Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Sie können sich mal ein Beispiel an Bremen und Hamburg nehmen. Inzwischen haben die ein Landesmindestlohngesetz eingeführt. Bremen und Hamburg nutzen im Gegensatz zu Berlin den landesseitigen Spielraum, solange Schwarz-Gelb im Bund den flächendeckenden Mindestlohn blockiert.

Wir Grünen haben bereits vor einem Jahr einen Entwurf für ein Landesmindestlohngesetz eingebracht, aber Sie sind ja der irrigen Meinung, dass wir in Berlin so etwas nicht brauchen. Aber auch im Bundesrat fallen Sie als treibende Kraft in Sachen Mindestlohn bisher nicht auf, und das ist wirklich sehr peinlich.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Fakt ist, dass diese Koalition im Gegensatz zu anderen Bundesländern, darunter auch die CDU aus Thüringen, bisher rein gar nichts unternommen hat, um einen flächendeckenden Mindestlohn im Bund auf den Weg zu bringen. Meine Damen und Herren von der SPD! Ich verstehe nicht, dass Sie sich von der CDU in Sachen Mindestlohn so an die Leine nehmen lassen, oder gehört dies zum Preis, den Sie für die Fortsetzung dieser Koalition bezahlen?

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Aber ich sage Ihnen, dieser Preis ist zu hoch, denn nicht Sie zahlen den Preis, sondern den Preis zahlen die Berlinerinnen und Berliner. Auch wenn Sie es nicht sehen wollen, Berlin hat ein massives Einkommensproblem. Schauen Sie sich doch das Niedriglohnregister BerlinBrandenburg an! Es weist in 60 einschlägigen Wirtschaftsbereichen Niedrigentgelte unter 1 400 Euro brutto aus. Das entspricht einem Nettoeinkommen von 1 029 Euro und damit dem derzeit gültigen Pfändungsfreibetrag.

Schauen Sie sich die Arbeitsplätze in der Hauptstadt an, vor allem in den Branchen, mit denen sich Berlin gerne sonnt, in der Kreativwirtschaft, im Kulturbereich, im Tourismus und im Hotel- und Gaststättengewerbe! Gerade in der Tourismusbranche wird deutlich, wie auf Kosten der Beschäftigten gewirtschaftet wird. Auf der einen Seite steht ein Jahresumsatz von 9 Milliarden Euro, auf der anderen Seite sinkt die Qualität der Arbeitsplätze rapide: schlecht bezahlte, ungesicherte, befristete Beschäftigung, Leiharbeit, unbezahlte Überstunden, kaum Tarifbindungen. Auch wenn Berlins oberster Tourismuschef wie kürzlich auf der SPD-Klausur Berlin als le

bendes Gesamtkunstwerk preist, ein Großteil der Beschäftigungen dieses Gesamtkunstwerks ist prekär und ungesichert.

Aus der Statistik der BA geht hervor, dass in Berlin im Gastgewerbe 28,9 Prozent der Vollzeitbeschäftigten unter 1 000 Euro verdienen. Das entspricht einem Stundenlohn von 6,59 Euro. In der Gastronomie sind es knapp 40 Prozent. Ein Viertel der Berliner Erwerbstätigen sind prekär beschäftigt. Knapp 130 000 Erwerbstätige in Berlin müssen ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken. So schlecht steht kein anderes Bundesland da. Aber diese Tatsachen werden in Berlin unter der Regierungsverantwortung der SPD mittlerweile seit über zehn Jahren ignoriert. Das ist der eigentliche Skandal.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Anfang Dezember legte der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Studie mit dramatischen Befunden vor. In Berlin ist inzwischen jeder bzw. jede Fünfte von Armut betroffen. Berlin ist zum Armenhaus Deutschlands geworden. Diese Tatsache können Sie nicht länger ignorieren, meine Damen und Herren von der Koalition.

Die Reaktion des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit auf diesen Bericht wird in der „Berliner Morgenpost“ wie folgt zitiert:

In erster Linie … spricht dieser Bericht für die Notwendigkeit der Einführung eines Mindestlohns, für den sich meine Partei seit Langem starkmacht.

Da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Wowereit, aber starkmachen allein genügt nicht. Sie müssen sich auch gegen Ihren Koalitionspartner durchsetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu, und ergreifen Sie im Bundesrat die Initiative zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns! Berlin braucht diesen Mindestlohn und Deutschland auch.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt Herrn Prof. Dr. Korte das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Korte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die CDU bekennt sich seit jeher zu dem Ziel auskömmlicher und fairer Löhne. Wir tun dies aus tiefster innerer Überzeugung, weil Leistung sich lohnen muss, weil Arbeit sich lohnen muss

[Heiko Herberg (PIRATEN): Falsche Partei!]

und weil Arbeit sich mehr lohnen muss als Nichtarbeit und Leistungsbezug,

[Martin Delius (PIRATEN): Also Mindestlohn!]

weil alle Vollzeitbeschäftigten sich und ihre Familien mit diesem Einkommen ernähren können müssen, weil zu niedriger Lohn geradewegs – –

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Breitenbach?

