Protokoll der Sitzung vom 12.01.2012

entgegen dem Wortlaut einer Vorschrift allein auf der Grundlage von eigenen Moralvorstellungen richten. Dann darf ich Sie fragen: Halten Sie es für gerechtfertigt, für legitim, dass beispielsweise der Exsenator Wolf Übergangsgeld erhält, der zuvor als Aufsichtsratsvorsitzender der BSR den Vertrag für den Finanzvorstand verlängert hat, der unterdessen wegen Korruptionsverdacht unter Anklage steht?

[Martina Michels (LINKE): Der hat ja auch zehn Jahre gearbeitet!]

Ist es legitim, dass die Exsenatorin Lompscher Übergangsgeld erhält, obwohl sie als Aufsichtsbehörde nicht mitbekommen hat, dass sich Vorstandsmitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung wohl rechtswidrig Entschädigungsgelder zugeschanzt haben, und ein CDUSenator jetzt die Kohlen aus dem Feuer holen muss? Ist es legitim, dass die Exsenatorin Bluhm Übergangsgelder erhält, obwohl sie hilflos mit ansah, was beispielsweise bei der Treberhilfe mit öffentlichen Geldern geschah?

Meine Auffassung ist, dass die zuvor Genannten einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen haben. Und da sie einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen haben, sollen sie sie auch erhalten. Und genau diesen gleichen Rechtsanspruch hat auch der Kollege Braun.

[Zuruf von den PIRATEN: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür!]

Noch mal: Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, das geltende Recht über die Gewährung von Übergangsgeldern sei zu ändern, dann sind wir offen und gesprächsbereit. Wo wir nicht mitmachen, ist, geltendes Recht einfach nicht anzuwenden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Rissmann! – Dr. Lederer hat das Wort für eine Kurzintervention. – Bitte schön!

Lieber Kollege! Ich beginne mal, indem ich sage: Ich finde das Übergangsgeld an sich legitim. Deswegen habe ich auch gesagt, man muss das Gesetz nicht ändern. Dass es ein Rückwirkungsverbot gibt, wissen Sie alleine. Sondern ich habe festgestellt – damit haben Sie sich nicht auseinandergesetzt, Sie haben es eher verdreht –: Nach dem derzeitigen Gesetz hat nach der Auslegung, die ich vertrete und für überzeugend halte, Senator a. D. Braun keinen Anspruch auf das Übergangsgeld. Das unterscheidet ihn übrigens von den Senatoren a. D. Harald Wolf, Katrin Lompscher und Carola Bluhm, die im Übrigen weder das Parlament belogen haben noch zurückgetreten sind. Das ist aber hier der Fall, und zwar nach zwölf Tagen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Diese beiden Dinge in einen Topf zu hauen, ist eine Unmöglichkeit, und dass Herr Schneider da noch klatscht, ist ein Armutszeugnis für die SPD.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Zweitens: Ich habe im Rechtsausschuss nicht gesagt, ich kann ihn freisprechen von der Verletzung irgendwelcher rechtlicher Vorschriften. Ich habe gesagt: Ich bin überhaupt nicht in der Lage, das zu überblicken. Das habe ich gesagt. Das heißt aber nicht, dass er es nicht getan hat. Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht sagen. Das wird man sehen. Wer werden ja die Notarkammervertreterin hören. Wir werden Herrn Dr. Pickel hören. Wir werden ja die weitere Debatte verfolgen, wie mit einseitiger Beurkundung von Kaufangeboten im Land Berlin künftig umgegangen wird. Dann kann man ja mal darüber reden, was hier rechtens und was hier nicht rechtens ist. Ich weiß nur, was ich in der Zwischenzeit darüber erfahren habe, was offenbar zu seinem Geschäft gehört. Und jetzt sage ich Ihnen noch mal was: Legitim oder illegitim, Sie haben sich damals verstiegen und gesagt: Alles, was nicht gegen das geltende Recht verstößt, darf hier in diesem Land jede und jeder machen. Und er darf auch jedes Amt dafür haben. – Das finde ich eine ziemliche Bodenlosigkeit. Und Sie haben gesagt: Wer anders argumentiert, der argumentiert das Land direkt in den Faschismus. – Überlegen Sie sich manchmal, was Sie reden, Herr Kollege?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und glauben Sie ernsthaft, dass ein Verbraucherschutzsenator seinen Job ordentlich macht und ordentlich machen kann und glaubwürdig machen kann, wenn er vorher noch solche Beurkundungen vorgenommen hat? Also da muss man sich ja mal die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, Menschen mit einem bestimmten Amt zu versehen, wo sie vorher erheblichen Zweifel daran gelassen haben, dass sie es mit voller Glaubwürdigkeit ausfüllen können. Und die Frage wird man ja wohl noch stellen können. Und das ist dann in der Tat keine Frage von Legalität, sondern eine Frage von Legitimität.

