Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Und jetzt kommt am Schluss – und ich weiche der nicht aus – die möglicherweise entscheidende Frage, wie das Ganze finanzierbar ist. Am Anfang eines Prozesses muss man eben darüber verhandeln. Aber ich meine, die Aussichten sind nicht so schlecht. Es sind hier einige Bemerkungen gefallen, dass man erwartet hat, dass sich die Bundesregierung äußert, wie viel Geld sie in dieses System zu geben bereit ist. Das entbehrt jeglicher Realität. Wir haben das Commitment von Frau Schavan. Keiner hat sie dazu getrieben, und keiner von uns hätte sie zwingen können. Dass sie es getan hat, dafür bedanke ich mich jetzt auch noch mal ausdrücklich.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Aber wenn sie es gemacht hat – ich darf Ihnen versichern: Frau Schavan ist intelligent genug, dass sie weiß, dass das Problem da nicht – und ich sage: Übertreibung macht anschaulich – mit der Kofinanzierung einer Exzellenzuni in der Größenordnung von 5 Millionen Euro zu lösen ist. Dieses weiß sie. Und da sie es weiß, ist dieses ein unheimlich guter Ausgangspunkt für Gespräche.

Ich bin also – zusammengefasst – der festen Überzeugung, dass eine Lösung in dem entscheidenden Punkt möglich ist, die ohne Wenn und Aber auch der speziellen Haushaltssituation des Landes Berlin entspricht.

Nach meiner Erinnerung gab es in der aktiven Zeit von Herrn Bundeskanzler Schmidt einen Spruch von ihm, in dem er gesagt hat: Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. – Ich habe den Eindruck, das ist der einzige oder einzig wesentliche Punkt, in dem ich persönlich anderer Ansicht bin.

[Michael Schäfer (GRÜNE): Das heißt, Sie sind auch für Peer Steinbrück?]

Ich bin der festen Überzeugung: Politik lässt sich nicht ohne Visionen machen. Ich habe versucht, hier fünf Jahre nach einer Vision zu arbeiten, einer Vision von Berlin – dass Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist, dass Berlin das Zentrum der Kultur in Deutschland ist und dass Berlin die Hauptstadt der Wissenschaft in Deutschland werden und bleiben muss, weil sie nur dann, wenn sie auf drei Füßen steht und damit auch eine

wirtschaftliche Perspektive hat, eine ideale Zukunft beinhaltet.

Vor diesem Hintergrund ist dieses eine riesige Chance. Es ist keine Selbstverständlichkeit. Und deswegen braucht man in diesem Moment Leute – und das kommt jetzt auf Sie zu –, die nicht in die Hände spucken, um sich unschuldig zu machen, sondern die die Probleme anpacken. Ich greife – und das ist nicht angesprochen – das auf, was Herr Oberg gesagt: Machen Sie dieses zu Ihrem gemeinsamen Projekt! Wir sind alle Berliner.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN]

Herzlichen Dank, Herr Prof. Dr. Zöllner, für Ihren Wortbeitrag! – Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Für die lfd. Nrn. 4.1 und 4.2 sind keine Prioritäten benannt worden.

Wir kommen zur Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Tagesordnungspunkt 12:

lfd. Nr. 4.3:

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Annahme einer Entschließung Drucksache 17/0025

Langzeiterwerbslose Menschen müssen Chancen auf Arbeit behalten

Hierzu gibt es auch einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0025-1. Da wir in den Prioritäten sind, steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und für die Fraktion Frau Kollegin Bangert. – Bitte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Berlin belegt beim Abbau der Erwerbslosigkeit bundesweit den letzten Platz. Gerade mal 1,5 Prozent ist die Erwerbslosenquote in Berlin im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Im Rechtskreis des SGB II, dem in Berlin rund 82 Prozent der Erwerbslosen angehören, ist der Rückgang mit 0,8 Prozent noch geringer. Bei älteren Menschen und

Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist die Erwerbslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr sogar angestiegen. Dies zeigt, dass es trotz einer besseren Lage am Arbeitsmarkt für bestimmte Gruppen ohne intensive Förderung kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Was macht die schwarz-gelbe Bundesregierung in dieser Situation? – Im Rahmen der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente schränkt sie die Beschäftigungsförderung für benachteiligte Zielgruppen stark ein und koppelt dies mit massiven Kürzungen im Arbeitsmarktetat.

