Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

Und der Innensenator muss dafür Sorge tragen, dass die Verfahren einwandfrei durchgeführt werden. Das ist kein Widerspruch, sondern das ist das, was wir machen müssen, Herr Lederer.

[Beifall bei der CDU]

Also abschließend: Berlin leistet einen großen Beitrag im Bereich der humanitären Hilfe, wenn es darum geht, Hilfesuchende bei uns aufzunehmen. Mit der Lösung für die Flüchtlinge am Oranienplatz und der Räumung des Platzes wurde eine wichtige Etappe erfolgreich genommen. Ich sage aber auch: Wir wollen eine solche Besetzung in Zukunft nicht mehr erleben. Und der Auszug der weiteren Flüchtlinge aus der Hauptmann-Schule muss nun folgen. Denn die Grundlage für unsere Weltoffenheit, für die Toleranz, für die Menschlichkeit, die Berlin auszeichnet, ist nun einmal die Einhaltung unserer Rechts- und Werteordnung. Das gilt für den Oranienplatz, für die Gerhart-Hauptmann-Schule und die ganze Stadt. – Herzlichen Dank!

[Anhaltender Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Höfinghoff das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zweieinhalb Jahren erneuter Amtszeit als Regierender Bürgermeister hat es der Autor des Buches „Mut zur Integration“, Klaus Wowereit, geschafft, zu seinem Wahlkampfthema Integration und Migration auch einmal öffentlich zu reden. Ich hatte wirklich gehofft, Sie versuchten jetzt, den

Menschen, die Sie im September 2011 wegen Ihrer damals ausgesendeten positiven Haltung gewählt haben, zu erklären, warum Sie seit 30 Monaten ausgerechnet mit der CDU koalieren und warum Sie im Bund und in Berlin darauf verzichten, auch nur den Hauch eines Impulses für eine sinnvolle Flüchtlings- und Migrationspolitik zu geben. Diese Erklärung fehlt ebenso wie eine menschenwürdige Asylpolitik.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Flüchtlingspolitik in Berlin ist leider keinen Deut besser oder menschlicher als im gesamten Rest von Deutschland oder Europa. Sie ist geprägt von Abwehrhaltung. Da werden in der Bevölkerung Ängste geschürt, die in manchen Bezirken der Stadt leider mehr fruchten als in anderen. Beim Schüren von Ängsten sollte es aber bekanntlich nicht bleiben. Insbesondere Flüchtlinge, welche sich entschlossen hatten, sich für ihre eigenen Rechte einzusetzen, wurden und werden vom Senat auch noch aktiv bekämpft. Seit der Ankunft geflüchteter Menschen am Oranienplatz wurde nicht nur aktiv Stimmung gegen sie gemacht, sondern auch jedes greifbare Mittel eingesetzt, um diese daran zu hindern, ihren Protest und ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Besonders die Schikanen auf dem Pariser Platz beim Hungerstreik sind vielen von uns noch gut in Erinnerung: das Verbot von Sitzgelegenheiten und sogar von Sitzunterlagen überhaupt oder, wie von einem Beamten der Berliner Polizei benannt, von übermäßiger Bekleidung – bei Minusgraden im November unter freiem Himmel! All diese Auflagen wurden vom Berliner Verwaltungsgericht als rechtswidrig eingestuft. Das wäre für die Versammlungsbehörde und den Innensenator von Beginn an auch ersichtlich gewesen. Vom ersten Tag des Protestes wurde sowohl von der damaligen Bundesregierung als auch durch den Berliner Senat klargemacht, dass die politischen Forderungen von den zuständigen Instanzen nicht umgesetzt werden würden.

[Renate Harant (SPD): Wie denn auch?]

