Wenn wir alle Berliner Eltern und Kinder, ohne jemanden zurückzulassen – das ist immer erklärtes Ziel der Koalition –, für die Kindertagesbetreuung gewinnen wollen, geht das nur, - -
Meine Damen und Herren! Wenn Sie etwas zu besprechen haben, gehen Sie doch raus, bitte! – So, Frau Kollegin Möller, bitte sehr!
Also: Wenn wir alle Eltern für die Kindertagesbetreuung gewinnen wollen, geht das nur, indem einerseits der Zugang zur Kita erleichtert und andererseits die Qualität der pädagogischen Arbeit überzeugend weiterentwickelt wird. Nur so und natürlich nicht durch Zwang und Druck! Wir haben mit den vorliegenden Anträgen zwei Vorschläge entwickelt, die wir gerne mit Ihnen diskutieren wollen, einmal einen Schritt hin zur Sprachförderung entsprechend dem tatsächlichen individuellen Bedarf und zum Zweiten den Abbau der Zugangshürde Bedarfsprüfung für die Ganztagsbetreuung, ein nervtötendes bürokratisches Monster, an dem gerade jene scheitern, die wir am dringendsten gewinnen wollen.
Es ist ein erklärtes Ziel in dieser Stadt, allen Kindern vom ersten Lebensjahr an den ungehinderten Zugang zu früher Förderung und Bildung zu ermöglichen. Das muss auch im Ganztag möglich sein, wenn Eltern das wollen und Kinder das brauchen; denn ob Eltern arbeiten oder nicht, sagt nichts darüber aus, welchen Förderumfang ein Kind benötigt.
Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU ist der Wegfall der Bedarfsprüfung für Kinder ab drei Jahren schon angekündigt. Gut so! Machen Sie doch gleich Nägel mit Köpfen! Das sollte ab dem ersten Lebensjahr gelten!
Ein weiterer Aspekt ist bei der letzten Untersuchung zur Optimierung der Geschäftsprozesse in der Berliner Verwaltung aufgetaucht. Dort wurde der Bereich Kitagutscheinstelle im Jugendamt als besonders ineffizient ausgemacht. Die Mitarbeitenden sind vielfach überlastet. Eine durchschnittliche Aktenbearbeitungsdauer von sechs Stunden pro Fall lässt kaum Spielraum für die eigentliche wichtige Aufgabe Unterstützung und Beratung der Eltern. Bei Wegfall der Bedarfsprüfung würden wertvolle Ressourcen für andere Aufgaben frei, zumal der Bedarf ohnehin regelhaft positiv beschieden wird. Wir brauchen die Bedarfsprüfung nicht.
Wir gehen auch nicht davon aus, dass sich die Inanspruchnahme der Kitabetreuung durch den Wegfall der Bedarfsprüfung signifikant ändern würde. Die Quoten sind bereits jetzt sehr gut. Es fiele lediglich eine Verwaltungshürde.
Für die Sprachförderung wollen wir den Wegfall und im ersten Schritt eine Absenkung der 40-Prozent-Quote. Die derzeitige Regelung, Kitas zusätzliche Personalstellen zur Verfügung zu stellen, wenn sie mindestens einen Anteil von 40 Prozent Kinder mit nichtdeutscher Herkunft nachweisen, geht, wie sich gezeigt hat, völlig an der Realität vorbei. Erstens ist die nichtdeutsche Herkunft, kurz ndH genannt, ein unsägliches Stigma, nicht mehr zeitgemäß und kein Beleg dafür, dass zusätzlich Förderbedarf besteht.
Zweitens funktioniert die Quotenregelung nicht, weil Kitas, die die Hürde nicht erreichen und zum Beispiel nur 35 Prozent sogenannte ndH-Kinder betreuen, leer ausgehen. Das führt laut Bericht des Senats vom Januar dieses Jahres dazu, dass aktuell 12 000 Kinder nicht berücksichtigt werden.
Drittens ist längst erwiesen, dass besonderer Sprachförderbedarf vor allem und zunehmend bei Kindern besteht, die aus armen Familien und aus Familien mit komplexen sozialen Problemlagen kommen, egal welcher sprachlicher Herkunft. Der Einsatz von zusätzlicher Sprachförderung muss künftig nach individuellem Bedarf erfolgen.
Es wird natürlich auch mehr Personal benötigt. Allein die Förderung der derzeit ignorierten 12 000 Kinder erfordert ein Mehr von 200 Erziehern und Erzieherinnen. Wir wissen alle, dass das in dieser Stadt ein großes Problem ist. Auch das werden wir sicherlich – wie immer – konstruktiv im Ausschuss diskutieren. Ich bitte, bezogen auf diese beiden Anträge, gerade auch unsere Haushälter und Haushälterinnen, an dieser Stelle nachhaltig zu denken und nicht in Legislaturperioden. Kinder brauchen dann Sprachförderung, wenn sie in der entsprechenden kognitiven und sozioemotionalen Entwicklungsphase sind. Was hier verpasst wird, ist später nicht mehr aufzuholen.
