Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir sind unter Rot-Rot in die richtige Richtung gegangen. Nachdem die CDU in den Neunzigerjahren in den Hochschulen in Berlin den Etat um rund 500 Millionen Euro gekürzt hatte, wodurch FU und TU fast die Hälfte ihrer Professoren verloren haben, haben wir gemeinsam, Herr Oberg, gegengesteuert und z. B. die Zahl der Studienanfängerplätze von knapp 21 000 im Jahr 2000 auf über 28 000 im Jahr 2010 gesteigert. Das ist der richtige Weg.

Das Problem mit Ihrem aktuellen Änderungsvorschlag für die Kapazitätsverordnung hat die Studierendenvertreterin im Ausschuss ganz auf den Punkt gebracht:

Wir finden es auch super, dass er uns zugesandt wurde und wir dazu Stellung nehmen können. Es ist uns aber nicht wirklich möglich, zu Ergebnissen Stellung zu nehmen, wenn wir die Rechnung dahinter nicht kennen bzw. wenn uns die Rechnung so unschlüssig erscheint, dass man anscheinend extra dafür studieren muss, um sie zu verstehen. Aber wir studieren alle nebenbei auch noch etwas anderes!

Deshalb geht der Antrag der Grünen in seiner Intention mit der Forderung, das Kapazitätsrecht nicht durch immer detailliertere Fortschreibungen weiter zu verkomplizieren, sondern ein Recht zu schaffen, das transparent und nachvollziehbar ist und die grundgesetzliche Freiheit der Berufswahl absichert und damit den notwendigen Systemwechsel anmahnt, in die richtige Richtung. Aus diesem Grund werden wir ihn auch unterstützten.

Und noch ein Letztes, und ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen: Wenn wir schon knappe Studienplätze verteilen müssen, dann aber bitte nicht länger auf dem offensichtlich bequemsten Weg einzig nach dem unsinnigsten Kriterium aller Kriterien, der Durchschnittsabitursnote.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir alle wissen, wie willkürlich die zustande gekommen ist. Viele von uns haben in der Schule selbst unter diesem System gelitten und wissen, von welchen Zuständen und Zufällen das abhängt. Und das soll über die Zulassung zu

einem Studiengang und damit möglicherweise über den weiteren Lebensweg entscheiden? Niemand kann mir z. B. erklären, warum jemand, der sich in der 10. Klasse die Kurse nach der notwendigen Abinote unter Anleitung seines ambitionierten Vaters aussucht, mit einem Schnitt von 1,0 besser für ein Medizinstudium geeignet sein soll als der Mitschüler, der mit einem Schnitt von 2 zunächst drei Jahre eine Ausbildung im Krankenhaus macht und sich dann um einen Studienplatz bewirbt. Das treibt die Absurdität auf die Spitze, auch hier ist endlich Umdenken angesagt, und zwar radikal! – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Albers! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Kollege Dr. Hausmann das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag im Ausschuss abgelehnt, da er nicht wirklich zielführend ist. In diesem Antrag werden leider keinerlei Lösungsansätze genannt, an denen der Senat oder wir uns orientieren sollten oder könnten. Es entsteht leider der Eindruck, dass die Grünen mal wieder erwarten, dass die anderen die Ideen vortragen.

Dass das bestehende System von Kapazitätsverordnung und Hochschulzulassungsverordnung kompliziert ist, bestreitet gar keiner. Jedoch ist die Findung eines neuen Systems bekanntermaßen auch in den anderen Bundesländern nicht erfolgreich gewesen. Diese haben ebenso Probleme damit – genauso wie wir Berliner. Das zeigt uns, dass dieses Problem eben nicht auf Berliner Landesebene zu klären ist. Hamburgs Alleingang, in dieser Frage eine Alternative zu etablieren, war bereits nicht erfolgreich.

Ich begrüße es einerseits, dass sich der Senat nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs der Herausforderung gestellt hat, hier ein rechtssicheres Verfahren zu schaffen. Andererseits müssen die Bundesländer – und das ist unsere Zielrichtung im Gegensatz zu dem Antrag – gemeinsam agieren. Es sind Überlegungen der KMK abzuwarten, um gemeinsam eine dauerhafte Lösung zu finden.

