Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Das sind die Prioritäten. Als Erstes rufe ich

lfd. Nr. 3.1:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 15

a) Verkehrslenkung Berlin wieder auf die Spur bringen (I) – straßenverkehrsbehördliche Arbeit dezentralisieren und Zusammenarbeit verbessern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2046

b) Verkehrslenkung Berlin wieder auf die Spur bringen (II) – Baustellenkoordination verbessern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2047

c) Verkehrslenkung Berlin wieder auf die Spur bringen (III) – klare politische Vorgaben für den ÖPNV, Rad- und Fußverkehr schaffen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2048

Auch hier wissen Sie wieder, grundsätzlich fünf Minuten pro Fraktion. Die Auswirkungen der Redezeitüberschreitung kennen Sie. – Ich erteile dem Kollegen Moritz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort! – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Vorhin haben wir über die Träume der Koalition zu Olympia gehört. Hier beim Thema VLB sind wir in der traurigen Realität. Die Verkehrslenkung Berlin ist seit vielen Jahren ein Problemfall. Wir alle leiden unter den Entscheidungen oder allzu oft Nicht-Entscheidungen der Behörde, sei es als Fußgänger/Fußgängerin, Radfahrer/Radfahrerin oder Autofahrer/Autofahrerin. Aber nicht nur die Berliner beklagen sich, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsunternehmen und Verbände. Auch die Bezirksämter und

BVVen sind mehr als unzufrieden mit der Arbeit der VLB.

Im Sommer 2014 beklagte der Bauindustrieverband in einem offenen Brief den Stillstand in der Behörde und konstatierte einen Investitionsstau von 45 Millionen Euro durch nicht erteilte Genehmigungen von Baustellen. Die Bauindustrie demonstrierte sogar im Herbst gegen diese Zustände. Im Januar ist zu hören, dass der Investitionsstau inzwischen 100 Millionen Euro beträgt. Aber nicht nur bei der Genehmigung von Baustellen gibt es Probleme, auch die BVG beklagt seit Langem, dass ihre millionenschweren Investitionen zur Beschleunigung von Bussen und Straßenbahnen immer weiter ausgebremst oder anders gesagt von der VLB einfach ausgeschaltet werden. Im Sommer vorigen Jahres berichtete die BVG, dass allein im Busbereich 50 bestehende Vorrangschaltungen nicht mehr in Betrieb seien, 80 weitere Anträge für Vorrangschaltungen wurden von der VLB erst gar nicht bearbeitet. Die BVG hat daraufhin beschlossen, keine neuen Anträge mehr zu stellen.

Da wundert es kaum, dass die Metrobuslinien innerhalb des S-Bahn-Rings heute langsamer sind als vor Beginn der Busbeschleunigung im Jahr 2006. Die fahrplanmäßige Durchschnittsgeschwindigkeit ist nunmehr auf 14,2 Kilometer pro Stunde gesunken.

Die Bezirke beklagen reihenweise, sie können das Geld für die notwendige Instandsetzung von Straßen aus dem Schlaglochprogramm oder zur Verbesserung des Radverkehrs nicht ausgeben, weil die VLB notwendige Baustellen nicht genehmigt. Deshalb müssen sie sich natürlich immer öfter wehren und die Sicherheit des Verkehrs herstellen und auf Hauptstraßen Tempo 30 oder sogar Tempo 10 anordnen.

Der rot-schwarze Senat stellt sich gern hin und sagt: Nur wir können Infrastruktur, nur wir wissen, wie es geht, nur mit uns gibt es neue Straßen, damit die Wirtschaft wächst. – Ja, neue Straßen setzen Sie in brutaler Konsequenz durch, egal, ob Menschen dabei auf der Strecke bleiben, aber wenn es um die ganz normale alltägliche Instandsetzung der Straßen und Brücken geht, scheitert dieser Senat.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Der Senat reagiert auf die Probleme bei der Verkehrslenkung rat- und tatenlos. Bei der Verkehrslenkung Berlin können keine Aufgaben entfallen, heißt es, es gebe keine weiteren Möglichkeiten der Verlagerung von Aufgaben nach außen. Für die Grundstruktur der VLB bestehe keine Optimierungsmöglichkeit.

