Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

[Beifall bei den GRÜNEN – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Und ehrlich währt am längsten!]

Das sind die Tatsachen. Auf der Aufgabenseite reden wir hier miteinander beim Thema Stadtwerk und beim Thema Wohnungsbau und Unterstützung unserer angeschlagenen Wohnungsbaugesellschaften darüber, ob wir aus dem Haushalt eine solide Finanzierung und Eigenkapitalzuführung darstellen oder ob wir alles so machen wie Sie, 6 Milliarden Euro Schulden ohne einen einzigen Eigenkapitalanteil, alles nach dem System Heuschreckenfinanzierung – die Schulden werden den betroffenen Unternehmen übergeholfen, egal, ob sie Stadtwerk, Wohnungsbaugesellschaft oder Wasserbetriebe heißen. Das ist die Auseinandersetzung, die wir an dieser Front haben, Herr Nußbaum.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dann sage ich Ihnen noch etwas zum Bunker: Ja, da gehe ich an Ihren Bunker ran, um offen diese Zwecke zu formulieren, von denen Sie sprachen, für Infrastruktur, für das Stadtwerk, für den Wohnungsbau. Da gehen wir ran. Warum? – Weil ich Ihnen auch diese Nummer – das haben wir beim letzten Mal schon gesagt – nicht länger durchgehen lassen will. Wir reden hier über Einnahmen und haushaltspolitische Spielräume, die der Senat beharrlich verleugnet, obwohl sie vorhanden sind, um ihre Verwendung – und das ist der Zweck Ihrer Übung – der öffentlichen Debatte und der Verfügung durch uns hier, den Haushaltsgesetzgeber, zu entziehen.

[Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Reden Sie von Lottomitteln?]

Der Kollege Schneider hat dieses System der doppelten Buchführung zur „strategischen Reserve“ geadelt. Ich finde das zu ehrerbietig gegenüber dem Senat, Kollege Schneider.

[Torsten Schneider (SPD): In dem Ruf stehe ich nicht!]

Normalerweise nicht, war untypisch. – Tatsache ist doch, wer eine derartige Reserve anlegt, Herr Wowereit, verhält sich demokratiefeindlich und hat die Verfassung der Bundesrepublik gegen sich, denn die schreibt bekanntlich vor, und das wissen Sie genau, dass in einem Haushaltsplan alle Einnahmen und Ausgaben vollständig zu veranschlagen sind. Ich betone noch mal, weil sie da immer so taub sind: vollständig. Und das hat einen guten Sinn. Über die vorhandenen Mittel und deren Verwendung wird nach dem Willen der Verfassung in der Haushaltsberatung des Parlaments, und die beginnt jetzt gerade, entschieden und nicht in den Hinterzimmern des Senats und auch nicht in den Hinterzimmern von irgendeiner Regierungspartei.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vorhandene Haushaltsspielräume zu unterschlagen, Herr Nußbaum, das ist kein Kavaliersdelikt einer vorsichtigen Regierung, sondern ein Anschlag auf das Königsrecht von uns Abgeordneten, weil wir ganz allein darüber entscheiden, wofür Geld ausgegeben wird und wofür nicht, ob ein Kredit aufgenommen wird oder ob getilgt wird. Das ist unsere Entscheidung und nicht Ihre, und die lassen wir uns auch nicht nehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Im Übrigen sind wir erwachsene Menschen und keine Horde ausgabenwütiger Kindsköpfe,

[Lars Oberg (SPD): Doch!]

