Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

NC-Verfahren gerechter gestalten – Kapazitätsrecht modernisieren, offenen Reformprozess jetzt starten!

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft vom 31. Oktober 2012 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 7. November 2012 Drucksache 17/0621

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0420

Auch hier wieder eine Redezeit pro Fraktion von bis zu fünf Minuten. Es beginnt Bündnis 90/Die Grünen, und da hat die Kollegin Schillhaneck das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Das Kapazitätsrecht ist wie eines der Themen, das wir vorhin schon hatten, üblicherweise bekannt als ein ziemliches Spezialistenthema – ich gebe es zu. Das hat seine Gründe. Das Kapazitätsrecht wurde vor mittlerweile 40 Jahren als Reaktion auf etwas geschaffen, was damals erstmals zu einem Problem wurde, nämlich dass keine Balance mehr zwischen der Anzahl der vorhandenen Studienplätze und der Anzahl derer, die studieren wollten, zu finden war.

Entschuldigung, Frau Kollegin! – Meine Damen und Herren Kollegen! Rede ich Chinesisch oder was? Es ist hier wirklich laut, und ich bitte Sie, die Gespräche entweder draußen fortzuführen oder sich hinzusetzen und der Kollegin zu folgen! – Bitte, Frau Kollegin Schillhaneck!

Vielen Dank! – Es war keine Balance mehr zu finden zwischen einerseits dem Angebot an vorhandenen Studienplätzen und andererseits der Nachfrage von Studierwilligen nach einem qualitativ hochwertigen, dem wissenschaftlichen Anspruch genügenden Studium. Daraufhin wurden in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Maßnahmen überlegt, und das Ganze landete beim Landes- und später beim Bundesverfassungsgericht. Die Folge war etwas, was jede und jeder von uns bis heute kennt: Das NC-Verfahren wurde eingeführt.

Wenn Sie sich überlegen, wie sich die Zahl von Studierenden in den letzten 40 Jahren entwickelt hat, dann können Sie sich vorstellen, vor welcher Aufgabe wir heute

stehen, wenn das damals schon ein Problem war und wir heute sagen, dass das Kapazitätsrecht modernisiert werden muss. Aber es ist Zeit für diese Modernisierung, und die müssen Sie jetzt auch wirklich anpacken.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir haben im Mai eine Anhörung zum Kapazitätsrecht im Wissenschaftsausschuss gehabt, wo es unter anderem auch darum ging, dass wir mittlerweile fast im Sechsmonatsturnus neue Kapazitätsverordnungen haben, denn das Ganze wird weitestgehend auf dem Verordnungsweg geregelt, ist also primär exekutives Handeln.

Es ist auch ein Bereich, in dem insgesamt ein herausragend großer Absprachebedarf zwischen den einzelnen Bundesländern besteht, damit hier nicht zum Beispiel Berlin etwas komplett anderes macht als Bremen oder Baden-Württemberg oder Brandenburg und Bayern – es gibt auch Bundesländer mit anderen Anfangsbuchstaben, ich weiß. Aber in allen Bundesländern stehen wir mittlerweile vor dem Problem, dass die seit vierzig Jahren bestehenden Regelungen, die noch aus einem komplett anderen Studiensystem kommen und zum Beispiel die Bologna-Änderungen noch nicht mitgemacht haben, kaum wirklich sinnvoll anwendbar sind. Deswegen – das ist einer der zentralen Gründe – müssen wir das Kapazitätsrecht überarbeiten und reformieren.

