Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweiten Lesungen und schlage vor, die Einzelberatung der 13 Paragrafen bzw. zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschriften und die Einleitungen sowie die 13 Paragrafen bzw. zwei Artikel der Drucksachen 17/1599 und 17/1053. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von grundsätzlich fünf Minuten zur Verfügung.

Es beginnt die Fraktion der CDU. Der Kollege Evers hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz des Abstimmungsmarathons, den wir hinter uns haben, stehen genauso wichtige Abstimmungen noch vor uns.

Was lange währt, wird endlich gut. Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, dass dieses Haus zum ersten Mal über das damals von der CDU-Fraktion eingebrachte Gesetz zur Einführung sogenannter Business-Improvement-Districts beraten und es damals zu unserem Leidwesen abgelehnt hat. Heute verabschieden wir das BIG, das Berliner Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften, ein Gesetz, das sich als ein klares politisches Bekenntnis zu den historisch gewachsenen Einzelhandelszentren Berlins begreift, Einzelhandelszentren, die in ihrer Vielfalt und Unverwechselbarkeit ein klarer Teil der Identität und ein Markenzeichen unserer Stadt Berlin sind. Von der Altstadt Spandau bis zur Friedrichstraße, vom Kurfürstendamm bis zur Turmstraße, überall in Berlin prägen diese Zentren, diese Geschäftsstraßen das Bild und die Erfahrung von unserer Stadt.

Es hat zehn Jahre gebraucht, zehn Jahre, in denen sich die Einzelhandelslandschaft in Berlin tief greifend verändert hat. Gerade erst haben wir die Eröffnung des 65. Berliner Shoppingcenters hinter uns. Es hat seine Tore am Leipziger Platz geöffnet. Das sind 65 professionell gemanagte Einkaufszentren, allesamt gut erreichbar, ausreichende Zahl von Parkplätzen, geschützt vor Wind und Wetter, einheitliche Öffnungszeiten, gemeinsamer Werbeauftritt, das sind durchaus Stärken.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Mit dieser Dichte von Shoppingmalls liegt Berlin sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ pro Einwohner im bundesweiten Vergleich an der Spitze. Gleichzeitig nimmt der Anteil des Onlinehandels immer weiter zu. Beides bedeutet eine Herausforderung, aber auch Chancen für den traditionellen Einzelhandel. Der Strukturwandel und die aus Kundensicht unzweifelhaft vorhandenen Stärken von Shoppingcentern einerseits, aber auch Onlinehandel andererseits sind gewaltige Herausforderungen für unsere Geschäftsstraßen, für unsere gewachsenen Zentren. Wir alle wissen aus unseren Wahlkreisen, sie

(Vizepräsident Andreas Gram)

stehen in diesem Wettbewerb unter ganz erheblichem Druck.

Ich glaube aber fest daran – und ich hoffe, dieser Glaube ist uns gemeinsam –, dass diese Zentren im Wettbewerb nicht nur bestehen können, sondern auch langfristig gute Entwicklungsperspektiven haben, nämlich dann, wenn wir gemeinsam etwas dafür tun und diese Entwicklung positiv flankieren. Die Voraussetzungen dafür sind einerseits kluge unternehmerische Entscheidungen der Einzelhändler, der Gewerbetreibenden. Das können, das wollen wir ihnen, das wollen wir dem Markt nicht abnehmen. Das andere ist aber auch eine vorausschauende, eine möglichst weise Stadtentwicklungs- und Zentrenpolitik auf der anderen Seite.

Wir verfügen schon heute über ein breites Instrumentarium, mit dem wir die Entwicklung unserer Geschäftsstraßen positiv begleiten und fördern, sei es unsere Zentrenpolitik, der StEP Zentren sei genannt, sei es das Programm „Aktive Zentren“ und vieles andere mehr. Das ist ein Baukasten, auf den wir nicht verzichten wollen. Das stellen wir alles nicht infrage, aber wir wollen diesen Baukasten ergänzen, denn die wichtigste Ressource zur Stärkung und für eine gute Entwicklung unserer Zentren, sind nicht staatliche Programme und Unterstützungsmaßnahmen, sondern die wichtigste Ressource ist das Engagement der örtlichen Gewerbetreibenden, der Anwohner und der Grundstückseigentümer selbst. Deren Unternehmergeist und deren Unternehmungslust machen den Unterschied, und beides wollen wir uns zunutze machen.

