Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

Dass der Charakter des Abgeordnetenhauses als Teilzeitparlament keinerlei rechtliche Beschränkungen von Transparenz rechtfertigt, hat uns der WPD in der Tat bescheinigt. Es gibt keinen Grund mehr, hier untätig zu bleiben. Der einzige Grund, warum die Koalition keinen Änderungsantrag vorgelegt hat, ist, dass sie sich nicht einmal in dieser Frage auf ein Stück Bewegung einigen kann. Da sind Sie, wie in allen anderen Fragen, nicht handlungsfähig.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Dr. Simon Weiß (PIRATEN)]

Die Linksfraktion hat sich darauf verständigt, eine umfassende Offenlegung von Nebeneinkünften vorzunehmen. Der Antrag der Grünen findet unsere Zustimmung. Er geht in die richtige Richtung. Aber der Piratenantrag, der noch mehr vorsieht als das Stufenmodell des Bundestages, ist unserer Ansicht nach das, was jetzt erforderlich ist. Da hat mich erstaunt, dass die Grünen, bei der Verve, mit der sie für Transparenz werben, den nicht mittragen.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Wir stimmen doch zu!]

Das freut mich. Wenn Sie dem in der namentlichen Abstimmung zustimmen, dann treten alle drei Oppositionsfraktionen für mehr Transparenz ein, und die Regierungskoalition steht als das da, was sie ist: als ein handlungsunfähiger Haufen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

(Cornelia Seibeld)

Danke schön, lieber Kollege! – Der Kollege erwähnte gerade die namentliche Abstimmung. Ich möchte dazu noch etwas sagen, weil es teilweise Unkenntnis gab. Wir haben gleich eine namentliche Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt. Vielleicht sagen Sie den Kollegen, die sich draußen unterhalten, Bescheid.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Das gilt für alle. Wenn man hier oben sitzt, erkennt man, sind die Reihen sowohl links als auch rechts sind manchmal gelichtet. Und heute haben ich meine Brille auf, lieber Kollege Dr. Albers. – Die Kollegin Seibeld hat nun für die CDU-Fraktion das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Dr. Lederer! Sie wissen doch noch gar nicht, wie ich begründe. Warten Sie doch ab, ob die Begründung abenteuerlich ist, bevor Sie das vorwegnehmen!

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Im Ausschuss habe ich das ja gehört!]

Ach so! Verstehe! Da hat aber der Kollege Rissmann geredet.

[Lachen bei der LINKEN und bei den PIRATEN]

Ich bin bei meinen Überlegungen zum Antrag der Fraktion der Grünen – und der der Piraten hat daran nichts geändert – zu dem Ergebnis gekommen, dass man die Frage von Veröffentlichungspflichten von Nebeneinkünften nur ernsthaft diskutieren kann, wenn man sich zuvor die Frage nach dem Bild des Abgeordneten stellt, und zwar sowohl unseres eigene Bildes als auch das der Öffentlichkeit. In Artikel 38 Abs. 4 unserer Verfassung heißt es:

Die Abgeordneten sind Vertreter aller Berliner. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Und kürzlich schrieb die „FAZ“:

Es ist der Sinn des freien Mandats, dass sich der Abgeordnete einen eigenen Willen bildet und nicht als Teil eines organisierten Kollektivs funktioniert und gehorcht.

Die Unabhängigkeit des Abgeordneten steht also ganz oben. So weit sind wir uns sicherlich einig. Dann stellt sich nur noch die Frage: Unabhängig wovon?

Die auch von der antragstellenden Fraktion der Grünen nicht verkannte Konzipierung des Abgeordnetenhauses sieht ein Teilzeitparlament vor. Die Systematik sieht also eine Ausübung des Berufs neben der Parlamentstätigkeit vor. Während der Antrag vor allem der Gefahr von Beeinflussung von Entscheidungen der Abgeordneten durch wirtschaftliche Abhängigkeit begegnen will, kommt es

meiner Meinung nach viel eher auf die Sicherung der politischen und damit letztlich auch wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Abgeordneten an, indem eben gerade sichergestellt ist, dass sie ihren Lebensunterhalt auch nach Ende einer parlamentarischen Tätigkeit noch bestreiten können. Dazu gehört natürlich die Erzielung von Einkünften. Offenbar kommen die Grünen bei ihrem Bild des Abgeordneten zu dem Ergebnis, dass Einkünfte neben der Parlamentstätigkeit potenziell dazu geeignet sind, die politischen Entscheidungen zu beeinflussen. Aber es ist doch gerade umgekehrt: Die Einkünfte neben der parlamentarischen Tätigkeit garantieren die Unabhängigkeit der Abgeordneten.

