Protokoll der Sitzung vom 05.06.2014

Ich glaube aber, dass man das nicht mehr eingleisig diskutieren kann, Radverkehr gegen Autoverkehr oder umgekehrt, sondern es geht darum, dass wir eine intelligente Mobilität mit Wahlmöglichkeiten anbieten. Das ist es, was die Leute zunehmend wollen. Sie wollen verkehrs- und situationsbezogen entscheiden, ob sie auf den ÖPNV setzen, zu Fuß gehen, mit dem Rad oder dem eigen Auto unterwegs sind, ob sie eine Kombination aus Rad und Carsharingangeboten oder aus Rad und ÖPNV nutzen. Darauf müssen wir setzen. Natürlich hat auch der moto

(Sven Heinemann)

risierte Verkehr weiterhin – sowohl im Wirtschaftsleben als auch als Individualverkehr – seine Berechtigung in unserer Stadt. Auch das darf man nicht vergessen. Insofern, Herr Kollege Baum, ist es nicht wirklich zukunftsweisend, den alten Fehler, auf die autogerechte Stadt zusetzen, dadurch zu ersetzen, dass man auf die fahrradgerechte Stadt setzt, und die großen Schneisen nicht mehr für die Autos zu bauen, sondern für Fahrräder.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Entscheidend ist, dass wir die situationsangepasste Mobilitätsform anbieten können und vor allem den Mix. Für die jüngeren Leute steht das Auto beziehungsweise die Mobilität mit dem eigenen Auto nicht mehr im Vordergrund.

[Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE) und Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]

Davon hat man sich völlig wegentwickelt. Gemessen an der Bevölkerungsentwicklung geht der motorisierte Individualverkehr von Jahr zu Jahr auch immer mehr zurück. Das muss man ernst nehmen und aufnehmen. Ich sage: Berlin ist auch eine Fahrradstadt, aber das Fahrrad ist in einen Mobilitätsmix und ein Mobilitätsangebot eingebunden. Das haben wir im Stadtentwicklungsplan Verkehr entsprechend formuliert. Auf den Mix aus ÖPNV, Rad, Fußverkehr und motorisiertem Verkehr setzen wir.

Wir werden immer wieder – auch in den heutigen Reden – verglichen: Was machen andere besser oder mehr? Wenn man die unterschiedlichen Referenzen, Münster, Kopenhagen, Hamburg, München, London oder Paris, nimmt, kommt man zu ganz verschiedenen Werten, ob Berlin gut oder schlecht aufgestellt ist. Ich glaube, Patentrezepte gibt es nicht. Jede Stadt muss eigene Lösungen finden. Wir haben ganz klar gesagt: Wir wollen, dass der Radverkehr in Berlin weiter wächst, dass er bessere Bedingungen vorfindet und sicherer wird. Unser Ziel ist, dass wir bis zum Jahr 2025 einen Anteil von Wegen, die mit dem Rad zurückgelegt werden, von 20 Prozent haben. Das wäre ein ganz klarer Ausbau dieser Mobilitätsform.

Man muss das mit den unterschiedlichsten Maßnahmen tun, auch wegen der Unfallstatistik, die einen nicht beruhigen kann. Jeder Unfall ist einer zu viel. Deswegen muss es unterschiedlichste Varianten geben, wie wir dem begegnen. Die sichere Führung des Radverkehrs an Knotenpunkten und die Entschärfung von Unfallschwerpunkten ist ein Hauptschwerpunkt unserer Arbeit. Das, was wir gemacht haben – auch über Onlinedialoge –, die Berlinerinnen und Berliner aufzurufen, uns die Probleme in der Stadt zu nennen, ist vernünftig. Die Nutzerinnen und Nutzer wissen das doch viel besser und erleben es jeden Tag. Sie sagen uns, was man verbessern kann. Wir haben viele Tausend Rückmeldungen auf dieses Angebot erhalten, das wir der Stadtgesellschaft gemacht haben. Das ist kein Dialog, der in eine Sackgasse führt, die keine Folgen hat, sondern die Vorschläge werden konkret ausgewertet und fließen in unsere nächsten Investitionsent

scheidungen ein. Natürlich werden wir wiederum mit der Stadtgesellschaft diskutieren, ob das die richtigen Maßnahmen sind und wo noch mehr passieren muss.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reinhardt?

