Protokoll der Sitzung vom 20.03.2014

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Lauer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und an den Hauptausschuss empfohlen. – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 19

Kein TTIP mit uns! – Berlin verlangt den Abbruch der Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen

Antrag der Piratenfraktion auf Annahme einer Entschließung Drucksache 17/1520

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1520-1

Wiederum fünf Minuten pro Fraktion. Ich brauche das jetzt nicht jedes Mal zu wiederholen. Es beginnt der Kollege Dr. Weiß für die Piraten. – Ich erteile Ihnen das Wort, bitte schön!

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt wird zur Sache gesprochen!]

Ja! – Vielen Dank! – Seit einiger Zeit werden unter dem Namen TTIP Verhandlungen für ein transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika geführt, die inzwischen die Vorbereitungsphase weitgehend abgeschlossen haben. An die große Glocke hat dieses Thema keiner der Verhandlungspartner in den letzten Jahren gehängt, auch wenn die Verhandlungen schon seit 2013 laufen. Obwohl vorgeblich mit dieser größten Freihandelszone der Welt nur Vorteile verbunden sein sollen, also ein rasanter Anstieg des Wirtschaftswachstums auf beiden Seiten des Atlantiks, zahlreiche Arbeitsplätze usw. Aber so richtig gern darüber reden möchte man eigentlich trotzdem nicht. Dass dieses Abkommen trotzdem seit einiger Zeit in aller Munde oder doch zumindest in vieler Munde ist, ist denjenigen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft zu verdanken, die dagegen seit einiger Zeit und mit wachsender Lautstärke Alarm schlagen.

Darf ich Sie einen kleinen Moment unterbrechen, Herr Kollege Dr. Weiß? Ihr Geschäftsführer hat gerade beantragt, dass das zuständige Senatsmitglied hier sein sollte.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Uwe Doering (LINKE): Der Herberg ist ein guter Mann!]

Das ist der Regierende Bürgermeister. Da bitten wir doch ganz kurz um Unterbrechung. – Hier herrscht noch ein bisschen Unklarheit, wer überhaupt zuständig ist. Ist es der Regierende Bürgermeister oder Wirtschaft?

[Uwe Doering (LINKE): Der Bundestag! – Steffen Zillich (LINKE): Können beide kommen!]

Ich glaube, es ist eher Wirtschaft.

[Uwe Doering (LINKE): Der Regierende wäre auch nicht verkehrt! – Elke Breitenbach (LINKE): Können auch alle kommen!]

Darf ich einen Moment um Ruhe bitten, damit wir uns hier so unterhalten können, dass wir es auch verstehen. – Nach Zuständigkeit im Senat ist es die Wirtschaftssenatorin, die ich jetzt gerade in den Raum kommen sehe. – Dann können Sie mit Ihrer Rede fortfahren. Bitte schön! Herr Dr. Weiß! Sie haben jetzt das Wort! Fahren Sie jetzt bitte fort mit Ihrem Wortbeitrag!

Vielen Dank! – Also weiter im Text: Was sind nun die Probleme mit diesem Abkommen, und warum fordern wir hier einen Abbruch der Verhandlungen? – Zunächst einmal ist es die Art und Weise, wie über dieses Abkommen verhandelt wird, nämlich unter weitestgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist, muss man leider sagen, bei internationalen Abkommen nicht unüblich. Hier ist es ein besonderes Problem, weil es um weitreichende Abmachungen geht, die nicht der demokratischen Entscheidungsfindung entzogen werden sollten oder können.

