Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

Tagesordnungspunkt 24

Einführung einer Erhebungsmatrix für Funkzellenabfragen – bessere statistische Erfassung von Daten für echte parlamentarische Kontrolle – Drucksachen 17/1700 und 17/1975 –

Mitteilung – zur Kenntnisnahme – Drucksache 17/2404

In der Besprechung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lauer. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute geht es weniger um die Funkzellenabfrage als um die Frage, was wir als Parlament uns von der Verwaltung bzw. der politischen Führung der Verwaltung gefallen lassen und was nicht. Ich werde im Laufe der Rede darauf eingehen, warum es darum geht und warum es meiner Fraktion wichtig war, diese Mitteilung – zur Kenntnisnahme – aufzurufen.

Dieses Parlament wollte im November 2014 etwas über die Funkzellenabfrage wissen und hat deswegen gemeinsam einen Beschluss darüber gefasst, wie es über die Funkzellenabfrage informiert werden möchte. Das war ein gemeinsamer Beschluss vom 27. November 2014. Wir haben Kriterien benannt und gesagt: Liebe Verwaltung! Lieber Senat! Wenn ihr eine Funkzellenabfrage durchführt, dann schlüsselt die bitte nach folgenden Kriterien auf und liefert uns einen Bericht. – Den ersten Bericht sollte es am 30. Juni 2015 geben. Am 30. Juni gab es keinen Bericht. Normalerweise müsste der Senat das Abgeordnetenhaus an dieser Stelle darüber informieren, dass er seiner Berichtspflicht nicht nachkommt und dies begründen. Tat er aber nicht. Erst auf unsere Nachfrage hin, wo denn der Bericht bleibe, schrieb uns der Staatssekretär Straßmeir: Na ja, es dauere halt alles etwas länger, was daran liege, dass der Verwaltung sehr viel daran gelegen sei, einen besonders lesenswerten und besonders aufschlussreichen Bericht zu liefern. Am 28. Juli werde der Bericht dann in die Senatssitzung gehen und dort beschlossen werden.

Am 28. Juli verkündete Senator Heilmann über die Presse: Funkzellenabfrage in Berlin total erfolgreich! In 500 Verfahren eingesetzt. Super Sache! Wir müssen die Funkzellenabfrage noch ausweiten. – Ich habe dann bei

Justizverwaltung angerufen und gefragt: Bezieht sich der Herr Heilmann in seiner Pressemitteilung möglicherweise auf den Bericht, den das Parlament haben wollte? – Da sagte man mir: Ja, das könnte gut möglich sein. – Da meinte ich: Ja, dann hätte ich diesen Bericht gerne.

[Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE) – Martin Delius (PIRATEN): Moment! Kommt noch!]

Ja, ich weiß, mit so viel Anforderung durch ein Parlament war die Verwaltung förmlich überfordert, denn die Pressestelle teilte mir mit, die Justizverwaltung hätte den von der Justizverwaltung erstellten Bericht nicht. Deswegen könnte man ihn mir auch nicht schicken.

Ich habe daraufhin den Herrn Böhning ein bisschen genervt, der ihn mir dann dankenswerterweise über die Senatskanzlei geschickt hat. Und dann bin ich erst mal komplett ausgerastet.

[Torsten Schneider (SPD): Oh! Kann ich mir vorstellen!]

Ja, ja, Herr Schneider! Sie wissen, bei mir knallt es gewaltig!

[Oliver Friederici (CDU): Ist ja untypisch!]

So kennt man mich gar nicht! – Der Bericht umfasst sage und schreibe drei Seiten!

[Torsten Schneider (SPD): Das ist aber viel!]

Ja, es ist ein dreiseitiger Bericht – sehr kompakt, würde man sagen. – Es ist eine Auflistung von 500 Verfahren, darunter auch so schwerstkriminelle Geschichten wie Fahren ohne Führerschein. Das Land Berlin nutzt eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage in einem Verfahren von Fahren ohne Führerschein! Wir wissen ja, was für eine Bedrohung von diesen Menschen ausgeht und warum das eine massenhafte Überwachung rechtfertigt.

[Canan Bayram (GRÜNE): Ganz gefährlich!]

So, und die Begründung, warum 95 Prozent des Berichts fehlen, ist die, dass die Daten, die das Abgeordnetenhaus von der Verwaltung gerne hätte, von der Software, die die Staatsanwaltschaft benutzt – MESTA, so eine Datenbanksoftware –, überwiegend nicht erfasst werden. Und weil es überwiegend nicht erfasst wird, hat man auch nicht die Daten genommen, die erfasst werden, sondern sich direkt gesagt: Ist ja nur ein Parlamentsbeschluss, ist doch egal! Uns gibt es auch nach 2016 noch. – Und man hat sich einfach mal gesagt: Egal, wir werten das auch nicht händisch aus.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Skandal!]