Herr Kollege Wolf! Ja, wir müssen auch mit den Investitionsmitteln vorankommen. Das ist gar keine Frage. Das ist immer eine harte Auseinandersetzung bei Haushaltsberatungen. Sie haben damit auch zehn Jahre lang Ihre Erfahrungen gemacht. Man wird sich nicht immer in jeden Haushaltsberatungen mit jeder Forderung durchsetzen können. Wir sind aber dabei, die Situation auf den Straßen zu verändern, indem wir die Radstreifen auf den Fahrbahnen anlegen. Da schreien nicht alle Hurra. Es gehört zur Wahrheit, dass sich viele davon genervt fühlen, dass dem Autoverkehr etwas weggenommen wird. Es ist aber eine richtige und wichtige Maßnahme, denn die Radfahrerinnen und Radfahrer sehen besser und werden besser gesehen. Das entschärft Unfallschwerpunkte. Das entschärft kritische Situationen. Abbiegesituationen wollen wir verbessern, indem wir Kreuzungen von parkenden Autos freihalten und gerade an Unfallschwerpunkten die Sicherheit der Radfahrerinnen und Radfahrer erhöhen.

Wir konnten unsere Mittel steigern. Es ist doch gar nicht schlimm zu sagen, dass wir aus den unterschiedlichsten Quellen Mittel für die Instandhaltung, Sanierung und den Ausbau der Radangebote und insbesondere für die Radstreifen auf den Fahrbahnen einbringen. Dafür stehen uns inzwischen 8 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Es hat eine kontinuierliche Steigerung gegeben. Wir können andere Mittel aus anderen Töpfen dafür einsetzen. Das ist erst einmal eine gute Variante. um voranzukommen. Wir werden sehen, dass wir in den nächsten Jahren hoffentlich gemeinsam erfolgreich diese Etats vergrößern können. Aber man muss ehrlicherweise sagen, dass es möglicherweise zulasten eines anderen Verkehrsangebots geht. Das muss man dann auch aushalten und miteinander diskutieren.

Ich will an der Stelle auch sagen, dass wir auch sehen müssen, dass solche Dinge vernünftig umgesetzt werden können. Das, was wir beim Straßenumbau für die Radfahrerinnen und Radfahrer tun, passiert in Abstimmung mit den Bezirken. Auf Wunsch der Bezirke werden die entsprechenden Baumaßnahmen durchgeführt. Es gibt viele Dinge, wo sich hier vielleicht die Verkehrspolitiker der Fraktionen noch mehr wünschen, was die Bezirke so aber gar nicht wollen oder noch gar nicht angemeldet haben.

(Bürgermeister Michael Müller)

Wir haben auch die Situation, dass diese Maßnahmen auch in unserer Stadt bewältigt werden müssen. Da sind wir doch wieder bei dem St.-Florians-Prinzip, das wir auch schon vom Wohnungsbau kennen. Natürlich schreien alle danach, dass noch mehr auf den Straßen passiert, noch mehr für die Radfahrerinnen und Radfahrer ausgebaut wird und noch mehr Straßensanierungen vorgenommen werden, aber keiner will die Baustelle haben. Aber auch an dieser Stelle ist es nicht möglich, die Rad- und Verkehrssituation zu verbessern, ohne dass es einer merkt. Insofern sage ich: Der kontinuierliche, schrittweise Ausbau und die Verstärkung der Radinfrastruktur in unserer Stadt ist der richtige Weg. Das finanzieren wir auch.

[Beifall bei der SPD]

Natürlich gehören auch noch andere Maßnahmen zu einem sicheren Radverkehr in unserer Stadt. Auch das Thema Kommunikation spielt eine Rolle. Wir haben – das darf man auch nicht wegdiskutieren – nicht nur die Guten und die Bösen, sondern auch ein Problem, dass Radfahrerinnen und Radfahrer aller Altersgruppen zunehmend ganz selbstverständlich Bürgersteige mit benutzen und rote Ampeln ignorieren.

[Alexander Spies (PIRATEN): Immer diese Raser und roten Ampeln!]

