Protokoll der Sitzung vom 25.10.2012

lfd. Nr. 4 A:

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Land Berlin

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung vom 17. Oktober 2012 Drucksache 17/0576

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/0514

Zweite Lesung

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden und höre dazu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II, Drucksache 17/0514. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.

Zum Gesetzesantrag Drucksache 17/0514 empfiehlt der Rechtsausschuss einstimmig – mit allen Fraktionen – die Annahme. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen inklusive des fraktionslosen Kollegen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das Gesetz über den Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen so beschlossen worden.

[Beifall]

Ich komme zu

lfd. Nr. 4 B:

a) Gesetz über die Ermächtigungen im Zusammenhang mit der Abschirmung des ehemaligen Konzerns der Bankgesellschaft Berlin AG von den wesentlichen Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung vom 17. Oktober 2012 und dringliche

(Präsident Ralf Wieland)

Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 24. Oktober 2012 Drucksache 17/0584

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/0540

Zweite Lesung

b) Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Land Berlin und BIH-Gruppe

Dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 24. Oktober 2012 Drucksache 17/0580

in Verbindung mit

lfd. Nr. 29:

BIH-Neuordnung – aber richtig

Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/0572

hierzu:

Dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 24. Oktober 2012 Drucksache 17/0585

zum Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/0572

BIH-Neuordnung – aber richtig

Wird den Dringlichkeiten widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich habe den Antrag Drucksache 17/0572 vorab an den Hauptausschuss überwiesen und darf Ihre nachträgliche Zustimmung feststellen.

Hinsichtlich des Gesetzes eröffne ich die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der vier Paragrafen miteinander zu verbinden und höre dazu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Paragrafen 1 bis 4, Drucksache 17/0540. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Herr Kollege Esser, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, ich finde, es ist heute eine etwas gespenstische Sitzung. Während da draußen – was wir vorhin hatten – die Folgen des Flughafenskandals langsam aber sicher auf Herrn Schwarz und Herrn Wowereit zurollen, wollen hier im Saal einige Leute aus Regierung und auch Opposition die Konsequenzen auf die lange Bank des Untersuchungsausschusses schieben, um sich über die Ziellinie der Bundestagswahl zu retten. Ich sage Ihnen: Das ist eine Wette, die

nicht aufgehen wird. Herr Mayer, denke ich, hat das richtig erkannt. Danach wurde heute das Stück aufgeführt: Gebt uns 650 Millionen Euro, und wir senken dafür durchgreifend die Wasserpreise. Auch das ist – wie die Debatte meiner Ansicht nach gezeigt hat – eine Wette, die so nicht aufgehen wird.

Jetzt heißt die Aufführung: Gebt uns 740 Millionen Euro, und die Risikoabschirmung ist beendet. Auch das ist nur Theaterdonner. Die Risikoabschirmung – den gesamten Zusammenhang verstehen wohl nur noch wenige Leute hier – wird mitnichten aufgehoben. Ein Blick in das neue Gesetz genügt: Nach § 1 übernimmt das Land Berlin weiterhin eine Kreditgarantie in Höhe von 3,8 Milliarden Euro für die nach zehn Jahren noch vorhandenen Kredite. Nach § 2 übernimmt das Land Berlin eine Insolvenzgarantie für die berlinovo-Tochter LPFV, und hinter dieser Insolvenzgarantie verbirgt sich im Kern die alte Mietgarantie an die Fonds in Höhe von heute 5 Milliarden Euro, die nach zehn Jahren Risikoabschirmung noch offen sind. Das heißt, die alten 21 Milliarden Euro werden praktisch durch 3,8 Milliarden Euro und 5 Milliarden Euro ersetzt, für die wir nach wie vor einstehen müssen.

