Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

Arten von Diensten diese entfallen – sprich: Festnetz, Mobilfunk, SMS. Wie unschwer erkennbar ist, sind das einige sehr spezifische Informationen.

Was wir aber von der Senatsverwaltung für Justiz jetzt erhalten haben, hat mit dem von uns angeforderten Bericht etwa so viel zu tun wie eine selbstgebaute Seifenkiste mit dem Dienstwagen von Senator Heilmann.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Es hat vier Räder, sieht auch aus wie ein Auto, man kann auch damit fahren, es rollt den Berg runter, aber man kann nicht gut damit fahren, und vor allen Dingen kann man nicht gut nach links und rechts steuern. Man kann das nicht aussteuern. Von den abgefragten Daten zeigt der Bericht lediglich die Anzahl der Funkzellenabfragen und gruppiert nach den jeweiligen Tatvorwürfen, also genau zwei Datensätze von den acht. Zwei dürre Datenreihen und ein paar Zeilen Erklärungen, warum die meisten der gewünschten Informationen nicht verfügbar sind, sind ein viel zu mageres Ergebnis nach acht Monaten.

[Martin Delius (PIRATEN): Es ist eine Frechheit!]

Die gegebenen Begründungen sind auch eigentlich nicht nachvollziehbar. Es war immerhin ein Dreivierteljahr Zeit, um die Daten zu organisieren. Und wenn sie nicht vorhanden sind, hätte man schon nach wenigen Wochen sagen können, dass es so ist.

Darüber hinaus hatten wir den Senat aufgefordert, in einem Pilotprojekt die Benachrichtigung über ein SMSInformationssystem umzusetzen. Ziel dabei ist es, die Bürger per SMS auf die Erhebung ihrer Daten im Rahmen einer Funkzellenabfrage hinzuweisen. Aber auch hier hat die Senatsverwaltung den Auftrag des Abgeordnetenhauses bislang nicht umgesetzt. Das ist natürlich bedauerlich, zumal lediglich ein Pilotsystem gefragt war und keine Umsetzung im Echtbetrieb, die sicher etwas länger benötigen würde.

Insgesamt erweckt die Justizverwaltung jedenfalls den Eindruck, den klaren Auftrag des Abgeordnetenhauses nicht richtig ernst zu nehmen. Ich kann nur hoffen, dass das ein falscher Eindruck ist.

Wir müssen als Parlament in der Lage sein, Transparenz über entstehende Grundrechtseingriffe von Sicherheitsbehörden zu haben, um eine effektive Kontrolle ausüben zu können. Einige Zahlen zur Verdeutlichung: Im Jahr 2014 wurde die Funkzellenabfrage in 500 Verfahren eingesetzt. Das klingt erst einmal gar nicht so viel: mehr als einmal täglich zumindest. Wir wissen aber gleichzeitig auch, dass das mit einer Abfrage von ungefähr 50 Millionen Verkehrsdatensätzen verbunden ist. Das sind statistisch gesehen ungefähr jährlich 15 pro Berliner. Das heißt, jeder und jede von uns wird irgendwo mal an einer Funkzelle vorbeikommen, wo das eigene Handy

(Christopher Lauer)

davon betroffen ist. Um zu prüfen, warum und unter welchen Umständen diese Daten erfasst werden, haben wir diesen Bericht angefordert. Diese parlamentarische Kontrolle auszuüben, ist uns aber mit dieser Art von Bericht nicht möglich.

Deshalb müssen aus unserer Sicht drei Dinge getan werden. Erstens: Die zur Datenerhebung bezüglich der Funkzellenabfragen notwendigen Voraussetzungen in der Senatsverwaltung müssen geschaffen werden. Zweitens: Das SMS-Informationssystem muss pilotiert werden. Drittens: Der entsprechende Bericht muss angefertigt werden. Mein Vorredner hat es schon gesagt: Zur weiteren notwendigen Diskussion werden wir die Drucksache in den Rechtsausschuss überweisen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Dr. Költzsch! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dr. Behrendt. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Költzsch, Sie haben völlig recht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Die Berliner Staatsanwaltschaft und die Berliner Polizei nutzen in großem Umfang ein neues Ermittlungsinstrument, das tiefgreifend in die Grundrechte der Berlinerinnen und Berliner eingreift, und verweigern konsequent und seit Jahren jede weiterführende Information dazu.

Zur Qualität des Berichts der Senatsverwaltung ist das Richtige in den richtigen Worten gesagt worden.

