Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der Piraten jetzt der Kollege Höfinghoff!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Piratenfraktion beantragt eine Aktuelle Stunde mit dem Titel

Jenseits der Einbürgerungsfeiern – wie ist es um die Willkommenskultur für Schutzsuchende in Berlin bestellt?

Dieser Titel ist durch meine Fraktion wohlüberlegt eingereicht worden. Immer wieder lassen sich Bezirksbürgermeister und -bürgermeisterinnen oder Senatoren und Senatorinnen dieser Stadt lächelnd neben freudestrahlenden Menschen ablichten, die gerade die deutsche Staatsbürgerschaft errungen haben. Für diejenigen aber, die gerade eine neue Staatsbürgerschaft angenommen haben, war das oft ein verdammt weiter und steiniger Weg – ganz im Gegensatz zu dem, was uns die Koalition mit ihrem angemeldeten Titel suggerieren will. Einbürgerungsverfahren in Berlin dauern teilweise 16 oder mehr Monate. Das ist unverantwortlich. Menschen, die vor Krieg, Folter und Tod bei uns Schutz suchen, haben es verdient, hier mit offenen Armen aufgenommen zu werden.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Was sie bekommen, ist Repression durch rassistische Gesetze, die Bewegungsfreiheit, freie Selbstentfaltung, das Recht auf Arbeit und die Menschenwürde beeinträchtigen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie begegnen aber auch Kommentaren von Nachbarn oder den viel beschworenen angeblich berechtigten Ängsten von Anwohnern, wie sie immer wieder von Politikern in Deutschland gezeichnet werden. Auf diese wird gern eingegangen. Die Flüchtlinge selbst werden ohne Betreuung mit ihren Traumata und Ängsten allein gelassen.

Als die Presse in Hellersdorf mit Anwohnern sprach und nach deren Ängsten fragte, bekam sie Antworten, die leider nicht auf berechtigte Sorgen schließen lassen, sondern vielmehr auf mehr oder weniger bewusste rassistische Ressentiments. Da hört man durch die Bank eine Argumentation, die mit den Worten: Ich bin ja kein Rassist, aber … – beginnt. Leider folgt auf diese Einleitung bekanntermaßen immer ein irgendwie gearteter rassistischer Verbalausfall.

In Hellersdorf ging die rassistische Stimmungsmache noch viel weiter. Die sogenannte Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf, die nachweislich von mehreren

(Harald Wolf)

Nazikadern zumindest mitbetrieben wird, bietet auf ihrer Facebookseite Platz für alles, von rassistischen Beschimpfungen gegen Flüchtlinge bis hin zu unverhohlenen Drohungen gegen die Sammelunterkunft und ihre Bewohner und Bewohnerinnen. Auch von Brandanschlägen war die Rede. Die Politik muss sich in solchen Fällen klar positionieren und Vorurteile als das benennen, was sie sind, anstatt ihnen aus Angst, vermeintliche Wähler zu verlieren, Vorschub zu leisten.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wenn sich jemand hinstellt und sagt, die Flüchtlingskinder würden den eigenen das Brot wegnehmen, dann muss ein Politiker das Übel beim Namen nennen und sagen: Das ist Rassismus. Mit berechtigten Sorgen hat das nichts zu tun.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die neuen Einwohner und Einwohnerinnen von Hellersdorf und den anderen Sammelunterkünften haben es verdient, dass sie offen aufgenommen werden. Wenn das nicht von allein passiert, ist die Berliner Politik verpflichtet, entsprechend einzuwirken, da, wo es nicht anders geht, ein vernünftiges Sicherheitskonzept zu liefern.

Immerhin gibt es auch eine Anzahl Menschen, die versuchen, den Flüchtlingen in Berlin ein echtes Willkommensgefühl zu vermitteln. Sie spenden Kleidung, Spielzeug und Dinge des täglichen Bedarfs und laufen tags und nachts zum Schutz des Heimes durch den Kiez oder bereiten direkte Hilfe für die Asylsuchenden ehrenamtlich vor. Das ist Willkommenskultur!

Was kommt vom Senat? – Leider nichts.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD. Wer diesem Thema – Stichworte: Recht auf Schutz und Asyl – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen und auch der fraktionslose Kollege. Gibt es Gegenstimmen? – Oder Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Somit rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 auf. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die

dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von einem Senatsmitglied für die heutige Sitzung: Herr Senator Heilmann ist ganztägig abwesend. Grund ist die Teilnahme an der Agrarministerkonferenz in Würzburg vom 29. bis 30. August.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Mündliche Anfragen

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Drucksache 17/MA34

Bevor ich die erste Frage aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Reihenfolge um den Tausch der Fragen Nr. 8 und Nr. 12 gebeten hat. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Die erste Mündliche Anfrage stellt der Kollege Joschka Langenbrinck von der SPD-Fraktion zum Thema

Wohnsituation der Roma – was unternimmt der Senat?

Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Was unternimmt der Senat, um sicherzustellen, dass die ehemalige Laubenkolonie an der Neuköllner Aronsstraße, in der Roma ohne Trinkwasser und ohne Abwasser- und Müllentsorgung bis vergangenen Freitag lebten, nicht wieder für die unwürdige Unterbringung von Menschen genutzt werden kann?

2. Was unternimmt der Senat, um die nicht selten menschenunwürdige und überteuerte Wohnsituation der Roma in Berlin zu verbessern?