Für diese Veränderung eines Gesetzes – nicht unbedingt der Sache – werden aus meiner Sicht und wohl auch aus der Sicht der anderen Oppositionsfraktionen drei – ich würde sagen – Tabus, die das Parlament bisher errichtet hatte, gebrochen. Der erste Punkt ist, dass uns die alte Regierung aus SPD und Linkspartei über Jahre versprochen hat, die Risikoabschirmung nicht teurer werden zu lassen als die 4,6 Milliarden Euro, die wir aus dem Bankerlös in einer Rücklage hatten. Die neue Regierung sagt jetzt: Wir belasten jedenfalls in diesem und in dem nächsten Jahr den Haushalt. Wir gehen insgesamt auf 5 Milliarden Euro hoch, die wir in die Risikoabschirmung schütten. Dieses Versprechen des Senats über Jahre wird heute gebrochen. Wenn Sie das für notwendig halten, dann stimmen Sie diesem Vorschlag des Senats zu. Wenn Sie das nicht machen wollen, dann stimmen Sie für den Entschließungsantrag der drei Oppositionsfraktionen.

Das zweite Tabu, das hier gebrochen wird, ist, dass sich unter der Hand – das kann man im Gesetzestext nachlesen – die Garantie, die wir übernehmen, auf das neue Geschäft ausweitet. Bisher hatten wir eine Formulierung, die neues und altes Geschäft in den Fonds ganz deutlich trennt. In Zukunft wird man das nicht mehr auseinanderhalten können. Das ist der zweite Punkt. Wenn Sie das wollen, stimmen Sie für den Gesetzentwurf des Senats. Wenn Sie das nicht wollen, stimmen Sie für den Antrag der drei Oppositionsfraktionen.

Der dritte und wichtigste Tabubruch ist, dass die vor allem vom Parlament gewünschte, unabhängige Kontrollinstanz, die Gesellschaft BCIA, ersatzlos abgeschafft wird. Ab sofort kontrolliert die BIH sich selbst, und das Parlament hat in dieser hoch komplexen und hoch kom

plizierten Angelegenheit das Hilfsinstrument, das wir bisher hatten, nicht mehr zur Verfügung. Wenn Sie das richtig finden, weil das 3 Millionen Euro im Jahr spart, dann stimmen Sie dem Vorschlag des Senats zu. Wenn Sie das falsch finden und sagen, dieses Recht geben wir nicht auf, dann müssen Sie die Senatsvorlage ablehnen und für den Antrag der Opposition stimmen.

Alles in allem – meine Redezeit ist zu Ende –: Sie verlangen von uns heute, mit 740 Millionen Euro in Vorleistung zu gehen, in der Hoffnung, dass 2 Milliarden Euro Verluste, die Sie prognostizieren, von der BIH und vom Land Berlin abgegolten werden können. Es bedurfte des Rechnungshofs – und das macht uns Parlamentarier misstrauisch –, darauf aufmerksam zu machen, dass der Senat auch Szenarien besitzt und gerechnet hat, dass die Verluste auf bis zu 3 Milliarden Euro ansteigen können.

Herr Kollege! Sie hatten bereits darauf hingewiesen, dass Ihre Redezeit beendet ist.

Richtig! – Das würde bedeuten, dass der Haushalt wieder in Anspruch genommen wird. Unser Vertrauen haben Sie meiner Ansicht nach während dieser Beratung auch ein wenig beschädigt. Das ist ein weiterer Grund, dass ich das Parlament bitte, dem Senat nicht zu folgen, sondern Gesetz und Vermögensgeschäft zum Thema BIH abzulehnen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Nolte das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was der Kollege Esser soeben als gespenstisch bezeichnet hat, haben die beiden Fraktionsvorsitzenden, Herr Graf und Herr Saleh, angekündigt. Sie haben gesagt: Es gibt einen Herbst der Entscheidungen – und zwei Entscheidungen werden heute getroffen. Die eine ist der Rückkauf der RWE-Anteile und die Wasserpreissenkung. Die andere ist die Neuordnung der BIH. Das ist nicht gespenstisch; das ist angekündigt, und das ist im Sinne der Zukunft Berlins.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Was machen wir heute? – Wir treffen zwei wesentliche Entscheidungen: Erstens: Wir heben das Gesetz aus dem Jahr 2002 über die Ermächtigung des Senats zur Übernahme einer Landesgarantie für Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochtergesellschaften auf. Dieses

Gesetz, das 2002 von Rot-Rot beschlossen worden ist, war auch nicht ohne Risiken. Aber Rot-Rot hat damals die Entschlusskraft gezeigt, diese Risikoabschirmung in Höhe von 21,6 Milliarden Euro vorzunehmen. Der Mutige hat Erfolg. Heute wissen wir: Es war die richtige Entscheidung. Dieses Gesetz wird aufgehoben, weil wir eine Entwicklung zum Positiven haben.

