Sie haben diesen Brief auch als Appell, als konkrete Einlösung unseres Bekenntnisses als Abgeordnetenhaus von Berlin verstanden, das am 2. April 2009 beschlossen hat:
Das Land Berlin bekennt sich zur sexuellen Vielfalt. Vertreterinnen und Vertreter des Landes Berlin setzen in der Öffentlichkeit deutliche Zeichen für das Erfordernis ihrer Akzeptanz: Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund der sexuellen Orientierung oder aufgrund der Geschlechtsidentität hat in Berlin keinen Platz.
Sie haben das Gefühl nicht zu Unrecht. – Meine Damen und Herren! Wir haben gleich eine namentliche Abstimmung. Dafür bitte ich ohnehin um Konzentration. Wir haben hier ein Grundprinzip, nämlich dem Redner zuzuhören oder hinauszugehen. Ich bitte, dem Kollegen so viel Respekt entgegen zu bringen. – Bitte schön, Herr Dr. Lederer!
Der Senat von Berlin und das Abgeordnetenhaus sind in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem sie diese Botschaft bei jeder geeigneten Gelegenheit im städtischen bis hin zum internationalen Rahmen nachdrücklich öffentlich vertreten.
Frau Kollegin Bentele! Ich hätte kein Problem damit, wenn sich Berlin und das Abgeordnetenhaus auch in Bezug auf andere Menschenrechtsverletzungen in dieser Weise – wie Sie es sagen – binden würden.
Wes Geistes Kind Sie sind, haben Sie deutlich gemacht, als Sie hier von Gruppeninteressen gesprochen haben. Menschenrechtsverletzungen betreffen immer die Menschheit als Ganzes. Jede Menschenrechtsverletzung gegen Einzelne richtet sich immer gegen die Gesellschaft.
Es geht hier nicht darum, Lobbyismus für Schwule zu machen. Das machen Teile Ihrer Partei. Das machen Teile der SPD. Es geht hier darum, Menschenrechte einzufordern. Menschenrechtsverletzungen sind etwas Anderes. Dabei kann man sich nicht auf Formalia zurückziehen, auf im Übrigen ohnehin nicht zutreffende staatstheoretische Erwägungen über die Verteilung zwischen Bund und Ländern in Sachen Außenpolitik.
Es ist uns damals leider nicht gelungen, die Beschlussfassung über das Gesetz in der St. Petersburger Stadtduma aufzuhalten. Mehr noch: Was in St. Petersburg beschlossen worden ist, hat negative Vorbildwirkung für andere Kommunen und jetzt offenbar für die russische Staatsduma.
Es ist erschütternd, wie die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Trans- und Intersexuellen, wie tagtäglich immer noch in vielen Ländern der Erde die Menschen, Bedrohungen ausgesetzt sind oder mit Füßen getreten werden. Sind es in Frankreich Ultrareaktionäre und Konservative, die gegen einen progressiven Akt der Nationalversammlung sogar mit Gewalt mobil machen, geht in Russland – sollte dieses Gesetz Wirklichkeit werden – die Gewalt vom Staat aus. Hier ist Solidarität nötig, hier insbesondere, laut und vernehmbar.
Das geplante Gesetzesvorhaben verstößt gegen den Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Russland hat die EMRK unterzeichnet, Deutschland auch. Hier muss ein klares Zeichen her. Berlin hat eine Städtepartnerschaft mit Moskau und sucht den kritisch-freundschaftlichen Diskurs.
Bei Menschenrechtsverletzungen bedarf es allerdings klarer Worte. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Antrag von allen Fraktionen eingereicht worden wäre, so, wie wir damals alle den Brief geschrieben haben. Dass das nicht der Fall ist und dass sich die Koalition heute sogar der Sofortabstimmung entziehen wollte, sät Zweifel. Was bitte sind die Gründe für diese Positionierung, und was sollen die formalen Argumente, die Sie vorgetragen haben? Lieber Herr Schreiber! Was Sie hier Herrn Birk unterstellt haben, ist eine Diffamierung, die ich zurückweisen möchte.