Das Einkaufserlebnis und die Atmosphäre der Berliner Shoppingmalls sind in aller Regel so bequem wie austauschbar. Demgegenüber bieten unsere Geschäftsstraßen Individualität, Identität und Unverwechselbarkeit, von kultureller und gastronomischer Vielfalt ganz zu schweigen. Unsere Politik soll darauf abzielen, diese Stärken im Wettbewerb mit Shoppingmalls, mit dem Onlinehandel besser als bisher ausspielen und entwickeln zu können.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Dafür wollen wir die organisatorischen, dafür wollen wir auch die finanziellen Voraussetzungen verbessern. Und darum haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner dieses Gesetz auf den Weg gebracht. Wir setzen einen Anreiz für die Begründung öffentlich-privater Partnerschaften im besten Sinne. Die zukünftigen Immobilien- und Standortgemeinschaften sollen dazu dienen, dass die lokalen Akteure eigenverantwortlich und mit eigenen finanziellen Mitteln an ihrem Standort Verbesserungen erreichen können und dass die Beteiligten dafür in eine gemeinsame Verantwortung gebracht werden. Dafür bieten wir zusätzliche Instrumente mit diesem Gesetz, und wir bieten die Unterstützung der Verwaltung. Beides halte ich für wertvoll.

Es zeigt auch den Weg auf, Trittbrettfahrertum, mit dem heute das freiwillige Engagement in vielen Geschäfts

straßen zu kämpfen hat, zu vermeiden, ihm gewissermaßen den Boden zu entziehen, denn es kann nicht sein, dass auf der einen Seite Einzelhändler großumfänglich Engagement für ihr Umfeld leisten und auf der anderen Seite Dritte davon profitieren, die keinen eigenen Beitrag leisten.

Das Berliner Gesetz hebt sich ansonsten von den Gesetzen anderer Bundesländer ab, besonders durch einen hohen Transparenz- und Beteiligungsmaßstab. Darüber haben wir in den Ausschüssen und auch hier im Plenum schon viel diskutiert. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir ein gutes und wichtiges Gesetz heute auf den Weg bringen, ein Gesetz, das im Laufe der Beratungen noch besser geworden ist. Wir haben schon ein gutes Gesetz in der ersten Lesung eingebracht, verabschieden heute ein noch besseres in der zweiten Lesung. Darüber freue ich mich sehr. Ich freue mich auch, dass sich noch außerhalb der Koalition andere haben überzeugen lassen, dieses Gesetzgebungsvorhaben zu unterstützen.

Ich will diese letzte Gelegenheit, die sich uns bietet, nutzen, hier an dieser Stelle allen zu danken, die diesem reinen Parlamentsgesetz zugearbeitet haben. Es ist selten, dass wir reine Parlamentsgesetze auf den Weg bringen. Machen wir uns nichts vor: Allzu häufig erfolgt die Zuarbeit zu unseren Gesetzen vor allem aus dem Senat heraus. In diesem Fall haben es die Fraktionen, haben es die Abgeordneten selbst geleistet. Mein Dank geht vor allem an die Mitarbeiter, die die redaktionellen Arbeiten und all das juristische Know-how, das einzubringen war, uns zur Verfügung gestellt haben. Mein Dank geht an die Kollegen Abgeordneten, insbesondere an den Kollegen Zimmermann, mit dem ich hier Hand in Hand gearbeitet habe. Mein Dank geht an alle, die in den Ausschüssen und in den Anhörungen mitgewirkt haben. Ich hoffe, sie sehen es wie wir, zumindest alle, die dem Gesetz zustimmen: Wir bringen hier heute etwas Gutes auf den Weg. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Kollege Evers! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Ludwig. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion Bündnis 90/Die Grünen freut sich sehr, dass dieses Parlament, so wie es Herr Evers gerade eben betont hat, heute nach über einem Jahr Verhandlungen in den Ausschüssen und auch darüber hinaus in der Stadtgesellschaft mit den Initiativen ein Gesetz verabschieden kann, auf das der Berliner Handel schon seit Langem wartet, ein Gesetz zur Einführung von Standortgemeinschaften. Sie