Nachdem deutlich wurde, dass der Protest dennoch nicht aufhören würde, gingen Senat und Koalition im Herbst 2013 dazu über, eine Hetzkampagne gegen das Camp am Oranienplatz zu starten. Die schlechten Lebensbedingungen der Geflüchteten wurden genutzt, um Stimmung gegen die Betroffenen und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu machen. Die Instrumentalisierung von Teilen der Geflüchteten zur gewaltsamen Räumung des Camps war dann auch nur der traurige Höhepunkt dieser Kampagne, aber darauf gehe ich gleich noch näher ein.

Ja, es stimmt, dass eine größere Gruppe von Geflüchteten bereit war, den Platz gegen Bereitstellung einer geeigneten Unterkunft zu verlassen, dass Teile dieser Gruppe auch damit einverstanden waren, die Zelte und Hütten auf

dem Platz selbst abzubauen. Dies geschah vor dem Hintergrund des vom Senat am 18. März präsentierten und seitdem nicht wesentlich veränderten sogenannten Einigungspapiers. Dieses Papier ist aus unserer Sicht an vielen Stellen vage oder schlicht nicht zielführend, denn die Gruppe der Geflüchteten ist zu heterogen, um von dem aufenthaltsrechtlichen Angebot in Gänze profitieren zu können. Dies hatte die Piratenfraktion in ihrem Antrag „Keine faulen Scheinlösungen – Gespräche mit den Refugees am Oranienplatz wieder aufnehmen!“ bereits thematisiert. Leider konnte sich die Koalition nicht dazu durchringen, alle diese Menschen fair zu behandeln.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Dennoch ist es nicht an uns, die Inhalte der Verhandlung zu bewerten. Wir respektieren jede Entscheidung der Geflüchteten, und es ist nicht unsere Aufgabe, Verhandlungen für sie zu führen. Nach unseren Informationen gab es jedoch nie einen wirklichen Konsens aller Geflüchteten, auf das Angebot des Senats einzugehen. Es existiert nämlich auch eine Gruppe von Betroffenen, die ihre Unterkünfte und den Platz als Protestcamp nicht preisgeben wollten und von Aktivistinnen und Aktivisten in dieser Entscheidung unterstützt wurden. Diese sogenannte Einigung war in Wahrheit eben auch dazu angetan, die Geflüchteten zu spalten und gegeneinander auszuspielen.

Am Dienstag erschienen gegen 6 Uhr morgens die räumungswilligen Geflüchteten, Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Angestellte der BSR. Als Erstere auch mit dem Abbau der Hütten und Zelte derjenigen begannen, die bleiben wollten, kam es zum Konflikt, und der mündete teilweise auch in Gewalt. Die „taz“ berichtete: „mehrere verletzte Afrikaner auf beiden Seiten.“

Eins muss ich an der Stelle klarstellen, Frau Kolat: Provoziert haben Sie diesen Konflikt!

[Zuruf von der CDU: Ach nee!]

Sie waren es, die die Geflüchteten, die den Platz verlassen wollten, in den Konflikt mit denjenigen hineindrängten, die bleiben wollten.

[Sven Rissmann (CDU): Ist doch lächerlich!]

Die räumungswilligen Flüchtlinge sollten ihre Bereitschaft zum Gehen auch dadurch dokumentieren, dass sie die Zelte und Hütten derer, die bleiben wollten, abrissen. Damit waren die Geflüchteten quasi gezwungen, Hütten und Zelte gegen den Willen der anderen Bewohnerinnen und Bewohner des Platzes abzureißen.

Am Dienstagnachmittag geschah dann, was sowieso von Anfang geplant gewesen war: Gegen 14.30 Uhr wurde der gesamte Oranienplatz von der Polizei nach Rücksprache mit dem Bezirksamt geräumt. Das ist das vorläufige und unrühmliche Ende eines Protests, der mit einem Marsch für die Verbesserung der Situation von Geflüchteten begonnen hatte.

