Protokoll der Sitzung vom 25.10.2012

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wenn der Bundesinnenminister eine pauschale Absenkung der Barleistungen für Asylbewerber aus bestimmten Ländern fordert, dann fordert er nichts anderes als einen Verfassungsbruch.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Kurt Wansner (CDU): Ist ja ungeheuerlich!]

Denn dass diese Abschreckungspolitik nicht dem Wortlaut des Grundgesetzes entspricht, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli dieses Jahres zum Asylbewerberleistungsgesetz eindringlich dargelegt. Das hohe Gericht hat ausgeführt, dass auch migrationspolitische Erwägungen nicht zum Absenken von Sozialstandards unter das psychische und soziokulturelle Existenzminimum führen dürfen. Ich möchte an dieser Stelle einen Kernsatz aus der Urteilsbegründung des höchsten deutschen Gerichts zitieren:

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Flughafenknast, Residenzpflicht, Massenunterkünfte mit überfüllten Räumen und unhygienischen Verhältnissen, Arbeitsverbot, unzureichende medizinische Versorgung, unzureichend organisierte Schulpflicht – das sind die Folterinstrumente der Abschreckungspolitik der Neunzigerjahre. Sie gehören alle in den Mülleimer.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sozialsätzen war ein erster Schritt, dem weitere folgen könnten.

Aber muss die Politik, müssen wir Politikerinnen und Politiker denn immer darauf warten, dass das Bundesverfassungsgericht uns eine Ohrfeige erteilt? – Wir sollten in der Erkenntnis, dass die Abschreckungspolitik der Neunzigerjahre nur Unheil angerichtet hat, eine Kehrtwende in Richtung einer menschenwürdigen, unserem Grundgesetz und unseren internationalen Verpflichtungen angemessenen Asyl- und Flüchtlingspolitik vollziehen und dabei immer im Hinterkopf behalten: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, und den PIRATEN]

Für die Fraktion der Piraten hat der Kollege Lauer das Wort. – Bitte!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus würde heute gern darüber sprechen, was eigentlich mit den 250 Polizisten ist, die uns im Wahlkampf vor allen Dingen von der CDU versprochen worden sind, und wo sie bleiben. Ich zitiere Nummer 44 des Wahlprogramms der CDU, da steht:

Die Berliner Polizei wird kaputtgespart

Lösung: Als Sofortmaßnahme gegen die Überlastung, als sichtbares Zeichen für die Wichtigkeit der Polizeiarbeit und zum Schutz der Bürger werden 250 Polizisten eingestellt.

[Beifall bei der CDU]

Langfristig muss die Polizei so ausgestattet und organisiert werden, dass sie die Sicherheit der Bürger in der ganzen Stadt gewährleisten kann.

Dann sagen Sie noch zum Thema zunehmende Brutalität:

Jede Form von Gewalt muss geächtet und konsequent geahndet werden.

[Beifall bei der CDU]

Darüber hinaus muss auch die Sicherheit der Berliner erhöht werden. Die Polizei muss regelmäßig auf den Straßen Präsenz zeigen. In Bahnhöfen muss Sicherheitspersonal bzw. Aufsichtspersonal sichtbar sein. Auch ein ehrenamtlicher Polizei- und Ordnungsdienst kann zur Verhinderung von Straftaten beitragen. Schließlich muss auch die Videoüberwachung ausgeweitet werden, da sie Er

folge bei Strafverfolgung … bewirkt und damit zur Abschreckung beiträgt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Liebe CDU! Wenn ich mir die letzten Monate und Wochen anschaue, muss ich sagen, dass das offenbar nicht so gut funktioniert hat.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir hatten von Herrn Lux schon das Beispiel aus dem Wedding gehört, aber haben Sie sich das einmal angeschaut? Natürlich war der Mann bewaffnet. Natürlich war der Mann gefährlich. Aber wenn jemand am Boden liegt, nachdem er zwei Schüsse in die Beine und einen in den Bauch bekommen hat: Muss man ihm da noch eine Kanne Pfefferspray ins Gesicht sprühen? Muss man dann noch einen Hund auf ihn hetzen? Muss man ihm dann noch in das Genick treten, so, wie das dort getan wurde?