Es reicht eben nicht, Herr Wowereit, Herr Schreiber, Herr Evers, Flaggen aufzuziehen und sich auf Empfängen der Communities präsent zu zeigen. Diese Koalition kürzt bei der Lesbenberatung im laufenden Haushaltsjahr, enthält sich im Bundesrat bei der Gleichstellung in Sachen Steuerrecht, tritt sexueller Diffamierung eines honorigen Gutachters in der BVV Mitte durch einen CDU-Bezirksverordneten nicht entgegen –
und lässt in der Debatte um die ISV 2.0 zweifelhafte Familienbilder relativieren, wie Sie es damals getan haben, Frau Bentele. Schade! Ich hoffe, dass Sie sich jetzt trotzdem für eine Zustimmung entscheiden können. – Vielen Dank!
Meine Damen und Herren! Die namentliche Abstimmung ist beantragt. Wir werden Sie durchführen. Ich bitte den Saaldienst, die vorgesehenen Tische aufzustellen. Sie kennen das, links und rechts an den Seiten des stenografischen Dienstes. Dann bitte ich die Beisitzerinnen und Beisitzer nach vorn. Eine namentliche Abstimmung ist mit Namensaufruf durchzuführen. Das steht in § 71 der Geschäftsordnung. Frau Kollegin Haußdörfer ist schon sehr bewandert im Aufrufen der Namen. Ich denke, dass Sie die Zustimmung des ganzen Hauses haben. Die Stimmkarten werden Ihnen durch Präsidiumsmitglieder ausgegeben. Ich weise darauf hin, dass die tatsächliche Stimmabgabe erst nach Namensaufruf möglich ist. Nur so ist ein reibungsloser und geordneter Wahlgang möglich. Sie finden Urnen vor, die eindeutig gekennzeichnet sind, eine Urne für die Ja-Stimmen, eine Urne für die NeinStimmen, eine Urne für die Enthaltungen sowie für die nicht benötigten restlichen Karten und Umschläge.
Ich eröffne also die Abstimmung über die genannte Drucksache und bitte, mit dem Namensaufruf zu beginnen.
Gibt es noch einen Kollegen, der nicht abgestimmt hat? – Das ist nicht der Fall, dann schließe ich den Wahlgang und unterbreche die Sitzung bis zur Verkündung des Ergebnisses.
Ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen; uns liegt ein Ergebnis vor. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung verkünde ich wie folgt – es geht um die Drucksache 17/0998, das wissen Sie –: abgegebene Stimmen 141, Ja-Stimmen 58, Nein-Stimmen 83. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 4.5. Da hatte die SDP keine Priorität angemeldet, also kommen wir zu
Ich eröffne die erste Lesung. Pro Fraktion gibt es wieder bis zu fünf Minuten Redezeit. Es beginnt der Kollege Lauer für die Piratenfraktion. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen mich verwundert, denn dieser Antrag ist kein Antrag der Piratenfraktion, sondern einer der Koalition. Anscheinend hat diese keinen Redebedarf gehabt, so kommt es jetzt, dass ich dazu sprechen muss.
Es ist ein wenig verwunderlich, was hier beantragt wird, nämlich eine Gebühr für den Kirchenaustritt in Berlin. Das bedeutet, wenn Sie in Berlin einer Religionsgemeinschaft angehören, die eine Kirchensteuer einzieht – also die katholische Kirche, die Protestanten –, dann müssen Sie 30 Euro bezahlen, wenn Sie aus dem Laden rauswollen.
Das ist verwunderlich vor dem Hintergrund, dass es hier im Haus noch vor wenigen Monaten bei der Debatte darum, dass das Land Berlin die Kirchensteuer nicht mehr für die Kirchengemeinschaften einziehen soll, hieß, ja, ja – –
Es wird auf der Regierungsbank laut geredet, es wird in den Abgeordnetenreihen laut geredet. Bitte gehen Sie doch raus, wenn Sie sich unterhalten wollen, und hören Sie dem Redner zu!