Gleichzeitig gilt es – und das hat die Anhörung sehr deutlich gezeigt –, Rechtssicherheit zu schaffen, sowohl für die Hochschulen als auch für die Studienbewerberinnen und -bewerber. Denn das derzeitige System ist in der Art und Weise, wie da unterschiedliche Messgrößen reingehen, was da gegeneinander verrechnet werden kann, wie richtige Professoren, außerplanmäßige Professoren, Gastprofessoren und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Lehrbeauftragte gerechnet werden, so intransparent, dass das niemand – außer waschechten Spezialisten – ansatzweise nachvollziehen kann. Das finden wir für eine solche Angelegenheit unangemessen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Gleichzeitig gilt es bei einer entsprechenden Reform zu überlegen, wie die unterschiedlichen Ansprüche ausbalanciert werden können. Die Ansprüche, die da gegeneinander stehen, sind gewaltig. Grundsätzlich ist zu sagen: Wegen der Freiheit der Berufswahl darf niemand final von einem Studium ausgeschlossen werden. Sie haben jetzt vielleicht so etwas wie das Wartezeitverfahren im Kopf, das manchmal zu sehr absurden Regelungen und Ergebnissen führt. Das ist genau die Folge des bundesverfassungsgerichtlichen Spruchs dazu, dass niemand ausgeschlossen werden darf.

Die Frage ist aber: Wie können wir künftig solche Zugangsverfahren fairer gestalten? – Die grundsätzliche Lösung würde eigentlich darin bestehen, ausreichend Studienplätze zu schaffen. Nun ist relativ klar: Wir als

(Lars Oberg)

Berlin können das nicht allein leisten; das bestreitet keiner von uns. Das muss auf anderer Ebene diskutiert werden. Was wir hier in Berlin allerdings tun können, ist, dass wir versuchen, endlich einmal einen Aufschlag dafür zu machen, zumindest den Reformprozess zu starten und auszuhandeln, wie denn ein solches anderes Kapazitätsrecht aussieht, das zeitgemäß ist, die heutigen Ansprüche durchaus nachvollziehbar gegeneinander abwägt und dann möglichst noch transparent ist im Ergebnis dessen, was dabei herauskommt, und damit auch rechtssicher ist im Interesse von Hochschulen, Studienbewerberinnen und -bewerbern, aber auch im Interesse von denen, die vielleicht nicht studieren gehen wollen, sondern sich fragen, ob das Ganze eigentlich richtig administriert wird. Dieser Prozess muss gestartet werden. Ich habe mich sehr über die Anmerkung von Herrn Staatssekretär Nevermann in der Sitzung des Wissenschaftsausschusses gefreut, dass er sich durchaus vorstellen könne, dass man auf GWK-Ebene – oder war es KMK-Ebene? – ein Gutachten, wie so etwas aussehen könnte, in Auftrag geben könnte.

Sie müssten dann auch zum Ende kommen, Frau Kollegin!

Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie genau das tun, wären wir einen großen Schritt weiter. Dann könnten wir genau an dem Punkt, den wir hier skizziert haben, einhaken. Da der liebe Kollege Oberg gleich nach mir dran ist – wenn Sie sagen: Wir haben auch keine Lösung, so beschreiben wir zumindest einen Prozess, wie man zu einer Lösung kommen kann, und das ist mehr, als Sie zumindest bis jetzt beschrieben haben. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich danke auch! – Der Kollege Oberg von der SPDFraktion erhält jetzt das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nahezu charmant, wie mich die Kollegin Schillhaneck anmoderiert hat. Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass es eine sehr gute Entwicklung ist, dass immer mehr junge Menschen in Deutschland an die Hochschulen drängen. Es sind viel, viel mehr als noch vor 30 oder 40 Jahren, die ein Studium aufnehmen wollen und auch ein Studium aufnehmen können. Unser Ziel ist, eine breitere Akademisierung der Gesellschaft zu erreichen. Deshalb unterstützen wir diesen Trend.

Berlin hat auch sehr viel dafür getan, diesem gestiegenen Studierwillen Rechnung zu tragen. Es wurden viele neue Studienplätze geschaffen. Und auch die Unterstützung des Bundes über den Hochschulpakt weist in die richtige Richtung, in die wir in den nächsten Jahren gehen müssen.

Doch trotz zusätzlicher Studienplätze wird es nie gelingen, in Berlin jedem oder jeder, die hier studieren möchte, auch einen Studienplatz anzubieten.