[Beifall bei den PIRATEN]

Man gewinnt den Eindruck, dass die Berliner Staatsanwaltschaft uns als Laus ansieht, die in ihrem Wams juckt. Dieses Verhältnis ist ein verheerendes. Wir wünschen uns von Ihnen, Herr Heilmann, dass Sie dieses Verhältnis wieder vom Kopf auf die Füße stellen und dass Sie dort einmal deutlich machen, was parlamentarische Auskunftsrechte sind, was parlamentarische Antragsrechte sind. Es handelt sich hier um einen einstimmigen Beschluss des Berliner Parlaments. Alle Fraktionen haben ihn mitgetragen. Das scheint die Berliner Staatsanwaltschaft überhaupt nicht zu scheren.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es ist völlig unerklärlich, warum die statistischen Daten hier nicht händisch ausgewertet werden. Von einer Behörde mit fast 1 000 Mitarbeitern kann man wohl erwarten, dass sie die vom Parlament angeforderten Informati

onen liefert und sich nicht darauf zurückzieht, dass man erst irgendwelche Programme kaufen muss. Vielleicht muss an der Stelle auch noch einmal daran erinnert werden – es wird ja dort geltend gemacht, wegen der Benachrichtigung per SMS brauche man erst notwendige und eingehende Prüfungen, und das sei alles ganz schwierig – , dass die Strafprozessordnung die Benachrichtigung der Betroffenen vorsieht. Wenn diese nicht erfolgt, ist die Maßnahme rechtswidrig. Da in Berlin überhaupt keine Betroffenen benachrichtigt werden, sind die 500 Funkzellenabfragen rechtswidrig.

[Martin Delius (PIRATEN): Schöne Scheiße!]

Die wenigen Daten, die Sie uns mitteilen – darauf hat der Kollege Lauer schon Bezug genommen – lassen auch, was die sonstigen Voraussetzungen und Anforderungen der Strafprozessordnung angehen, Schlimmes befürchten. Die Geschichte begann 2012. Der Berliner Datenschutzbeauftragte hatte eine Überprüfung vorgenommen und gesagt, dass es so, wie die Staatsanwaltschaft die Funkzellenabfrage durchführt, vielerlei Kritik gibt. Weitestgehend sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Verfahren werden nicht eingehalten. Weitestgehend sind die Funkzellenabfragen rechtswidrig.

Wenn ich mir jetzt die Liste der Delikte ansehe, die Sie uns zur Erinnerung geschickt haben, § 100g der Strafprozessordnung verlangt Straftaten von „auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung“, diese Anlasstaten, dann finde ich das verheerend. Dort finden sich als Anlasstaten Delikte der einfachen und einfachsten Kriminalität. Es geht los mit dem Missbrauch von Notrufen, der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch, der einfache Körperverletzung, der Nötigung, dem Diebstahl, der Urkundenfälschung, geht weiter zur einfachen Sachbeschädigung – ein Antragsdelikt –, der Mitteilung über Gerichtsverhandlungen und – Kollege Lauer hat es schon erwähnt, das schlägt dem Fass fast den Boden aus – der Funkzellenabfrage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Abgesehen davon, dass bei diesen Delikten zum Teil völlig unklar ist, was die Funkzellenabfrage eigentlich erbringen soll, muss man feststellen, dass der Tatbestand der Strafprozessordnung in keinem dieser Fälle erfüllt ist. Es wird auf den Katalog von § 100a Abs. 2 Strafprozessordnung verwiesen. Dort sind Fälle schwerster und schwerer Kriminalität aufgeführt. Da tauchen die von mir soeben aufgezählten Delikte vollständig nicht auf. Sie sind im Unrecht auch nicht vergleichbar mit den dort aufgeführten Delikten. Deshalb muss man aus heutiger Sicht, wenn man diesen Bericht sieht, sagen, dass die durchgeführten Funkzellenabfragen – es ist ein Teil der 500 –, die Voraussetzungen nicht erfüllen und vollständig rechtswidrig waren.

Weil die Berliner Staatsanwaltschaft offenbar ein erhebliches Problem mit der Rechtstreue hat – nicht nur, dass sie uns nicht berichten will, was man vielleicht auch versteht, weil dort nicht alles ganz koscher läuft –, überreiche ich

(Dr. Gregor Költzsch)

Ihnen heute, lieber Herr Senator, eine aktuelle Ausgabe der Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie laden gern die Behördenmitarbeiter in große Räume ein, was auch ziemlich teuer ist. Dann schlage ich vor: Heilmann bietet einmal für die Berliner Staatsanwaltschaft eine Lesung aus der Strafprozessordnung an. Dann nähern wir uns vielleicht einmal dem Umstand, dass die Berliner Staatsanwaltschaft dieses Instrument hier rechtmäßig benutzt. Diese hartnäckige und fortgesetzte Verweigerung der Gesetzestreue ist schlichtweg nicht hinzunehmen. Die Staatsanwaltschaft führt sich hier auf wie ein Intensivtäter. Für Intensivtäter haben wir ein besonderes Programm aufgelegt. Herr Senator, seien Sie so gut und beschützen Sie alle Berlinerinnen und Berliner vor dieser willkürlichen Massenüberwachung durch die Berliner Staatsanwaltschaft! – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Dr. Behrendt! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Rissmann. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit Ihnen heute nicht langweilig wird – es muss auch einmal jemand etwas anderes sagen und dieser vermeintlich einheitlichen Betrachtung entgegentreten –

[Benedikt Lux (GRÜNE): Überraschen Sie uns!]

ich kann Sie nicht mit so viel Kabarett überraschen wie Herr Lauer oder Kollege Behrendt –, will ich die Sache materiell betrachten.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Das zweifle ich an!]