Jetzt kommt der letzte Punkt für mich, und der bezieht sich tatsächlich noch mal auf die Frage: Wie ist dieses Gesetz auszulegen? – Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Die erste ist, Sie räumen den Senatoren ein Wahlrecht ein und sagen, sie sollen das Übergangsgeld kriegen oder nicht kriegen, dann müssen sie entweder um Entlassung bitten oder zurücktreten. Das scheint mir widersinnig zu sein. Logisch erscheint mir, man tritt zurück oder man wird entlassen. Bitte um Entlassung ist schon ein Widersinn in sich. Und wenn jemand am Montag der Presse eine Erklärung übergibt, in der steht, ich bitte um Entlassung, nicht: ich trete zurück, dann stelle ich mir sogar noch die Frage: Gehört er zu dem verrohten Bürgertum, von dem heute in der „Berliner Zeitung“ die Rede war,

das wirklich alles mitnimmt, ohne Rücksicht auf Verluste, rücksichtslos seine eigenen Interessen durchsetzt und vielleicht sogar vorher noch im Gesetz nachgeguckt hat, wie er das am besten bewerkstelligt? Das finde ich skandalös.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Rissmann.

Herr Kollege Lederer! Sie haben jetzt, glaube ich, wiederholt behauptet, der Kollege Braun oder der damalige Senator Braun habe das Parlament belogen. Dann fordere ich Sie auf, das zu untermauern und zu unterlegen. Mir ist nicht bekannt, dass Herr Braun das Parlament, den Rechtsausschuss, das Plenum belogen hat. Das weise ich entschieden zurück und fordere Sie auf, das deutlich darzulegen. Das ist eine Unverschämtheit. Anders kann man es nicht sagen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ganz vorsichtig!]

Stichwort: Rechtlich zulässig. – Sie haben sich im Rechtsausschuss in etwa so eingelassen, weil Sie natürlich nach rechtsstaatlichen Prinzipien, nach den Grundsätzen, wie man mit Anwürfen und Vorwürfen umgeht, nichts haben feststellen können. Und ich habe – auch das weise ich ausdrücklich zurück – im Rechtsausschuss nicht gesagt, alles, was Recht sei, darf auch gemacht werden, und habe moralische Vorstellungen vollkommen außer Acht gelassen,

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Lesen Sie das Protokoll!]

sondern ich habe darauf abgestellt, dass es rechtsstaatliche Prinzipien gibt, dass es das Erfordernis eines fairen Verfahrens gibt und zum damaligen Zeitpunkt die zur Prüfung von Amtshandeln von Notaren berufenen Stellen, nämlich die Notarkammer, der Präsident des Landgerichts, eindeutig und zweifelsfrei gesagt haben: In der 16jährigen Notarstätigkeit von Herrn Braun gibt es nicht eine einzige Beanstandung, gar nichts.

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Darüber hinaus gab es kein einziges Strafverfahren gegen Herrn Braun. Darüber hinaus ist nicht bekannt, dass es auch überhaupt nur einen zivilrechtlichen Regressprozess gab. Das heißt, zum Zeitpunkt der Behandlung im Rechtsausschuss kann man nur von einem einwandfreien Leumund von Herrn Braun sprechen.

[Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Es verwundert mich schon sehr, Herr Lederer, dass gerade Sie – – Sie haben etwa eben gesagt: Sie wussten ja gar nicht, ob da was ist und was in rechtlicher Hinsicht vorzuwerfen ist oder nicht.

[Zuruf von den PIRATEN: Wieso ist er dann zurückgetreten?]

Ja, was gilt dann? – Dann gilt ja wohl die Unschuldsvermutung.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Wie werden Sie sich dann dazu äußern, wenn in einigen Wochen, Monaten – Sie haben ja gerade im Rechtsausschuss eine Anhörung der Präsidentin der Notarkammer und des Präsidenten des Landgerichts beantragt – alle berufenen und zuständigen Stellen Ihnen noch einmal sagen werden, Herr Braun hat nichts gemacht, was zu beanstanden ist? Vielleicht werden Sie sich dann für Ihr Verhalten entschuldigen.

[Zurufe von der LINKEN]

Mein Appell im Rechtsausschuss war, ein faires Verfahren einzuhalten. Das ist nicht geschehen. Und dieses unfaire Verfahren setzen Sie hier fort.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Piratenfraktion hat jetzt Kollege Delius das Wort. – Bitte sehr!

Ja, endlich, könnte man sagen. – Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch an den Kollegen Lederer! Wegen der kurzfristigen Ankündigung der namentlichen Abstimmung findet hier heute doch eine echte Debatte statt. Ich finde, das ist bemerkenswert.

„Senator a. D. Braun muss auf weiche Landung verzichten.“ Der arme Mann! Ja, er muss – auch meiner Meinung nach – auf sein Übergangsgeld verzichten. Diese Entscheidung, Herr Senator a. D. Braun, möchte ich aber nicht dem Senat überlassen, sondern diese Entscheidung obliegt Ihnen.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Es ist Ihre Verantwortung, nicht die des übrigen Senats und auch nicht, obwohl es dankenswerterweise hier vorgetragen wird, die des Hauses. Sie sind nicht zurückgetreten. Sie wurden entlassen.