Da wurde bei der Debatte um die Kirchensteuer und darum, dass das Land Berlin das nicht mehr einziehen soll, gesagt: Das ist alles ein so wunderbar hocheffizienter Prozess, das ist so kostendeckend, da entstehen dem Land Berlin keine Kosten, und wir kommen am Ende sogar mit ein bisschen mehr raus. – Da kann ja nur das eine stimmen: Entweder ist das mit der Kirchensteuer für das Land Berlin so kostendeckend, dass es dann auch nicht nötig ist, den Leuten eine Gebühr abzuziehen, wenn sie eine Religionsgemeinschaft verlassen wollen, oder das andere ist der Fall. Dann wäre es aber empfehlenswerter, wenn das Land Berlin mit den Kirchen dort nachverhandelt: Leute, da entstehen uns dadurch Kosten, dass die Menschen austreten, bitte, wir wollen mehr Geld haben. Es ist für uns als Fraktion nicht nachvollziehbar, warum jetzt diese 30 Euro erhoben werden sollen, insbesondere vor dem Hintergrund – und das wird interessant zu beobachten sein –, dass der Service schlecht ist.
Überlegen Sie sich, Sie sind minderjährig, Sie werden getauft, die Kirche gibt das an die Ämter weiter, die Ämter bekommen das, die Finanzämter bekommen das aktiv übermittelt. Wenn ich aus der Kirche austrete – in diesem Januar geschehen, da gab es wieder so einen schönen Bericht über die katholische Kirche und die Schweinereien, die in Bezug auf Kindsmissbrauch wieder zu vertuschen versucht worden sind –, wenn Sie also in Berlin aus der Kirche austreten wollen, dann wird das vom Amtsgericht natürlich nicht automatisch an die Finanzbehörde übermittelt, sondern da wird Ihnen einfach gesagt: Ja, das hier ist ein Dokument, das bekommen Sie nur einmal, da müssen Sie noch mal selbst zum Finanzamt gehen und sich auch von der Kirchensteuer abmelden. – Also, das ist ja nicht unbedingt der Service, den man für eine Gebühr von 30 Euro erwartet. Da besteht dann unserer Meinung nach wenigstens Nachbesserungsbedarf, dass den Bürgern erspart wird, wenn sie 30 Euro bezahlen sollen, dass wenigstens das Finanzamt automatisch über diesen Kirchenaustritt informiert wird.
Eine Sache noch, und da wird sich zeigen, wie wir das machen, ob es noch einen Antrag von uns geben wird, weil wir diesen Antrag hier natürlich in Gänze ablehnen: In Deutschland ist man mit 16 Jahren religionsmündig. Sie können mit 16 aus der Kirche austreten. Einem 16Jährigen, einer 16-Jährigen, die sagt: Ja, ich bin mit der Entscheidung, dass mich meine Eltern haben taufen lassen, nicht mehr so ganz zufrieden, ich würde gerne aus dem Laden raus –, soll dann also der Kirchenaustritt mit dieser Gebühr von 30 Euro erschwert werden. Das finden wir auch nicht gut. Es wäre das Mindeste, dass dieses Gesetz so abgeändert wird, dass sozial Schwache und Minderjährige diese Gebühr nicht entrichten müssen.
Wie Sie sehen: Wir können nicht verstehen, warum diese Gebühr jetzt auf einmal erhoben werden soll. Wir sind natürlich gespannt auf die Argumente der Koalition und
natürlich auch gespannt darauf, warum es keine Änderung geben soll, dass die Daten übermittelt werden sollen und die Minderjährigen und sozial Schwachen auch diese Kirchenaustrittsgebühr bezahlen sollen, wenn das Verhältnis mit der Kirche und dem Land Berlin ach so kostendeckend ist, wie das hier in der Vergangenheit behauptet worden ist. – Vielen lieben Dank!
Danke sehr, Herr Kollege Lauer! – Für die SPD hat jetzt der Kollege Verrycken das Wort. Wo ist er? – Da kommt er. – Ich wähnte Sie aus der anderen Ecke kommend. – Bitte schön!