Protokoll der Sitzung vom 20.03.2014

Die Linke hatte ein Interesse an einer Alternative, und sie hat sich auch für eine Einigung engagiert. Wir mussten aber feststellen, dass unsere Bereitschaft, Ihnen entgegenzukommen, größer war als Ihre. Wir wollen das Tempelhofer Feld als Begegnungs- und Erholungsort für alle erhalten und weiterentwickeln. Wir wollen die zentrale Freifläche, das Areal am Columbiadamm und die Kleingartenanlagen am Südring für die öffentliche Nutzung als Park- und Erholungsfläche schützen. Wir wollen würdige Orte des Gedenkens und der Erinnerung gestalten, und wir wollen am Tempelhofer Damm bezahlbaren Wohnungsneubau und ergänzende Infrastruktur ermöglichen. Die Planungen für die übrigen Randbereiche sollen ausgesetzt und erst im Rahmen eines neuartigen partizipativen Verfahrens wieder aufgenommen werden.

Jetzt haben die Berlinerinnen und Berliner die Chance, Senat und Abgeordnetenhaus einen unmissverständlichen Auftrag für die Zukunft des Tempelhofer Feldes zu ertei

len, und wir alle sollten nicht über das Ergebnis überrascht sein. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Lompscher! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Evers. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pünktlich zum Frühlingsbeginn sitzen wir heute zusammen und werden voraussichtlich eine Stellungnahme zum Volksentscheid 100 Prozent Tempelhofer Feld beschließen. Frühling ist es dabei insofern auch für die Kultur des Umgangs mit direkter Demokratie in unserer Stadt, weil wir dabei neue Wege beschreiten.

[Heiko Herberg (PIRATEN): Sie abzulehnen!]

Es wird erstmals nicht um ein Ja oder Nein gehen, um ein Ja oder Nein zum Gesetzentwurf der Träger des Volksentscheids. Das ist ein Novum, ein neuer Weg in der jungen Geschichte Berliner Volksentscheide. Erstmals stellen wir als Abgeordnetenhaus eine echte Alternative zur Abstimmung. 100 Prozent Tempelhofer Feld auf der einen Seite, 100 Prozent Berlin auf der anderen Seite. Es ist ein gutes Zeichen, eine gute Alternative für alle, die nicht den Stillstand verfestigen, sondern die Herausforderungen der Stadt von morgen mit uns gemeinsam meistern wollen.

Wir wären gerne noch weiter gegangen. Wir hätten gerne einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Gegenentwurf zum Volksentscheid zur Abstimmung gestellt.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Echt?]

Eine gemeinsame Initiative für den Schutz der Tempelhofer Freifläche und für eine begrenzte partizipative Entwicklung der Randfläche zum Wohle Berlins.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Wie wir wissen, ist es anders gekommen. Das bedauere ich sehr, denn letztlich bleiben wir uns in ganz wesentlichen Punkten einig – erstens: Die Gestaltung des Tempelhofer Feldes ist und bleibt eine der großen Zukunftsaufgaben Berlins, der sich die Politik nicht verweigern kann und nicht verweigern darf. Zweitens: Eine sensible Balance zwischen der Bewahrung seiner wertvollen Eigenschaften als Ort naturnaher Erholung einerseits und dem dringenden Bedarf der Stadt vor allem an bezahlbarem Wohnraum und sozialer Infrastruktur andererseits zu finden, liegt uns ebenfalls gemeinsam am Herzen.

(Katrin Lompscher)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herberg?

Zum Schluss gerne. – Wir sind uns einig, die Forderungen der Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld führen in eine stadtentwicklungspolitische Sackgasse, führen zu 100 Prozent Stillstand und sicherlich nicht zu dem, was wir wollen – 100 Prozent Berlin an diesem Ort.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Ein solcher Kompromiss wäre nicht nur wichtig, er wäre auch möglich gewesen. Wir waren bestrebt, inhaltliche Differenzen zu überwinden, und wir wollten den gemeinsamen Nenner finden, von dem auch Sie, Frau Lompscher, eben gesprochen, ihn aber falsch definiert haben, obwohl er sich in den Debatten immer wieder abgezeichnet hat. Wir haben die Hand zum Dialog gereicht, und wir haben Brücken gebaut.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Ihr habt Kartenhäuser gebaut!]

Wenn alle Brücken in Berlin so stabil wären wie diese, dann hätten wir, dann hätte der Bausenator ein Problem weniger.

Regierungsfähigkeit setzt immer Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, die Übernahme von Verantwortung setzt die Bereitschaft zur Kompromissfindung voraus. Deswegen ist es bedauerlich, dass einige am Ende der Verlockung des einfachen Nein-Sagens erlegen sind.

[Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Das war nicht nötig, und ich glaube, es war zum Schaden dessen, was ich gerade als unser gemeinsames Anliegen beschrieben habe. Wir haben zu Recht hohe Ansprüche an jede Form zukünftiger Entwicklung des Tempelhofer Feldes. Was immer dort entstehen mag, die Berlinerinnen und Berliner sollen stolz darauf sein können, sie sollen einen Wert für sich darin erkennen. Das wird uns nur gelingen, wenn wir ihre Belange ernst nehmen, wenn wir die Belange der Stadt ernst nehmen, so unterschiedlich sie auch sind.

Dafür ist unser heute zur Abstimmung stehender Vorschlag für eine Stellungnahme und für ein Gesetz zum Schutz des Tempelhofer Feldes eine sehr gute Grundlage. Wir machen einerseits klar, eine Bebauung der großen zentralen Freifläche von über 230 Hektar steht in keiner Weise zur Disposition. Wir stehen bereit, sie gesetzlich unter Schutz zu stellen und sie für die öffentliche Nutzung als Park- und Erholungsfläche auf Dauer zu sichern. Wir stellen damit sicher: Die einzigartige Weite des Feldes, seine gestalterische Grundstruktur und vor allem auch seine wichtige stadtklimatische Funktion bleiben auch in Zukunft erhalten. Gleichzeitig wollen und müssen wir aber sicherstellen, dass die Freifläche allen Berline

rinnen und Berlinern offensteht, und zwar barrierefrei und den Bedürfnissen aller Bevölkerungsgruppen entsprechend. Diesem Anspruch, dabei bleiben wir, wird das Volksbegehren 100 Prozent Tempelhofer Feld nicht gerecht. Kein Baum, keine Bank, die nächste Sanitäranlage kilometerweit entfernt – das ist nicht unsere Vorstellung vom Tempelhofer Feld der Zukunft.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matuschek?

Wie gesagt, gerne zum Schluss.

Das werte ich jetzt mal als nein.

Wir wollen niemanden ausgrenzen. Wir wünschen uns ein Feld, auf dem alle Berlinerinnen und Berliner sich wohlfühlen können. Das ist mit dem Gesetzentwurf von 100 Prozent Tempelhofer Feld nicht möglich.

100 Prozent Berlin, das ist es, was wir uns wünschen, für das Tempelhofer Feld und auch für seine begrenzte Randentwicklung. Berlin wächst – das ist keine neue, immer noch eine gute Nachricht. Es bleibt dabei: Damit gehen große Herausforderungen einher, denn eine wachsende Stadt braucht Wohnraum, braucht soziale Infrastruktur. Und gerade wenn wir von Wohnungsneubau sprechen, wollen wir nicht nur in den Außenbezirken, sondern gerade auch in der Innenstadt bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum schaffen. Dazu kann und dazu muss nach unserer Überzeugung der Rand des Tempelhofer Feldes einen Beitrag leisten.

Dort wollen wir die Stadt von morgen gestalten. Sie sagen in Ihren heutigen Anträgen, die mir, gelinde gesagt, in weiten Teilen bekannt vorkommen – über Urheberrechte wollen wir da nicht streiten –, dass Sie sich einen sozial und ökologisch nachhaltigen Städtebau mit vorbildlicher Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wünschen. Ich kann Ihnen sagen, dafür stehen auch wir. Wir wünschen uns am Rand des Tempelhofer Feldes ein Modell für die Stadt von morgen. Wir wünschen uns eine lebendige Mischung. Wir wünschen uns Berlin im Kleinen. Das heißt übrigens auch – und darüber haben wir ja lange und ausführlich gesprochen –, dass sich bei der Planung der Wohnungsneubauten nach unserer Überzeugung die für Berlin typische Mieter- und Einkommensstruktur widerspiegeln muss. Wir reden also von einem sehr hohen Anteil an Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten, wie Sie sie sich wünschen.

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Ebenso vorbildhaft wie die Struktur dieser Quartiere muss – da haben Sie völlig recht – auch die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern bei ihrer Gestaltung sein. Und genau deswegen legen wir heute eine so offene Formulierung zur Abstimmung vor. Wir wollen gerade nicht, dass am 25. Mai auf der einen Seite 100 Prozent Tempelhofer Feld und auf der anderen Seite 100 Prozent Masterplan zur Wahl stehen. Das wird auch nicht der Fall sein. Ganz im Gegenteil, Sie finden in unserem Vorschlag kein Wort vom Masterplan. Eine ZLB suchen Sie im Text vergeblich. Es gibt keinerlei Bestimmungen zu der möglichen Quartiersentwicklung, die am Tag des Volksentscheids vollendete Tatsachen schaffen würden.

