Protokoll der Sitzung vom 12.09.2013

ringem Problembewusstsein, von Stillstand, und das ist nicht gut für Berlin.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wie ernsthaft der Vorstoß der Koalition in Sachen Mindestlohn ist, werden wir sehen. Zehn Tage vor der Bundestagswahl legen Sie diesen Gesetzentwurf vor. Das ist schon bemerkenswert, vor allem deshalb, weil Sie unseren Antrag 15 Monate im parlamentarischen Verfahren haben schmoren lassen und in dieser Legislaturperiode keine einzige Initiative in Sachen Mindestlohn ergriffen haben.

Es gab genügend Gelegenheiten. Es gab diverse Initiativen im Bundesrat in Sachen Mindestlohn, auch von CDU-regierten Ländern – keine einzige wurde von Berlin mitgetragen. Das ist der eigentliche Skandal.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Auf einmal haben Sie es extrem eilig in Sachen Mindestlohn. So eilig, dass Ihr Antrag vorab in den federführenden Fachausschuss zur Beratung überwiesen werden musste.

[Zuruf von der LINKEN: So etwas Peinliches aber auch]

Ist die Bundestagswahl ursächlich für Ihr Engagement in Sachen Mindestlohn? Oder wurde mit dem Antrag das Nein der SPD zum Volksentscheid Energie erkauft? Das wäre bitter und ein unwürdiges Geschacher obendrein.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Berlin braucht ein Landesmindestlohngesetz, das haben Sie zumindest erkannt. Nachdem Sie diese Hürde genommen haben, gehen wir davon aus, dass zukünftig auch die Einhaltung des Mindestlohns nach dem Berliner Vergabegesetz kontrolliert wird. Wir erwarten auch, dass sich Berlin zukünftig im Bundesrat in Sachen Mindestlohn nicht mehr enthält, sondern aktiv für einen flächendeckenden Mindestlohn eintritt.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich habe es schon im Ausschuss ausgeführt: Die Unterschiede zu unserem Gesetzentwurf sind marginal. Deshalb hätten Sie von der Koalition um der Sache willen auch einmal über Ihren Schatten springen können und das Verfahren, zum Beispiel durch einen Änderungsantrag, zu unserem Landesmindestlohngesetz abkürzen können. Das ist leider nicht geschehen. So fangen wir heute einmal mehr von vorne an und beraten den Antrag der Koalition.

Dieser enthält einen für uns ganz entscheidenden Knackpunkt: die Frage der Einbeziehung der Tarifvertragsparteien in § 9, wo es um die Höhe des Mindestlohnes geht. Hier formuliert die Koalition im Absatz 2: „Spitzenorganisationen der Tarifparteien können gehört werden.“ Die

(Birgit Monteiro)

Koalition setzt hier auf eine reine Kann-Lösung und damit auf maximale Unverbindlichkeit. Das verstehe ich nicht. Meine Damen und Herren namentlich von der CDU: Ist Ihnen die Linie nicht präsent, die CDU und FDP derzeit im Bund fahren? Im Gegensatz zum Wahlkampf 2005, wo Sie noch die Entmachtung der Gewerkschaften forderten, plädieren Sie nun für eine Stärkung der Arbeitnehmerorganisationen. Diesen Sinneswandel sollten Sie schnellstmöglich auf Landesebene nachvollziehen. Hier können Sie die Formulierung aus unserem Antrag übernehmen, die klar und präzise ist: Wir gewähren wahre Tarifautonomie mit der Landesmindestlohnkommission.

