demokratie ein wesentliches Instrument zur politischen Gestaltung des Gemeinwesens. Die Veräußerung von Anteilen der öffentlichen Unternehmen ist daher ein sehr weitreichender und folgenschwerer Eingriff in die politischen Handlungsmöglichkeiten, dessen Auswirkungen weit über die Dauer einer Legislaturperiode hinausreichen. Die Bürgerinnen und Bürger Bremens als ideelle politische Eigentümerinnen und Eigentümer ihrer Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, über diese Entscheidungen selbst abzustimmen.

Deshalb meine Bitte: Lassen Sie uns intensiv und gründlich über eine solche Verfassungsänderung diskutieren und beraten und diese nach Möglichkeit auch beschließen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, und den PIRATEN]

(Dirk Behrendt)

Vielen Dank, Herr Kollege Wolf! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Kollege Zimmermann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich möchten wir überhaupt gar nicht weiter privatisieren, auch nicht per Volksentscheid.

[Martin Delius (PIRATEN): Eigentlich? – Dann machen Sie es doch auch so!]

Sie wollen es auch nicht, Herr Wolf, und deshalb wollen Sie einen Volksentscheid einführen, der auch nach Ihrem Willen am Ende nicht erfolgreich sein soll.

[Martin Delius (PIRATEN): Scharfsinnig!]

Man kann sich darüber unterhalten, ob man solche Volksentscheide einführen sollte oder nicht, aber entscheidend ist hier die Zielrichtung, die Sie formulieren. Da kann ich sagen, dass wir uns, glaube ich, inzwischen im breiten Konsens befinden, dass das, was in den Neunzigerjahren Mainstream gewesen ist – wie Sie dies dargestellt haben – heute so nicht mehr gilt. Wir sind froh darüber, dass die Privatisierungsfans in Berlin heute in die Minderheit geraten sind. Dabei sollte es auch bleiben.

[Beifall bei der SPD]

Wir haben deshalb in vielen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge seit einiger Zeit auch eine Kehrtwende beschrieben und diese auch manifestiert. Wir werden – wie jüngst beschlossen – bei den Wasserbetrieben die 24,9 Prozent RWE-Anteile zurückerwerben. Und wir haben auch mit dem jüngsten Beschluss die Möglichkeit offengehalten, dass es durchaus auch einen weiteren Erwerb geben kann, sodass das Ziel, wieder 100 Prozent der Wasserbetriebe in öffentlicher Hand zu halten, nicht ausgeschlossen ist. Das liegt nicht allein in unserer Hand, denn es muss auch der private Vertragspartner mitspielen, aber das Ziel ist nicht aufgegeben, sondern kann weiter verfolgt werden.

Ebenso haben wir eine klares Signal gesetzt, dass bei den Stromkonzessionen eine stärkere öffentliche Beteiligung ermöglicht werden soll. Auch da sind Wege aufgezeigt. Allerdings – ich gestehe, dass man Ihnen da zustimmen muss, Herr Wolf – ist gerade im Bereich des Stroms das Know-how vom Land auf einen Privaten übergegangen, und das ist nicht so einfach zwischen Tür und Angel wieder herzustellen. Das braucht seine Zeit. Deswegen ist es eine Herausforderung, mit „Berlin Energie“ oder Ähnlichem in einem Wettbewerb bestehen zu können.

All das zeigt aber, dass wir inzwischen ein anderes politisches Klima in der Stadt haben, und wir werden dieses Klima erhalten. Ob wir dies angesichts der Wettbewerbs- und Beihilfeproblematik der Europäischen Union und angesichts des Drucks aufgrund einer falsch verstandenen

Lissabonstrategie zur Marktöffnung aufrecht erhalten können, ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage. Wir müssen schauen, dass wir uns in den Bereichen, in denen kommunale Daseinsvorsorge unabdingbar ist, gegen die Wettbewerbsbestrebungen schützen. Da ist die Konfrontation gefragt.

Ob wir das mit einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung an diesen Entscheidungsprozessen erreichen können oder nicht, werden wir ernsthaft diskutieren. Wir müssen sehen, ob an dieser Stelle eine Ergänzung der direkten Demokratie sinnvoll ist. Wir werden das in den Ausschüssen debattieren. Wir werden uns auch noch einmal Bremen angucken. Dann werden wir zu einem Votum finden. Man muss ernsthaft über den Einbau von Sicherungen zur kommunalen Daseinsvorsorge nachdenken. – Ich danke Ihnen herzlich!

[Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann! – Der Kollege Dr. Behrendt hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linken, eine Privatisierungsbremse in die Berliner Landesverfassung einzuführen, kommt ungefähr 15 Jahre zu spät,

[Uwe Doering (LINKE): Was?]

denn die meisten Unternehmensbeteiligungen des Landes sind bereits veräußert worden.