Was ist das Ziel des Antrags? – Wir fordern den Senat auf, das Senatorengesetz in unserem Sinne zu befolgen. Fakt ist – das wurde hier schon zitiert –, in § 16 Abs. 1 des Senatorengesetzes steht:

Endet das Amt aus einem anderen als dem in Artikel 56 Abs. 3 der Verfassung genannten Grunde, so erhält das ehemalige Mitglied des Senats nach dem Wegfall seiner Amtsbezüge Übergangsgeld.

Und weiter steht in Artikel 56 Abs. 3 der Verfassung von Berlin:

Die Mitglieder des Senats können jederzeit von ihrem Amt zurücktreten. Mit der Beendigung des Amtes des Regierenden Bürgermeisters endet auch die Amtszeit der übrigen Senatsmitglieder. Der Regierende Bürgermeister und auf sein Ersuchen die übrigen Senatsmitglieder sind verpflichtet, die Amtsgeschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.

Ganz sicher kann man sich darüber streiten: Ist eine „Bitte um Entlassung“ ein Rücktritt, oder ist sie es nicht? – Ich bin mir da nicht sicher und ich habe nicht die Fachkompetenz der anwesenden Juristen. Sicher ist aber, dass der Senat unserem Wunsch sicher nicht Folge leisten wird, und das kann man prophezeien. Dass diese Sprachregelung dem Senat und auch Ihnen, Herr Braun, auf die Füße fällt, das ist bereits jetzt ersichtlich und passiert von ganz allein. Deswegen auch meine Forderung an Sie, selbst zu den Konsequenzen zu greifen.

Eigentlich sind wir uns einig: 50 000 Euro oder vielleicht etwas weniger – wir wissen es nicht – für zwölf Tage Amtszeit ist im besten Fall skurril. Die Aufgabe, die wir allerdings an der Stelle haben, ist – das geht auch in Richtung Opposition –, das Gesetz zu ändern. Es wurde hier mehrfach genannt, die Grünen haben es um Weihnachten herum angekündigt. Die Piraten arbeiten derzeit an einem konkreten Vorschlag. Unser Vorschlag ist ganz klar: Wir schaffen die Mindestauszahlungsdauer ab. – Das ist eine Gesetzesänderung, die man hier machen kann. Es wurde auch vonseiten der CDU Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich glaube auch, dass Herr Heilmann als Nachfolger von Herrn Braun ganz gut daran tut, wenn er weiter Werbung für dieses Projekt macht und sich damit von den Tätigkeiten von Herrn Braun abgrenzt. Im Übrigen beglückwünsche ich Sie zur Ernennung.

Eine Weiterzahlung in einem solchen Fall – ob es jetzt direkt auf Herrn Braun bezogen ist oder auf ähnlich kurze Amtszeiten vielleicht zukünftiger oder aktueller Senatoren – ist vor der Öffentlichkeit offensichtlich nicht mehr zu vertreten. Auch das Gedächtnis der Öffentlichkeit, können wir uns sicher sein, ist dementsprechend lang. Insofern bitte ich Sie darum, hier Ihrem Gewissen zu folgen und im Späteren mit uns zusammen an einem Gesetzentwurf und einer Gesetzesänderung zu arbeiten. – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt die namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte den Saaldienst, die vorgesehenen Tische aufzustellen. Sie kennen das. Ich bitte die Beisitzerinnen und Beisitzer nach vorne. Eine namentliche Abstimmung ist mit Namensaufruf durchzuführen. Ich bitte ein Mitglied des Präsidiums, die Namen der Abgeordneten abzurufen. Die Stimmkarten werden durch Präsidiumsmitglieder ausgegeben. Ich weise darauf hin, dass die tatsächliche Stimmabgabe erst nach Namensaufruf möglich ist. Nur so ist ein reibungsloser und geordneter Wahlgang möglich. Sie finden die Urnen vor, die eindeutig gekennzeichnet sind, eine Urne für die Ja-Stimmen, eine für die Nein-Stimmen und eine für die Enthaltungen sowie für die nicht benötigten restlichen Karten und Umschläge. Ich warte noch einen kleinen Moment. – Sind alle Urnen aufgestellt? – Wunderbar! Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung über den Antrag. Die Fraktion der Linken beginnt bitte mit dem Aufruf. Wer ruft auf? – Herr Jauch, dann rufen Sie auf! Und die Urnen sind mittlerweile auch eingetroffen. Hier vorne bleiben bitte nur diejenigen, die tatsächlich mit dem Wahlvorgang zu tun haben, sonst gibt es Verwirrung.

Ich eröffne den Wahlgang. – Herr Kollege Jauch, bitte rufen Sie die Namen auf. – Ich bitte alle, die nicht am Wahlvorgang beteiligt sind und nicht aufgerufen worden sind, auf ihren Plätzen zu bleiben.

[Aufruf der Namen und Abgabe der Stimmkarten]