Worüber wir auch diskutieren müssen, ist § 2, in dem es um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. In Absatz 2 schließen Sie Menschen, die in Werkstätten für Behinderte arbeiten, grundsätzlich vom Landesmindestlohn aus. Das finden wir problematisch. Wir würden uns freuen, wenn wir hier zu einer Lösung kommen, die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, nicht benachteiligen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ansonsten haben wir uns noch gewundert, dass Sie in § 5, wo es um den Mindestlohn für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Beteiligung des Landes geht, eine Formulierung wählen, die vom Landesgleichstellungsgesetz abweicht. Aber wie gesagt, es sind alles in allem nur kleine Änderungen, und wir hoffen auf eine zügige Beratung und Verabschiedung des Landesmindestlohngesetzes, damit es, wie von Frau Monteiro im Fachausschuss angekündigt wurde, am 01. Januar 2014 in Kraft treten kann. Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Bangert! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Prof. Dr. Korte. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mindestlohndebatte beschäftigt dieses Haus heute nun zum vierten Mal in dieser Wahlperiode. Ich habe bei jeder Debatte gerne für meine Fraktion dazu gesprochen, und heute spreche ich dazu mit besonderer Freude, denn heute geht es nicht um fruchtlose Bundesratsinitiativen zum Mindestlohn. Diesmal ist es nicht die Opposition, die nur redet, sondern diesmal handelt die Koalition, denn wir bringen heute den Entwurf des Landesmindestlohngesetzes ein.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von der LINKEN: Wie viele sind denn davon betroffen?]

Die Koalition wird auch dafür sorgen, dass dieses Gesetz bald geltendes Recht wird. Und dennoch kann ich heute nicht anders, als mich im Kern meiner Aussagen zu wiederholen, und muss dabei auch über gar keinen Schatten springen.

Auskömmliche und faire Löhne sind seit jeher das Ziel der CDU. Leistung und Arbeit müssen sich lohnen. Leistung und Arbeit müssen sich mehr lohnen als Leistungsbezug. Wer Vollzeit arbeitet, muss ein existenzsicherndes Einkommen ohne Transferleistungen erreichen können.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Und warum hat er das nicht?]

Das habe ich bei den letzten Debatten zum Thema betont, und dazu bekennen wir uns als Union auch heute in aller Deutlichkeit. Weil wir uns auch als Koalition zum Ziel auskömmlicher und fairer Löhne bekennen, setzten wir mit dem neuen Landesmindestlohngesetz heute ein deutliches Zeichen. Dort, wo das Land Berlin selbst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt oder in mittelbarer Staatsverwaltung, über Beteiligungen oder Zuwendungen direkte Verantwortung trägt, werden wir einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro einführen. Wenn das Land Berlin auskömmliche und faire Löhne will, muss es mit gutem Beispiel vorangehen. Das war übrigens auch bisher schon so, denn die weitaus meisten Beschäftigten des Landes erhalten diesen oder einen höheren Lohn bereits jetzt.

Aber dieses Gesetz ist uns wichtig, weil es die Vorbildwirkung des Landes in dieser Frage noch wirkungsvoller macht. Was das Land kompetenzrechtlich nicht kann, und was wir als Union auch nicht wollen, ist, per Gesetz einen Mindestlohn für die Privatwirtschaft festzulegen.

Ja, wir wissen, dass es in manchen Branchen noch an auskömmlichen Löhnen mangelt. Wir wissen, dass immer noch zu oft unzureichende Löhne durch ALG II aufgestockt und damit öffentlich subventioniert werden. Darum befürworten wir auch eine bundesweite differenzierte Lohnuntergrenze, aber diese soll eben nicht vom Gesetzgeber, sondern durch eine Kommission der Tarifparteien festgelegt werden. Die Tarifautonomie muss erhalten bleiben, und durch das neue Landesmindestlohngesetz wird diese Tarifautonomie auch nicht beeinträchtigt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bangert?

Nein! Seien Sie mir nicht böse, in den letzten drei Debatten ist bei Zwischenfragen auch nichts Vernünftiges herausgekommen, und ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass Sie es noch lernen. Deswegen verzichte ich heute einmal auf die Zwischenfrage.

(Sabine Bangert)

[Elke Breitenbach (LINKE): Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten!]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition! Wir laden Sie ganz herzlich ein, das neue Gesetz über den Mindestlohn für den eigenen Bereich des Landes gemeinsam mit uns zu beschließen. Aber Ihre Belehrungen zu einem allgemeinen Mindestlohn in der Privatwirtschaft haben wir in der Union wirklich nicht nötig, gerade nicht von Ihnen als Grüne.

