Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Herr Henkel, ich habe Ihnen vorhin durch meine Frage die Möglichkeit gegeben, sich noch einmal zu dem Thema zu erklären, aber wie man sich hier hinter der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses verschanzt, spricht Bände darüber, was in den letzten zwei Wochen passiert ist.

[Heiko Melzer (CDU): Sie haben keine Ahnung von nichts! – Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Dass jetzt die Kollegen von der Koalition bei einem Thema, nämlich dem Nationalsozialistischen Untergrund, so hereinschreien und lachen, spricht ebenfalls Bände. –

[Lars Oberg (SPD): Es ging um Ihre Unkenntnis!]

Wir haben im November gut daran getan, hier eine Entschließung zu verabschieden, den Angehörigen der Opfer der NSU-Verbrechen Mitgefühl auszusprechen und gleichzeitig eine lückenlose Aufklärung des Sachverhalts zu versprechen. Wir haben gut daran getan, umfänglich Informationen über die Vorgänge einzufordern. Die Ereignisse der letzten zwei Wochen verstärken jedoch die Zweifel, inwieweit eine tatsächliche Aufklärung des Falls und eine Information der Öffentlichkeit stattfinden soll.

Es geht um zwei Punkte: Zunächst stellt sich die Frage, welche Informationen welche Berliner Sicherheitsbehörden wann zum NSU hatten und was mit diesen Informationen passiert ist. Mit dieser Frage muss sich der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags beschäftigen. Die zweite Frage ist, inwiefern das Land Berlin Akten im Zusammenhang mit dem NSU gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zurückgehalten hat.

Von vorne: Vor zwei Wochen wurden die Obleute aller Fraktionen des NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag vom Sonderermittler darüber informiert, dass es bei Berliner Sicherheitsbehörden im Jahr 2002 eine konkrete Spur zum NSU gab. Dann wurde der Vorwurf erhoben, diese Informationen seien vom Land Berlin nicht an den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags weitergeleitet worden. – Auf die Frage des Kollegen Lux sagten Sie, Herr Henkel:

Deshalb bewerte ich es im Augenblick gar nicht, sondern prüfe intensiv, ob an den Vorwürfen, die im NSU-Untersuchungsausschuss heute Vormittag geäußert wurden, etwas dran ist.

Da ist keine Rede vom Verfassungsschutz, von gar nichts. Sie beziehen sich ganz klar auf den NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Entweder wussten Sie zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht, worum es geht – ich glaube, das ist der Fall –, oder Sie haben einfach irgendetwas erzählt. Auf jeden Fall haben Sie hier nicht alle Informationen gegeben, die Sie angeblich haben, wie es sich nachher ja herausstellte. Im Lauf des Plenums luden Sie dann alle innen- und verfassungsschutzpolitischen Sprecher zum nächsten Tag in den Innensenat ein, und bis zum Abend stand dann der Vorwurf im Raum, das LKA Berlin halte seit März die Akten über eine V-Person mit NSU-Kontakt zurück.

Am Freitag erklärten Sie uns dann, das sei alles ein großes Missverständnis. Die Akten, von denen Sie seit März dieses Jahres Kenntnis hatten, wurden nicht an den Bundestag geleitet, weil der Beweisbeschluss BE-1 nur für den Verfassungsschutz gelte. Herr Zimmermann hat in der Sondersitzung des Innenausschusses gesagt, man könnte den auch so interpretieren, dass damit die Polizei gemeint sei. – Sie hätten auch einfach mal den Kollegen Binninger im Deutschen Bundestag anrufen und fragen können, wie das gemeint war. Das ist aber alles nicht passiert.

Dann gab es eine zweite gute Erklärung: Die Akten wurden erstens nicht angefordert, und zweitens gab es die Absprache mit dem GBA und dem LKA, die Akten nicht weiterzuleiten, und weiterhin hätte – Ihrer Argumentation nach – der Untersuchungsausschuss die Akten beim GBA sowieso bekommen. Das ist eine grobe Falschinformation, denn Sie selbst haben betont, dass der Generalbundesanwalt lediglich eine Abschrift der Akten bekommen hat und nicht die vollständigen Akten. Sie sagen also, Sie kommen Ihrem Aufklärungsinteresse nach, indem Sie dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags nicht die beiden Aktenordner weiterleiten, sondern nur eine Abschrift, die irgendwie über den GBA laufen soll.