Und noch eine Bemerkung in Richtung der Finanzexperten, die ich hier einfach mal loswerden muss, weil endlich die Resultate der eigentlich schon für die Zeit vor der Bundestagswahl angekündigten Gesamtevaluation der familienbezogenen Leistungen des Bundes vorliegen: Siehe da, beim systematischen Vergleich sticht die geförderte Kindertagesbetreuung besonders positiv hervor. Sie ist die einzige Maßnahme, die sich positiv auf alle analysierten Ziele auswirkt. Hier solle mehr investiert werden. Es handelt sich hier um Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, des IFA-Instituts und des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung – allesamt weit entfernt von sozialpädagogischen Ambitionen, sondern mit festem Blick auf die jährlich vom Bund weitgehend ineffizient eingesetzten 200 Milliarden Euro für familienbezogene Leistungen, von denen weniger als 10 Prozent in die wirkungsvollste Maßnahme, nämlich in die Kindertagesbetreuung fließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist verrückt. Bitte lassen Sie es uns hier im Land Berlin anders machen!
Vielen Dank, Frau Kollegin Möller! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Eggert. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Möller! Ich bin Ihnen zunächst einmal für die beiden Anträge sehr dankbar, denn sie gehen durchaus in die richtige Richtung. Wir, und gerade wir Jugend- und Familienpolitiker und -politikerinnen, sind uns – Sie haben es gesagt – in vielen Punkten, was die Förderung und den Förderbedarf angeht, einig.
Lassen Sie mich zunächst auf Ihnen Antrag zur Abschaffung der Bedarfsprüfung eingehen! In der Tat ist es mehr als sinnvoll, keine unnötigen Hürden aufzubauen, um Eltern von einem Kitaplatz zu entfernen. Einen einfachen Kitagutschein für einen Ganztagsplatz zu beantragen, dieses liegt uns sehr am Herzen. Wir haben es deswegen auch mit der CDU zusammen in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Die Koalition hat sich dafür ausgesprochen, die Bedarfsprüfung für einen Ganztagsplatz für Drei- bis Sechsjährige zum Ende der Legislaturperiode abzuschaffen. Vielen Dank also noch einmal, dass Sie uns mit Ihrem Antrag etwa zur Halbzeit daran erinnern. Wir werden uns daranmachen.
Wir haben vor allen Dingen Interesse daran – ich habe mir das ausgedruckt, um mir das anzugucken –, dieses sehr umfangreiche, mehr als drei Seiten umfassende Formular mit sehr vielen Fragen so zu überarbeiten, dass das Ganze einfacher wird. Nichtsdestotrotz werden wir einige der Punkte nach aktueller Gesetzeslage immer noch abfragen müssen. So spielen zum Beispiel bei der Sprachförderung – deswegen hängen diese beiden Anträge auch sinngemäß sehr gut zusammen – zur aktuellen Zeit der ndH-Anteil und der Förderbedarf zusammen. Hier würden wir gerne gucken, was man davon an Daten braucht und wie man sie abarbeiten kann. Wir werden das im Ausschuss gemeinsam besprechen.
Das Ziel auch einer unserer Vereinbarungen im Koalitionsvertrag ist, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen – eine Zielsetzung, die immer mehr junge Leute auch in unserer Stadt sich für ihren Lebensentwurf vorstellen. Wir kämpfen dafür, dass das möglich ist. Wir sehen ja auch auf Bundesebene, das „Elterngeld Plus“ geht genau in diese Richtung, diese Zeit partnerschaftlich zu verbringen.
Auch der Senat hat diesbezüglich schon einiges getan. Die generelle Beitragsfreiheit für die letzten drei Kitajahre sei hier exemplarisch genannt. Nichtsdestotrotz sollten wir im Ausschuss ihren Antrag dahin gehend beraten, wie wir im Sinne einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Lage in unserer Stadt für unsere Bürgerinnen und Bürger weiter optimieren können.
Nun zu Ihrem Antrag „Fördern statt testen“! Das ist eine gewisse Provokation, Frau Möller, das wissen Sie, weil wir gerade die Verbindlichkeit von Tests erhöht haben. Davon werde ich heute auch nicht abweichen. Ich finde aber den zweiten Teil Ihres Antrags, „Sprachförderung für alle!“ sehr gut, denn sie ist für alle wichtig. Aber auch hier zeigt sich ein systematischer Fehler. Sprachförderungsbedarfe können in allen Bevölkerungsgruppen und auch in allen Nationalitäten und Herkunftsländern auftreten. Dieses muss berücksichtigt werden. Auch hier möchten wir als Koalition uns dafür einsetzen, dass kein Kind zurückgelassen und die Sprachkompetenz als Türöffner
Aber man muss wieder sagen: Natürlich hat der Senat auch auf diesem Feld bereits vieles unternommen. Ich verweise diesbezüglich gerne auf das aktuelle Berliner Bildungsprogramm und rege daher an, dass wir uns damit im Ausschuss intensiv beschäftigen und uns vielleicht den Stand der Sprachförderung in Form einer Anhörung darlegen und auch aktuelle Bedarfe aufzeigen lassen. Denn – und das muss man immer wieder sagen – wir müssen auch evaluieren, wir müssen auch gucken, ob die Maßnahmen, die wir treffen, die wir initiieren, das bewirken, was wir gerne möchten. Ich glaube, wir sind da auf einem ganz guten Weg. Als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Bereich werden wir das gemeinsam schaffen.