Das ist großartig! Die Verwaltung hat nämlich gesagt: Weil wir keinen Bock darauf haben, es händisch auszuwerten, kaufen wir uns eine Software. – Und das wusste die Verwaltung – das ergab jetzt eine Kleine Anfrage von mir – bereits einen Monat, bevor wir den Beschluss hier im Parlament überhaupt gefasst haben. Am 26. Oktober 2014 hat der Generalstaatsanwalt mit dem

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

LKA beschlossen: Wir kaufen, falls das beschlossen wird, eine Software und lassen es dann auswerten. – Einen Monat später haben wir beschlossen, wir wollen einen Bericht haben. Und der Verwaltung ist es irgendwie nicht gelungen, uns in acht oder neun Monaten darüber zu informieren: Sorry, Leute! Es gibt keinen Bericht für das Jahr 2014! Wir haben da nämlich so eine Software gekauft, die wir im April erst bestellt haben. Die geht irgendwann im September 2015 online, und deswegen gibt es keinen Bericht!

Das Bemerkenswerte an der Geschichte ist aber: 2012 war die Berliner Polizei in der Lage, Funkzellenabfragen für eine Ausschusssitzung auszuwerten. Da hat die Berliner Polizei händisch die Funkzellenabfragen aus dem Jahr 2009, 2010, 2011 und 2012 ausgewertet. 2014 war der Generalstaatsanwalt in Berlin im Rahmen einer Mitteilung – zur Kenntnisnahme – in der Lage, genau zu sagen, wie viele Funkzellenabfragen es im Land Berlin gab – nein, das stimmt nicht! Er hat nur gesagt, wie viele Verfahren es gab! –, aber er konnte zumindest sagen, wie viele Daten im Jahr 2013 abgefragt worden sind, nämlich 50 Millionen. Das kann man jetzt auch nicht mehr.

Dieser Bericht, der auf einen anderen Antrag, nämlich dem der Linksfraktion, zurückging, wird mittlerweile auch nicht mehr von der Justizverwaltung erstellt, weil die Justizverwaltung sagt: Warum sollen wir noch den Bericht der Linksfraktion aus dem anderen Antrag erstellen? Ihr habt doch jetzt den neuen Bericht! – Wohlgemerkt, jener Bericht, den die Verwaltung nicht geliefert hat!

Das geht so natürlich nicht. Wir haben der Verwaltung nicht gesagt: Kauft euch eine Software! Guckt dann mal irgendwann, wie ihr das auswerten könnt. – Wir haben der Verwaltung gesagt: Liebe Verwaltung! Wir wollen einen Bericht über die Funkzellenabfragen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Ich bin ja jetzt kein Verschwörungstheoretiker,

[Sven Rissmann (CDU): Nein, überhaupt nicht!]

aber es ist schon bemerkenswert, wie die Verwaltung anfängt zu mauern, wenn das Parlament Informationen darüber haben will, wie Bürgerinnen und Bürger in Berlin überwacht werden!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist einfach bemerkenswert! Jedes Mal, wenn es darum geht, heißt es: Es ist zu viel Aufwand, das geht nicht! – Es ist schon bemerkenswert, dass auf der einen Seite gesagt wird: Wir benutzen hier total effiziente Maßnahmen zur Verfolgung von Schwerstkriminalität – Klammer auf: Fahren ohne Führerschein –, und dann guckt man sich gleichzeitig die Kriminalstatistik an und es ist über

haupt keine Veränderung in diesen Deliktbereichen erkennbar. Es ist bemerkenswert, dass, wenn man sagt: Bitte gebt uns mal eine Statistik darüber, wie erfolgreich bzw. erfolglos das ist –, die Verwaltung einfach nicht ihre Arbeit macht. Das geht nicht!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

An dieser Stelle muss man auch noch sagen, dass es ja nicht so ist, dass es irgendwann einmal eine Untersuchung gegeben hätte, ob die Funkzellenabfrage etwas bringt oder nicht. Nein! Dieses Mittel gibt es in dieser Form in der Strafprozessordnung seit dem Jahr 2008, und seit dem Jahr 2008 hat sich kein Parlament in diesem Land damit auseinandergesetzt, ob das in irgendeiner Form überhaupt verhältnismäßig ist, was Staatsanwaltschaft und Polizei hier machen. Und in dem Moment, wo wir das fordern, wird der Beschluss nicht umgesetzt – mit der Konsequenz im Übrigen – wir wollten diese tolle Software, die da angeschafft wurde nicht; wir wollten einen Bericht und keine Software –, dass dieser erste Bericht frühestens für das Jahr 2016 erstellt wird. Den kriegen wir im Juni 2017. Das heißt, die erste Debatte darüber wird es in diesem Parlament Ende 2017 geben – drei Jahre nachdem das Parlament gesagt hat: Wir wollen einen Bericht über die Funkzellenabfrage –, weil man in der Verwaltung zu faul ist, diese Akten händisch auszuwerten.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Falls die Software funktioniert! – Martin Delius (PIRATEN): Und falls sie tut, was sie soll!]