die von einer neunmalklugen Finanzverwaltung domestiziert werden müssen. Und daran nachdrücklich zu erinnern, scheint mir zu Beginn der Haushaltsberatungen angesichts Ihrer Rede durchaus angebracht. Die Abgeordneten unserer Fraktion haben jedenfalls vor, ihr Haushaltsrecht selbstbewusst wahrzunehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Jetzt fragen Sie: Über welche Spielräume reden wir denn in Euro und Cent? – Ich will Sie jetzt nicht mit komplizierten Herleitungen langeweilen – wir haben die Beratungen im Hauptausschuss noch vor uns –, aber unterm Strich lautet die Botschaft ziemlich eindeutig: Der voreilig an die Wand gemalte Zensusschock von 940 Millionen Euro in diesem Jahr und 470 Millionen Euro im nächsten Jahr, findet faktisch nicht statt. Die Einnahmen, wie Sie selber gesagt haben, steigen kräftiger als geplant, und die Einwohnerzahl Berlins steigt auch stärker als beim Zensus und in Ihrer Finanzplanung unterstellt, und beide Entwicklungen, zusammen mit Minderausgaben, die wir haben, werden die Zensusfolgen kompensieren. Das werden wir auch im Jahresabschluss des Jahres 2013 sehen. So weit ist das heute bereits Fakt, Herr Nußbaum, und nicht nur Vermutung. Unstrittige 730 Millionen Euro Überschuss allein im ersten Halbjahr 2013 sprechen eine klare Sprache, vor Zensus, und zeigen, wie richtig die Oppositionsfraktionen lagen, als sie in der letzten Debatte dieser Art einen Bunker von mehr als 1 Milliarde Euro im laufenden Haushalt aufgedeckt haben. Und was den Haushaltsplan für die nächsten Jahre angeht, können wir, ohne uns zu überheben, würde ich mich einmal rauslehnen, etwa die Hälfte der genannten Summe ausgeben. Was geht, wird sich im Übrigen im Jahresverlauf und in der Haushaltsberatung zeigen. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie einen Teil dieser Haushaltsreserve für das Flughafendesaster verausgaben wollen, Herr Nußbaum, auch wenn Sie das hartnäckig leugnen und heute hier in der Sitzung als Tilgung deklarieren.

Ich sage Ihnen dazu, wir Grüne sehen überhaupt nicht ein, dass für das Versagen von Herrn Wowereit unsere Beamten mit Gehaltsverzicht blechen und die Berlinerinnen und Berliner auf bezahlbaren Wohnraum und ein handlungsfähiges Stadtwerk verzichten. Exakt so ist das ja in Ihrem Haushaltsplan vorgesehen. Sorry, da machen wir nicht mit.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir Grüne konzentrieren uns auf andere Problembereiche, die im Haushaltsentwurf des Senats völlig unterbelichtet sind, und da sind wir uns zum Teil ja sogar einig: Wir wollen den Sanierungsstau angehen. Wir haben uns die verschiedenen Vorlagen zum Sanierungsstau im Bereich der öffentlichen Gebäude aufmerksam angesehen und kommen auf einen Gesamtbedarf von rund 12 Milliarden Euro, das ist vorsichtig geschätzt, nur in den Gebäuden. 8 Milliarden ungefähr in den Gebäuden von Land und Bezirken, 2 Milliarden bestimmt bei den Hochschulen, 2 Milliarden ganz sicher bei den Krankenhäusern.

Der rot-schwarze Doppelhaushaltsentwurf plant da keinen Schwerpunkt ein, sondern höchstens 600 Millionen Euro an Ausgaben. Da rechne ich schon alles zusammen, was es für Bauunterhalt und Bauinvestitionen gibt, was es im Wirtschaftsplan der BIM gibt, was es an investiven Zuschüssen an Hochschulen, Krankenhäuser und andere gibt. Da würden wir 20 Jahre brauchen, um den Sanierungsstau abzuarbeiten, und das ist uns eindeutig zu lang.

[Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Senator Mario Czaja]

Ja, das müssen Sie aber, solange Sie solche Haushalte schreiben. – Mit 50 bzw. 80 Millionen Euro Verstärkung im Doppelhaushalt wollen wir hier einsteigen in eine andere Logik und im Übrigen die Gebäudesanierung eng mit der Gründung eines Stadtwerks und der dezentralen Energieerzeugung, über die wir ja heute gesprochen haben, verknüpfen.

Ich sage Ihnen, dieser ganze Verfall von Infrastruktur ist eine Form der Verschuldung, die ganz besonders teuer ist. Das Einzige, Herr Nußbaum, wo wir vielleicht miteinander ins Geschäft kommen, ist, dass auch Sie auf der Pressekonferenz gesagt haben: Na ja, der Tilgungsüberschuss, den ich da ausweise, der muss nicht unbedingt 735 Millionen sein, wenn einer eine gute Idee dafür hat, dass wir es in die Infrastruktursanierung stecken. – Da bin ich ganz an Ihrer Seite. Das ist kompatibel, aber ich lasse das nicht gegeneinander ausspielen.