Ich habe zwar noch eine ganze Minute, aber mir bleibt noch ein letzter Satz, den ich immer wieder gerne wiederhole, es geht zwar nicht um die S-Bahn wie bei dem Kollegen, aber dennoch sollte Berlin viel mehr Geld ausgeben für seine Jugendlichen, und darum werden wir im nächsten Doppelhaushalt kämpfen. Ich bemühe mich, den Präsidenten zufriedenstellen und diesen Satz auch auf Latein zu lernen.
Vielen Dank! Es entwickelt sich! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Burkert-Eulitz! – Bitte sehr, Frau Kollegin!
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Möller! Vielen Dank erst einmal, dass Sie mit den Anträgen dafür Sorge tragen, dass wir das wichtige Politikfeld frühe Bildung weiter debattieren können. Lieber Herr Eggert! Ich freue mich, dass Bewegung in die Geschichten kommt. Wir werden Ihre heutige Rede sicherlich auf Wiedervorlage legen und Ende des Jahres oder am Ende der Legislaturperiode nachfragen, was daraus geworden ist.
Vielleicht als Vergleich: Auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Remlinger ist klar geworden, dass 12 600 Stunden Sprachförderung pro Woche in der Schule ausfallen. Das sind 450 Lehrerinnen- und Lehrerstellen im Jahr. Also, dass der Senat oder die große Koalition hier besonders viel Wert auf Sprachförderung legt, kann ich daraus nicht erkennen.
Die Opposition hier im Haus setzt auf Wege, Eltern zu motivieren, ihre Kinder möglichst frühzeitig in die Kita zu schicken. Wir wollen dies durch Wertschätzung aller Eltern und die Werbung um ihre Mitarbeit erreichen. Dieser Weg ist sehr viel effizienter und ermöglicht den Kindern, ihre Lebenschancen zu verbessern. Die Koalition dagegen setzt auf der einen Seite sehr auf Zwang und Druck. Die lauteste Kitapolitik wird eher von Innenpolitikern gemacht, die lieber Bußgeldbescheide verschicken, als Eltern zu motivieren und um sie zu werben. Die Eltern in Berlin und auch die Fachleute sehen das anders. Die folgen unseren Ansichten. Und dem sollten Sie sich anschließen.
Liebe Frau Möller! Sie sprechen mit Ihren Anträgen zwei Thematiken an, die in der Praxis noch nicht ausreichend gelöst sind. Diese Themen hat auch das Berliner Kitabündnis in sein Acht-Punkte-Sofortprogramm aufgenommen. Allerdings müssen wir weiter über die Details sprechen. Darauf freue ich mich.
Ich teile Ihren Ansatz und den Ansatz des Kitabündnisses, ein Willkommenspaket zum ersten Geburtstag ihres Kindes an die Eltern zu versenden. Die Beratungs- und Informationsstrukturen der Jugendämter müssen ausgebaut werden. Das heißt, das Land Berlin hat dafür Sorge zu tragen, dass die Kitagutscheinstellen entsprechend besser ausgestattet werden.
Ich teile auch die Auffassung des Kitabündnisses, dass die erneute Bedarfsprüfung für Dreijährige wegfallen muss. In der Stadt sind immer wieder Eltern und Kinder davon betroffen, dass wenn etwa ein Geschwisterkind geboren wird, für ältere Kinder die Kitazeit mit der Begründung gekürzt wird, die Eltern seien ja jetzt in der Elternzeit und damit würden Ansprüche auf einen Ganztagsplatz wegfallen. Kein Kind kann nachvollziehen, warum es nicht mehr wie vorher die Kita besuchen darf. Auch pädagogisch ist das absoluter Quatsch. Für die Eltern ist keinerlei Entlastung gegeben. Dieser Unsinn muss aufgegeben werden. Ich freue mich, dass Sie dies tun wollen, aber da müssen sie nicht erst bis zum Ende der Legislaturperiode warten, das können Sie sofort tun. Einfach einen Satz streichen geht schnell.
Ob die gesamte Bedarfsprüfung wegfallen soll und ob sofort, müssen wir noch besprechen. Wir müssen auch darauf schauen, welche finanziellen Ressourcen wir haben. Wir müssen die Kitas weiter ausbauen, Fachkräfte sichern, aber grundsätzlich ist es richtig, dass wir beim Personalschlüssel nachgucken müssen.
Der Senat macht derzeit etwas ganz anderes und lässt untersuchen, in welchem Ausmaß die Eltern die Zeiten der Kitagutscheine in Anspruch nehmen. Welches Ziel mit dieser Maßnahme, die immerhin Hunderttausende von Euro kostet, erreicht werden soll, ist weder mir noch den meisten Eltern klar.