Der Versuch, Menschen zu kriminalisieren, die auf der Flucht sind und Schutz suchen, wird gestärkt, wenn es Gesetze gibt, die die Menschen zu Objekten machen und letztlich dazu führen, dass außer Acht bleibt, was im Vordergrund stehen sollte, nämlich der Schutz des menschlichen Lebens. Wenn Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, dem Land Schleswig-Holstein droht, keine Bundesgelder zu geben, weil sie einen Winterabschiebestopp verfügt haben, dann zeigt das, welche Auseinandersetzung stattfindet, dass ein Bundesinnenminister versucht, in die Eigenständigkeit eines Landes hineinzuregieren. Und das sagt: Bei diesem Thema müssen wir mal miteinander reden, aber nicht gegen die Menschen, sondern im Sinne ihrer Unterstützung.
Nach meinem Dafürhalten ist Abschiebung der leichtfertige Umgang mit dem Leben von Geflüchteten. Und das muss ein Ende nehmen, und zwar nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch, weil es zu einer Verrohung in der Gesellschaft führt, weil es zu einem fehlenden Respekt vor dem Leben an sich führt. Und das sollte unsere Gesellschaft sich nicht leisten. Das heißt, auch im Sinne des friedlichen Zusammenlebens in unserer eigenen Gesellschaft sollten wir das Thema Abschiebung und das Thema Sicherheit für Geflüchtete noch mal neu diskutieren. Da haben Sie alle heute die Möglichkeit, mit der Zustimmung zu unserem Antrag den ersten Schritt zu machen. Und dazu fordere ich Sie auf. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie fordern mal wieder einen Winterabschiebestopp für abgelehnte, vollziehbar ausreisepflichtige Nichtflüchtlinge aus den sicheren Herkunftsländern im Westbalkan.
Dazu möchte ich fünf Anmerkungen machen. Meine erste Anmerkung zielt auf die Frage, ob es Ihnen überhaupt ernst mit Ihrem Antrag ist.
Warum haben Sie Ihren ersten Antrag in der Legislaturperiode, der wortidentisch ist, an einem 15. Januar gestellt, wenn es Ihnen um den Schutz ab dem 1. November geht? Oder geht es Ihnen vielleicht um politisches Theater?
Zweitens: Wen wollen Sie eigentlich schützen? Wollen Sie politisch Verfolgte schützen? Wollen Sie Bürgerkriegsflüchtlinge schützen?
Ich möchte Ihnen einige Zahlen nennen, um Ihnen zu zeigen, dass es sich nicht um Flüchtlinge handelt. Wenn wir allein die Zahlen der Asylantragsteller aus Serbien betrachten, die offenbar auch unter Ihren Antrag fallen, ist das eine große Zahl: 12 Prozent aller Asylantragssteller kamen 2010 aus Serbien, 2011 10 Prozent, 2012 13,1 Prozent, 2013 10,5 Prozent. Das heißt, wir reden über eine große Anzahl von Menschen, die durch Ihren Antrag betroffen sind.
Die Frage ist: Sind sie schutzbedürftig? Wie ist denn die Schutzquote, die die deutschen Behörden und Gerichte in ihren Entscheidungen als Resultat bekommen? – 2011 haben wir allein von den Serben in 6 844 Entscheidungen keinen einzigen als politisch Verfolgten anerkannt. Ein einziger wurde als Flüchtling anerkannt. Das ist eine Schutzquote von 0,014 Prozent. 2012 wurde in 13 807 Entscheidungen keine einzige Person als politisch verfolgt anerkannt, drei Personen wurden als Flüchtlinge anerkannt. Das sind 0,02 Prozent. 2013 wurde in 12 229 Entscheidungen eine Person als politisch verfolgt anerkannt, als Flüchtling keine einzige Person. Das sind 0,008 Prozent.
Könnten Sie mir erläutern, was aus dem, was Sie sagen, dagegen spricht, Menschen im Winter nicht in eine unsichere Wohnsituation abzuschieben?
Sehr gerne! Sie sprechen in Ihrem Antrag von den Schutzbedürftigen, und ich analysiere gerade die Frage, wer eigentlich schutzbedürftig ist. Vielleicht warten Sie meine Ausführungen ab, dann bekommen Sie auch die Antwort.
Über die Zahlen hinaus, die ich genannt habe, gab es einige individuelle Abschiebeverbote aufgrund individueller Situationen. Sie sind aber auch gewährt worden.
Das heißt also, Sie wollen nicht etwas Sinnvolles für politisch Verfolgte, für Schutzbedürftige, tun, sondern Sie wollen ausgerechnet etwas für diejenigen tun, die nicht schutzbedürftig sind. Das leuchtet mir nicht ein.
