Deshalb werden wir die Antworten, die uns heute geliefert worden sind – wenn man sie überhaupt als Antworten bezeichnen darf – jetzt noch einmal in Ruhe auswerten und sehen, welche weiteren Schlüsse wir daraus ziehen können.
Den Weg, mit Burschenschaften umzugehen, den der Senat zunächst im Fall Büge gewählt hat, ist auf jeden Fall der falsche, nämlich der, die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft pauschal als Privatsache und somit als unpolitisch anzusehen. Natürlich muss man jeden Einzelfall prüfen. Aber eine Burschenschaft wie die Gothia ist politisch, und zwar politisch rechtsextrem. Und wenn man feststellt, dass ein hochrangiger Politiker des Berliner Senats in einer solchen Verbindung aktiv ist, dann ist es für mich angezeigt, schnell und konsequent zu handeln. Es muss klar gemacht werden, dass ein politisches Amt mit der Mitgliedschaft in einer solchen Burschenschaft nicht vereinbar ist.
Genau das hat der Senat lange Zeit nicht getan, sondern er hat Herrn Büge erst verteidigt, dann auf Zeit gespielt und musste dann von der Opposition dazu gedrängt werden, ihn zu entlassen.
Nach dieser Großen Anfrage erwarte ich, dass der Senat die richtigen Schlussfolgerungen zieht, damit sich so etwas nicht wiederholt. Dafür bedarf es klarer Bekenntnisse und nicht so ausweichender, halbherziger Aussagen, wie Sie sie heute von sich gegeben haben, Herr Senator!
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Diese Große Anfrage war zumindest für eine Sache gut, die ich bemerkenswert finde: Der Innensenator und Vorsitzende der Berliner CDU hat heute in diesem Haus Karl Marx zitiert. Das kommt nicht alle Tage vor, und wir begrüßen das ausdrücklich.
Burschenschaften spielen im Alltag der Berliner Hochschulen, im Alltag der allermeisten Studierenden keine Rolle. Sie werden in der Regel als das behandelt, was sie sind, nämlich ein Relikt aus dem letzten – oder besser – aus dem vorletzten Jahrhundert. Ich bekenne: Burschenschaften sind mir suspekt. Der Habitus und die Attitüde der reaktionären Männlichkeit sind mir ziemlich zuwider,
Im Prinzip könnte es uns egal sein, wenn Folkloregruppen sich sinnlos um den Verstand trinken und gegenseitig die Gesichter zerhauen. Allerdings haben sich die Burschenschaften überall dort, wo sie zu Abgründen der Intoleranz, der Menschenverachtung, der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit werden, unsere Gegnerschaft redlich verdient.
Feinde der offenen, toleranten Demokratie müssen auch dann bekämpft werden, wenn sie in lustigen Kostümen des 19. Jahrhunderts daherkommen.
Einige Burschenschaften haben sich in den letzten Jahren durch bedenkliches Gedankengut und eine zunehmende Radikalisierung hervorgetan und fordern die Wachsamkeit aller Demokratinnen und Demokraten heraus. Klar ist aber auch – und Herr Taş hat es schon gesagt –: Nicht alle Burschenschaften sind rechtsextrem, und nicht jeder Bursche ist ein verkappter Nazi.
Für den Staat und seine Institutionen gilt trotzdem, dass insbesondere seine Repräsentanten Distanz zu solchen Gesinnungsbünden zu halten haben. Öffentliche Ämter dürfen nicht in den Verdacht geraten, Teil der Beutegemeinschaft eines fragwürdigen, nationalistischen, intoleranten und oft auch menschenverachtenden Klüngels zu werden. Öffentliche Ämter dürfen nicht in den Verdacht geraten, Teil der Beutegemeinschaft eines fragwürdigen, nationalistischen, intoleranten und oft auch menschenverachtenden Klüngels zu werden. Diese Messlatte legen wir selbstverständlich auch an alle Amtsträger – Amtsträgerinnen muss ich ja nicht sagen; Frauen sind ja ausgeschlossen – in Berlin an und freuen uns, dass Senator Czaja das nach einiger Diskussion und einiger Zeit des Nachdenkens entsprechend auch getan hat.
Burschenschaften sind in Berlin kein drängendes Problem. Sie sind kein Problem, dass so groß wäre, dass wilder Aktionismus notwendig wäre, um ihm entgegenzutreten. Wachsamkeit und klare Abgrenzung tun aber not, und dafür stehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Die Grünen jetzt Frau Kollegin Herrmann. – Bitte schön!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Senator Henkel! Sie hätten hier keine Werbekampagne für Burschenschaften veranstalten sollen, sondern die Fragen beantworten.