Denn unter dem Begriff Freihandelsabkommen ist auch mehr zu verstehen als einfach nur der Abbau von Zöllen. Es geht vielmehr, um zwei Begriffe aus der deutschen Version des geleakten Verhandlungsdokuments zu zitieren, um „Investitionsschutz“ und um eine sogenannte „regulatorische Kohärenz“, und zwar auf allen Gebieten der Marktregulierung. Das betrifft natürlich eine kaum aufzählbare Vielzahl von Politikfeldern, angefangen mit Klima, Umwelt und Verbraucherschutz, Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutz, Immaterialgüterrechten, Datenschutz, Finanzmarktregulierung, öffentliche Investitionen und öffentliche Daseinsfürsorge usw., sodass insgesamt mit diesem Handelsabkommen ein erheblicher Verlust politischer Gestaltungsmöglichkeiten einherzugehen droht. Das sei übrigens noch einmal gesagt, das ist auf beiden Seiten des Atlantiks so, weshalb sich auch in den Vereinigten Staaten einige Akteure aus der Zivil

gesellschaft deutlich gegen dieses Abkommen und die Verhandlungen wenden.

Regulatorische Kohärenz, damit ist hier voraussichtlich nicht gemeint, dass es um einen Anstieg auf ein gemeinsames hohes Regulierungsniveau geht. Dafür spricht auch der nächste kritische Punkt, nämlich die privilegierte Rolle, die die Interessen großer Konzerne sowohl in den Verhandlungen zum Abkommen als auch in der voraussichtlichen Umsetzung spielen werden. Denn wie die zu erwartenden vagen Formulierungen eines solchen Abkommens dann tatsächlich umgesetzt werden, darüber wird im Einzelfall nicht von den demokratisch legitimierten Regierungen oder von einer demokratisch legitimierten Justiz entschieden, sondern von einer sich in dieser Form schon seit einiger Zeit in bedenklichem Ausmaß etablierenden Paralleljustiz internationaler Schiedsgerichte. Vor solchen Schiedsgerichten können große Konzerne demokratisch gewählte Regierungen wegen politischer Entscheidungen verklagen. Und das passiert auch regelmäßig. Aktuelles Beispiel ist die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland auf mehrere Milliarden Euro Schadensersatz wegen der Energiewende.

Vor diesem Hintergrund droht auch dem Land Berlin eine Einschränkung seiner politischen Handlungsmöglichkeiten. Somit sind wir auch an der richtigen Stelle, um uns mit dem Thema auseinanderzusetzen. Tatsächlich hat das Abgeordnetenhaus bereits im letzten Jahr auf Antrag der Koalitionsfraktionen einen Beschluss gefasst, der sich für eine Herausnahme der Politikbereiche Kultur und Medien aus den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen einsetzt. Wir sollten an dieser Stelle unseren Blick etwas weiter fassen und auch über andere Aspekte reden.

Erinnert sei abschließend an den gemeinsamen Beschluss zu ACTA, den wir vor zwei Jahren hier gefasst haben. Es gibt dort nicht nur strukturelle Parallelen, was die Verhandlungen bzw. die Ausgestaltung eines solchen Abkommens angeht, es drohen auch die gleichen Inhalte wieder auf den Tisch zu kommen. So verweist das geleakte Verhandlungsdokument der EU-Kommission, das ich bereits erwähnt habe, explizit im Bereich der Immaterialgüterrechte auf frühere Verhandlungen. Man kann sich denken, was damit gemeint ist. Wir hoffen auf eine ähnlich konstruktive Diskussion. Eine Anhörung im zuständigen Ausschuss ist schon vorgesehen. Wir hoffen, dass Sie sich im Ergebnis unserer Kritik anschließen können. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Dr. Weiß! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Zimmermann. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem geplanten Freihandelsabkommen haben die Bürgerinnen und Bürger erhebliche Sorgen. Es geht um die Frage, ob wir hier künftig Genmais, Chlorhühnchen oder Hormonsteaks auf dem Markt haben oder nicht. Das wollen die Leute nicht. Das wollen auch wir nicht. Das ist der Hauptpunkt, den wir hier aufgreifen müssen. Unsere Aufgabe ist es in erster Linie, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Zusammenhang ernst zu nehmen und so gut es geht auf die Europäische Kommission einzuwirken, dass derartige Produkte von Monsanto und Co unsere Märkte nicht erreichen, dass unsere Märkte für solche Produkte nicht geöffnet werden.