Gerade nach den Ereignissen dieser Woche möchte ich die Chance nutzen, die Forderungen der Geflüchteten hier noch einmal zu wiederholen. Erstens: Beendigung der Spaltungspolitik des Berliner Senats. – Es ist unerträglich, wie der Senat geflüchtete Menschen gegeneinander ausspielt. Grundlage für die Handlung des Senats muss doch sein, allen Betroffenen zu helfen, statt ausschließlich die Rasenflächen auf den Berliner Plätzen zu schützen!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Zweitens: Aufenthaltsgenehmigung nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. – Eine Forderung, die sehr einfach durch den Senat umsetzbar ist, die Opposition hatte das bekanntlich bereits beantragt. Leider wurde auch dieser Antrag abgelehnt, und zwar durch die Koalition.

Drittens: Abschaffung der Residenzpflicht. – Dazu beraten wir gerade einen Antrag, der es ermöglichen würde, dass die zwischen Berlin und Brandenburg formale Auflösung der Residenzpflicht für geflüchtete Menschen einfacher zu nutzen ist. Auf das Abstimmungsverhalten von Schwarz-Rot bin sicherlich nicht nur ich gespannt.

Viertens: Unterbringung in Wohnungen statt Lagern. – Wieder eine Forderung, die von meiner Fraktion immer wieder thematisiert und in Anträgen eingebracht wurde, die aber samt und sonders durch die schwarz-rote Koalition abgelehnt wurde. Dass das jedoch unbedingt notwendig wäre, zeigt die Praxis jeden Tag. Die Zustände in Sammelunterkünften wie der Motardstraße sind untragbar. Immer wieder finden Angriffe auf Sammellager statt, denn sie sind Kristallisationspunkte einer neu erstarkenden Nazi-Szene Berlins. Gerade die Unterkunft in der Hellersdorfer Carola-Neher-Straße kommt nach fast einem Jahr nicht zur Ruhe. Einwohnerinnen und Einwohner werden von Rassisten gejagt, Scheiben werden eingeworfen, und es gab Anschläge mittels Sprengkörpern. Wir konstatieren: Innensenator Henkel scheint unfähig zu sein, die Einrichtungen und insbesondere ihre Bewohnerinnen und Bewohner wirksam zu schützen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Fünftens: Beendigung der Abschiebepraxis. – Der Innensenator weigert sich ja sogar, wenigstens in den Wintermonaten auf seine unmenschlichen Abschiebungen zu verzichten. Wen er damit in den Tod schickt, ist ihm offensichtlich ziemlich egal.

[Oh! von der CDU]

Sechstens: Recht auf Arbeit, gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. – Vielleicht mögen Sie ja doch noch ein bisschen zuhören. – Statt Menschen nach einer Flucht ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, ist die deutsche Asylpolitik, und damit die des Berliner Senats, ein

zig darauf ausgerichtet – wieder ein Zitat –, den Heimkehrwunsch der Asylsuchenden möglichst lebendig zu halten. – Das ist keine Willkommenskultur, das ist menschenverachtende Abschreckungspolitik!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Oh! von der CDU]

Interessant, wer da alles Geräusche von sich gegeben hat! – Siebtens: Recht auf medizinische Versorgung und Zugang zu juristischem Beistand. – Da kommen wir mal zur Durchsetzung des Rechtsstaats und zu fairer Behandlung: Die Unkenntnis der deutschen Rechtslage bei vielen der geflüchteten Menschen wird durch die Vollzugsbehörden immer wieder genutzt, um diese nach Schnellverfahren sofort abzuschieben. Viele Asylsuchende haben noch nicht einmal mit einem Rechtsbeistand gesprochen, bevor sie abgeschoben werden. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit eben auch nichts zu tun!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Achtens: Wiederaufbau des Veranstaltungszeltes und des selbstgestalteten Info-, Protest- und Vernetzungspunktes, sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen unter Einbeziehung aller Flüchtlinge mit dem Ziel, Lösungen für alle zu schaffen. – In Anbetracht der zweifelhaften Art, wie die Einigung – wie Frau Kolat es nennt – zustande gekommen ist, ist es dringend geboten, die Verhandlungen endlich auf Augenhöhe zu führen. Augenhöhe bedeutet, die formulierten Bedürfnisse und Forderungen der Geflüchteten ernst zu nehmen und eine Lösung voranzutreiben, die für beide Seiten zufriedenstellend ist und es auch erst einmal bleibt – und nicht nur, bis die Presse wegschaut!