Sie sagen, das machen Sie, weil Sie der V-Person Vertraulichkeit zugesichert haben und diese in Ihren Augen höher zu bewerten sei als das Aufklärungsinteresse, das wir im Moment haben. Sie vertrauen damit nicht den Kollegen im Deutschen Bundestag und auch nicht diesem

Haus, denn die Akten werden in dem Moment, in dem Sie sie zur Verfügung stellen, nicht an die Öffentlichkeit geleitet, sondern liegen den Parlamentariern vor, damit sie ihre parlamentarische Kontrolle ausüben können. Es ist eine Bankrotterklärung, Herr Henkel, dass Sie der Meinung sind, Parlamentarier seien nicht in der Lage, mit geheimen Akten adäquat umzugehen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Treppenwitz, dass von allen Abgeordneten Herr Juhnke derjenige gewesen ist, der gegenüber dem „Tagesspiegel“ Inhalte einer geschlossenen Sitzung des Innenausschusses bestätigt.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Das stimmt nicht! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Natürlich stimmt das!]

Das stimmt nicht? – Ja, das ist wahrscheinlich alles eine üble Hetzkampagne des „Tagesspiegels“, Herr Juhnke. Das haben wir schon verstanden.

Herr Henkel! Wenn Sie immer Bescheid wissen und alles so klar war, warum haben Sie dann nicht vor zwei Wochen gesagt: Sehr geehrter Herr Lux! Meines Wissens wurden alle durch den Beweisbeschluss BE-1 angeforderten Dokumente des Berliner Verfassungsschutzes an den Deutschen Bundestag übersandt. Wir werden dennoch prüfen, ob es hierbei Versäumnisse gab. – Warum haben Sie das nicht gemacht? Sie kennen offenbar die eigenen Beweisbeschlüsse des Deutschen Bundestages nicht. Sie wissen anscheinend auch überhaupt nicht Bescheid, worum es in dieser ganzen NSU-Geschichte geht und inwieweit Ihre Behörden darin verwickelt sind. In der Sondersitzung des Innenausschusses bekräftigen Sie das noch einmal mit dem GBA:

Hierzu gab es jedoch die Bitte des Generalbundesanwalts an uns, die Informationen bis auf Weiteres nicht weiterzugeben. An diese fachliche, rechtliche Einschätzung habe ich mich als Senator gebunden gefühlt.

Allerdings fühlten Sie sich an dem Tag eben nicht mehr daran gebunden, denn nachdem das alles in der Presse stand – es ist immer so: die Presse erfährt etwas, es steht in der Zeitung und dann passiert etwas; dann wundern Sie sich, dass wir an Ihrer Amtsführung etwas zu kritisieren haben –, haben Sie es an dem Tag zum Deutschen Bundestag geleitet. Sie haben es uns als Abgeordnete zugänglich gemacht, nachdem es Ihrer Meinung nach – das hatten Sie vorher gesagt – gar keinen Beweisbeschluss gab, der diese Akten vom LKA angefordert hat. Frau Koppers hat es noch einmal sehr schön in der Sitzung zusammengefasst:

Jetzt haben wir eine Anfrage aus dem Untersuchungsausschuss bekommen, zwar über die Medien kolportiert, aber dann auch direkt gegenüber dem Innensenator im Telefonat, dass dazu die Akten als Beweismittel benötigt werden.

Aha, so funktioniert das also. Man kolportiert irgendetwas über die Medien, man erfährt dann irgendetwas, man ruft dann an, und dann geht auf einmal alles ganz schnell.

Der Witz ist, Ihre Aussage bezüglich dieser Absprache mit dem Generalbundesanwalt entsprach offenbar auch nicht den Tatsachen, denn der Sprecher des GBA fühlt sich am 19. September dazu genötigt zu erklären:

Die Bundesanwaltschaft hat das Berliner LKA oder dessen vorgesetzte Behörde zu keinem Zeitpunkt angewiesen, aufgefordert oder gebeten, Erkenntnisse über die in Rede stehende Vertrauensperson nicht an den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zu übermitteln.