[Zuruf von Simon Kowalewski (PIRATEN)]

Wir haben mittlerweile ungefähr 30 000 Studienplätze, denen aber über 130 000 Bewerberinnen und Bewerber gegenüberstehen. Dieses Missverhältnis lässt sich niemals auflösen, egal wie laut man schreit, egal wie viel man verspricht. Es muss also Zugangsregeln geben, es muss eine Auswahl getroffen werden, wer einen Studienplatz bekommt und wer nicht. Das ist eine sehr, sehr heikle Angelegenheit, die Kollegin Schillhaneck hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Auswahl immer einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt, einen Eingriff in ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. Deshalb befinden wir uns da in einem ganz schwierigen rechtlichen Bereich. Seit den Siebzigerjahren hat sich da nun ein sehr komplizierter System aus Zulassungskriterien, Numerus Clausus auf der einen Seite und der Festsetzung von Kapazitäten auf der anderen Seite entwickelt. Beides gehört unmittelbar zusammen. Bei der Frage: Wer darf rein –, muss auch immer mit der Frage geantwortet werden: Wie viele dürfen überhaupt rein können? Wie groß ist die Kapazität?

Der aktuelle Zustand, da haben Sie vollkommen recht, ist weder besonders schön, noch ist er alternativlos. Glücklich macht er alleine viele, viele Anwälte in der Stadt und in der Republik, die immer wieder erfolgreich oder weniger erfolgreich die Klagegesuche ihrer Mandanten auf einen Studienplatz durchsetzen.

Lieber Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Delius?

Ja, stellen Sie sie!

Dann bitte, Herr Kollege!

Herr Kollege Oberg! Sie haben gerade ausgeführt, dass nicht alle Menschen, die sich hier bewerben, einen Studienplatz bekommen können. Vielleicht möchten Sie dem

(Dr. Wolfgang Albers)

Publikum noch sagen, warum das Ihrer Meinung nach so ist!

Wenden Sie sich ans Publikum!

Ja, ich wende mich gerne an das Publikum, ich kann die Herrschaften fast einzeln begrüßen.

[Martin Delius (PIRATEN): Das Internet schaut auch zu!]

Ja, das Internet! Da wohnen die Piraten, im Internet, das uns zuschaut!

[Heiterkeit bei der SPD]

Ich freue mich, wenn sie zuhören, kein Problem! – Herr Delius! Sie möchten gerne wissen, warum das so ist, warum das nicht möglich ist. Es ist einfach etwas schwierig, wenn man eine Stadt wie Berlin hat, die wahnsinnig interessant ist, wenn man so gute Universitäten wie hier hat und dann eben ganz viele Menschen hier studieren wollen, das Land Berlin aber fast ausschließlich allein für die Finanzierung von Studienplätzen zuständig ist. Das lässt sich nicht regeln. Deshalb habe ich auch gesagt, dass die Unterstützung des Bundes über den Hochschulpakt in die richtige Richtung weist. Der Bund muss da deutlich stärker in die Verantwortung, deshalb – das können Sie auch nachlesen, das habe ich vor ungefähr zweieinhalb Minuten gesagt – müssen wir diesen Weg auch weitergehen, dass der Bund sich regelhaft an der Finanzierung von Studienplätzen beteiligt.

So, zurück zum Thema Kapazitätsrecht. Der aktuelle Zustand ist nicht schön, macht nur einige namentlich bekannte Anwälte glücklich, also bedarf es einer Reform des Kapazitätsrechts. Diese Reform ist alles andere als banal, und ja, Frau Schillhaneck, das kann man auch an Ihrem Antrag sehen, dass das nicht banal ist, denn Sie haben sich nicht der Mühe unterzogen, einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten. Sie haben noch nicht einmal eine eigene Idee formuliert. Das will ich Ihnen nachsehen, das ist nicht so schlimm, weil es ja tatsächlich schwierig ist, das Ganze handhabbar und vor allem rechtssicher zu machen. Sie wissen selbst, dass es nahezu unmöglich ist, diesen Kriterien zu entsprechen. Deshalb haben wir es ja mit so einem riesig komplizierten aktuell geltenden Recht zu tun.