Darum geht es schließlich.

Es geht darum, dass Sie unter dem Vorwand dieser Berichtspflichten Ihren vollkommen ideologisch geprägten Kampf gegen das notwendige Ermittlungsinstrument der Funkzellenabfrage fortführen wollen, alle möglichen Unwahrheiten verbreiten und in höchstem Maß populistisch sind. Die Funkzellenabfrage ist entgegen Ihrer Behauptungen ein nur minimal invasives Instrument zur Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten, auf das wir nicht verzichten wollen und können.

Ich habe diesmal, um etwas anderes zu bieten, einige Fallbeispiele gesucht, die für sich selbstredend deutlich machen, worum es hier eigentlich geht. Es geht nicht en masse um die Strafbarkeit nach § 21 StVG – Fahren ohne Führerschein, wie es Kollege Lauer vorgetragen hat –,

sondern um in der Tat schwerste Straftaten. Die Fälle, die Ihnen jetzt vorstelle, musste ich natürlich verkürzen, um sie hier darstellen zu können. Sie berühren aber nicht den Kernbereich dessen, was ausgesagt werden soll.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Keine Vorlesung!]

Ein erster Fall, er ist sehr aktuell aus dem Jahr 2015 – ich darf das kurz vortragen –: Der Angeschuldigte zog nach einem Streit mit seinem späteren Opfer eine Pistole, gab zwei Schüsse auf dieses ab. Das Opfer erlitt zwei Durchschussverletzungen im rechten Bein. Danach gab er weitere Schüsse auf andere Unbeteiligte ab, die ebenfalls Verletzungen erlitten, im Oberbauch, Schlagaderverletzungen, Dünndarmverletzungen, Ober- und Unterschenkelverletzungen. Durch eine Zeugenaussage konnte festgestellt werden, dass der bis dahin unbekannte Täter kurz vor der Tat telefoniert hatte. Allein die Funkzellenabfrage, die dann angeordnet wurde – es sei nur einmal am Rand erwähnt: Es muss dafür immer eine richterliche Anordnung geben. –, hat dazu geführt, dass dem späteren Angeschuldigten diese Telefonnummer zugeordnet werden und er damit der Strafverfolgung ausgesetzt werden konnte.

Ein weiterer Fall aus dem Jahr 2015, weil Sie sagen, es seien ein paar kleinere Eigentumsdelikte, gegen die man sich versichern könne: Eine Funkzellenabfrage führte zu einer Festnahme eines Teils einer Kfz-Diebesbande, die für insgesamt 107 Kfz-Entwendungen verantwortlich gemacht wird. Der Schaden beläuft sich auf mindestens 2,8 Millionen Euro, Herr Lauer – kleine Eigentumsdelikte, für die man sich versichern kann.

Ich verkürze und trage den nächsten Fall vor: 2014. Gegenstand des Verfahrens ist ein Raubmord, Herr Kollege Behrendt. Hier hat die Erhebung und Auswertung der Funkzellendaten am Tatort ganz erheblich zum Ermittlungserfolg beigetragen. Am Tatort war eine Blutspur eines unbekannten Täters gesichert worden, die aber bei Abgleich mit der bundesweiten DNA-Datei keiner Person zugeordnet werden konnte. Erst die Auswertung der Funkzellendaten,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Darum geht es nicht! Es ist unredlich, was Sie da tun!]

die die Rufnummer eines örtlich bekannten zuvor wegen Raubüberfällen in Erscheinung getretenen Heranwachsenden enthielt, der mit dem Täter kurz vor der Tat in Kontakt gestanden hatte, konnte der Täter ermittelt werden. Er war geständig und ist inzwischen – noch nicht rechtskräftig – verurteilt.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Zurück zum Thema!]

Vierter Fall: Bei den Ermittlungen zu einem versuchten Mord, Herr Kollege Behrendt, Herr Kollege Lauer, im Rockermilieu wurde über eine tatortbezogene Funkzellenauswertung für den Tatzeitraum eine auffällige wechselseitige Kommunikation zwischen zwei Rufnummern festgestellt, von denen eine Nummer einer Person zu

(Dirk Behrendt)