Dann haben Sie auch noch die Chuzpe und sagen, nachdem Sie selbst zunächst gesagt hatten: Wir wurden vom GBA gebeten, die Akten nicht weiterzuleiten. – Der GBA sagt, es habe diese Bitte nicht gegeben – und dann sagen Sie: Diese beiden Aussagen stehen nicht im Widerspruch zueinander. Das möge mir einer erklären, Sie können es offenbar nicht.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Das Schöne ist, Sie sprachen in der Sondersitzung davon, Sie sprachen bei anderen Treffen mit uns davon, dass Sie sich an eine Absprache gebunden fühlen, die es gar nicht gab, dass Sie sofort in dem Moment, nachdem der GBA sich gemeldet hatte, die Erklärung haben, woran es gelegen hat: Die Frau Koppers war schuld. Die einzige Person, Herr Kleineidam, weil Sie das vorhin gesagt haben, die einen Keil zwischen Herrn Henkel und Frau Koppers treiben wollte, war Herr Henkel. Der sagt nämlich am 19. September im ZDF-Morgenmagazin:

Die Berliner Polizeiführung hat mir glaubhaft dargestellt, dass es eine Vereinbarung zwischen Generalbundesanwalt und Polizei gab, die Information über die V-Person so lange geheim zu halten, bis die Gefährdung der V-Person und der laufenden Ermittlungen geprüft ist.

Aha! Herr Henkel sagt also noch einen Tag vorher, dass es eine Absprache gibt zwischen ihm und dem Generalbundesanwalt und dass er sich daran gebunden gefühlt hat, und dann sagt er am 19. September, dass es sich hier um ein Kommunikationsproblem zwischen Polizeiführung und Ihnen handelt. Sie stellen also die Behauptung in den Raum, dass Ihre Polizeibehörde, Frau Koppers, Sie nicht richtig informieren wird und dass die Schuld und die Verantwortung bei anderen liegen.

Dann wird am 24. September das Schreiben des LKA an den Bundesanwalt öffentlich, in dem dezidiert dargelegt wird, warum das LKA die Akten nicht freigeben möchte.

Herr Henkel! Es gibt hier genau zwei Möglichkeiten. Entweder haben Sie Ihre Behörde im Griff und das heißt, Sie sind immer bestens informiert. Das würde dann aber bedeuten, dass Sie im Plenum nicht alle Informationen an uns gegeben haben, das würde bedeuten, dass Sie uns am 14. September nicht alle Informationen gegeben haben,

und das würde bedeuten, dass Sie uns in der Sondersitzung des Innenausschusses nicht alle Informationen gegeben haben. Oder – das ist auch eine Möglichkeit – Sie haben überhaupt keine Ahnung von dem, was bei Ihrer Behörde passiert. Das hieße, Sie haben tatsächlich in den Momenten das, was Sie gesagt haben, geglaubt. Das bedeutet dann aber, dass Sie Ihre Behörde nicht unter Kontrolle haben und dass sie unter Ihrer Führung ein Eigenleben entwickelt hat. So oder so. Ich komme zum Schluss: Wie wollen Sie denn Berlin glaubhaft vermitteln, dass Sie die richtige Person für das Amt des Innensenators sind, wenn Sie es nicht einmal schaffen, Ihre Behörde dazu zu bringen, Beschlüsse, dieses Parlaments umzusetzen? Das Traurige ist, es ist völlig egal, ob Sie der Richtige sind, denn in Ihrer Koalition scheint es an jeder Alternative zu fehlen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Lauer! – Für den Senat hat jetzt Herr Innensenator Henkel das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich staune schon sehr, wie leichtfertig hier mit so schweren Vorwürfen wie denen der Lüge umgegangen wird. Den Vorwurf, ich hätte zwei Wochen lang Parlament und Öffentlichkeit belogen, den weise ich entschieden von mir.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Erneut debattieren wir heute über ein sehr ernstes Thema, das uns in diesem Haus seit zwei Wochen beschäftigt

[Benedikt Lux (GRÜNE): Ja, in diesem Haus!]

und im Zentrum intensiver Diskussionen steht. Ich habe wiederholt und zuletzt am Montag im Innenausschuss angeboten, die noch offenen Fragen gemeinsam mit Ihnen aufzuklären.

[Udo Wolf (LINKE): Das ist Ihre Pflicht!]