Jetzt stellt sich die Frage, was wir da machen. Ihr Antrag weist aus einem entscheidenden Grund in die falsche Richtung. Ich denke, Berlin sollte nicht aufgerufen werden, eine Insellösung zu schaffen, Berlin sollte nicht aufgerufen werden, hier mit den Akteuren in einem komplizierten Prozess einen neuen Zustand zu kreieren, der dann nur für Berlin gilt. Es macht nur dann Sinn, das ganze Recht zu reformieren, wenn wir uns unter den

Bundesländern auf einen einheitlichen Weg verständigen. So wie der Bund sich stärker daran beteiligen muss, die Studienplätze zu finanzieren, so wie wir mehr Bundesbeteiligung und mehr Abstimmung zwischen Bund und Ländern bei Forschung und Lehre brauchen, so brauchen wir auch bei der Frage der Zulassung, bei der Frage des Kapazitätsrechts, bei der Frage eines einheitlichen Bewerbungsverfahrens – vielleicht ja sogar dieses dialogorientierten Serviceverfahrens – mehr und nicht weniger Abstimmung. Deshalb finden wir die Fragestellung Ihres Antrags richtig, wir vermissen eine Antwort, und den Weg, den Sie skizzieren, finden wir zu klein, weil er allein auf Berlin beschränkt ist. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke, Herr Kollege Oberg! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Dr. Albers das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen! Meine Herren! Das Spezialistenthema lässt sich, das ist ja auch schon gesagt worden, relativ einfach darstellen: auf der einen Seite das grundgesetzlich verankerte Recht, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen, auf der anderen Seite eine nicht ausreichende Anzahl von in der Menge und in der notwendigen Qualität ausfinanzierten Studienplätzen. Es ist schon ein absurder Vorgang: Alle, bis in die Wirtschaftsverbände hinein, lamentieren ständig über einen eklatanten Fachkräftemangel, und die OECD bescheinigt uns in ihren jährlichen Bildungsberichten mit schöner Regelmäßigkeit eine Studierendenquote, die weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Und was machen wir? – Wir diskutieren darüber, wie man das Kapazitätsrecht, das Ausdruck dieses Dilemmas ist, juristisch weiter perfektioniert, um es einzig klagesicherer zu machen! Der Staatssekretär hat im Ausschuss am 2. Mai seine liebe Not ja ehrlich formuliert. Die Universitäten brauchen dringend eine Kapazitätsverordnung, um überhaupt vor Gericht auftreten und begründen zu können, dass sie voll sind und niemanden mehr haben wollen. Bei allem Verständnis für sein Bekenntnis, dass man einen Systemwechsel im Augenblick gar nicht hinbekommen würde, aber wir brauchen hier nicht noch mehr juristische Spitzfindigkeit, um dieses Paradoxon zu zementieren, wir brauchen mehr bildungspolitische Fantasie, um es aufzulösen!

Auf der einen Seite steht der politische Anspruch, Bildungsprivilegien aufzubrechen und mehr Jugendliche zur Hochschulreife zu bringen, auf der anderen Seite errichten wir dann aber vor unseren Hochschulen mannigfache Barrieren, mit denen wir ihnen den Hochschulzugang

(Dr. Hans-Christian Hausmann)

verschließen und damit in erster Linie nur wieder die soziale Auslese fördern.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit der Teilnovellierung des Berliner Hochschulgesetzes den Hochschulzugang auch für Nichtabiturienten weiter geöffnet. Das war in Ordnung. Wir können ihn für Abiturienten nicht zunehmend enger machen. Wohlwissend, dass wir nicht jeden gewünschten Studienplatz werden zur Verfügung stellen können, aber die vorhandenen Ressourcen sind besser zu nutzen, und die Zahl der Studienplätze ist bei gesellschaftlich wachsendem Bedarf dann eben auch durch gesellschaftliche Anstrengungen zu steigern!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]