[Anja Schillhaneck (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schillhaneck?

(Martin Delius)

Nein! – Wir haben bereits die Zusage von Herrn Staatssekretär Nevermann, dass er auf der Ebene der KMK die Errichtung einer Expertengruppe bzw. die Beauftragung eines Gutachtens anregen wird, um alternative Möglichkeiten unvoreingenommen ausloten zu lassen. Dies zeigt uns, dass dem Senat durchaus bewusst ist, dass hier Handlungsbedarf besteht, und diesem auch aktiv Rechnung getragen wird.

Der Antrag der Grünen setzt leider auf einen Berliner Alleingang. Deshalb können wir ihm nicht Folge leisten. Ich möchte betonen, dass die Hochschulen die Novellierung der Kapazitätsverordnung, wenn auch mit kritischen Anmerkungen, ausdrücklich begrüßt haben. Das derzeitige System deckt die Notwendigkeiten insbesondere aufgrund der Bologna-Reform rechtssicher ab, obgleich das System kompliziert ist, sodass die Findung einer Alternative nicht von heute auf morgen, sondern der Sache entsprechend etwas langwieriger sein darf und auch etwas dauern sollte, um nicht vom Regen in die Traufe zu kommen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Die vom Antragsteller thematisierte Doppelsteuerung durch die Kapazitätsverordnung und die Hochschulverträge ist derzeit nicht wirklich vermeidbar. Schließlich ist die Kapazitätsverordnung der Rechtsrahmen, und die Hochschulverträge sind der Finanzrahmen. Keines der beiden kann abgeschafft werden, ohne dass dadurch die Rechtssicherheit nicht beeinträchtigt würde.

In der Anhörung im Wissenschaftsausschuss zu diesem Thema hat auch Prof. Reissert von der HWR die Notwendigkeit der Festlegung von studiengangspezifischen Curricularnormwerten für plausibel erachtet. Auch der Vizepräsident der Humboldt-Universität, Herr Kämpervan den Boogaart, war zufrieden, dass die Curricularnormwerte studienspezifisch und damit auch universitätsspezifisch ausgeführt worden sind. Mitunter ist das natürlich verbesserungswürdig. Dies zeigt aber, dass mit dem derzeitigen System, das zwar verbesserungswürdig ist, die Zielkonflikte zumindest angemessen gelöst werden, nämlich einerseits Rechtssicherheit zu gewährleisten und andererseits die Quantität beim Hochschulzugang sowie die Qualität im Studium zu sichern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Kollege Dr. Hausmann! – Für die Piratenfraktion hat jetzt Kollege Delius das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Dr. Hausmann, für das Stichwort „verbesserungswürdig“! Da wir so ein trockenes Spezia

listenthema haben, möchte ich zunächst mal kurz einwerfen: Happy Birthday, KapVO! – Sie haben es angesprochen, Frau Schillhaneck! Es ist tatsächlich ziemlich genau 40 Jahre her, dass dieses Konstrukt etabliert wurde. Verbesserungswürdig! Das ist das, was seit 40 Jahren passiert. Das Kapazitätsrecht – und da hat, wenn ich mich richtig erinnere, in der entsprechenden Ausschusssitzung sogar Herr Oberg zugestimmt – ist Stückwerk. Seit 40 Jahren Stückwerk, ständig verbessert aus dem einen oder anderen Grund!

Sie reden von Curricularnormwerten, und ich sage Ihnen – das habe ich auch schon im Ausschuss gesagt –: Ich habe mir die Formeln angeguckt, und die sind nicht mal mathematisch vollständig. – Was Herr Dr. Albers beschrieben bzw. aus den Seiten der Studierendenvertreter zitiert hat, ist auch mein Eindruck: Eine Regelung, die niemand versteht – außer denen, die das irgendwann mal ausrechnen und für die Universitäten festlegen müssen –, ist nicht rechtssicher – weder für die Universitäten noch für die Studierenden. Das haben wir auch ganz klar gehört. Sie dient nicht der gewünschten Profilierung der Hochschulen in verschiedenen Studiengängen, in ihren Ausprägungen und den Zukunftsperspektiven, und sie löst auf keinen Fall das Dilemma zwischen Studienqualität und Maximierung der Studierendenzahlen, die wir uns auch wünschen.