Zweitens: Heute wollen wir ein neues Gesetz über die Ermächtigungen im Zusammenhang mit der Abschirmung des ehemaligen Konzern der Bankgesellschaft Berlin AG von den wesentlichen Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft beschließen und darüber hinaus etwas, was Herr Esser nicht erwähnt hat, die Beschlussvorlage – Drucksache 17/0580 – zur Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Land Berlin und der BIH-Gruppe. Darin sind auch Vorstellungen, die die Oppositionsfraktionen im Vermögensausschuss entwickelt haben, eingeflossen.

Was wollen wir mit diesem neuen Gesetz erreichen? Die Garantie für die verbliebenen Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG sowie zum Ausgleich von Insolvenzrisiken bei der BIH-Gruppe wird auf 3,8 Milliarden Euroabgesenkt – Herr Esser hat schon darauf hingewiesen –, also statt 21,6 Milliarden Euro Risikoabschirmung jetzt 3,8 Milliarden Euro Risikogarantie. Aber wir dürfen nicht vergessen, es sind Risiken. Es ist kein Geld, das fließen muss, es sind Risiken, und die können auch deutlich niedriger sein. Warum halten wir diese Garantie für vertretbar? – Weil der Wert der BIH-Immobilien schon heute größer ist als die Verbindlichkeiten, weil der Senat das Rückkaufprogramm für die Fondsanteile fortsetzt – einschließlich der Möglichkeiten, die das Squeeze-out bietet –, und weil wir den Weg, den der Senat jetzt für die BIH vorgezeichnet hat, auch durch die Gründung der berlinovo, nämlich zu einer normalen Beteiligung umgewandelt zu werden, mitgehen wollen. Ob daraus eine eigenständige zusätzliche Wohnungsgesellschaft wird, ob die Immobilienbestände irgendwann in die bestehenden Gesellschaften übergehen, wird man sehen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Da müsst ihr überhaupt erst einmal hinkommen!]

Das ist eine Frage, die in der Zukunft entschieden werden muss. Wichtig ist heute jedenfalls: weg vom Sonderfall BIH, hin zur berlinovo, einer normalen Beteiligung.

Drittens: Anfang 2011 hatte der Senat beabsichtigt, die BIH zu verkaufen. Das fand damals keine ausreichende parlamentarische Unterstützung. Ausschlaggebend dafür waren im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen war es dem Finanzsenator nicht möglich, den Verkauf so transparent darzustellen, wie das Parlament es gewünscht hatte, zum anderen gab es in den Regierungsfraktionen einige, die den Behalt der BIH in Landesbesitz aus finanzpolitischen Gründen schon damals für erfolgreicher hielten. Wir haben sie behalten. Aber dann ist das, was

wir heute machen, nämlich die Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Land Berlin und der BIHGruppe, auch eine Konsequenz daraus, dass der Verkauf nicht vorgenommen worden ist, sondern dass wir die BIH jetzt in eine normale Beteiligung umwandeln.

Viertens: Zum Antrag der Opposition, für den Herr Esser hier geworben hat – Drucksache 17/0572 –, der den Titel trägt „BIH-Neuordnung, aber richtig“ fällt mir das Jahr 1972 ein. Da wurde im Bundestag über die Ostverträge abgestimmt. Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel hielt der Regierung Brandt vor, eigentlich sei die CDU ja für die Ostverträge, aber nicht zu diesen Bedingungen. Warum erzähle ich Ihnen das? – Es ist normales Oppositionsverhalten, dass man dem, was die Regierungskoalition vorschlägt, nicht folgt, dass man dem nicht zustimmt, sondern Kritik übt. Aber ich sage Ihnen: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Rainer Barzel und der CDU-Fraktion von 1972,