Liebe Kollegen von der CDU, noch mal zum Stadtwerk: Sie haben sich da in die unfruchtbare Frage verkämpft: privat oder staatlich. Ich möchte Sie einmal mit Blick auf die Politik der alten, großen Strommonopolisten, egal ob die RWE oder Vattenfall heißen, fragen: Glauben Sie eigentlich, dass Vattenfall uns Windräder auf die Riesel

felder und ehemaligen BSR-Deponien baut? Glauben Sie, dass Vattenfall uns hilft, Reststoffe wie Laub oder Klärschlamm energetisch zu verwerten statt teuer zu entsorgen? Glauben Sie, dass uns Vattenfall Blockheizkraftwerke an Verwaltungsstandorten wie dem Fehrbelliner Platz errichtet? Ich glaube das nicht! Bislang stehen die Gebietsmonopolisten überall in Deutschland auf der Bremse bei der Energiewende, die doch unsere gemeinsame Angelegenheit ist, weil sie einzig und allein, die Auslastung ihrer alten Kohle- und Atomkraftwerke im Auge haben und die neue Konkurrenz eher bekämpfen statt fördern.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Deswegen brauchen sie Konkurrenz. Das müssen wir dann mit den Bürgern schon selber in die Hand nehmen und dazu allerdings auch das Stadtwerk mit dem nötigen Eigenkapital ausstatten. Dafür wollen wir – jawohl, Herr Nußbaum – im Doppelhaushalt 55 Millionen Euro in die Hand nehmen. Wir wollen ein Stadtwerk, das seinen Namen verdient, in die Energiewende investiert und mehr ist als ein weiterer Stromhändler, davon haben wir schon 200, mit 1,5 Millionen Euro Verwaltungskosten und 4 Millionen Euro Verlust, wie in Ihrem Haushaltsentwurf.

Dann kommen wir noch zu dem Thema, das besonders peinlich ist: soziale Wohnungspolitik. Das ist doch offensichtlich: Da verkämpft sich diese Koalition solange im Instrumentenkasten, der auch kompliziert ist, bis am Ende gar nichts mehr übrig bleibt. Der „Kurier“ titelte: „Berliner Senat bescheißt uns um billige Wohnungen“. So weit das Zitat. Die Wortwahl ist drastisch, aber in der Sache ist das Urteil zutreffend, wenn man sich dieses Waisenkind von Haushaltstitel im Einzelplan 29 anguckt, das von Ihrer monatelangen Debatte, mit der Sie die Stadt in Atem gehalten haben, übrig geblieben ist.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Dabei liegen die Dinge im Grundsatz doch einfach: Wir müssen als Land Berlin allen denen ein Dach über dem Kopf garantieren, die die inzwischen in Berlin aufgerufenen Mieten nicht aus eigener Kraft bezahlen können. Das geht nun einmal nicht ohne Subventionen, nicht bei den privaten Wohnungseigentümern, nicht bei unseren Wohnungsbaugesellschaften. Ob wir das in Form von Subjektförderung, in Gestalt von 1,4 Milliarden Euro KdU, 450 Millionen Euro Grundsicherung und 40 Millionen Euro Wohngeld tun oder in Zukunft wieder stärker in Form der Objektförderung mithilfe von Kapitalzuführungen, Zuschüssen oder zinslosen Darlehen – immer kommen die Kosten auf den Landeshaushalt zu, es geht nur um die intelligenteste und kostengünstigste Form, das Recht auf Wohnen, wie es in unserer Landesverfassung steht, umzusetzen. Umsonst gibt es das nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir ziehen die Objektförderung der Subjektförderung vor – anders als Sie, Herr Nußbaum, wenn ich Sie in dem Interview richtig verstanden habe. Aber mit Ihren zehn Millionen im Doppelhaushalt, Ihren 60 Millionen in der Finanzplanung und Ihren 128 Millionen in Ihren Verpflichtungsermächtigungen kommen Sie da nicht weit, das zeigt doch schon der Vergleich mit den Milliardenbeträgen, die als Subjektförderung jährlich in die Marktmieten fließen. Ihre Wohnungspolitik ist ein Witz, wenn es dabei bleibt. Wir wollen deswegen – nicht, weil wir immer mehr wollen, wie Sie – 65 Millionen Euro jährlich in einen Fonds aus Haushaltsmitteln stellen und so einen Fonds in zehn Jahren von 650 Millionen Euro aufbauen, denn damit könnten wir in den nächsten zehn Jahren ein Wohnungsprogramm von gut 2 Milliarden Euro mit IBBMitteln entwickeln und ein Investitionsvolumen vielleicht von fast 4 Milliarden Euro auslösen.