Was für ein Armutszeugnis! Dabei sind die Probleme der Verkehrslenkung bekannt. Die Personalausstattung wurde in der Vergangenheit stark gekürzt. Es gelingt dem Senat auch nicht, die vorhandenen Stellen zu besetzen, zumal

ein sehr hoher Krankenstand von bis zu 25 Prozent dazukommt. Vielleicht liegt beides gerade in der angeblich nicht veränderbaren Struktur der VLB. Es ist also deutlich mehr im Argen, als dass es helfen würde, einfach nur mehr Personal einzustellen.

Wir bringen mit diesen Anträgen eine ganze Reihe von Vorschlägen zur dauerhaften Verbesserung der Situation ein. Wir sehen drei große Handlungsfelder: einmal die Verlagerung von Aufgaben in die Bezirke, eine Verbesserung der Baustellenkoordination sowie nicht zuletzt klarere politische Vorgaben für den Vorrang des Umweltverbundes. Durch die Dezentralisierung von Aufgaben in die Bezirke könnte die Verkehrslenkung deutlich entlastet werden. So können die Bezirke bei kleineren Maßnahmen endlich selbst dafür sorgen, dass die Bauarbeiten zügig durchgeführt werden. Senator Geisel hat hierfür durchaus schon Sympathien bekundet; jetzt müssen wir sehen, ob das tatsächlich umgesetzt wird.

Für die Koordinierung und schnellere Genehmigung von Baustellen haben sowohl die Bezirke als auch die Bauindustrie jede Menge gute Vorschläge unterbreitet. Leider haben sie bisher wenig Gehör im Senat und bei den Koalitionsfraktionen gefunden.

[Beifall bei den GRÜNEN]

So stellt sich z. B. die Frage, warum nicht auch beim Tiefbau Prüfingenieure oder Prüfsachverständige geschaffen werden könnten, die die verkehrsrechtlichen Anordnungen vorbereiten. Beim Hochbau käme auch niemand auf die Idee, dass die Baubehörde Statik oder Brandschutzkonzept selbst erarbeitet. Die Verkehrslenkung würde dadurch stark entlastet werden. Durch diese Entlastung wäre dann endlich wieder Zeit für andere Aufgaben, die momentan liegenbleiben wie z. B. Bus- und Trambeschleunigung. Diese verbessert nicht nur die Zufriedenheit der Fahrgäste, sie spart der BVG auch bares Geld.

Der Schwarze Peter liegt aber nicht nur bei der Verkehrslenkung, der Senat muss seine eigenen Ziele endlich ernstnehmen. Die Verkehrswende wird nur gelingen, wenn sie dem Umweltverbund endlich Priorität einräumt. Die Grundlage der Berliner Verkehrspolitik ist der Stadtentwicklungsplan Verkehr. Hier sind ehrgeizige Ziele formuliert. Aber ohne eine klare Förderung nachhaltiger Mobilität und Barrierefreiheit werden diese nie erreicht. Bündnis 90/Die Grünen haben mit diesen drei Anträgen konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Situation der VLB eingebracht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich freue mich auf eine zügige Bearbeitung in den Ausschüssen, damit die Probleme endlich angegangen werden. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke, Herr Kollege Moritz! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Kreins. – Bitte sehr!

[Oliver Friederici (CDU): Eine Klarstellung mal! Das geht so nicht weiter!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Moritz! Vielen Dank für die Gelegenheit, zum Thema Verkehrslenkung Berlin zu sprechen. Es ist ja von großer Wichtigkeit für diese Stadt, dass sich auch das Parlament mit dem Thema bewegt, und die Verkehrslenkung bewegt Berlin, oder besser gesagt: Wenn die Verkehrslenkung nichts bewegt, bleiben auch Autos, Fahrräder, Busse und Straßenbahnen nicht im Rhythmus ihres Taktes.