Nein, heute nicht! Danke schön!

Grundsätzlich keine Zwischenfragen?

Nein, heute nicht! Danke schön!

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Jetzt hat aber Dr. Korte das Wort – bitte sehr!

Frau Breitenbach! Dann lesen Sie es doch nach in meiner Rede vom 22. März letzten Jahres, da steht das alles in ähnlicher Form schon drin.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Weil zu niedriger Lohn auch geradewegs in eine zu niedrige Rente führt, aber auch, das will ich hier nicht verschweigen, weil uns die wachsende Zahl von Aufstockern beim ALG II mit Sorge erfüllt. Ziel unserer sozialen Sicherungssysteme kann es eben nicht sein, Lohnkosten solcher Arbeitgeber zu subventionieren, die mehr und mehr mit Billiglöhnen arbeiten und ergänzende Leistungen des Staates dabei von vornherein einkalkulieren.

Die Union bekennt sich nicht nur zu diesem Ziel, sondern sie handelt auch. Für etliche Branchen bestehen bundesrechtliche Mindestlohnregelungen auf der Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes und Mindestarbeitsbedingungengesetzes.

Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat gerade in den letzten Jahren hier viel erreicht, für die Dachdecker und Gebäudereiniger 2010, für das Elektrohandwerk 2011, für Aus- und Weiterbildung Mitte 2012, um hier nur einige zu nennen. Und wir, die Berliner CDU, gehören schon

lange zu den Unterstützern einer gemeinsamen Initiative für eine bundesweite Lohnuntergrenze, vor allem dort, wo Tarifverträge ihre Bindungskraft verloren haben.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE) – Zuruf von den Grünen]

Weil wir damals wie heute für faire und auskömmliche Löhne stehen, freue ich mich, über Ihren Antrag, über das wichtige Thema gesetzliche Mindestlöhne, hier im Fachausschuss zu diskutieren.

Aber, liebe Antragssteller von der Opposition, wenn ich mir Ihren heutigen Antrag anschaue, wird mir eines sofort klar: Wir in der CDU und wir in der großen Koalition sind inhaltlich schon viel weiter.

[Elke Breitenbach (LINKE): Als was?]

Als Sie, Frau Breitenbach mit Ihrem Antrag! Denn Sie wollen eine Berliner Bundesratsinitiative zum Mindestlohn, und das war es. In Ihrem Antrag bleibt völlig offen, und ich nenne hier nur die wichtigste Stellschraube, nach welchem Verfahren ein gesetzlicher Mindestlohn der Lohnhöhe nach bestimmt werden soll. Ich frage mich, und ich frage Sie: Was sollen wir mit einem solchen Antrag anfangen, der verschweigt, wie ein Mindestlohn denn auszusehen hat?

[Stefanie Remlinger (GRÜNE): Wo bleibt Ihr Änderungsantrag? – Zuruf von der LINKEN: Macht einfach 10 Euro!]

Wir in der CDU im Bund und in Berlin diskutieren intensiv darüber, wie eine allgemeine Regelung für faire Löhne genau ausgestaltet werden kann.

[Stefanie Remlinger (GRÜNE): Das glaubt Ihnen doch niemand mehr!]

Aber sicher! – Dazu gibt es ganz unterschiedliche Überlegungen.

[Alexander Spies (PIRATEN): Und wenn sie nicht gestorben sind, diskutieren sie noch heute!]

Dazu gibt es einmal die Bundesratsinitiative aus Thüringen, auf die Sie ja mit Ihrem Antrag sicher auch zielen.

[Zuruf von den GRÜNEN]

Dort geht es um eine bundeseinheitliche, allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze, mit der ein existenzsicherndes Einkommen für Vollzeitbeschäftigte erzielt werden kann.

[Zuruf]

Das ist auch das Ziel ihres Antrags. Aber im Gegensatz zu Ihren bisherigen Vorstellungen wird keine Lohnuntergrenze in diesem Gesetz ausdrücklich festgeschrieben, deren Höhe legt vielmehr eine unabhängige Kommission fest, die sich paritätisch aus Vertretern der Tarifparteien zusammensetzt.

Es werden noch andere Lösungswege in der Union mit großem Engagement diskutiert. Ihnen allen ist gemein, dass bei jeder gesetzlichen Regelung zur Lohnuntergrenze immer die Tarifautonomie gewahrt bleiben muss. In der Diskussion müssen sowohl die Belange der Arbeitnehmer als auch die der Wirtschaft berücksichtigt werden, um faire Arbeitsbedingungen zu erreichen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden. Die Festlegung eines rein politischen Mindestlohns kann dies nicht erreichen, und darum ist die Einbeziehung der Sozialpartner einfach unverzichtbar.