Was tut man also mit so einem 40-jährigen Stückwerk? – Am besten, man wirft es weg. Das können wir aber nicht machen, denn wir brauchen eine Lösung, einen IstZustand, der dafür sorgt, dass beim nächsten Mal, wenn das nächste Semester anfängt, auch wieder Studierende aufgenommen werden können. Das ist völlig richtig. Der Antrag der Grünen behandelt aber gerade das Problem. Er will eine Diskussion anstoßen, und natürlich führen wir hier diese Diskussion zunächst mal in der Berliner Perspektive aufgrund der Berliner Bedürfnisse. Wir wissen, dass unsere Unis an den Kappungsgrenzen arbeiten. Das habe ich in einer meiner ersten Anhörungen im Wissenschaftsausschuss gehört. Eine Erweiterung ist nicht in Sicht, solange nicht – Herr Oberg hat das Stichwort nicht genannt – das Kooperationsverbot fällt oder eine wirklich weitreichende Erweiterung des Hochschulpaktes absehbar ist. Aber die Erwartungen gerade vonseiten des Bundes steigen. Wir haben ständig nach oben korrigierte Studienanfängerzahlen seitens der KMK. Wir müssen die bedienen, können das aber nicht. Die Kapazitätsverordnung ist ein Grund dafür.

Die Grünen möchten gern, dass sich der Senat um eine Neuregelung bemüht, sich darum kümmert und eine Diskussion anstößt. Frau Schillhaneck! Ich finde es sehr beeindruckend, dass Sie diesen Senat für fähig halten, dieses extrem komplexe Thema anzugehen.

[Anja Schillhaneck (GRÜNE): Er kann es wenigstens mal versuchen!]

(Canan Bayram)

Er kann es versuchen. Das ist richtig. Ich glaube auch, dass wir mit der Bildungsverwaltung nicht das schlechteste Los getroffen haben, wenn es um die Ressorts geht. Insofern würde ich auch Ihrer Hoffnung zustimmen.

Allein – es ist eine politische Entscheidung. Es ist ein politischer Wille notwendig, das anzugehen, was, ich glaube, Herr Dr. Albers politische Phantasie genannt hat, und sich selbst das zuzutrauen, was notwendig ist. Es geht dabei auch nicht um eine Insellösung. Ich hätte ja fast gedacht, dass Herr Oberg von einem Alleingang redet. Nein! Er hat das dann doch eher versteckt. Es geht dabei nicht um eine Insellösung, sondern darum, einen Anfang zu machen. Hamburg hat es vorgemacht. Es ist vor rechtliche Probleme gestellt worden, die bisher noch nicht gelöst werden konnten. Aber das kann uns nicht davon abhalten, das Problem auch langfristig zu lösen. Das geht nicht. Wir – also nicht wir, sondern der Senat – müssen mit der KMK und entsprechenden bundesweiten Gremien an einem Kompromiss arbeiten. Aber was passiert – gerade aus Berliner Sicht –, wenn man einfach abwartet, bis die KMK etwas tut, haben wir in der Vergangenheit z. B. bei der Einführung der Bologna-Reform gesehen. Das war aus meiner Sicht nicht immer positiv und in den meisten Fällen sogar eher negativ.

Bevor ich jetzt ausführe, was in der KMK noch so alles schiefgelaufen ist, ohne dass man sich konkret aus Landessicht darum bemüht hat, dass es gut läuft, möchte ich einfach darauf hinweisen: Es gibt Alternativen. Die wurden hier noch nicht benannt. Die Alternative, die ich für die sinnvollste halte, ist das, was auch Hamburg schon versucht hat, nämlich das sogenannte Vereinbarungsmodell zwischen Hochschulen und den jeweiligen Landesregierungen. Das könnte man angehen. Das könnte man wissenschaftlich prüfen und belegen lassen. Das ist leider nicht der Wille dieser Koalition. Ich möchte Sie trotzdem bitten, dem Antrag zuzustimmen. Ansonsten verweise ich auf das, was Frau Schillhaneck gesagt hat. – Danke!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Ausschüsse empfehlen mehrheitlich – in diesem Fall gegen Grüne, Linke und Piraten – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Grüne, Linke und Piraten. Wer ist dagegen? – Das sind SPD und CDU. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Und schon sind wir bei

lfd. Nr. 15:

Faire Asylverfahren für alle – Flughafenverfahren abschaffen

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 5. November 2012 Drucksache 17/0633

zum Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/0463

Auch hier steht den Fraktionen wieder jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion. Das Wort hat Kollegin Bayram, die auch schon unterwegs ist. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema hatten wir bereits mehrfach hier im Plenum. Wir haben es auch in den Ausschüssen sehr intensiv beraten. Zur Erinnerung nenne ich ein paar Stichworte: Auf dem Flughafen Willy Brandt, BER, funktioniert zurzeit gar nichts bis auf den Abschiebeasylknast. Der kostet monatlich 14 000 Euro an Miete für ein leeres Gebäude, für einen Spielplatz, auf dem zum Glück keine Kinder spielen. Das Einzige, was einen vielleicht ein wenig trösten kann, ist, dass dort zumindest nicht der werterhaltende Betrieb durchgeführt werden muss, wie er im Terminal, im Gepäckbereich oder bei der Bahn durchgeführt werden muss, damit die Dinge nicht verrotten, weil der Flughafen nun nicht genutzt wird.

Leider hatten wir doch einen Fall, bei dem einige Flüchtlinge aus Syrien für zwei Tage dort eingesperrt wurden. Ich habe es hier schon einmal deutlich gesagt: Wer Knäste baut, will sie auch füllen. Insofern kommt es dann zu solchen unsinnigen Entscheidungen, syrische Asylbewerber in einen solchen Flughafenasylknast zu schicken.

Wir haben seit einigen Tagen wieder hungerstreikende Flüchtlinge am Pariser Platz, die sich genau solch eine Politik nicht bieten, sich nicht einsperren und die nicht diese scharfen Asylgesetze von vor 20 Jahren heute noch weiter gelten lassen wollen. Leider war es im Innenausschuss so, dass insbesondere der Kollege Kleineidam von der SPD gesagt hat, die SPD-Fraktion und auch die Partei hätten zwar Beschlüsse gefasst, gegen dieses Flughafenasylverfahren zu sein, und sie wären auch dafür, dieser Bundesratsinitiative inhaltlich zustimmen, aber da ihr Bündnis mit der CDU wichtiger als inhaltliche Themen sei, seien sie daran gehindert, dem zuzustimmen, was sie dem Grunde nach aber für richtig hielten.

Das überzeugt mich nicht, lieber Herr Kollege Kleineidam, auch wenn ich natürlich Ihre Motive wahrnehme. Gerade die Schwächsten in dieser Gesellschaft, die Flüchtlinge, brauchen unseren Schutz. Ich erinnere daran,

(Ülker Radziwill)

dass in diesem verkürzten Asylverfahren Menschen um ihre Rechte gebracht werden sollen, die wir ihnen nach dem Grundgesetz gewähren. Bevor jetzt wieder alle meinen, sie hätten die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung auch gelesen, erkläre ich, dass die Vorgaben, die dort gemacht wurden, auf diesem Flughafenasylknast in Schönefeld nicht eingehalten werden. Sie sind auch nicht so simpel, wie auch der Eine oder Andere meint, sich in Innenpolitik auszukennen und auf einmal versucht, Verfassungsgerichtsentscheidungen interpretieren zu wollen, wie er es in der Vergangenheit getan hat.

Sie haben heute noch einmal die Gelegenheit, den Fehler, den die Koalitionsfraktionen im Innenausschuss begangen haben, eine unsinnige Beschlussempfehlung ins Plenum hineinzugeben, zu korrigieren. Fassen Sie Mut. Machen Sie sich selbst noch einmal eigene Gedanken, und unterstützen Sie unsere Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Flughafenasylverfahren! Es sollte wirklich Schluss mit Abschreckungs- und Abschottungspolitik im Flüchtlingsrecht sein. Es sollte Schluss mit Knästen sein, in die Menschen nur hineinkommen, weil sie gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen haben. Flucht ist kein Verbrechen.