[Zuruf von links: Unerhört!]

Das ist sozialpolitisch und beschäftigungspolitisch falsch.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Bis 2015 plant die schwarz-gelbe Bundesregierung Kürzungen von fast 8 Milliarden Euro in der Arbeitsmarktpolitik. Bereits die in diesem Jahr vollzogenen Kürzungen im Eingliederungstitel haben zu einem drastischen Rückgang der Förderung durch die Jobcenter geführt. Setzt die Bundesregierung auch noch die geplanten Kürzungen um, werden wir in Berlin einen Kahlschlag in der Arbeitsförderung erleben. Die Chancen vieler erwerbsloser und hier insbesondere langzeiterwerbsloser Menschen auf Arbeit und Teilhabe werden damit zunichte gemacht. Die Spaltung des Arbeitsmarkts wird sich weiter vertiefen. Wir werden hier eine paradoxe Situation haben: Uns droht ein Fachkräftemangel bei gleichzeitig hoher Erwerbslosigkeit.

Es ist ein Trugschluss, dass weniger Erwerbslose weniger Mittel benötigen. Gerade jetzt brauchen wir flexible und passgenaue Instrumente, mit denen man erwerbslosen Menschen Wege in Arbeit anbietet. Das setzt aber voraus, dass qualifiziertes Personal in den Jobcentern und genügend Mittel für die Förderung zur Verfügung stehen. Die beste Strategie, um bei der Arbeitsförderung Geld zu sparen, ist eine nachhaltige Vermittlung von möglichst vielen Erwerbslosen in Arbeit,

[Beifall bei den GRÜNEN]

und zwar in Arbeit, von der sie leben können und die sie sozial absichert. Die aktuelle Arbeitsmarktlage ist dafür die ideale Basis. Das arbeitsmarktpolitische Gebot der Stunde lautet darum, jetzt in erwerbslose Menschen und ihre Fähigkeiten zu investieren, damit sie vom Aufschwung profitieren können. Genau das Gegenteil plant Schwarz-Gelb im Bund. Die arbeitsmarktpolitische Reform von der Leyens gleicht mehr einer Geisterfahrt denn einem zukunftsfähigen arbeitsmarktpolitischen Konzept.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und CDU! Setzen Sie sich im Vermittlungsverfahren dafür ein, dass diese Irrfahrt beendet wird und die Eingliederungschancen vor allem von Langzeiterwerbslosen verbessert werden.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir brauchen keine Steuererleichterungen, sondern eine Rücknahme der Mittelkürzungen im Arbeitsmarktetat.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Aber auch auf Berliner Ebene ist ein arbeitsmarktpolitisches Umsteuern notwendig, denn wir stellen fest, dass sich allem Anschein nach die soziale Kälte und Konzeptionslosigkeit von Schwarz-Gelb im Bund auf RotSchwarz in Berlin überträgt. SPD und CDU ignorieren, dass es in Berlin eine verfestigte Langzeiterwerbslosigkeit gibt, von der fast 70 000 Menschen betroffen sind. Oder wie begründen Sie die geplanten Kürzungen im Landeshaushalt im Bereich der Arbeitsmarktpolitik? Das ist kontraproduktiv und sozial ungerecht, und es ist ein bundesweit einmaliger Vorgang, dass dies von der SPD mitgetragen wird.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir alle wissen doch, dass Erwerbslosigkeit das größte gesellschaftliche Armuts- und Ausgrenzungsrisiko ist. Um Teilhabe an Arbeit für alle zu organisieren und neue Chancen auch für Langzeiterwerbslose, insbesondere Ältere, Geringqualifizierte, aber auch für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, zu schaffen, bedarf es ausreichender finanzieller Mittel. Für Menschen, die trotz aller Bemühungen auf absehbare Zeit ohne Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bleiben, muss Arbeitsmarktpolitik Lösungen bereit halten.