Ich bin längst nicht dabei zu sagen, dass es diese Kampfradler gibt. Das ist nicht der Fall. Das, was Herr Ramsauer einmal von Kampfradlern gesagt hat, dass diese unsere Städte kaputt machen, ist alles Quatsch, Herr Spies. Auf der anderen Seite muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass es auch noch andere Verkehrsteilnehmer gibt, auch solche, die vielleicht noch schwächer sind.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das greifen wir mit unserer Rücksichtkampagne auf und machen deutlichen, dass jeder auch einmal der schwächere Verkehrsteilnehmer ist. Auch der Autofahrer ist mal mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs, auch der Radfahrer ist mal zu Fuß. Es kommt darauf an, nicht zu sagen, dass die einen dürfen und die anderen nicht, sondern dass sich alle gemeinsam rücksichtsvoll in der Stadt bewegen und auch wirklich Rücksicht auf diejenigen nehmen, die auch ein sicheres Fortkommen garantiert haben müssen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauer?

Nein, Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage. – Wir setzen auf die Onlinedialoge und die Kampagnen, dass die Infrastruktur weiter ertüchtigt und ausgebaut wird. Allein bis Ende des Jahres 2014 sollen drei weitere Hauptrouten unseres Netzes vollständig fertiggestellt und ausgeschildert sein. Das sind Mitte, Märkisches Viertel,

Hohenschönhausen, Ahrensfelde und Ahrensfelde-Köpenick.

Ein weiterer Punkt ist das Fahrradparken. Das ist gar keine Frage. Auch da brauchen wir eine Weiterentwicklung. In diesem Jahr werden wir wieder 1 000 neue Abstelleinrichtungen dazu bekommen. Das ist eine wichtige Weiterentwicklung an den Knotenpunkten.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Dazu ist die Deutsche Bahn ein wichtiger Partner, gerade an den Bahnhöfen zusätzliche Abstellmöglichkeiten einzurichten. Ich sage aber auch, dass sich Wohnungswirtschaft, private Wohnungswirtschaft, Einzelhandelsunternehmen darauf einstellen müssen. Es geht hier um Kunden- und Mieterfreundlichkeit. Es geht nicht nur um den Parkplatz für das Auto vor der Tür. Es geht auch darum, Infrastruktur für Radfahrerinnen und Radfahrer zu schaffen. Da kann auch jeder selbst etwas tun, gerade aus der privaten Wohnungswirtschaft und dem Bereich des Einzelhandels.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich will noch erwähnen, dass wir selbstverständlich – auch daran merkt man, dass wir nicht nur auf das Auto setzen – auch im Bereich unseres Schaufensters Elektromobilität ein Fahrradprojekt dabei haben. Mit dem Pedelec-Korridor wollen wir stadtgrenzenüberschreitend zusammen mit vielen Partnern erproben, mit welchen Maßnahmen man Berufspendler für die Nutzung eines Elektrorads auf ihren alltäglichen Wegen auch für längere Strecken zurückgewinnen kann, nicht nur für die kurzen Wege in der Stadt. Der Pendelverkehr spielt in anderen Städten, beispielsweise in Kopenhagen, inzwischen eine große Rolle und reduziert den motorisierten Individualverkehr. Auch darauf setzen wir in Zukunft.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema Fahrradbeauftragter sagen, weil das immer der Aufreger ist: Daran sieht man, dass ihr nicht fahrradfreundlich seid. Ich glaube, meine Damen und Herren von den Piraten, dass sich diese Situation längst weiterentwickelt hat. Es war einmal richtig und wichtig, Fahrradbeauftragte zu haben. Das war in vielen deutschen Städten der Fall. Inzwischen haben viele deutsche Städte, auch Fahrradstädte, keine Fahrradbeauftragten mehr, weil sich die politische und gesellschaftliche Diskussion weiterentwickelt hat. Dieser eine Lobbyist, auf den man immer alles schieben konnte und damit sagen konnte, man hätte damit nichts zu tun, darum kümmere sich ein Fahrradbeauftragter, ist genau der falsche Weg.

[Beifall bei der SPD – Christopher Lauer (PIRATEN): Dann schaffen wir auch die Gleichstellungsbeauftragten ab!]