[Kurt Wansner (CDU): Waren Sie dabei?]

Da frage ich mich persönlich: Was macht diese Polizei eigentlich in einem richtigen Ernstfall, wenn da nicht jemand mit zwei Messern und einer Axt steht, sondern noch schwerer bewaffnet ist?

[Zuruf von der CDU: Ungeheuerlich!]

Ich weiß, was sie macht: Sie ist nicht da! Wir hatten jetzt den Fall Jonny K. – Herr Lux hat es bereits gesagt –: Wie kann es eigentlich passieren, dass es an einem Platz zwischen S-Bahnhof Alexanderplatz und dem Roten Rathaus zu so einer schrecklichen Gewalttat kommt? Wie kann das sein? Sie haben uns doch die Präsenz der Polizei auf der Straße versprochen.

[Andreas Gram (CDU): Das liegt aber an den Tätern! Das liegt nicht an der Polizei!]

Ach so! Die Täter hat die CDU aber jetzt nicht rekrutiert, oder? – Nein, gut!

[Unruhe bei der CDU]

Ich habe noch das mit den Benzinkanistern in den Ohren. Ich bin mir jetzt nicht so ganz sicher, wie Sie dazu stehen.

Ich meine, niemand in dieser Stadt hat einen CDUInnensenator gewollt. Aber wenn man einen bekommt, dann kann man doch ein bisschen Überwachungsstaat und Law and Order erwarten. Das kriegen Sie ja in anderen Bundesländern auch hin. Sie taugen ja nicht einmal als Feindbild!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Liebe CDU? Was haben Sie denn gemacht? Wo hat sich denn die Sichtbarkeit der Polizei auf der Straße erhöht? Wo hat sich denn die Sichtbarkeit von Sicherheitspersonal auf Bahnhöfen erhöht? – Die Wahrheit ist: Nach

polizeilicher Kriminalstatistik sinkt gerade die Zahl der Gewaltverbrechen, und das ist sehr schön. Es gibt aber einen Bereich in dieser Stadt, wo der Trend gegenläufig ist. Das ist im ÖPNV. Und was machen Sie? – Polizisten, die eigentlich auf der U-Bahn Streife gehen sollten, werden aufgrund des Personalmangels als Objektschützer eingesetzt. Wunderbar: das Wahlprogramm der CDU erfüllt!

Was Berlin fehlt, ist ein alternatives Sicherheitskonzept, und Sie liefern keines. An der schlechten Ausstattung der Polizei hat sich nichts geändert. An der Personaldecke der Polizei hat sich nichts geändert. Das Einzige, was Ihnen einfällt, ist, die Speicherdauer von Überwachungskameras zu verlängern. Aber, wenn diese Überwachungskameras so gut funktionieren: Warum führen wir dann immer wieder diese Diskussion hier im Parlament? Warum führen wir diese Diskussion, wenn sie die Wunderwaffe gegen Kriminalität sind?

[Joschka Langenbrinck (SPD): Weil das mehr Täter identifiziert!]

Sicherheit fängt schon im Bildungsbereich an, und Sie nehmen es trotzdem hin, dass jedes Jahr in Berlin ungefähr 3 000 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Da produzieren Sie doch die Problemfälle von morgen! Wie soll den jemand ohne irgendwelche Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, das ordentlich machen? Sie wollen Kriminalität bekämpfen, kriegen Ihre eigenen Versprechen aber nicht umgesetzt und greifen dann auch nicht einmal am richtigen Punkt an. Darüber hätten wir gern mit Ihnen geredet. Ich bin gespannt, welche Aktuelle Stunde wir haben werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion Die Linke, für den sich im Ältestenrat eine Mehrheit abzeichnete. Wer diesem Thema, Stichwort Flüchtlingspolitik, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Somit rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf. Die anderen Anträge haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister ist ganztätig abwesend. Grund ist die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Weimar. Darüber hinaus liegt eine Entschuldigung für Senator Henkel vor, der erkrankt ist. Im Namen des Hauses wünsche ich ihm eine baldige Genesung.

[Allgemeiner Beifall]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Mündliche Anfragen

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat der Abgeordnete Daniel Buchholz von der SPD-Fraktion mit der Frage: