Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

im Stich, und genau das müssen und werden wir als Koalition ändern.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN: Ha, ha!]

Denn nur in der Vergangenheit wurde die künstliche Befruchtung und damit der Weg zur Erfüllung des Kinderwunsches durch die Krankenkassen zu 100 Prozent finanziert. Seit 2004 werden nur noch 50 Prozent der Kosten durch die Krankenkassen übernommen. Die anderen 50 Prozent müssen die betroffenen Paare selbst aufbringen. Vor der Finanzierungsumstellung kamen 17 000 Kinder mithilfe künstlicher Befruchtung in Deutschland jährlich auf die Welt. Nach der Veränderung dieser Finanzierung sank dieses Niveau schlagartig auf nur noch 9 000 Kinder jährlich.

Die CDU-Fraktion und die Koalition sind sich einig, dass dieser Zustand nicht einfach weiter hingenommen werden kann und dass die mögliche Erfüllung des Kinderwunsches nicht eine Frage des Geldbeutels der Eltern sein darf. Deshalb streben wir an, dass die zur Verfügung stehenden Bundesmittel zur finanziellen Unterstützung der Paare durch das Land Berlin abgerufen werden. Voraussetzung dafür ist, dass das jeweilige Bundesland eine Kofinanzierung übernimmt. Unser Antrag hat daher zum Ziel, dass der Senat ein entsprechendes Modell entwickelt und somit schnellstmöglich auch eine Besserstellung der betroffenen Berliner Paare – ungefähr 2 000 jährlich – erreicht wird.

Häufig höre ich in dieser Diskussion, es gehe nur um ein ganz kleine Gruppe und nur um ganz wenig Geburten. Überhaupt hätte doch nur in 50 Prozent der Fälle diese Variante Erfolg, und es handele sich doch nur um 500 Geburten jährlich in Berlin. Mich irritiert dieser Ansatz zutiefst. Immerhin sind es 500 Geburten zusätzlich, die wir dadurch in Berlin erreichen. Muss sich unser Land und unsere Stadt nicht über jede zusätzliche Geburt, die wir hier begrüßen können, freuen? Ist es nicht genau das, was wir in der aktuellen demographischen Situation brauchen? Ist nicht genau eine solche Unterstützung, die Paaren hilft, eine Familie zu werden und Kinder zu bekommen, ein wichtiger und richtiger Bestandteil von Familienpolitik? Sind nicht genau hier die finanziellen Mittel richtig eingesetzt? – Ich meine, dass das so ist, und ich meine, dass dieser finanzielle Aspekt nicht unterschätzt werden darf.

Aber man muss auch sehen, dass es über den finanziellen Aspekt hinaus noch weitere Gründe gibt. Wer einmal Paare erlebt hat, die diesen Weg gehen, die unter einer medizinischen Behandlung und unter einem enormen psychischen Druck stehen, der weiß, dass die Finanzen nur ein Punkt von vielen sind, aber der weiß auch, dass es als Signal verstanden wird, wenn wir hier etwas tun. Und genau das sollten wir machen, damit die betroffenen Paare merken, dass wir nicht nur in Sonntagsreden be

haupten, Familienpolitik stehe an erster Stelle, sondern dass es auch so ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Ludewig! – Die Piratenfraktion hat einen Kurzinterventionswunsch. Ich erteile dem Kollegen Höfinghoff das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Ludewig! Ihr Engagement für den Kinderwunsch von Ehepaaren, von Paaren – ich nehme jetzt mal stark an, dass Sie sich überwiegend auf heterosexuelle Paare beziehen – in allen Ehren, aber was ist mit all den ungewollt kinderlosen homosexuellen Paaren in dieser Stadt? Was tun Sie für die? – Ich würde es wahnsinnig gern sehen, dass Sie sich für die mit derselben Inbrunst einsetzen, wie Sie es gerade für den Kinderwunsch von heterosexuellen Paaren getan haben. Auf diese Frage hätte ich wirklich gern eine Antwort.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wünschen Sie das Wort zur Erwiderung, Kollege Ludewig? – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Höfinghoff! Herzlichen Dank für die Frage. In allererster Linie sind wir uns erst einmal einig: Wir wollen etwas dafür tun, dass es mehr Kinder in dieser Gesellschaft gibt. Aber Sie vermengen hier zwei Fragen. Das eine ist die Frage: Wie können wir mit medizinischer Hilfe Paaren helfen, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen? – Bei der anderen Frage geht es doch um Adoption und ganz andere gesellschaftspolitische Entscheidungen.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU) – Anja Kofbinger (GRÜNE): Nein! – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Kinderlose Paare!]