[Beifall bei der CDU]

Ich glaube, dass die von den Grünen gesehene potenzielle Gefahr bei einem Großteil der Kollegen gar nicht besteht. Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes kommen nicht in den Verdacht – dem Grunde nach schon nicht. Gleiches gilt für Kollegen, die sich in einem Angestelltenverhältnis befinden und schon nach den bisherigen Regelungen ihren Arbeitgeber offenlegen müssen. Ob die 3 000, 5 000 oder 10 000 Euro bei Siemens, Bayer oder beispielsweise als angestellter Steuerberater verdienen, spielt dabei meiner Meinung nach keine Rolle. Bleiben wohl einzig als interessante Berufsgruppen die Freiberufler, Selbstständigen. Ärzte und Rechtsanwälte, Steuerberater sind aus den Veröffentlichungspflichten wegen der Verschwiegenheitsverpflichtung sowieso weitestgehend herausgenommen. Was bleibt? – Die Vortragstätigkeit in erheblichem Umfang. Ob es hier tatsächlich eine Gefahr der mangelnden Unabhängigkeit gibt, wage ich aufgrund der verschiedensten Auftraggeber schon zu bezweifeln. Im Übrigen sehe ich in unseren Runden auch niemanden, der entsprechend nachgefragt wäre wie der Kollege Steinbrück, auch wenn der eine oder andere in diesem Raum es sich wünschen würde.

[Beifall bei der CDU]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matuschek?

Nein, danke! – Allein für die Vermeidung von sogenannten Mehrfachbelastungen mag der Antrag der Grünen-Fraktion tauglich sein. Um diese Mehrbelastung scheinen die Grünen nahezu rührend besorgt zu sein.

Hinsichtlich der Anzeigepflicht von Tätigkeiten für das Land Berlin, Landesunternehmen oder andere Organisationen, die der Aufsicht des Landes Berlin unterstehen, halte ich die damit verbundenen Rechercheverpflichtungen, die den einzelnen Abgeordneten auferlegt werden, schlicht für viel zu weitgehend und vor allem für unpraktikabel.

(Dr. Simon Weiß)

Die Konzeption des Halbtagsparlaments stellt aus meiner Sicht wirtschaftliche und damit politische Unabhängigkeit in höchstem Maß sicher, denn wer neben seiner Parlamentstätigkeit im Beruf bleiben kann, Praxis behält, Kontakte zu Kunden und Geschäftspartnern aufrechterhalten kann, ist auch frei, wenn es beispielsweise um die Frage von Neuwahlen oder Entscheidungen innerhalb der eigenen Partei oder Fraktion geht. Was uns beim Wiedereinstieg von Müttern und Vätern in den Beruf so wichtig ist – Berufspraxis, Nähe zum ausgeübten Beruf –, das wollen wir den Abgeordneten gerade untersagen und wundern uns dann, warum der eine oder andere an seinem Mandat mehr hängt, als es vielleicht gut tut.

Es wundert mich nicht, wenn das Berufsbild des Politikers im Ansehen der Bevölkerung immer mehr verliert, wenn die Volksvertreter selbst in vorauseilendem Gehorsam die Vorstellung in Recht und Gesetz gießen, durch Freikarten oder Nebeneinkünften sei quasi jeder Parlamentarier in seinen Entscheidungen zu beeinflussen und nicht in der Lage, sich eine eigene, unabhängige Meinung zu bilden. Wer von sich selbst annimmt, durch Vortragstätigkeiten oder Hertha-Freikarten keine unabhängige Entscheidung mehr treffen zu können, der muss sich nicht wundern, wenn dies auch der Wähler meint. Liebe Kollegen! Was verbreiten Sie denn da für ein Selbstbild von uns Abgeordneten?

Sie müssten zum Ende kommen, Frau Kollegin!

In diesem Sinne wird die CDU-Fraktion den Antrag ablehnen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Dr. Weiß das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Eins vorweg, bevor es nachher der Zeit wegen untergeht: Was die Sache mit der Abgeordnetenbestechung angeht, da freue ich mich sehr über das, was Sie vorhin gesagt haben, da sind wir auch gerne dabei. Wir sollten uns allerdings an den Bundestag und nicht an die Bundesregierung wenden, das ist nämlich der Bundesgesetzgeber!

[Unruhe]

Meine Herrschaften! Etwas mehr Ruhe bitte! Dr. Weiß hat das Wort!