Und da Sie das nicht gemacht haben, helfe ich Ihnen einmal weiter: Es gibt in Berlin Landsmannschaften, Turnerschaften, Sängerschaften, einen Corps – und es gibt Burschenschaften: „Germania“, „Gothia“, „Salingia“, „Burschenschaft der Märker“ und so weiter. Das hätten Sie heute auch sagen können.
Es gibt Schülerverbindungen – ich nenne drei: die pennale Burschenschaft „Theodor Fontane“, die Schülerverbindung „Juvenis Gothia“ und die pennale Verbindung „Borussia“. – Das hätten Sie heute sagen können. Und Sie hätten selbstverständlich auch etwas zu den Aufnahmekriterien sagen können: In der Regel sind die Burschenschaften nur für Männer offen. Und es gibt viele, die pflichtschlagend sind, manche fakultativ schlagend. Darüber hinaus liest man sehr deutlich: Zugang nur für deutsche Studenten. – Das kann man nachlesen; dazu hätten Sie hier etwas sagen können. Leider haben Sie das versäumt.
Bei Ihren historischen Darstellungen haben Sie leider auch die dunkle Seite der Burschenschaftsgeschichte nicht erwähnt. Wir haben hier draußen eine sehr veranschaulichende Ausstellung zur Bücherverbrennung, und an dieser Bücherverbrennung haben Burschenschaftler aktiv mitgewirkt. – Auch das hätten Sie heute sagen können, wenn Sie schon den historischen Diskurs zu Burschenschaftler hier von sich geben müssen!
Ich möchte noch etwas zu den Männerbünden sagen – zum Großteil sind es Männerbünde; ich weiß, es gibt mittlerweile auch Bünde nur für Frauen –: Sie verstehen sich als Lebensbund, man könnte schon fast sagen, als Ehe. Man geht miteinander einen Bund für das Leben ein; man steht füreinander ein. Man nimmt für sich selbst in Anspruch, die Elite darzustellen und versteht sich als elitäre Karriereschmiede. Diese Seilschaften sind undurchsichtig und werden Frauen vorenthalten. Herr Oberg
hat es angesprochen: Auch ich finde das ganz suspekt und denke, das gehört ins vorvorletzte Jahrhundert.
Aber ich finde auch, dass wir hier ernsthaft darüber reden müssen, dass man gerade in der Politik, aber auch in der Wirtschaft endlich transparent mit solchen Mitgliedschaften umgehen muss. Man muss das transparent machen und auch offen sagen, woher man kommt und was dort miteinander besprochen wird. Ich finde, wir alle miteinander müssen immer so viele Angaben machen, dass man auch in diesen Bereich mehr Transparenz hineinbringen muss.
Es geht ja nicht darum, ob man sich für Uniformen, Säbel oder Saufen begeistern kann, sondern es geht, Herr Senator, um die Frage: Stehen Burschenschaften in Verbindung zur Neuen Rechten und zu rechtsextremen Kreisen? Bestehen diese Verbindungen in Berlin? – Viele Beispiele der letzten Jahre haben gezeigt, dass man da genau hinschauen muss. Es ist deutlich, dass es auch bei Burschenschaften Verbindungen zum rechten Rand und darüber hinaus gibt. Das muss man offen ansprechen, und da muss man genau hinsehen. Die bisherige Auseinandersetzung und Ihre Beantwortung der Großen Anfrage heute haben wieder gezeigt, dass Sie wenig Problembewusstsein für diese Verbindungen an den Tag legen, Herr Innensenator Henkel – gar keins!
Deshalb möchte ich hier deutlich machen, worüber wir konkret reden. – Drei kurze Beispiele: In den „Burschenschaftlichen Blättern“ – das ist die Verbandszeitung der Deutschen Burschenschaft – wird in dem Artikel „Weg in die Freiheit – Deutschlands Aufbruch 2012“ für eine „revolutionäre Neuordnung“ und die „Abschaffung des Parteienstaats“ plädiert und eine inflationäre Vergabe der „bundesrepublikanischen Staatsbürgerschaft ohne Rücksicht auf deutsche Herkunft und Abstammung“ beklagt. Mit diesen Aussagen wird ganz klar der Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen.
Das muss man so deutlich sagen. Und in diesem Dachverband sind Berliner Burschenschaften aktiv Mitglied, Herr Henkel! Und Sie sagen uns hier, es gibt keine Veranlassung, da mal genauer hinzugucken?