Wenn Sie mir einen medizinischen Weg aufzeigen – und ich diskutiere das ohne Weiteres auch gern in meinem Freundeskreis –, wie neuerdings heterosexuelle Paare durch die Hilfe von künstlicher Befruchtung zu Eltern werden, Herr Höfinghoff, dann würde ich vorschlagen, dass wir Sie für ganz andere Preise vorschlagen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Sie haben gerade „heterosexuell“ gesagt!]

Insofern sollten Sie dann ein anderes Thema auf die Tagesordnung setzen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Herr Gelbhaar! Kurzintervention? – Sonst geht es nicht mehr.

[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Okay! – Dann hat jetzt ohnehin ein Fraktionskollege von Ihnen das Wort, Herr Kollege Gelbhaar, nämlich der Kollege Thomas. Sie können dann also gleich die Dinge an den Redner weitergeben. – Bitte schön, Herr Thomas!

Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Ludewig! Rot-Grün hat 2004 die Hälfte der Zuzahlung bei der assoziierten Reproduktion, also der künstlichen Befruchtung, eingeführt. Das war damals wohlbegründet und hat sich doch als falsch herausgestellt – nicht zuletzt, weil es eine soziale Schieflage hat. Kosten von 1 000 bis 2 000 Euro Zuzahlung pro Behandlungszyklus können sich viele Familien einfach nicht mehr leisten. Konkret übernehmen die Krankenkassen die Hälfte der Kosten bei der homologen Insemination, der In-vitro-Fertilisation sowie der sogenannten intrazytoplasmatischen Spermieninjektion – ICSI. Alles andere wird nicht bezahlt. Voraussetzung war und ist, dass Spermien des Ehemannes genutzt werden und dass es sich um ein verheiratetes Paar handelt – neben einer Reihe weiterer, eher medizinischer Voraussetzungen.

Ich will meine Haltung direkt deutlich machen: Ich finde es richtig, dass wir darüber sprechen, den Eigenanteil zu reduzieren. Deshalb stehe ich Ihrem Vorschlag positiv gegenüber. Ich finde aber – und das ist gerade angedeutet worden –, dass dieses isolierte Vorgehen überhaupt nicht mehr in die Zeit passt – erst recht nicht in Berlin.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Liebe CDU! Sie wollen doch ein Hauptstadt-Gen entdeckt haben. Hier wäre ein Feld, wo Sie es beweisen können. Ich möchte mit Ihnen im Ausschuss darüber sprechen, wie wir gemeinsam im Bund die Voraussetzungen für die finanzielle Unterstützung einer Insemination etwa bei lesbischen Paaren und festgefügten, nicht verheirateten Paaren verbessern können.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Herr Ludewig! Ich kenne die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, etwa die Diskussion um die Offenlegung des Namens der Spender. Aber ein fachliches Hindernis, diesen Weg nicht zu gehen, sehe ich nirgends.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich denke – da sind wir sicherlich einer Meinung –, dass der Satz, Kinder sind eine Bereicherung unserer Gesellschaft, von uns allen gern unterschrieben wird. Wer diesen Satz aber ernst nimmt, schränkt die Chancen auf Elternschaft nicht aufgrund der sexuellen Orientierung ein.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Frauen, die etwa in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, dürfen nicht diskriminiert werden. Auch ihnen muss der Zugang zu reproduktionstechnischen Maßnahmen bezahlbar offen stehen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir eine abstrakte Debatte zu einem sehr persönlichen Thema führen. Zwar gibt es keine gesicherten Daten über die Zahl ungewollt kinderloser Paare in Deutschland. Studien der Krankenkassen gehen aber davon aus, dass etwa jedes siebente Paar ungewollt kinderlos bleibt. Herr Ludewig hat darauf hingewiesen.

Ganz sicher aber ist eine reproduktionstechnische Behandlung emotional und körperlich sehr belastend. Gerade wenn eine solche Behandlung erfolglos bleibt, dürfen wir die Menschen nicht allein lassen. Deshalb ist eine gute Beratung vor, während und nach der künstlichen Befruchtung unerlässlich.

Aber nicht immer ist das Angebot ausreichend. Denn obwohl eine große Zahl der betroffenen Paare gegenüber psychosozialer Beratung aufgeschlossen ist, nimmt doch nur ein kleiner Teil dieses Angebot wahr. Hier gilt es, Schwellenängste abzubauen, und vielleicht – so ist meine Hoffnung – trägt auch diese Debatte heute dazu bei, dieses Tabuthema ein bisschen in die Öffentlichkeit zu tragen und darüber rational zu diskutieren.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Lieber Herr Isenberg, lieber Herr Ludewig! Sie eröffnen heute eine Diskussion, die weitaus größer ist als Ihr Antrag. Ich bin zu konstruktiven Gesprächen sehr gern bereit. Vielleicht kommen wir auch hier in geübter Art und Weise zu einem etwas berlinwürdigeren Ergebnis. Berlin muss hier vorangehen. – Danke!

Vielen Dank, Herr Kollege Thomas! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Isenberg. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Familie ist dort, wo Kinder sind. Deswegen ist es legitim, dass sich das Land Berlin in diesem Abgeordnetenhaus darüber unterhält, was wir tun können, damit noch mehr Kinder in Familien sind als bisher. Der Antrag greift einen spannenden Aspekt auf. Kinderlosigkeit hat aber eben auch verschiedene Aspekte. Zuvorderst ist das gesellschaftliche Problem zu nennen. Gerade deswegen haben wir als SPD mit dieser und auch in den vergangenen Koalitionen die Kitas ausgebaut, haben wir die Schulen und Ganztagsschulen zu Häusern des Lebens und Lernens ausgebaut und sind dabei, weitere Maßnahmen zu ergreifen, damit es leichter ist, Erwerbsarbeit mit Erziehungsarbeit zu kombinieren.

Ich glaube, die gesellschaftlichen Verhältnisse und weniger die medizinischen Faktoren sind primär diejenigen, die Eltern davon abhalten, Kinder zu bekommen. Bei den medizinischen Faktoren können wir aber nicht die Augen verschließen. Es ist in der Tat so: Kinderlosigkeit ist auch ein medizinisches Problem. Deswegen können wir auch nicht pauschal sagen: Nein, wer keine Kinder bekommen kann, ist selbst schuld. – Genau dieses – so sagen wir es – soll der Senat prüfen. Der Senat wird aufgefordert zu prüfen, wie die entsprechende Initiative der Bundesregierung genutzt werden kann, diese entsprechenden technokratischen, medizinzentrierten Leistungen den Eltern zugänglich zu machen. Prüfen ist gut. Wir werden schauen, wo die Grenzen sind.

Sie haben recht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Druck auf die Eltern erzeugen, dass jeder sagt, er müsse doch sehr belastende Situationen in Anspruch nehmen – mit Hormonbehandlungen, vielen Fehlversuchen –, nur weil er kinderlos ist. Es muss das Leitbild sein, dass jemand in dieser Gesellschaft nicht Kinder haben kann. Wir wollen uns nicht ein Leitbild aufdrücken lasst, welches lautet: Du hast eine Verpflichtung, Kinder für diesen Staat und diese Gesellschaft zu bekommen. Nein, das ist keine emanzipatorische, sozialdemokratische Politik. Deswegen sagen wir, dass es gut ist, wenn geprüft wird, wie auch das Land Berlin die Mittel vom Bund abrufbar machen kann.