[Zuruf von der SPD]

Zusammen mit den Maßnahmen, die die Wohnungsbaugesellschaften bereits beschlossen haben, soll das am Ende dazu führen, dass wir vielleicht 50 bis 60 000 Wohnungen mit tatsächlich langfristig gesicherten sozial verträglichen Mieten haben. Selbst das, das wissen alle hier im Saal, ist gemessen am Bedarf wenig, aber eben auch an der Grenze des in Berlin Machbaren, solange sich die bundespolitischen Rahmenbedingungen nicht durchgreifend verändern und verbessern. In dem Sinne verabschiede ich mich jetzt in der Haushaltsberatung und hoffe in der Tat auch auf einen Wechsel in den Regierungsmehrheiten im Bund, der bei diesen und anderen haushaltsrelevanten Fragen behilflich sein wird.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Nur der Hinweis: Die Restredezeit für die Grünen beträgt 17 Sekunden. – Es spricht jetzt der Kollege Schneider für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage Ihnen allen zu: Unsere Restredezeit wird etwas länger sein. – Herr Kollege Esser! Ich fand es schon beeindruckend, dass Sie mehr als die Hälfte Ihrer Rede auf die Allgemeinplätze verwandt haben, bevor Sie überhaupt zum Haushalt selbst gekommen sind, aber geschenkt.

Ich will es wie folgt halten: Es liegt ein Senatsentwurf vor, der etwas Großes geleistet hat, denn er hat den Zensusschock aufgefangen und abgebildet, da hatten Sie alle Ihren Spaß, über strategische Reserven zu fabulieren. Ich sage, das war vorausschauende Politik, und das ist ein Markenkern der großen Koalition, insoweit vielen Dank an den Senat.

[Joachim Esser (GRÜNE): Wussten Sie, was da kommt?]

Aber diese Geschichte glauben Sie doch selber nicht, Herr Kollege Esser. Wir unter Fachleuten haben im Hauptausschuss genau mit Blick auf den Zensus doch diese strategische Vorausschau walten lassen. Wir haben uns da verabredet, daran wollen Sie sich jetzt nicht erinnern und tun so, als hätten Sie hier einen Skandal aufgedeckt. Entweder haben Sie da versagt, wenn Sie es dort nicht adressiert haben, oder Sie sagen hier nicht ganz die Wahrheit, das ist mir auch völlig egal. Ich halte diese Debatte einfach für Quatsch.

Nächster Punkt: Ich glaube, wir haben hier auch einen Haushalt erlebt, der genau das abbildet, was wir in der Gesamtheit wollen. Wir wollen vorausschauende Haushaltspolitik, die das übersteht, was auf uns zukommt, wenn all das nicht mehr in Rede steht, wenn der Länderfinanzausgleich sich verändert, wenn der Solidarpakt weg ist, wenn wir unsere Personalkosten fortschreiben – ich habe es schon in der letzten Rede zu diesem Thema gesagt –, wenn wir das jetzt nicht beginnen – nicht mit Sparen, sondern mit Vorsicht – und das umsetzen, was Sie, Herr Kollege Esser, jetzt aufgegeben haben. Sie waren doch mal ein Sparer, Sie waren doch mal ein Kritiker! Jetzt sind Sie nur noch einer, der sagt: Wir haben genug, und wir wollen ausgeben. Sie erwecken damit in der Stadt eine Erwartungshaltung, die sich strategisch nicht umsetzen kann.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Wenn das wahr wird, dann will ich mit Ihnen nie koalieren, Herr Kollege Esser!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Oliver Friederici (CDU): Bravo!]

Sie haben schlichtweg aufgehört, zur Stabilität beizutragen. Möglicherweise – ich kenne Ihre persönliche Lebensentscheidung nicht – ist das Ihre letzte Kampagne, und dann wollen Sie auch mal in die Möhre beißen.

[Heiterkeit]

Aber wir haben Verantwortung darüber hinaus, das ist doch der Fakt.

[Benedikt Lux (GRÜNE): So’ne kleine Möhre!]

Ich weiß, Ihre Möhren sind kleiner als unsere, das ist schon klar.

[Zurufe von den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich hoffe, dass wir jetzt nicht zu einer Gleichstellungskommission eingeladen werden.