Zudem vertritt die Deutsche Burschenschaft ein nationalvölkisches Weltbild inklusive Ariernachweis-Debatte. Und bei dem Arierantrag 2011 spielte laut verschiedener Internetquellen auch ein Akteur aus einer Berliner Burschenschaft eine aktive Rolle. Kein Grund, da genauer hinzuschauen, Herr Henkel? Mehrere Berliner Burschenschaften – Sie haben das eben selber gesagt – sind Mitglied in der Deutschen Burschenschaft.
Zweites Beispiel: 2006 fand im Vereinshaus der Gothia Berlin die „Kleine deutsche Kunstaustellung“ statt. Es wurden zahlreiche Werke von NS-Künstlern gezeigt. Von ihrem Titel her sollte die Ausstellung an die 1937 von Adolf Hitler eröffnete „Große deutsche Kunstaustellung“ erinnern. Die Ausstellung wurde übrigens in verschiedenen Bundesländern gezeigt, unter anderem in München. Und was hat der Bayerische Verfassungsschutz gemacht? Er hat sich das angeguckt, und die Burschenschaft Danubia, die dort diese Ausstellung durchgeführt hat, wird seit Jahren wegen ihrer Nähe zu rechtsextremen Kreisen vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Aber in Berlin? – Kein Problem!
Drittes Beispiel: Am 5. Oktober soll in Berlin zum zweiten Mal die Messe der Neuen Rechten, der „Zwischentag“, stattfinden. Diese Messe ist das wichtigste Treffen der Neuen Rechten, und mit dabei sind die Burschenschaften, die Gothia, aber auch die Deutsche Burschenschaft. Die Junge Freiheit hat einen Stand. Das Institut für Staatspolitik hat einen Stand, das islamfeindliche Internetportal „Politically Incorrect“ und, und, und – alle Akteure der Neuen Rechten. In einem Interview letztes Jahr – RBB: Klartext – spricht der Initiator der Messe, Götz Kubitschek, von: „Natürlich gibt es eine ethnische Kontinuität in Deutschland, und die ist deutsch.“ – Und auf Nachfrage des Interviewers antwortet er: „Natürlich hat’s was mit Rasse zu tun.“
Wenn das nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, wenn das nicht genau das ist, was Sie richtigerweise und dankenswerterweise am Anfang Ihrer Rede klar gesagt haben, dass es nicht vertretbar ist, ein völkisches Verständnis unserer Demokratie, unseres menschlichen Zusammenlebens zu haben, wenn die Aussage nicht deutlich macht, dass die Neue Rechte genau dieses völkische verfassungsfeindliche Weltbild vertritt, dann weiß ich nicht, was es sonst für Aussagen geben soll, die das tun.
Und man muss das ernst nehmen, Herr Senator. Das sagen übrigens nicht nur ich oder der Abgeordnete Taş, das sagen übrigens andere Innenminister von Bundesländern. So warnt NRW-Innenminister Jäger vor einem systematischen Zusammenhang von Burschenschaften und Rechtsextremismus. In aktuellen Verfassungsschutzberichten der Länder Bayern, Hamburg und Hessen werden Burschenschaften genannt und ihre Verbindungen zur Neuen Rechten und rechtsextremen Kreisen aufgeführt. Diese Länder haben erkannt, dass Burschenschaften eine Rolle im akademischen Rechtsextremismus spielen, und sie setzten sich damit auseinander. In Berlin passiert gar nichts.
Meine Fraktion erwartet von allen Demokratinnen und Demokraten, dass sie sich klar von rassistischen, islamfeindlichen Inhalten, völkischem Gedankengut der Neuen
Rechten und Teilen der Burschenschaften distanzieren. Wer das nicht macht, beteiligt sich an rechtspopulistischer und rassistischer Hetze und steht in inakzeptabler Nähe zu rechten Kreisen. Und wir erwarten von diesem Senat, dass er das Thema Burschenschaften und Neue Rechte endlich ernst nimmt und die Gefahren, die von einigen Burschenschaften ausgehen, nicht weiter kleinredet. Machen Sie endlich deutlich, welche Rolle Burschenschaften innerhalb der Neuen Rechten und im Rechtsextremismus spielen und stellen Sie sich nicht schützend vor Sie!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt sich ein bisschen, liebe Frau Herrmann, die Kollegen von der Opposition, wieso Sie eigentlich fragen, wenn Sie meinen, die Antworten ohnehin schon zu kennen. Da wäre es doch einfach gewesen, einen Antrag zu machen.