Vielen Dank! – Es antwortet Frau Senatorin Kolat. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Langenbrinck! Ich beantworte Ihre erste Frage wie folgt: Einleitend möchte ich daran erinnern, dass es sich bei den meisten Romafamilien in Berlin um Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union aus Bulgarien und

(Oliver Höfinghoff)

Rumänien handelt. Es gibt auch aus anderen Ländern wie Polen und Serbien Romafamilien in Berlin, aber die Erstgenannten sind die größten Gruppen. Das bedeutet, dass auch für sie das EU-Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit gilt. Da aber die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit erst am Januar 2014 gilt, haben sie keinen unmittelbaren Zugang zu Hilfen zum Lebensunterhalt. Deshalb sind sie im Fall von Wohnungslosigkeit – darum geht es letzten Endes in Ihrer Frage – in einer besonders prekären Lage.

Bei der ehemaligen Laubenkolonie an der Neuköllner Aronsstraße handelt es sich um ein der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt unterstelltes Gelände. Die Lauben sind nach Auskunft des Bezirksamts Neukölln inzwischen abgerissen worden.

Die Integrationsbeauftragte des Senats hat am 22. August 2013 Kenntnis von diesem Vorfall erhalten – es hat dazu ja auch Medienberichterstattung gegeben – und umgehend sichergestellt, dass die von ihr beauftragte mobile Beratungsstelle für EU-Wanderarbeiterinnen, Wanderarbeiter und Roma diese Familien berät und Hilfe anbietet. Die Roma-Organisation Amaro Foro betreut die Familien und ist derzeit dabei, langfristige Lösungen mit ihnen zu finden.

Zu Ihrer Frage 2, was die grundsätzliche Strategie angeht: Der Senat hat am 16. Juli 2013 seinen jetzt dem Abgeordnetenhaus als Vorlage – zur Kenntnisnahme – unterbreiteten Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma beschlossen. Sie wissen, dass der Senat sich im Vorfeld schon mal mit dem Thema befasst und eine Strategie entwickelt hat. Wir haben diese Strategie nicht nur umgesetzt, sondern mit dem Aktionsplan optimiert und noch weiter vorangebracht. Darin heißt es zum Thema Wohnen und Konflikt im Stadtraum:

In Berlin haben es viele Personenkreise, u. a. Geringverdienende, Transferleistungsbeziehende und Verschuldete schwer, eine ihrem Einkommen entsprechende Wohnung anzumieten.

Die Zahl der Wohnungslosenhaushalte ist in Berlin seit 2010 generell angestiegen. Diese Situation wirkt sich auch auf Romafamilien aus. Sie suchen deshalb Unterschlupf bei Bekannten oder gehen auf Angebote von unseriösen Vermietern ein. Oftmals leben Erwachsene und Kinder auf sehr engem Raum in vernachlässigten Wohnobjekten zusammen.

Auf Vermieterseite werden u. a. die Unkenntnisse des deutschen Mietrechts, Verständigungsprobleme sprachlicher und kultureller Art, der Bedarf nach einer festen Meldeanschrift, sowie die Diskriminierung von Roma auf dem regulären Arbeitsmarkt ausgenutzt. Es werden Miet- und Untermietverträge zu weit überhöhten Preisen abgeschlossen oder Familien je nach Bedarfslage der Vermieter dazu angehalten, ihre Wohnung zu verlassen. Roma, die keine Unterkunft haben, übernachten unter anderem

in Pkws auf öffentlichen Parkplätzen oder in Parkanlagen, was uns auch hin und wieder auffällt.

Die Wohnsituation der Roma wird von den Bezirken als sehr schwierig eingeschätzt. Im Rahmen unseres Aktionsprogramms haben wir festgestellt, dass fast alle Bezirke interessiert sind, an einer Lösung mitzuarbeiten. Die Strategie des Senats lautet an dieser Stelle aus diesem Grund, eine aufsuchende Beratung zum Mietrecht voranzubringen und die Roma über ihre Rechte sowie die Berliner Mindeststandards sowie ortsübliche Preise aufzuklären. So können unzulängliche Wohnverhältnisse auf lange Sicht abgebaut, vermieden und Obdachlosigkeit verhindert werden.

Seit 2010 berät die seitens meiner Verwaltung geförderte Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sowie neu eingewanderte Roma unter anderem in Wohnungsfragen gezielt. Hier ist die Strategie des Senats, gezielte Mieterberatung für diese Personengruppe durchzuführen. Der Senat hat mit dem Aktionsplan zu diesem Handlungsfeld drei Maßnahmen festgelegt, die mittelfristig zu einer Lösung führen sollen.

Erstens: Roma mit Wohnungs- und Mietproblemen werden in speziellen Veranstaltungen Informationen über ihre Rechte als Mietende und bei Bedarf individuelle Beratungen und juristische Unterstützung erhalten. Sie werden darin unterstützt, eigene Handlungsstrukturen, wie zum Beispiel Mietergemeinschaften, aufzubauen.

Die zweite Maßnahme zur Bekämpfung unseriöser Vermietungspraktiken: Über eine Rechtsberatung hinaus wird der Senat gemeinsam mit den Bezirken alle rechtlichen Anstrengungen unternehmen, um unseriöse Mietpraktiken aktiv zu bekämpfen. Da gibt es bereits erste Erfolge.