[Andreas Otto (GRÜNE): Die Koalition bleibt stehen!]

Bündnis 90/Die Grünen nutzen die Gelegenheit, um aus elf gut gemeinten – in Anführungsstrichen – Punkten drei Anträge zu formulieren. Dabei ist es auch notwendig, noch einmal auf die Fülle der Aufgaben der Verkehrslenkung hinzuweisen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Aufgaben sich dort abspielen. Kern der Tätigkeiten sind die schon genannten verkehrsrechtlichen Anordnungen, Erlaubnisse, aber auch Ausnahmegenehmigungen. Dabei sind die Dinge, die Sie angesprochen haben, nicht nur der Masterplan Verkehr, sondern auch die Fuß- und Radverkehrsstrategie mitzubedenken, die ÖPNVBeschleunigung und die Lärmminderungsplanung. Das sind Faktoren, die immer mitbedacht werden müssen, wenn solche Maßnahmen angeordnet sind.

Die Verkehrslenkung Berlin ist in der Tat verantwortlich nicht nur für den Verkehrsfluss, sondern auch für Querungsstellen, die Radverkehrsanlagen, zum Thema Geschwindigkeitsbeschränkungen, bei temporären Verkehrsumlenkungen bei Großveranstaltungen, seien es Marathon oder Demonstrationen, Filmarbeiten oder Schwertransporte. Sie ist verantwortlich für die Aufstellung der Lichtzeichenanlagen, für die Wegweisung bei Baustellen usw. Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von gewählten Volksvertretern in den Bezirksverordnetenversammlungen müssen abgearbeitet werden. Das eine Ziel ist, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten und die Gefährdung für den Menschen und die Sache zu reduzieren. Daraus ergaben sich in der Tat einige Problemlagen. Wir kennen das beim Radwegebau, ich habe es in der letzten Plenarsitzung angesprochen. Auch das Schlaglochsanierungsprogramm konnte nicht vollständig umgesetzt werden. Die ÖPNV-Beschleunigung hat sich bisher ins Gegenteil verkehrt. Die Zahlen dazu haben Sie richtig genannt. Die Baustellen werden unzureichend koordiniert, das ist auch richtig. Ich glaube allerdings nicht, dass sich eine bezirkliche Verantwortung an der Stelle lohnt,

(Harald Moritz)

wenn dann die Baustellen an der Bezirksgrenze enden und die Planung auch.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es bereits im Jahr 2004, als die Verkehrslenkung aus der Polizeibehörde ausgegliedert worden ist, zu einer Aufteilung der Zuständigkeiten gekommen ist. 64 Prozent der Aufgaben und des Personals sind in die Bezirke gegangen, ein Drittel, der gute Rest, ist in der Zuständigkeit des Landes im Bereich der Verkehrslenkung verblieben. Zu dem Zeitpunkt hatte die Verkehrslenkung schon zwei Sparrunden, einmal 20 und einmal 17 Mitarbeiter. Es war damals so en vogue, Personal abzubauen. Diese Entscheidungen sind hier von der Mehrheit des Hauses immer mitgetragen worden. Die Folge ist ein hoher Krankenstand, dabei will ich nicht auf die kranken Kollegen mit dem Finger zeigen, sondern mich bei denjenigen bedanken, die dort die Arbeit leisten.

Es ist gleichwohl festzuhalten, dass es besonderer Anstrengungen bedarf, um dieses Ungleichgewicht, dieses Lot wieder in die senkrechte Ausgangslage zu bringen. Die jüngsten Maßnahmen, die ergriffen worden sind, sind auch im Fachausschuss in der letzten Sitzung zur Kenntnis gegeben worden und liegen als rote Nummern im Hauptausschuss vor: Das ist das Antragsmanagement, dass die Anträge qualifiziert werden, vollständige und qualifizierte Anträge aus dem Baubereich kommen, damit die Anordnungen und Genehmigungen schneller stattfinden können. Dazu gehört auch dieser INFRESTFachausschuss mit der Bauindustrie zur Optimierung der Genehmigungsprozesse der Ablaufprozeduren.