Ich sage Ihnen auch: Für uns als Sozialdemokraten ist natürlich ganz wichtig, dass diese öffentlichen Mittel auch für öffentliche Gesundheit ausgegeben werden. Wenn man hier also Programme auflegt, die man erst einmal prüfen muss, muss man schauen, wie diese auch gerade denjenigen Bevölkerungskreisen zugute kommen, die nicht so stark sind wie andere. Es geht auch darum, die Frage zu beantworten, warum die öffentlichen Mittel nicht zur Stärkung des Gesundheitsdienstes ausgegeben werden. Warum werden sie nicht in mehr Präventionsprogramme investiert? Nein, wir würden hier öffentliche Mittel für individualmedizinische Leistungen ausgeben,

die dem einzelnen Schicksal helfen, einen Kinderwunsch zu erfüllen.

Medizinische Gründe sind nicht gottgegeben. Teilweise sind es nicht nur die Verhältnisse. Teilweise ist es auch die individuelle Lebensplanung, während der man als Vater oder Mutter sagt, jetzt keine Lust zu haben, ein Kind zu bekommen, und möchte es in eine spätere Lebensphase verschieben. Natürlich ist es so, dass gerade in der späteren Lebensphase auch medizinisch die Reproduktionsleistung nicht mehr so ist wie in der jüngeren Lebensphase. Automatisch dann zu sagen, dass dort jemand aufgrund seiner individuellen Lebensplanung öffentliche Mittel in Anspruch nehmen können soll, um dann doch Kinder zu gebären, ist auch so einfach nicht zu machen.

Insofern freue ich mich und stehe dazu, dass wir diese Diskussion im Ausschuss führen. Der Senat wird prüfen. Wir werden schauen, ob wir öffentliche Mittel und andere Mittel durch Stiftungen akquirieren. Diese könnten auch in einen entsprechenden Kinderfondspool einzahlen. Man muss schauen, was das richtige Instrument ist. Es wäre ohnehin in Ruhe zu erörtern, wer davon begünstigt werden soll, was die medizinischen oder sozialen Ausschlusskriterien sein sollen. Die Diskussion wollen wir aber führen und auch entsprechende Programme auflegen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Kollege Isenberg! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Dr. Albers das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Mit dem Kinderwunsch ist das so eine Sache. Meine Partei hatte dazu bereits 2009 einen entsprechenden Antrag Drucksache 16/11663 – Kürzungen bei künstlicher Befruchtung zurücknehmen – in den Bundestag eingebracht. Den haben alle anderen Parteien abgelehnt.

Der Bundesrat hat nun im letzten Jahr zu dem Problem einstimmig – auch mit der Stimme Berlins – einen eigenen Antrag beschlossen, den wiederum die Bundesregierung abgelehnt hat. Dieser Gesetzentwurf sah vor, § 27a im Sozialgesetzbuch V so zu ändern, dass der Bund die Kosten einer Kinderwunschbehandlung zu 25 Prozent mitfinanzieren sollte, um dadurch die Kosten für die betroffenen Paare auf ebenfalls 25 Prozent zu senken. Zu dem Hintergrund ist schon etwas gesagt worden. SPD und Grüne haben mit ihrem GKV-Modernisierungsgesetz zum 1. Januar 2004 die Begrenzung der Leistungen auf diese 50 Prozent eingeführt. Nicht nur das: Gleichzeitig haben sie die möglichen Behandlungsversuche von vier auf drei reduziert und zudem auch noch unsinnige Alters

grenzen eingeführt, Herr Thomas, die sachlich durch nichts zu rechtfertigen sind. Die Kostenerstattung durch die GKV wird erst ab einem Alter von 25 Jahren gewährt, obwohl bei einem zeugungsunfähigen Paar, wenn die Frau 22 Jahre alt ist, klar ist, dass sich das Problem dieses Paares ohne Behandlung auch in den verbleibenden drei Jahren nicht lösen wird. Ebenso wenig ist einzusehen, warum die Behandlung jetzt nur bis zum 40. Lebensjahr gewährt wird und bei einer 42jährigen Frau nicht mehr sinnvoll sein soll. Das ist schlicht diskriminierend.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]