[Beifall bei der SPD und den PIRATEN]

Ich habe auch den Eindruck, dass von der CSU bis zur Linkspartei an diesen Punkten eine Möglichkeit zu einem Konsens besteht, denn Äußerungen lassen jedenfalls hoffen.

Was ist eigentlich genau das Ziel dieses Abkommens? – Es soll um Freihandel gehen. Das ist schon einmal der erste Irrtum. Freihandel ist nur am Rande ein Thema dieses Abkommens. Es ist bis jetzt schon ein weitgehend liberalisierter Handel zwischen den USA und der Europäischen Union gegeben. Es gibt Zölle nur noch für ungefähr 5 Prozent des gesamten Handelsvolumens. Jetzt schon werden jeden Tag 1,8 Milliarden Euro zwischen den beiden Seiten des Atlantiks gehandelt. Es geht also nicht in erster Linie um die Zölle, sondern um die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse. Das sind laut Transatlantischem Wirtschaftsrat 2007 – seitdem wird das nämlich verfolgt – zwei Ziele vor allen Dingen: Es ist die Harmonisierung der regulierenden Gesetzgebung auf beiden Seiten, und es ist der Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe.

Genau diese beiden Punkte werden unterstrichen durch eine aktuelle Studie des Centre for Economic Policy Research, London 2013. Nach dieser Studie resultiert der wirtschaftliche Nutzen des TTIP zu 80 Prozent aus dem Abbau der Regulierung, aus der Liberalisierung des Dienstleistungssektors und des öffentlichen Ausschreibungswesens. Deswegen muss ganz klar sein: Es geht hier nicht um die Anpassung von Steckern oder von Autositzen, es geht um mehr. Es geht genau um diese Gesetzgebung, um die Regulierung. Die ist das Thema dieses Abkommens. Darum müssen wir uns kümmern.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Da sagen wir: Vorsicht! Wir sind nicht gegen Freihandel und auch nicht gegen die Erleichterung des Handels. Aber was wir nicht zulassen können ist, dass wir ausländische Investoren durch Senkung unserer gesetzlichen Schutzstandards anlocken. Hier geht es vor allen Dingen um Arbeitnehmerrechte. Hier sind individuelle Arbeitnehmerschutzrechte oder auch das kollektive Ar

(Dr. Simon Weiß)

beitsrecht, die Mitbestimmung bis hin zum Streikrecht für uns nicht verhandelbar. Es sind auch andere Punkte wie Verbraucherschutz, Umweltstandards, Gesundheitsstandards Ziele, die nicht einem Streben nach zusätzlichen Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks geopfert werden dürfen. Wir wollen die Daseinsvorsorge und die Möglichkeit der Kommunen, hierüber auch weiterhin entscheiden zu können, erhalten.

Und wir sehen eine weitere rote Linie, die unbedingt eingehalten werden muss: Das ist das sogenannte Schiedsverfahren, das zwischen den beiden Vertragspartnern geplant ist. Es soll ein außerstaatliches Schiedsgericht installiert werden, das über mögliche Schadenersatzforderungen von Investoren verhandeln und auch entscheiden soll, die dadurch entstehen, dass ihnen erwartete Gewinne durch eine entsprechende Gesetzgebung etwa in der Bundesrepublik Deutschland entgehen. Hier kann es sein – die Gefahr droht –, dass durch ein solches Schiedsverfahren Druck auf eine soziale und ökologische Gesetzgebung ausgeübt wird. Das wäre eher ein Konjunkturprogramm für Anwaltskanzleien, nicht aber hilfreich für uns. Da ist eine rote Linie: Es kann keine Zustimmung geben zu einem Schiedsgericht, mit dem internationale Investoren über Schadenersatzprozesse die demokratische Gesetzgebung hierzulande zu beeinflussen versuchen.

