Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Den kenn’ ich!]

sehr aktuell, vom 16. Januar: Die „Einführung von Karenzzeiten von ein bis drei Jahren“ sowie „die Einführung eines Bundesbeauftragten für Ethik und gegen Korruption“ sowie ein Ethikrat werden gefordert, um „die schlechte moralische Verfasstheit des Parlaments und die Integrität unserer heutigen Mandats- und Amtsträger dringend etwas“ anzuheben – so gesagt von Björn Niklas Semrau.

Diese Äußerungen sind in der Sache nicht dienlich. Daran sieht man, welche Denkweisen teilweise vorherrschen. Wie kann man pauschal eine moralisch miese Verfasstheit der Parlamente unterstellen

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): So pauschal war das nicht!]

und sich dann wundern, wenn diese in der Bevölkerung schlecht angesehen sind? Das sind self-fulfilling prophecies. Ich jedenfalls habe in vielen Jahren sehr redliche Menschen auf den verschiedenen Ebenen der Politik kennengelernt. Denen ging es nicht um persönliche Vorteilsnahme.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Nennen Sie drei!]

Seien Sie doch nicht so aufgeregt, wenn man Ihnen die Wahrheit sagt!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Lassen Sie uns daher schauen, welche Regelungen auf Bundesebene beschlossen werden, und diese dann möglicherweise übernehmen. Eine Regelung wird auf Bundesebene kommen, da bin ich mir relativ sicher. Ob das dann 18 oder zwölf Monate sein werden, das wird man sehen. Wir werden das hier auch weiterdiskutieren. Aber so, wie der Entwurf hier eingebracht wurde, ist er für uns nicht zustimmungsfähig.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Völlig überraschend!]

Danke schön, Kollege! – Dann habe ich für die Fraktion Die Linke den Kollegen Dr. Lederer als nächsten Redner. – Ich erteile Ihnen das Wort!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Meine Fraktion und ich, wir sind für eine Karenzzeit beim

Wechsel von Regierungsmitgliedern und Staatssekretären in gut dotierte Managementpositionen der freien Wirtschaft, so damit der Eindruck einer Interessenverflechtung und des Kaufens von Kontakten und Kenntnissen aus der öffentlichen Amtserfüllung erweckt wird. Das ist zweifelsohne dann der Fall, wenn nach Ausscheiden aus dem politischen Amt direkt in ein Unternehmen gewechselt wird, das entweder ein öffentliches Unternehmen mit Beteiligung des Landes ist – oder des Bundes wie im Fall Pofalla; die Deutsche Bahn ist ein Tochterunternehmen des Bundes – oder aber durch Behörden kontrolliert wird, für die das Regierungsmitglied oder die Staatssekretärin bzw. der Staatssekretär politisch verantwortlich ist oder mit dem diese Behörden geschäftliche oder politische Kontakte gepflegt haben. So weit, so gut! Insofern ist das Anliegen des Grünen-Antrags im Grunde erst mal richtig.

Die entscheidende Frage, die daraus folgt, ist: Wie stellen wir es schlau an, diese Karenzvorschriften so zu regeln, dass wir erfassen, was wir erfassen wollen? Oder, anders ausgedrückt: Wo ist die Grenze zu ziehen?

Ein Beispiel: Wollen wir z. B. auch den Wechsel eines für Verbraucherschutz, für Landwirtschaft und Ernährung zuständigen Staatssekretärs wenige Monate später in die Lobbyetage eines amerikanischen Süßwarenkonzerns erfassen? Oder den Wechsel eines Wirtschaftsstaatssekretärs in den Beirat eines Energiekonzerns? Oder den Wechsel eines Kanzlers oder Ministers innerhalb weniger Tage in den Aufsichtsratsvorsitz eines russischen Gaskonzerns oder einer britisch-französischen Privatbank? – Das waren jetzt alles beispielhaft nachmodellierte rotgrüne Karrieren. Die Namen sind Berninger, Schröder, Schlauch.

[Lachen von Sven Rissmann (CDU) – Ah! von der CDU und der LINKEN]

Ich sage das jetzt nicht, um die Grünen vorzuführen, sondern um klarzumachen, dass nicht alles immer so auf der Hand liegt wie beim zweifelsohne unverschämten Fall Ronald Pofalla.