(Stefan Evers)

nennen es BIG in Ihrem Entwurf. International bekannt ist es als BID, als Business-Improvement-District.

Auch für mich persönlich, ich arbeite nun seit fast zehn Jahren an diesem Thema. Herr Evers hat das ja auch schon beschrieben. Es ist nicht ganz neu in der Diskussion, aber wenn man dann persönlich auch so lange damit beschäftigt ist, muss ich sagen, ist das dann auch ein ganz besonderer Moment, wenn hier heute tatsächlich die Verabschiedung eines solchen Gesetzes ansteht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Denn auch wenn es mehr Zeit gekostet hat, allzu häufig ist eine solch pragmatische, sachliche Beratung in diesem Haus leider nicht. Ich würde mir wünschen, dies gelänge auch bei anderen Themenkomplexen. Dabei denke ich z. B. an das Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetz, das sich hier schon seit über zwei Jahren im Verfahren befindet. Berlin hinkt da hinterher, und das ist ziemlich peinlich.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Also vielleicht können wir das dort auch schaffen.

Entschuldigung, bitte! – Es ist untersagt, etwaige Unterlagen der Damen und Herren Kollegen zu fotografieren. Ich bitte, das zu beachten.

Heute aber können sich die vielen engagierten Standortgemeinschaften in den Geschäftsstraßen gemeinsam mit uns freuen, dass sie endlich auf ein Instrument zurückgreifen können, das bereits in sieben anderen Bundesländern erfolgreich praktiziert wird. Mit diesem Gesetz wird die Arbeit vor Ort besser planbar. Das Trittbrettfahrertum wird beendet. Und die Gemeinschaft wird auf eine solidere finanzielle Basis gestellt. Dies ist insbesondere für Berlin mit seinem vielfältigen Einzelhandel von Bedeutung, denn der vielfältige Einzelhandel ist ja nicht Selbstzweck, sondern er ist z. B. auch ein Tourismusfaktor. Ich denke da beispielsweise an die kürzlich veröffentlichte Upcycling-Roadmap von Visit Berlin. Die werben mit diesem sehr vielfältigen Einzelhandel der Stadt.

Das heute vorliegende Gesetz kann gerade den kleinen und mittelständischen Händlern helfen, sich gegenüber großen Handelsketten und Einkaufscentern zu behaupten. Es ist wichtig, dass wir alle hier auf diesem Weg einer weiteren Konzentration im Einzelhandel entgegenwirken und damit die Vielfalt des Handels in der Stadt stärken.

Auch wenn heute voraussichtlich nicht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf verabschiedet wird, sondern der der Koalition, die grüne Handschrift ist unverkennbar.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Dank der konstruktiven Verhandlungen in den Ausschüssen wurden z. B. Anwohnerinnen- und Anwohnerbeteiligung und die Einbindung der BVVen deutlich verstärkt. Und das ist notwendig für den Erfolg dieses Gesetzes. Denn nicht nur in den großen Geschäftsstraßen, sondern auch in den vielen Mischgebieten, den beliebten Kiezen in den Bezirken soll das BID-Gesetz genutzt werden. Wenn hier Maßnahmen zur Entwicklung des Standortes entwickelt werden, müssen sie von einer breiten Basis getragen werden, um auch langfristig erfolgreich zu sein.