[Allgemeiner Beifall]

Die EU-Kommission ist für den Außenhandel der EU zuständig. Sie hat auch ein Mandat dazu, dies zu verhandeln. Dass sie verhandelt, ist okay. Ob es ausgesetzt werden muss, weil es Probleme gibt, etwa wegen NSA oder wegen stockender Verhandlungen – wir hören, dass die Amerikaner bei den Arbeitnehmerschutzrechten richtige Probleme haben –, müssen der Bundestag und das Europäische Parlament entscheiden. Was wir aber sagen können, ist: Wenn diese roten Linien, die hier kurz skizziert wurden, überschritten werden, kann unsere Antwort nur nein heißen. – Herzlichen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Schillhaneck das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich stelle ja jetzt schon eine erfreulich breite und grundsätzliche Einigkeit in diesem Haus fest, weswegen ich fast anregen wollen würde: Lasst uns das doch heute beschließen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wenn man sich den sehr ambitionierten Zeitplan der Verhandler und Verhandlerinnnen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika anschaut, ist das eigentlich keine Sache, die wir irgendwo in den Ausschüssen versenken sollten. Je schneller wir uns dazu eindeutig positionieren, desto besser, auch für die Abstimmung zwischen den einzelnen Bundesländern, auch für die Beratung im Bundesrat und das notwendige Signal Richtung Europäische Kommission.

Wir können das relativ kurz machen, wir kritisieren ganz ähnliche Punkte. Wir als Grüne sind da klar positioniert, spätestens seit unserem eindeutigen Beschluss auf dem letzten Bundesparteitag: Wir fordern die Aussetzung dieser Verhandlungen, weil auch wir ähnliche Punkte sehen, von denen wir sagen, das geht gar nicht. Das ist das Aushöhlen von Arbeitnehmer/-innen- und Verbraucher/-innenrechten. Das ist das Aushöhlen des parlamentarischen Rechts, Gesetzesanpassungen vorzunehmen, insbesondere in den beschriebenen Bereichen. Und ja, ein ganz großer Punkt ist der angestrebte Konfliktbeilegungsmechanismus in irgendwelchen internationalen Wirtschaftsgerichten, die nicht einmal wirklich öffentlich tagen, der unser parlamentarisches Recht schlicht und ergreifend aushöhlen soll, jene Gesetze zu fassen und ggf. auch zu verschärfen, von denen wir der Ansicht sind, dass wir sie brauchen. Das machen auch wir nicht mit!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich habe mittlerweile schon viele Diskussionen zum Thema TTIP geführt – ob an der Hertie School, innerhalb von Parteikreisen oder auf anderen Podien. Von den Befürwortern und Befürworterinnen von TTIP gibt es immer ein Argument: Wenn ihr euch Gedanken um eure hohen europäischen Verbraucherschutzstandards macht – die wunderschönen Stichworte Chlorhähnchen und Monsanto fielen schon, die machen sich in der populistischen Debatte immer sehr gut –, dann ist das ja in Ordnung. Ihr müsst ja nichts absenken. – Das ist ja sehr schön, aber es geht hier auch um die Frage, ob wir weiterhin das Recht haben, dann, wenn wir es für notwendig halten, gesetzliche Regelungen zu verschärfen. Das wird uns durch dieses Abkommen auf allen Ebenen, auch bis runter zum Landesparlament, genommen, und deswegen kann das so nicht verhandelt und beschlossen werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es gibt ja nicht nur den Fall Vattenfall, die die Bundesrepublik Deutschland wegen der Energiewende verklagen. Ägypten wird gerade von Veolia – auch ein Großkonzern, mit dem wir es ja gelegentlich in dieser Stadt zu tun haben – wegen der Erhöhung des Mindestlohns verklagt. Nun stellen Sie sich mal vor, wir führen tatsächlich nach Abschluss des TTIP-Abkommens möglicherweise bundesweit einen Mindestlohn ein – so richtig, also Mindestlohn für alle.

(Frank Zimmermann)