Zur Diskussion auf Bundesebene ist ja schon einiges gesagt worden, auch vorhin von Herrn Behrendt. Das hatte sicherlich teilweise auch etwas die Züge einer Farce, wie erst Transparenz eingefordert wurde, die man für sich selbst nie beansprucht hat. Auch wenn das Ganze ein bisschen den Charakter eines Schmierentheaters hatte, so war der Stoff doch ganz wichtig und gut. Es geht um die Frage nach der Rechenschaft und Offenheit, die Parlamentarier der Allgemeinheit in Bezug auf ihre Einkünfte schuldig sind – eine ganz wichtige Frage! Der Antrag der Grünen, den wir jetzt hier in der zweiten Lesung besprechen, hätte dazu dienen können, in diesem Parlament eine Debatte dazu anzuregen. Man hätte darüber sprechen können, ob man, wie es die Grünen vorgeschlagen haben, das Stufenmodell aus dem Bundestag nimmt – was ja auch nicht ganz ohne Grund in der Kritik ist –, man hätte es so machen können, wie wir es vorgeschlagen und jetzt auch noch mal eingebracht haben, dass man eine Veröffentlichung auf den Euro genau oder auf Euro und Cent vornimmt, das sind Detailfragen, wie es ja auch jetzt im Bundestag diskutiert wurde. Das hätte man alles machen können, haben wir aber nicht, werden wir anscheinend auch nicht tun, weil sich herausgestellt hat: Sie wollen das nicht, Sie wollen das alles gar nicht! Sie – zumindest Sie, liebe SPD, liebe CDU oder zumindest ihre Vertreter in den entsprechenden Ausschüssen – haben kein Interesse daran, irgendeine Transparenz von Nebeneinkünften auch nur im Ansatz einzuführen. Das kann man so festhalten.

Was die rechtlichen Bedenken angeht, die Herr Kohlmeier aufgeführt hat – wenn das der Standard für rechtliche Bedenken ist! Wenn ich mich im Ausschuss zu einer Vorlage der Koalition hinstellen und sagen würde: Ich habe verfassungsrechtliche Bedenken mit diesem Gesetz –, ohne auf irgendein Urteil zu verweisen, ohne auf irgendein Rechtsgutachten zu verweisen, ohne genau zu benennen, welches Problem das ist, und wenn ich vielmehr nur auf kleine Probleme verweisen würde, die ohne Weiteres mit einem Änderungsantrag regelbar wären, würden Sie mich auslachen – und zwar zu Recht!

[Beifall bei den PIRATEN – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Es wäre zumindest vertretbar, wenn Sie es tun würden. Ich wollte Ihnen nichts Böses unterstellen. – Sie haben nichts im WPD-Gutachten kritisiert, lediglich einen Satz, der aber nicht Teil der zentralen Argumentationslinie war. Sie haben es eben erwähnt: Sie haben ein Detail kritisiert, das man ganz einfach hätte beheben können. Dazu müsste man eigentlich nur noch ein anderes Gesetz an einer Stelle kurz ändern, das wäre es gewesen. Sie

(Vizepräsident Andreas Gram)

haben gesagt, es sei verfassungsrechtlich bedenklich, und haben auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil, was dem ja widerspricht, verwiesen, weil es da eine Minderheitenmeinung gab. Sie haben aber nicht mal gesagt, dass diese Minderheitenmeinung Ihre Meinung sei, Sie haben gesagt, es gab eine.

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Das sind Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken! Gut, Sie haben einen schönen Grund: Sie haben etwas, was Sie sagen können, damit Sie irgendwie rechtfertigen können, dass Sie das nicht wollen. Hat funktioniert! Ich weiß es ja nicht mal. Herr Kohlmeier! Sie haben im Ausschuss so formalistisch und peripher am Thema rumgeredet, dass ich nicht mal weiß, ob Sie persönlich wirklich dagegen sind oder nicht. Bei einigen Kollegen, insbesondere von der CDU, ist es mir sehr deutlich geworden, und da ist dann die Frage – –

Meine Damen und Herren, auch auf der Regierungsbank! Ich weiß, dass es wunderbar ist, miteinander zu kommunizieren, aber im Plenum hat der Redner das Recht, dass wir zuhören. Ich bitte, dem jetzt auch zu folgen!

Danke! – Frau Seibeld hat es richtig festgestellt: Das Bild des Abgeordneten – das ist ja anscheinend hier die entscheidende Frage – das Bild, das ich von meiner Rolle als Abgeordneter habe, ist mit dieser Einstellung, wie sie vorgebracht wurde, nicht kompatibel. Das ist nicht das, was ich sehe, wenn ich morgens in den Spiegel gucke.

Jetzt ist schon wieder das Argument von dem Teilzeitparlament gekommen. Es ist ja richtig, so ist es konzipiert – wie sinnvoll und realistisch das ist, darüber kann man diskutieren, das ist aber eine ganz andere Diskussion. Es bleibt Ihnen unbenommen, wenn Sie das hier als Teilzeitjob wahrnehmen wollen. Gerade in den größeren Fraktionen ist das ja noch etwas einfacher – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das auch nur für eine sehr kleine Gruppe von Berufen möglich ist bei unseren vielen Pflichtterminen in der Woche, aber gut. Es ist Ihnen unbenommen, Sie können auch gerne zwei Berufe haben. Ich weise aber noch einmal darauf hin: Die meisten Menschen in diesem Land, die zwei Berufe haben, sind zumindest dazu verpflichtet, das ihrem Arbeitgeber anzugeben.

Sie müssten jetzt zum Ende kommen!

Bevor wir darüber abstimmen, würde ich Sie bitten: Denken sie noch mal über Ihr Bild als Abgeordneter nach,

insbesondere darüber, wen Sie eigentlich als Ihren Arbeitgeber sehen!