Es geht darum, dass Fahrradverkehr ein integrierter Bestandteil unserer Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik ist. Das muss nicht nur innerhalb der Stadtentwicklungspolitiker übergreifend diskutiert werden, sondern ress

(Bürgermeister Michael Müller)

ortübergreifend erfolgen. Das ist der richtige Ansatz, nicht zu sagen, dass es da ein Deckmäntelchen gibt, mit dem man sich freikaufen und sagen kann, dass der alles tut. Wir sind miteinander gefordert, tatsächlich den Radverkehr in unserer Stadt umzusetzen.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Tun Sie aber nicht!]

Wir machen das auch mit „Fahr-Rat“ beispielsweise begleitend durch Expertinnen und Experten, in dem alle Verbände sitzen. Selbstverständlich leisten auch der ADFC sowie der BUND eine hervorragende Arbeit, sodass ich glaube, dass mit der Kompetenz in der Verwaltung und diesen externen Partnern eine hervorragende Grundlage vorhanden ist, um den Radverkehr in unserer Stadt zu stärken.

Es wäre unredlich zu behaupten, dass alles erreicht ist. Es wäre auch unredlich zu behaupten, dass alles im Bereich des Radverkehrs von heute auf morgen geht. Man muss offen und ehrlich sagen: Andere Verkehrsteilnehmer in unserer Stadt haben auch ihre Berechtigung. Wir sind aber auf einem sehr guten Weg. Wir machen sehr viel für die Radfahrerinnen und Radfahrer. Der Radverkehr ist inzwischen nicht nur ein Symbol für den modernen und urbanen Lebensstil geworden, sondern ist etwas, was verkehrs- und umweltpolitisch die richtige Maßnahme ist, auf die wir auch in Zukunft setzen werden. Vor dem Hintergrund sage ich: Ja, es ist richtig, Berlin ist auch eine Fahrradstadt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Senator! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Wir kommen nun zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in zwei Runden nach der Stärke der Fraktion mit je einer Fragestellung an den Senat. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Die erste Frage steht der Fraktion der SPD zu. Herr Kollege Nolte hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Wie bewertet der Senat die Vereinbarungen der großen Koalition im Bund, sich zukünftig stärker finanziell an den Bildungs- und Sozialausgaben der Länder zu beteiligen? Welche Auswirkungen sind für den Berliner Landeshaushalt zu erwarten?

Herr Dr. Nußbaum, bitte schön!

[Dr. Gabriele Hiller (LINKE): Kurz und knackig!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bekannt, dass der Bund ab dem 1. Januar 2015 die BAföGAusgaben übernehmen wird. Wir rechnen mit netto 60 Millionen Euro. Das ist auch gut so. Es ist aber auch längst überfällig, dass dies geschieht. In der Vereinbarung steht klar die Erwartung, dass die frei werdenden Mittel zur Finanzierung von Bildungsausgaben im Bereich Hochschule und Schule verwendet werden sollen. Das tun wir. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass wir bereits über den Stellenmehrbedarf im Lehrkräftebereich etwa 1 137 Vollzeitäquivalente mehr brauchen. Das sind etwa 80 Millionen Euro. Wir werden mehr Lehrer durch den Abbau der Arbeitszeitkonten einstellen müssen. Wir wollen das ausgleichen. Das sind 238 sogenannte Vollzeitäquivalente und noch einmal 16,7 Millionen Euro. Wir haben – wenn Sie das verfolgen – durch die Privatschulfinanzierung sehr starke Belastungen gegenüber den Haushaltsansätzen. Das sind noch einmal 50 Millionen Euro. Wegen der wachsenden Schülerzahlen im Privatschulbereich werden wir mit Belastungen von weiteren 26 Millionen Euro rechnen. Das macht insgesamt 173 Millionen Euro aus. Da wir nur 60 Millionen Euro erhalten, werden Sie feststellen, dass noch 120 Millionen fehlen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Ich fasse es nicht!]

Ich wäre froh, wenn wir mehr erhielten, damit wir hier die erfolgreiche Politik im Bereich der Bildung, Ausbildung und Fortbildung sowie in der Wissenschaft fortsetzen können. – Vielen Dank!