Jetzt komme ich zu Herrn Heilmann, denn die politische Verantwortung dafür trägt er. – Es ist eine Riesensauerei, dass Sie sich vor die Öffentlichkeit stellen, ohne irgendeine Datenbasis zu haben, und zu behaupten – ich sage einfach mal zu lügen –, dass die Funkzellenabfrage ein erfolgreiches und effizientes Mittel sei, denn Ihnen liegt genau derselbe Bericht vor. Sie benutzen eine Forderung dieses Parlaments für Ihre eigene Pressearbeit, für Ihre eigene Sicherheitsesoterikpropaganda. Sie stellen sich hin und sagen, das sei ein erfolgreiches Mittel, haben aber nur eine Tabelle mit 500 Fällen, in denen das eingesetzt worden ist. Wie gesagt: Fahren ohne Führerschein und Eigentumsdelikte. Einbrüche sind schlimm. Bei mir wird auch eingebrochen. Bei allen wird in Berlin eingebrochen. Aber gegen Einbrüche kann man sich versichern.

Und Sie stellen sich einfach hin und segnen das auch noch ab. Sie können lesen und schreiben. Sie wären in der Lage gewesen zu sagen: Nein, liebe Verwaltung, du wertest das jetzt händisch aus! – Aber nein! Sie fanden das toll. Sie fanden das gut. Sie haben das unterschrieben. Sie haben das in den Senat eingebracht. Sie haben Ihren Kollegen gesagt: Das ist ein toller Bericht. Den könnt ihr beschließen. – Sie nehmen den gesamten Senat für Ihre schlechte Arbeit in Mithaftung. Ich erwarte hier, dass Sie sich vor dem Parlament rechtfertigen. Und wenn Sie

keine Lust darauf haben, dann kann das Herr Müller machen. Ich bin stinksauer.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das geht echt nicht. Der Beschluss eines Parlaments ist die einzige Möglichkeit, die wir haben. Deswegen werden wir dazu noch einmal im Rechtsausschuss nächste Woche reden, und ich freue mich auf die weitere Debatte. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Lauer! – Für die SPD-Fraktion hat nur das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Költzsch. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Funkzellenabfragen der Berliner Polizei bedürfen einer besseren Kontrolle.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das haben wir nach eingehender Diskussion im letzten November hier in diesem Haus in großer Einigkeit festgestellt, denn gerade bei Eingriffen der Sicherheitsbehörden in die Grundrechte eines jeden von uns bedarf es einer besonders intensiven parlamentarischen Kontrolle. Deshalb hat das Abgeordnetenhaus auf Grundlage eines Beschlusses des Rechtsausschusses im November beschlossen, dass im halbjährlichen Abstand diesem Haus ein umfassender Bericht zu den Funkzellenabfragen vorgelegt werden sollen.

Das geschah natürlich auch mit dem Hinweis darauf, die oft emotional geführte Debatte – man hat das schon gut an meinem Vorredner sehen können – zu versachlichen.

[Martin Delius (PIRATEN): Hat nicht geklappt!]

Diese Versachlichung fällt zugegebenermaßen angesichts des vorgelegten Berichts schwer.

Wir hatten dem Senat einen klaren Auftrag gegeben. Am 30. Juni sollte uns ein Bericht vorgelegt werden, in dem über die nicht individualisierten Funkzellenabfragen Auskunft gegeben werden sollte. Dazu hatten wir uns auf acht klare Kriterien geeinigt, zum Beispiel die Zahl der beantragten und bewilligten Funkzellenabfragen, den Straftatbestand, die jeweilige Rechtsgrundlage, aber auch die Anzahl der Verfahren, in denen auf Funkzellenabfragen zurückgegriffen wurde und in denen diese auch bewilligt wurden. Weitere Kriterien waren die Gesamtzahl der übermittelten Verkehrsdatensätze und auf welche

Arten von Diensten diese entfallen – sprich: Festnetz, Mobilfunk, SMS. Wie unschwer erkennbar ist, sind das einige sehr spezifische Informationen.