Damit verbunden habe ich meinerseits die Bitte, dass wir zu der gebotenen Sachlichkeit zurückkehren. Auch eine Opposition, Herr Lauer, trägt Verantwortung dafür, wie wir mit diesem brisanten Sachverhalt umgehen, und welches Bild wir dabei insgesamt abgeben.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir haben es bei der rechtsextremen Terrorserie des NSU mit einer der größten Tragödien der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tun. In den vergangenen Monaten ist dabei auch die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden auf den Prüfstand gestellt und Vertrauen erschüttert wor

den. Dieses Vertrauen zurückzugewinnen, ist neben der strafrechtlichen Verfolgung der Täter eine der wichtigsten Aufgaben. Umso mehr müssen wir die Aufklärung engagiert vorantreiben, auch hier in unserer Stadt, die jetzt in den Fokus dieser Tragödie gerückt ist. Diese Aufklärung sind wir den Opfern schuldig, das sind wir den Hinterbliebenen schuldig, und auch in dieser Frage darf und sollte es keinen Dissens zwischen den demokratischen Kräften hier im Haus geben.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Ich befürchte allerdings auch, dass in den vergangenen zwei Wochen die wesentlichen Fragen mehr und mehr aus dem Blick geraten sind. Im Interesse der eingangs erwähnten Sachlichkeit sollten wir uns noch einmal der unstreitigen Fakten vergegenwärtigen.

Das LKA Berlin hat von November 2000 bis Januar 2011 die in Rede stehende Person als V-Mann geführt. Dabei ging es zuvorderst um Erkenntnisse im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Musikszene, deren Aufklärung und Bekämpfung seinerzeit das erklärte Ziel war. Nach allem, was wir heute wissen, hat der V-Mann zwischen 2001 und 2005 mehrere Informationen mit NSU-Bezug geliefert, bei denen wir klären müssen, ob mit diesen Informationen richtig umgegangen worden ist.

Fest steht jedenfalls, dass am 7. März dieses Jahres beim LKA Berlin eine Erkenntnisabfrage des BKA mit der Bitte einging, die in der rechten Szene eingesetzten VPFührer zu sensibilisieren. Diesem Ersuchen hat die Polizei selbstverständlich entsprochen. Dabei wurde die bereits erwähnte V-Person festgestellt. Nach Rücksprache der amtierenden Polizeipräsidentin mit mir hat die Polizeiführung umgehend das BKA und dann die Generalbundesanwaltschaft über unsere neuen Erkenntnisse informiert. Im Folgenden ist Frau Koppers persönlich mit dem Chef des LKA und dem Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes nach Karlsruhe geflogen, um dort Informationen auszutauschen und das weitere Verfahren zu klären. Darüber hinaus sind Mitarbeiter der Generalbundesanwaltschaft nach Berlin gereist und haben hier am 27. März Einsicht in die Einsatzakten des in Rede stehenden V-Mannes genommen. Die VP-Einsatzakten wurden also der Generalbundesanwaltschaft vollständig vorgelegt. Anschließend wurden alle Bestandteile der Akte, die gemäß der Prüfung der Generalbundesanwaltschaft einen verfahrensrelevanten Bezug zum NSU-Verfahren haben, in einem offenen Behördengutachten zusammengefasst. Dieses wurde der Generalbundesanwaltschaft am 24. Mai zugesandt. Eine weitergehende Offenlegung der Akten im Ermittlungsverfahren war aus unserer Sicht nicht möglich, weil zum einen der Erfolg des Ermittlungsverfahrens und zum anderen Leib und Leben des V-Mannes, dem nach wie vor Vertraulichkeit zugesichert ist, nicht gefährdet werden durften. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages erhielt von der Existenz des V-Mannes und der Informationen, die er seinerzeit dem LKA Berlin zum Thüringer Terrortrio gegeben hatte, über eben dieses

(Bürgermeister Frank Henkel)

Behördengutachten Kenntnis. Die Information an den Bundestagsuntersuchungsausschuss erfolgte zunächst über die Generalbundesanwaltschaft, die am 24. Juli den Ermittlungsbeauftragten des Ausschusses in Kenntnis setzte, und dann noch einmal als Verweis im Rahmen unserer Antwort auf den zweiten Beweisbeschluss mit Schreiben vom 13. September.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Wolf?

Lieber Herr Wolf! Ich habe in den letzten zwei Wochen so viele Fragen beantwortet,