Die nächste Frage ist, ob unsere gesetzlich geregelte Abschiebepolitik so inhuman ist, wie Sie es darstellen wollen. Die Abschiebung ist an strenge gesetzliche Regelungen geknüpft. Der Betreffende muss vollziehbar ausreisepflichtig sein. Die Erfüllung der Ausreisepflicht darf nicht gesichert und muss überwachungsbedürftig sein. Es muss eine Androhung ergangen, eine Ausreisefrist abgelaufen sein, und es dürfen keine Abschiebehindernisse oder -verbote vorliegen, die im Übrigen auch die individuelle Situation, auch die gesundheitliche Situation berücksichtigen.
Vierte Bemerkung: Welche Folgen hätte Ihr Antrag? – Wir haben doch die Aufgabe, wirklich Schutzbedürftige zu schützen, auch angemessen in unserer Stadt unterzubringen. Dass das angesichts der steigenden Zahlen eine große Herausforderung ist, ist doch jedem offenkundig. Deswegen meine ich, sollten wir nicht Personen, die nicht schutzbedürftig sind, schützen und unsere Kapazitäten darauf verwenden, sondern sollten uns auf die wirklich Schutzbedürftigen konzentrieren. Das sind beispielsweise die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.
Eine letzte Bemerkung: Liegt eigentlich das wirkliche Problem der deutschen Asylpolitik darin, dass zu viele Abschiebungen stattfinden?
Die Zahlen, die mir vorliegen, lauten: 8 Prozent aller vollziehbar Ausreisepflichtigen in Deutschland werden abgeschoben. 30 Prozent reisen freiwillig aus. Und der Rest verbleibt. Und wir könnten und müssten uns eigentlich die Frage stellen, wie wir das finden, dass Ausreise
verfügungen, die aufgrund demokratischer Gesetze ergehen, durch eine gesetzmäßige Verwaltung und nach einer Überprüfung durch Gerichte, von so vielen nicht respektiert werden.
Wenn wir uns wirklich mit den Fragen der Abschiebepraxis beschäftigen wollten, dann wäre das das Thema.
Jedenfalls zusammenfassend: Uns muss es darum gehen, dass wir unsere Kräfte auf den Schutz wirklich Schutzbedürftiger konzentrieren und nicht auf Personen, die nicht schutzbedürftig sind. – Vielen Dank!
[Torsten Schneider (SPD): Jetzt sind doch die Zwischenbemerkungen der Grünen erschöpft! Hoffentlich behält das der PGS im Blick!]
Herr Kollege Dregger! Ihre Zahlen waren lediglich dazu geeignet, sich hier für eine Politik zu rechtfertigen, die Sie zu verantworten haben, weil Sie auf der Bundesebene gemeinsam mit der SPD genau diesen gesetzlichen Rahmen vorgeben. Aber das heißt ja nicht, dass es richtig ist, was Sie dort vorgeben.
[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]
Und sich dann hier hinzustellen und so zu tun, als ob es, nur weil es diese Gesetze gibt, keine andere Möglichkeiten auf Landesebene gäbe, das Gebot der Menschlichkeit zur Richtschnur zu machen und Menschen zu verschonen, von einem Leben abgeschoben in die Kälte, in die Not, in den Tod, Herr Kollege! Das ist eine Frage, die Sie sich stellen müssen. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie hier nicht entlassen.
Die Zahlen, die Sie vorgetragen haben, hatten tatsächlich eine interessante Frage des Kollegen Zillich aufgeworfen. Diese Antwort sind Sie uns hier schuldig geblieben. Denn ich kann aus den Zahlen, die Sie hier vorgetragen haben, auch schlussfolgern, dass mit den Bundesgesetzen etwas nicht stimmen kann, wenn es auf Landesebene nicht möglich ist, sie umzusetzen, Herr Kollege! Das ist auch eine Art und Weise, wie man sich erklären kann, warum die von ihnen genannten Ausweisungen nicht vollstreckt werden. Da habe ich eher den Eindruck, dass die Länder ein bisschen mehr verstanden haben als die Bundesebene, wo man jetzt tatsächlich wieder einen Gesetzesvorschlag
auf den Weg gebracht hat, in dem mehr Abschiebehaft vorgesehen ist und eine noch strengere Art und Weise des Umgangs mit Geflüchteten. Tatsächlich haben Sie hier die gleiche Ansicht vertreten wie der Bundesinnenminister Herr de Maizière, indem er als einzige Antwort auf die Not der Länder in der Auseinandersetzung in der Herausforderung mit der Unterbringung von Flüchtlingen – Ihr eigener Senator hat hier einiges, was er hier nicht auf den Weg bekommt – sagte: Schiebt doch mehr Leute ab, bevor ihr was vom Bund bekommt! Aber dieser wirklich absurden, menschenverachtenden Kombination von „ihr kriegt nur Gelder für Unterkünfte, wenn ihr mehr abschiebt“, haben sich Länder wie Baden-Württemberg – –
Rheinland-Pfalz, Thüringen und auch Schleswig-Holstein entgegengestellt. Auch in Baden-Württemberg ist im Gemeinderat einer Gemeinde entschieden worden, dass man den Winterabschiebestopp will. Es gibt viele Grüne, die den wollen. Und es ist die SPD, die das verhindert. Aber daran arbeiten wir.