Das gehört auch zu dem Thema der Planstellenerhöhung. Derzeit sind zwei Stellen besetzt, acht weitere sind ausgeschrieben. Zu der Lösung dieses Problems gehört auch das Aufgrabeverbot, das umgesetzt werden soll, das die Leitungsbetriebe besser koordiniert, und die Möglichkeit für die Bezirke, Anordnungen selbst in eigener Verantwortung nach § 45 StVO durchführen zu lassen. Auch dieses ist bereits im Sommer des letzten Jahres den Bezirken mitgeteilt worden, nur setzen sie das – wie wir gesehen haben – an der Yorckstraße wenig praktisch um. Die Punkte, die Sie aufgeschrieben haben, sind im Großen und Ganzen diskutierenswert. Allerdings ist nichts Neues dabei. Einige Punkte sollten wir im Ausschuss diskutieren. Ich freue mich auf die Debatte dort. – Vielen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Kollege Kreins! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Kollege Harald Wolf. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem Verkehrslenkung Berlin ist seit Jahren bekannt, immer wieder diskutiert worden hier im Haus und in den Ausschüssen. Die Verkehrslenkung ist personell unterbesetzt – meine beiden Vorredner haben das schon angesprochen –, jedenfalls mit dieser Personalausstattung, mit dem Aufgabenspektrum, das sie hat, überfordert. Der Kollege Kreins hat ja dankenswerterweise noch mal den gesamten Aufgabenkatalog hier vorgetragen.

[Ole Kreins (SPD): Zehn Seiten!]

Wir sind mittlerweile mit der Situation konfrontiert, dass die Verkehrslenkung in diesem gegenwärtigen Zustand ein Investitionshindernis erster Güte geworden ist, dass die Unternehmen, die leitungsgebunden sind, die Baustellen im Straßenland eröffnen müssen – Berliner Wasserbetriebe, GASAG, Telekom, Vattenfall –, nicht in der Lage sind, ihre Instandsetzungsarbeiten termingerecht und zügig abzuarbeiten. Es gibt einen zunehmenden Investitionsstau. Das führt dazu, dass Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft gefährdet werden. Deshalb sage ich, es ist dringend notwendig, dass wir uns mit diesem Thema noch mal intensiv beschäftigen und uns auch die Frage stellen: Reicht es aus, einfach nur das Personal aufzustocken, oder müssen wir uns auch über Strukturen und Zuständigkeiten noch mal unterhalten?

Zweites großes Thema ist – auch das diskutieren wir seit Jahren – die Beschleunigungsprogramme für den öffentlichen Personennahverkehr. Die Busbeschleunigung bleibt stecken. Es wird von der Verkehrslenkung nicht wirklich bearbeitet, und wir haben dadurch die Situation, dass wir Kostensenkungen, die wir im öffentlichen Personennahverkehr haben könnten, nicht realisieren können, und dass gleichzeitig der öffentliche Personennahverkehr an Attraktivität verliert, wenn er im Stau stecken bleibt oder, wie ich neulich gelesen habe, von der Verkehrslenkung so organisiert wird, dass ein Bus an der Linksabbiegerspur 20 Minuten stehenbleiben muss, bis er überhaupt über die Kreuzung kommt. Dazu sage ich: Das ist nicht die Aufgabenleistung, die wir erwarten.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN) und Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Anträge bleiben teilweise zwei Jahre liegen, bis sie bearbeitet werden. Das ist nicht akzeptabel, und das kann man auch nicht als gutes Regieren verstehen, wenn eine solche zentrale Institution in diesem Zustand ist.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]