Damit sind die Planungen auch für den Tempelhofer Damm offen für eine Weiterentwicklung, und die findet im Übrigen auch heute schon statt, das wissen Sie aus Ihren Gesprächen. Wir als CDU-Fraktion wollen einen ergebnisoffenen Dialog zu dieser Planung. Wir wollen keine voreiligen Festlegungen. Den Wunsch nach Mitsprache nehmen wir ernst.

[Uwe Doering (LINKE): Ist auch schön!]

Es darf und es muss auch nach dem 25. Mai noch offene Fragen geben. Wir wollen uns gerade nicht im Hinterzimmer dafür entscheiden, was die jeweils eigenen Vorstellungen von einer Quartiersentwicklung sind, und sie dort durchsetzen. Genau dieser Versuchung und diesem politischen Reflex sind einige in der beschriebenen letzten Phase unserer fraktionsübergreifenden Gespräche nach allem, was wir vorher schon geschafft hatten, erlegen.

[Katrin Lompscher (LINKE): Das ist doch Unsinn! Das wissen Sie selbst!]

Liebe Frau Lompscher! Gerade Ihre Forderung, die für eine bauliche Entwicklung denkbaren Grundstücke vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand zu belassen, klingt vielleicht gut und schön, klingt nach neuer Liegenschaftspolitik, aber sie ist nicht sinnvoll, sie ist nicht seriös, denn damit wäre beispielsweise genossenschaftlicher Wohnungsbau, den wir wollen und wünschen, auch das haben Sie noch einmal bestätigt, nicht möglich. Erbpacht bedeutet für die Bauträger eine Verteuerung der Finanzierung, und eine teure Finanzierung ist mit sozialen Mieten, die Sie hier fordern, schwer in Einklang zu bringen. Auch Ihre sicherlich wohlmeinende, aber unrealistische Festlegung auf Miethöhen nicht über 6 Euro ist Gift für verantwortliche Stadtentwicklung. Soziale Monokultur geht eben selten mit stabilen Kiezen einher. Im Übrigen: Wer soll das bezahlen? Wir könnten unseren gesamten Wohnungsbaufonds auf den Tempelhofer Damm konzentrieren und müssten immer noch aus dem Landeshaushalt dreistellige Millionenbeträge zuschießen, um dort eine Quartiersentwicklung nach Ihren Vorstellungen umzusetzen. Das ist nicht unsere Politik.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Wir werden auch nicht zulassen, dass die Wohnungsbaugesellschaften diese Mieten dort aus ihrem Bestand querfinanzieren. Das ist nicht unsere Politik. Wir stellen uns nicht in Spandau hin und erklären dem dortigen DEGEWO-Mieter, warum seine Miete steigt, damit am Tempelhofer Damm unter 6 Euro gewohnt werden kann.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe von der LINKEN]

Das ist unseriös, und solche verantwortungslosen Forderungen sollte sich eigentlich nicht einmal die Opposition erlauben.

Wir wünschen uns, dass die Berlinerinnen und Berliner am 25. Mai unserem Vorschlag folgen. Wir wünschen uns, dass sie mit unserem Gesetz die große Freifläche des Tempelhofer Feldes schützen und uns gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, was sie alle wollen, nämlich seinen Rand erfolgreich und im Dialog mit der Stadtgesellschaft im Sinne der Stadt von morgen zu entwickeln. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf von Udo Wolf (LINKE)]

Vielen Dank, Herr Evers! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Kapek. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider wird es heute im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit für den dritten Weg geben. Leider bleibt so auch die von der „taz“ bezeichnete politische Sensation heute aus, denn wir haben es nicht vermocht, einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Zukunft des Tempelhofer Felds vorzulegen. Es gibt damit leider auch keine Alternative zwischen Initiative und Senat. Im Gegenteil, es bleibt bei der stumpfen Ja-Nein-Entscheidung über die Frage des Ob einer Bebauung. Dabei hatten sich gerade viele Berlinerinnen und Berliner gewünscht, wir würden auch was zum Was, zum Wie und zum Wo sagen.

Viele haben das Wesen des Volksentscheids Tempelhof noch gar nicht verstanden, denn es geht nicht um 100 Prozent Stillstand, wie manch einer gerne hier behauptet. Nein, es geht beim Volksentscheid Tempelhof vor allem um Kritik an den bekannten Senatsplänen, selbst bei denen, die eigentlich für eine Bebauung sind.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Denn das Wo und Wie sind nun einmal nicht vom Ob zu trennen. Deshalb ist es auch mehr als verständlich, wenn viele Berlinerinnen und Berliner sagen: Bevor das Falsche gebaut wird, dann lieber gar nichts.

(Stefan Evers)

[Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]