Wir reden hier nicht zum ersten Mal über das Problem. Ich kann mich an eine Debatte im Jahr 2003 erinnern, da ging es um den sogenannten Fall Bielka. Da hat die CDU-Fraktion hier im Haus Anträge gestellt und gesagt, jetzt müsse man endlich mal etwas tun. Und die FDP hat gekräht, politische Hygiene müsse her. Ich musste jüngst darüber lachen, weil der scheidende Minister für Entwicklungshilfe die gesamte Chefetage in dem Ministerium mit FDP-Beamten besetzt hat. Man sieht also, man kann diese ganze Sache auch schnell zum Spielball der jeweils politischen Interessen machen, und dann ist eigentlich auswechselbar, wer den Ball spielt und wer lieber die Klappe hält,

[Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN) und Christopher Lauer (PIRATEN)]

(Thorsten Karge)

wer gerade regiert oder wer gerade in der Opposition sitzt. So sollten wir es nicht tun!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Der Kollege Behrendt hat richtig darauf hingewiesen: Wir haben das Landesbeamtengesetz im § 68 geändert. Da gibt es eine fünfjährige Karenzzeit für diejenigen, die aus dem aktiven Dienst in die Privatwirtschaft übergehen, wenn es Interessenkollisionen geben könnte. Und es gibt eine Karenzzeit von drei Jahren nach Erreichen der Altersgrenze. Jetzt sagt der Kollege Behrendt, das reiche alles nicht, weil es den Herrn Freise gebe. Schön und gut!

Also: Auch ein Senatsmitglied, auch Staatssekretärinnen und Staatssekretäre haben in der Bundesrepublik Deutschland erst einmal Berufsfreiheit.

[Beifall von Cornelia Seibeld (CDU)]

Man kann sie einschränken, wenn es entsprechende öffentliche Gründe von einem gewissen Gewicht gibt. Das wird man zweifelsohne dann sagen können, wenn eine Staatssekretärin oder ein Staatssekretär direkt in ein Landesunternehmen wechselt, das sie vorher kontrolliert haben. Das geht nicht, da bin ich sofort d’accord. Die Frage ist allerdings: Wenn sie irgendwohin in die freie Wirtschaft gehen, dann wird der Faden immer dünner. Da muss ich mal anfangen, im Gesetz zu beschreiben, wann denn nun Interessenkollisionen da sind und wann sie nicht da sind. Sonst passiert nämlich Folgendes: Dann knallt uns jedes Verfassungsgericht ein solches Gesetz weg, und dann können wir uns hier heiß über einen kurzfristigen Erfolg freuen, weil wir ein schönes Gesetz geziegelt haben, aber bei der ersten Nagelprobe kracht das Ding zusammen wie ein Kartenhaus. Das können wir alle nicht wollen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Sven Rissmann (CDU) und Cornelia Seibeld (CDU)]

Ich will auch noch mal auf eins hinweisen: Wir haben gemeinsam die Übergangsgelder reduziert. Ich finde das richtig. Jetzt kann man natürlich eins machen, man kann die Übergangsgelder immer weiter reduzieren, die Karenzzeiten immer weiter ausweiten.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Hartz IV!]

Es gibt sicherlich Regierungsmitglieder, die sind nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt gut versorgt, aber es gibt eben auch andere. Und von irgendwas müssen auch sie leben.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Pulli im Winter tragen!]

Von mir aus kann man sagen, das ist automatisch, sie sollen dann Hartz IV bekommen, dann soll man es gleich ins Gesetz reinschreiben: Nach dem Ausscheiden aus dem Amt bekommen sie Hartz IV. Ich mache mir nicht so viele Sorgen, dass sie alle Hunger leiden, aber man muss da fair bleiben, und man muss am Ende eine Regelung

schaffen, die in sich konsistent ist. Das ist seriös zu leisten.

Deswegen ist die Frage: Wie weit fasse ich das? Welche unbestimmten Rechtsbegriffe benutze ich? Oder schreibe ich konkret rein, was ich mit der Interessenkollision oder der Interessenverpflichtung meine? Ich finde, so viel Mühe müssen wir uns machen. Deswegen mein Fazit: Karenzzeit ja, ich bin dafür. Wofür konkret – das werden wir im Ausschuss bereden müssen, da sollten wir nicht mit heißer Nadel stricken. Ansonsten haben wir hier eine kurzfristige Freude und langfristig mehr Schaden angerichtet als Nutzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lederer! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt die Kollegin Seibeld das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer hätte das gedacht, der Kollege Dr. Lederer hat es im Wesentlichen auf den Punkt gebracht. – Lieber Kollege Behrendt! Ich bin ein bisschen enttäuscht. Dass es so einfach nicht geht, wie Sie es hier versucht haben, das liegt auf der Hand. Ich habe heute Morgen noch mal in den Kommentar zum Grundgesetz geguckt und mich dunkel aus dem Studium erinnert: Einschränkung der Berufsfreiheit, Dreistufentheorie – da gab es unterschiedliche Modelle mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Jetzt kann man überlegen, ob es eine subjektive oder eine objektive Berufszulassungsbeschränkung ist. Ich neige zu einer objektiven, aber selbst wenn es eine subjektive wäre: Da hat das Bundesverfassungsgericht 1958 in nie widersprochener Rechtsprechung im „Apotheken-Urteil“ entschieden, dass dieser Eingriff in die Berufszulassungsfreiheit nur bei höchstwahrscheinlichen schweren Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut legitimiert werden kann. Das kann man bestimmt sehen, aber nicht mit den unbestimmten Rechtsbegriffen, mit denen Sie hier kommen. In Ihrer Gesetzesformulierung steht drin – nach den Voraussetzungen, die ich Ihnen eben vorgetragen habe –:

…, insbesondere die Verhinderung des Anscheins der Käuflichkeit öffentlicher Ämter, beeinträchtigt werden können. …

Dass das nicht reicht, hat der Kollege Dr. Lederer ja ausführlich ausgeführt. Also in der Form wird es uns, selbst wenn man der Überzeugung ist, dass zwei Jahre angemessen wären und man mit diesem Gesetz möglicherweise die von Ihnen gesehenen Interessenkonflikte reduzieren könnte, das Verfassungsgericht, ob auf Landes- oder Bundesebene, ganz sicher um die Ohren hauen.

(Dr. Klaus Lederer)

Dann muss man sich die Frage stellen – auch das hat der Kollege Lederer schon ausgiebig dargestellt –: Von was für Fällen reden wir hier eigentlich? Welche finden wir eigentlich problematisch, und woran hakt es eigentlich, wenn man es problematisch findet? Was ist denn z. B. mit dem Mitarbeiter, der aus einem großen Wirtschaftskonzern kommt, da für politische Kontakte zuständig ist, dann in die Politik geht und Senator wird und anschließend wieder in seinen Job zurückgeht? Wollen Sie dem auch verbieten, dass er wieder in seinem Beruf tätig wird?

Was ist denn übrigens mit Ihrer eigenen Gesetzesbegründung? Was ist denn mit den Kollegen, die hier im Abgeordnetenhaus sitzen, erhebliche Einblicke in die Verwaltung und erhebliche Fachkenntnis gewinnen und hinterher wieder zurückgehen in ihre normalen Berufe? Oder was ist denn eigentlich mit denen, die hier gar im Halbtagsparlament sitzen? Warum entsteht da weniger der Eindruck, dass man sich öffentliche Ämter einkaufen würde? Da muss man doch mal überlegen, was hier eigentlich die Punkte sind, die im allgemeinen Empfinden der Gesellschaft dazu führen, dass man Sorge hat, dass es Interessenkonflikte geben könnte. Die Mühe haben Sie sich mit diesem Gesetzesvorschlag nicht mal im Ansatz gemacht. Auch in der Begründung steht kein Wort, warum man die Berufsfreiheit aus Artikel 12 in dieser Form einschränken können sollte.

[Andreas Otto (GRÜNE): Machen Sie doch einen Vorschlag!]

Letzter Punkt: Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Problem ist, dass moralisches Empfinden, Wohlverhalten, so allgemeine Empfindungen, die irgendwie jeder teilt, in abstrakte Normen eines Gesetzes zu fassen. Das begegnet uns ja auch an anderen Stellen. Ich glaube, dass die letzten Wochen und Monate gezeigt haben, dass das normale Empfinden der Gesellschaft da ja funktioniert und dass es ja durchaus so ist, dass die Medien und auch die Gesellschaft solche Fälle problematisieren. Eigenverpflichtungen gehen selbstverständlich, gar kein Problem, darauf kann man sich sicherlich auch verständigen. Allerdings muss man sich dann – auch das hat der Kollege Lederer ausgeführt – auch auf die entsprechenden Übergangsgelder verständigen. Ansonsten muss man sich nicht wundern, wenn die Qualität derjenigen, die sich im Senat oder auf Bundesebene in der Regierung wiederfinden, nicht besser, sondern eher schlechter wird.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Was soll denn da noch schlechter werden?]

Dann muss man in der Tat auch für die Übergangsgelder erhebliche Beträge in den Haushalt einstellen und dann auch damit rechnen, dass man sie ausgibt.

Und noch einen wesentlichen Aspekt haben Sie vergessen: Wie lange muss man Mitglied des Senats sein, damit Ihre Regelungen ziehen? Ist es ganz egal? Reicht ein Tag, oder reichen drei Monate, oder müssen es zwei Jahre

sein, oder müssen es fünf Jahre sein, damit man hinterher zwei Jahre Karenzzeit und insbesondere das Übergangsgeld in Anspruch nehmen muss?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Ihr habt doch da Experten in der eigenen Fraktion!]

Denn wer eine Karenzzeit hat, muss auch ein Übergangsgeld in Anspruch nehmen. Also, liebe Grünen-Fraktion! Der Gesetzentwurf war ein Satz mit x, nämlich nix!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]