Protokoll der Sitzung vom 11.06.2015

Es ist ein Ziel der Koalition, den Schutz jeder und jedes Einzelnen vor Benachteiligung zu verbessern und dem Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zur tatsächlichen Durchsetzung zu verhelfen.

Und weiter:

Wir werden konsequent die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexuellen und transsexuellen Menschen vorantreiben und jegliche Form von Homo- und Transphobie aktiv bekämpfen.

Was, wenn nicht die Ehe für alle, könnte diesem Ziel Ihres Koalitionsvertrags mehr Nachdruck verleihen und deutlicher entsprechen?

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Müller! Herr Henkel! Sie haben das hier

[Redner hält ein Schriftstück hoch.]

doch beide unterschrieben. Sind das Ihre Unterschriften?

[Heiterkeit]

Sind sie das?

[Regierender Bürgermeister Michael Müller: Ja!]

Dann besteht darüber schon einmal kein Streit. Da Sie es aber beide offensichtlich vergessen haben, was Sie da unterschrieben haben, habe ich Ihnen das noch einmal mitgebracht und gebe es Ihnen zum Durchsehen.

[Redner überreicht dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und dem Bürgermeister Frank Henkel je ein Schriftstück – Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Da Sie es aber offensichtlich vergessen haben, habe ich auch noch einmal die entsprechenden Stellen in neutralem Blau angestrichen, damit Sie es gleich finden.

Wie absurd vor diesem Hintergrund ist aber eigentlich die Drohung von Herrn Henkel, die Koalition platzen zu lassen, wenn im Bundesrat zugestimmt wird?

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das ist doch keine Drohung! – Martin Delius (PIRATEN): Ein Gedankenspiel!]

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der Junior droht dem Senior mit dem Platzen der Koalition, wenn der sich an die Koalitionsvereinbarung hält.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Da kann ich nur sagen: Willkommen in Absurdistan!

Lieber Regierender Bürgermeister Müller! Nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenz nach Artikel 58 Abs. 2 VvB wahr! Eine breite Mehrheit im Abgeordnetenhaus wird Ihnen dafür sicher sein.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Falls Ihnen tatsächlich ein Koalitionspartner abhandenkommen sollte, so vergessen Sie nicht: Progressive, moderne Politik funktioniert mit der Mehrheit hier im Abgeordnetenhaus, aber nicht mit der CDU.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehmann-Brauns?

Kollege Lehmann-Brauns, Sie haben das Wort!

Herr Kollege! Ich frage Sie: Wie groß muss eigentlich der Leidensdruck bei den Piraten sein, dass sie der Union die Möglichkeit verweigern wollen, in einer für sie sehr wichtigen Frage eine Abstimmung durchzuführen?

[Zurufe]

Herr Lehmann-Brauns! Wie groß ist eigentlich der Leidensdruck in der CDU, wenn ihr zu diesem Zeitpunkt einfällt, wo die Diskussion seit Jahrzehnten läuft, eine Abstimmung in ihrem Landesverband durchzuführen?

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich sage Ihnen: Ihr Leidensdruck ist nicht vorhanden. Sie wollen hier, wie schon erwähnt, eine Politik und ein Gefühl für eine Klientel vermitteln, die es in Berlin nicht mehr gibt.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Lehmann-Brauns?

Das war ein Missverständnis.

[Martin Delius (PIRATEN): Will auch keiner hören!]

Diese Abstimmung wird ein wichtiges Signal nicht nur für die Berliner Community sein. Nehmen Sie sich ernst, und stimmen Sie zu!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Sagen auch Sie am Freitag Ja: Ja zur Ehe für alle!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Saleh. – Bitte sehr!

[Zuruf von der LINKEN: Mit der CDU linke Politik machen!]

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Für uns als SPD-Fraktion ist das heutige Thema eins, das unsere Grundwerte und die der Gesellschaft berührt. In der Geschichte der Sozialdemokratie ging es immer darum, Privilegien abzuschaffen: die Abschaffung der Privilegien für den Adel, die Verankerung von Arbeitsrechten und Sozialversicherungen, die Einführung des Frauenwahlrechts, die Schaffung von Bildungschancen für Arbeiterkinder – immer ging es um eins: gleiche Chancen und gleiche Rechte für alle.

[Beifall bei der SPD]

Diskriminierung, egal welcher Art, hat für uns in dieser Gesellschaft keinen Platz. Das muss eine Selbstverständlichkeit sein, und genau deshalb brauchen wir endlich die Öffnung der Ehe für alle!

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ja, viele der einzelnen Elemente einer Ehe sind durch das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz und seine Folgen schon heute Wirklichkeit. Es wurde auf dieser Grundlage vieles für gleichgeschlechtliche Partnerschaften erreicht: Das Erb- und Unterhaltsrecht ist der Ehe weitestgehend gleichgestellt. Das Ehegattensplitting wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Lebenspartnerschaften ausgeweitet. Für Kinder und Paare in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wurden mit der Stiefkindadoption und der Zulassung der Sukzessivadoption schon jetzt wichtige Fortschritte erreicht.

Die Verfasser unseres Grundgesetzes haben 1949 eine Privilegierung der Ehe nach dem damaligen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung geschaffen. Doch die Entwicklung der letzten Jahre zeigt deutlich, dass unsere Verfassung lebendig ist. Deshalb haben wir das Ziel der Gleichstellung fast erreicht – bis auf wenige, ungerechte Ausnahmen, zum Beispiel im Sozialrecht. Jetzt geht es nur um einen juristisch überschaubaren Schritt, und es ist absolut irrational, dass einige Konservative über diese winzige Hürde nicht springen wollen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Rechtlich ist schon viel erreicht. Doch auch politisch ist der letzte Schritt zur Gleichstellung überfällig. Die Lebenswirklichkeit und die Gesellschaft in unserem Land – gerade in Berlin, in unserer Stadt – sind wesentlich weiter. Die Unterscheidung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft ist kleinlich und schon lange überholt. Jetzt können wir einen jahrzehntelangen Kampf gegen Diskriminierung zu einem guten Ende bringen. Wer diesen Schritt nicht gehen will, der steht so altbacken da wie die CDU in den letzten Tagen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]