Deshalb brauchen wir in Berlin einen verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt. Dieser muss nachhaltiger sein als der ÖBS der Linken und unabhängig von Bundesprogrammen wie zum Beispiel der Bürgerarbeit finanziert werden. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr längerfristig geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsangebote, damit Langzeiterwerbslose in sinnvoller Beschäftigung qualifiziert werden können. Diese Beschäftigungsangebote müssen selbstverständlich existenzsichernd entlohnt werden. Der Änderungsantrag der Linken nimmt hier eine Präzisierung vor. In diesem Sinne hoffe ich, dass unser Antrag eine breite Zustimmung findet und bedanke mich.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Bangert! Sie haben exakt fünf Minuten gesprochen. Vorbildlich! – Frau Kollegin Radziwill hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Bangert! Ich teile mit Ihnen die Auffassung, dass das von der schwarz-gelben Bundestagsfraktion verab

schiedete Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt den Interessen arbeitssuchender Menschen und vor allem dem notwendigen Ziel der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit in keiner Weise gerecht wird. In der Tat bekommen die Länder mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit mit diesem Gesetz keine sinnvolle Unterstützung. Die Kürzungen der Bundesmittel beim Eingliederungstitel sind unverhältnismäßig hoch und in der Folge verantwortungslos.

Für die SPD-Fraktion gilt: Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Für uns ist Arbeitsmarktpolitik ein Bestandteil von Bildungspolitik. Fehlt das Geld bei der Aus- und Weiterbildung, müssen wir es später in Form von Sozialausgaben um ein Vielfaches ausgeben. Die SPD-Fraktion wird deshalb selbstverständlich nicht aufhören, die Kürzungen des Bundes in der Arbeitsmarktpolitik zu kritisieren. Knapp 40 Prozent Kürzungen innerhalb von zwei Jahren stellen die Landespolitik vor kaum lösbare Herausforderungen.

Der Bund finanzierte über die Bundesagentur für Arbeit für Berlin noch im Jahr 2010 für insgesamt 680 Millionen Euro Eingliederungsmaßnahmen. 2012 werden es voraussichtlich gut 420 Millionen Euro sein. Berlin kann diese Kürzungen des Bundes nicht ausgleichen. Der Bund hat früher knapp über 50 Prozent des Budgets als Leistungen für den zweiten Arbeitsmarkt finanziert und dies auf unter ein Drittel zurückgefahren. Bei öffentlich geförderter Beschäftigung hat es dadurch einen besonders starken Rückgang gegeben, der es erforderlich macht, mit den Landesmitteln möglichst viele Plätze zu realisieren.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese Reform auf Bundesebene verabschiedet wird, nicht um die Spaltung am Arbeitsmarkt zu überwinden, sondern um die strukturellen Kürzungen, also das Spardiktat von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, in Gesetzesform zu gießen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Ich stelle auch fest, dass die Kürzungen und die Instrumentenreform im Antrag fast synonym behandelt werden. Aber der größere Teil der Kürzungen wurde bereits von 2010 auf 2011 ohne den Hintergrund der Instrumentenreform durchgezogen. Zu der Instrumentenreform selbst haben die A-Länder bereits in einer gemeinsamen Stellungnahme das Nötige gesagt.

Werte Frau Bangert! Liebe Gesamtfraktion der Grünen! Sie müssen eigentlich zur Kenntnis genommen haben – wenn Sie denn Zeit für Politikgestaltung statt nur für Mediation haben –, dass kürzlich der Senat bereits im Bundesrat entsprechend abgestimmt hat. Deshalb sind in Ihrer Entschließung Ihre Forderung in den Ziffern 1 und 2 aus meiner Sicht abzulehnen. Zu Ziffer 3: Die Kritik an den Kürzungen und der Instrumentenreform werden insoweit von der SPD-Fraktion geteilt. Nur mit den Mitteln

der Bundesagentur sind nennenswerte Wirkungen zu erzielen.

Aber die entscheidende Frage ist nun, was das Land Berlin mit seinen Mitteln unternehmen kann. Das Land Berlin wird die Kürzungen des Bundes betragsmäßig nicht ausgleichen können. Die Kürzung um eine Viertelmilliarde Euro innerhalb von zwei Jahren, ist mit unseren bescheidenen Möglichkeiten nicht auszugleichen. Es wäre leistbar, die Kofinanzierungsmittel Berlins so einzusetzen, dass damit mehr sozialversicherungspflichtige öffentlich geförderte Beschäftigungen als bisher im ÖBS ermöglicht werden können. Die Rahmenbedingungen haben sich insoweit stark verändert. Die Kofinanzierungen sind aus meiner Sicht deshalb nötig, weil Sachkosten der gemeinwohlorientierten Beschäftigungsplätze im Bundesprogramm wie Bürgerarbeit nicht bezuschusst werden und deshalb dieses Programm nur schleppend anläuft.