[Beifall bei den PIRATEN]

Wir halten fest: Seit 1993 ist das Grundrecht auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt worden. Deutschland ist unter wechselnder Führung und ständiger Beteiligung von CDU und SPD beschäftigt, Menschen auf der Flucht davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen oder sie schnellstmöglich irgendwohin abzuschieben. Seit Geflüchtete, die es lebend in die Festung Europa hineingeschafft haben, die rechtlichen und sachlichen Zustände nicht mehr widerspruchslos hinnehmen, werden sie öffentlich diskreditiert. Die konservative Allianz aus Yellow Press und Regierungsparteien kann man immer wieder dabei beobachten, wie sie die Geflüchteten spaltet. Die, die für ihre berechtigten Interessen einstehen, werden oft übelsten Repressionen ausgesetzt. Selbst wenn der Oranienplatz geräumt bleibt, was wohl noch nicht in Stein gemeißelt ist: Glauben Sie, dass die Menschen einfach wieder in ihre Lager zurückkehren und dort auf die Versprechen hin noch mal 20 Jahre auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände warten? – Ich glaube das nicht. Ich glaube, der Protest wird weitergehen, er wird neue Formen finden, und er wird sich auf keinen Fall wieder marginalisieren lassen. – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Für eine Kurzintervention hat jetzt der Kollege Dregger das Wort.

[Ah! von den GRÜNEN]

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Höfinghoff! Was Sie hier absondern, ist eine Unverschämtheit gegenüber dem Innensenator. Sie werfen ihm vor, es sei ihm egal, wen er in den Tod schickt. Ich kann Ihnen nur sagen, Sie reden an der Realität vorbei, und Sie säen Hass und bringen die Menschen unserer Stadt gegeneinander auf. Dagegen verwahre ich mich.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich glaube, Sie können es nicht ertragen, dass Sie verloren haben, weil Sie und Ihre hilfsbereiten linksextremistischen Unterstützer es nicht geschafft haben,

[Zuruf von den PIRATEN]

die Flüchtlinge zu zwingen, am Oranienplatz auszuharren und dort weiterhin Instrument Ihrer Flüchtlingspolitik zu sein. Die haben verstanden, dass das nicht der Weg ist. Sie haben sich aus Ihrer Umklammerung befreit. Und sie sind den Weg der Vernunft mit dem Senat gegangen. Dafür haben die Flüchtlinge meinen Respekt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Dr. Manuela Schmidt (LINKE)]

Sie haben auch nichts verstanden. Sie haben nicht verstanden, dass Toleranz nicht möglich ist gegen den Rechtsstaat, sondern nur mit dem Rechtsstaat und dass, wie unser Fraktionsvorsitzender es vorhin völlig zu Recht gesagt hat, Toleranz nur möglich ist im Rahmen des rechtsstaatlichen Verfahrens und nicht gegenüber Menschen, die gegen den Rechtsstaat verstoßen. Deswegen ist der Weg richtig gegangen worden, den der Senat hier mit einer gemeinsamen Linie gegangen ist, auf der einen Seite klarzumachen, dass Gesetze durchzusetzen sind und dass ein Platz nicht besetzt werden kann, auf der anderen Seite aber auch die Hand auszustrecken, um die Menschen aus Ihrer Umklammerung zu lösen und einen Weg in die Rechtmäßigkeit zurückzufinden. Ich gratuliere dem gesamten Senat ausdrücklich zu diesem erfolgreichen Weg.