Grüne Handschrift wird auch an dem Punkt sichtbar, dass Gelder des Business-Improvement-Districts nicht für private Sicherheitsdienste verwendet werden dürfen. So machen wir alle deutlich, dass das Instrument BID ausdrücklich nicht dazu gedacht ist, öffentlichen Raum zu privatisieren.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Nach heutiger Verabschiedung des Gesetzes liegt es nun auch am Senat und der Berliner Verwaltung, für eine rasche und auch breite Akzeptanz zu sorgen. So fordern wir Grünen die Senatsverwaltung für Wirtschaft und auch die Bezirke auf, gemeinsam einen Leitfaden zu entwickeln, der klare Ansprechpartner benennt und auch kleinen Interessengemeinschaften aufzeigt, wie sie die bürokratischen Anforderungen zur Gründung eines BID erfüllen können, damit unser Berliner BID-Gesetz seinen neuen Namen BIG verdient und ein großer Erfolg für den Erhalt der Vielfalt des Berliner Handels wird.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Der Kollege Evers hat um eine Kurzintervention gebeten, und selbstverständlich erteile ich ihm dafür das Wort. Nicht vergessen: Auf die Vorrednerin beziehen und drei Minuten!

Liebe Frau Kollegin Ludwig! Ich will mich gar nicht zu sehr über die grüne Handschrift im Gesetzentwurf austauschen, aber in der Tat hatten wir eine sehr konstruktive Diskussion dazu, und unsere Offenheit, gute Anregungen aufzunehmen, haben Sie ja anerkannt. Dafür meinen Respekt!

Ich habe eben erst Ihre Pressemitteilung gelesen. Sie loben ein Stück weit den Tag vor dem Abend. Heute Mittag haben Sie schon die Verabschiedung des Gesetzes gefeiert. Ich hoffe, es wird tatsächlich dazu kommen. Alles spricht dafür. Sie fordern den Senat auf, einen Leitfaden vorzulegen, einen Leitfaden zu diesem Gesetz. Ich lade Sie herzlich zur Lektüre unseres Leitfadens ein. Wir haben uns nämlich schon genau dieser Mühe unterzogen. Ich gebe ihn gern Ihnen gleich nach Verabschiedung des Gesetzes an die Hand. Dem werden Sie die Ge

(Nicole Ludwig)

brauchsanweisung für dieses komplizierte Gesetz entnehmen können. Alles, was Sie an Fragen beschäftigt, findet hier seine Antwort.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Aber es ist doch noch gar nicht beschlossen!]

Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam nicht erst auf den Senat warten, sondern das nutzen, was wir schon erarbeitet haben. – Danke schön!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Wollen Sie replizieren, Frau Kollegin Ludwig? – Nein. Danke schön! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Kollege Jahnke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Ladeninhaberinnen und -inhaber in den Berliner Geschäftsstraßen, für deren Kundinnen und Kunden und für alle, denen die Berliner Geschäftsstraßen und lebendigen Kieze am Herzen liegen, ist heute ein guter Tag,

[Beifall von Stefan Evers (CDU) – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ein historischer Tag!]

denn nach langer Debatte nicht nur in unserem Hause werden wir heute endlich dazu kommen, das BID-Gesetz, das Gesetz über Business-Improvement-Districts, mit voraussichtlich breiter Mehrheit zu verabschieden. Hiermit wird ein weiteres wichtiges Vorhaben aus der Koalitionsvereinbarung von Rot-Schwarz umgesetzt, das die SPD-Fraktion dort eingebracht hat. Über die grundsätzliche Richtigkeit und Wichtigkeit der BIDs besteht wohl fraktionsübergreifend in diesem Haus und auch im Einzelhandel weitgehender Konsens. Nicht zuletzt möchte ich auch noch einmal die Industrie- und Handelskammer hervorheben, die nicht etwa, wie man vielleicht hätte denken können, befürchtet, dass es zu Einschränkungen der Freiheit der Gewerbetreibenden kommen könnte.