Ich freue mich sehr, Herr Wolf, dass Sie selbstkritisch eingeräumt haben, dass Ihre Partei während ihrer Regierungsbeteiligung daran mitgewirkt hat. Sie haben heute eine Frage zu Kotti & Co gestellt. Das ist ein bisschen scheinheilig. Wir freuen uns aber, dass wir die Linkspartei jetzt an der Seite dieser Initiative begrüßen können. Sie waren es immerhin, die diese Probleme in Kreuzberg erst geschaffen haben, indem Sie die GSW veräußert haben.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Das Volksbegehren zur Wasserprivatisierung in diesem Land hat gezeigt, dass es ein großes Interesse der Bevölkerung an Privatisierungsvorgängen gibt. Auch da, Herr Wolf, wäre Ihre Rolle noch einmal zu würdigen. Sie haben heute gesagt, Sie wollten die Verträge offenlegen und eine Volksabstimmung durchführen. Das war bei den Wasserverträgen und Ihrer Mitwirkung an Änderungsverträgen nicht so. Ich konstatiere einen Lernprozess. Dass sich die Linkspartei von ihrer Regierungspolitik emanzipieren will, ist ausgesprochen zu begrüßen.

(Cornelia Seibeld)

[Beifall bei den GRÜNEN – Uwe Doering (LINKE): Sagen Sie doch mal was zum Antrag!]

Herr Wolf, Sie haben ein bisschen den Eindruck erweckt, als wäre das in Bremen Ihre Initiative gewesen. Es mag ja sein, dass Sie im hiesigen Wahlprogramm dazu etwas geschrieben haben. Der Antrag in der Bremischen Bürgerschaft – er liegt mir vor – trägt aber nicht den Namen der Linkspartei,

[Uwe Doering (LINKE): Hat keiner gesagt!]

Herr Wolf hat das suggeriert –, sondern ist ein Antrag von Rot-Grün. Die wollen in die Landesverfassung eine Privatisierungsbremse hineinschreiben.

[Uwe Doering (LINKE): Wo ist denn Ihr Antrag?]

Das ist ein sinnvolles Unterfangen und mir durchaus sympathisch.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wissen, liebe Kollegen von der Linkspartei, dass Sie hier eine Zweidrittelmehrheit brauchen.

[Uwe Doering (LINKE): Wir hätten die Grünen fragen sollen!]

Wenn Sie dieses Projekt ernsthaft betreiben wollten, hätten wir uns auch gewünscht, dass Sie die Fraktionen hier im Haus konsultiert hätten. Vielleicht hätten wir zusammen einen verfassungsändernden Antrag einbringen können. Kollege Zimmermann hat ja signalisiert, dass es selbst seitens der Regierungskoalition Offenheit gibt. Dieser Weg wäre der richtige gewesen, wenn man das Anliegen ernsthaft hätte verfolgen wollen. Man hätte ausloten müssen, ob es dafür eine Zweidrittelmehrheit geben kann. Sie sind offenbar vorgeprescht, um die eigenen Parteibasis mit dem Regierungshandeln auszusöhnen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Zum Detail: Wir wollen gerne die Beratungen, die im Vorfeld hätten stattfinden müssen, in den Ausschussberatungen nachholen.

[Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Entschuldigung! – Meine Damen und Herren! Bitte geben Sie dem Redner Gelegenheit auszuführen! Hier herrscht ein hoher Lärmpegel. – Bitte, Herr Dr. Behrendt!

[Uwe Doering (LINKE): Er soll aber bei der Wahrheit bleiben!]

Getroffenen Hunde bellen, Herr Präsident. Das muss man manchmal hinnehmen. – Wir wollen in den Ausschussberatungen zur Diskussion stellen, ob in jedem der von Ihnen aufgeführten Fälle eine Abstimmung erforderlich

sein muss. Nach Ihrem Gesetzesvorschlag wäre selbst dann eine Volksabstimmung durchzuführen, wenn das Bundesland Berlin mit anderen Bundesländern kooperiert und in diesem Zusammenhang Anteile an Gesellschaften überträgt oder aber auch nur Anteile auf Körperschaften des Landes überträgt. Ich glaube, das wollen Sie gar nicht, weil das keine klassische Privatisierung, sondern eine Umorganisation der öffentlichen Hand ist. Eine solche Kooperationsbremse wollen wir zumindest nicht.

[Torsten Schneider (SPD): Wir auch nicht!]

Wir werden auch darüber reden müssen, wie es mit unstreitigen Privatisierungen ist, beispielsweise der Privatisierung der Porzellanmanufaktur. Ich glaube, da hätte keiner eine Volksabstimmung gewollt.

Ich kann mir auch eine Regelung vorstellen, wonach man eine Volksabstimmung nicht obligatorisch macht, sondern von einem Minderheitenquorum hier im Haus abhängig macht, beispielsweise von einem Fünftel, oder aber der Bürgerschaft ermöglicht, durch das deutliche Absenken der Quoren, beispielsweise auf ein Zwanzigstel, im Fall von Privatisierungsvorhaben eine Volksabstimmung durchzuführen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Darüber sollten wir in den Ausschussberatungen ins Gespräch kommen.

Noch eine letzte Frage: Mir erschließt sich nicht, warum Sie in ihrem Gesetzesantrag ausdrücklich den Gesundheitsbereich ausnehmen. Wir werden die Beratung im Ausschuss auch dazu führen, ob man nicht auch im Gesundheitsbereich über Privatisierungsbremsen nachdenken sollte. – Ich danke Ihnen!