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Im Bund hat die schwarz-gelbe Koalition für 13 Branchen Mindestlöhne eingeführt. Die geltenden branchenbezogenen Mindestlöhne wurden unter CDUKanzlerschaft zusammen mit der FDP geschaffen, nicht von den Grünen – auch nicht unter Rot-Grün.

[Beifall bei der CDU]

Genau das ist erfolgreiche Politik für faire Löhne. Das lässt die Tarifautonomie bestehen. Diese Tarifautonomie ist auch eine der wesentlichen Grundlagen dafür, dass wir in Deutschland heute die höchste Beschäftigung haben, die wir jemals hatten: 2,5 Millionen zusätzliche Jobs in Deutschland, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist.

[Uwe Doering (LINKE): Wir reden über den öffentlichen Dienst in Berlin!]

Darum stehen wir dazu, und es bleibt dabei: Ja zu fairen und auskömmlichen Löhnen, Ja zum neuen Landesmindestlohngesetz für den Eigenbereich des Landes, aber auch ein klares Ja zur Tarifautonomie in der sozialen Marktwirtschaft. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Franziska Becker (SPD)]

Vielen Dank, Herr Professor Dr. Korte! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort die Frau Abgeordnete Breitenbach. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist es also so weit: Alle Fraktionen in diesem Haus möchten einen Mindestlohn, auch die CDU, irgendwie – man weiß nicht so genau wie, aber irgendwie schon. Deshalb ein Mindestlohngesetz für das Land Berlin. Die zentrale Forderung lautet: Mindestlohn für den öffentlichen Dienst inklusive Landesunternehmen. Zahlen haben Sie nicht, Sie können überhaupt nicht sagen, wen Sie damit erreichen würden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Schade eigentlich! Im öffentlichen Dienst, Herr Korte, und in den Landesunternehmen gibt es zum Glück einen

Tarifvertrag. Was ich nicht verstehe, wenn Sie mir hier immer etwas von Tarifbindung erzählen, warum greifen Sie dann nicht zu dem Weg, die Löhne, die niedriger sind, entsprechend im Tarifvertrag zu erhöhen. Das ist mir ein großes Rätsel.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wollen, genauso wie auch die Grünen, bei dem Landesmindestlohngesetz – ist ja irgendwie identisch, ist ja alles abgeschrieben, Plagiat sozusagen –, die landesseitigen Zuwendungen an die Bezahlung von Mindestlöhnen koppeln. Einmal abgesehen davon, dass Sie im Haushalt kein Stück Vorsorge dafür getroffen haben, denn dann müssten auch die Zuwendungen entsprechend steigen,

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

stellt sich, lieber Herr Korte, liebe Frau Monteiro, auch die Frage: Warum machen Sie nicht die Koppelung an eine tarifliche Bezahlung? Was ich damit sagen will: Diese Anträge auf Landesmindestlohngesetz von beiden – von Koalition und Grünen – verfolgen einen falschen Ansatz. Der Mindestlohn dient dazu, Menschen vor Armut zu schützen. Er ist die letzte Sicherungslinie. Vorher geht es darum, Tarifverträge zu stärken und die Tarifbindung zu stärken. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie lassen das außer Acht. Ich füge jetzt eines an, Frau Monteiro: Insofern ist Ihr Hinweis auf das Berliner Vergabegesetz auch richtig. Wenn Sie nämlich das Berliner Vergabegesetz einmal lesen würden, würden Sie feststellen, dass es dort eine Tarifbindung gibt. Wenn es keinen Tarifvertrag gibt, dann greift der Mindestlohn.

[Beifall bei der LINKEN]

Genau das möchten wir. Deshalb haben wir Ihnen einen Änderungsantrag vorgelegt. Wir möchten in Berlin ein Tarifbindungs- und Mindestlohngesetz. Das heißt, wir wollen ein Gesetz, das die Tarifbindung garantiert und dafür sorgt, dass tarifliche Standards in dieser Stadt durchgesetzt werden. Dort, wo es keine Tarife gibt, da gilt der Mindestlohn, wie gesagt, als letztes Netz.