Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

[Martin Delius (PIRATEN): Immer mit der Ruhe! Wir haben Zeit!]

Herr Senator Geisel ist im Raum. Sie können loslegen. Bitte!

Das freut mich. Sehr geehrter Präsident! Geehrte Gäste! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Senator Geisel! Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich auch heute in meiner Rede deutlich mache, dass ich mit der Radverkehrspolitik des Senats nicht zufrieden bin.

[Beifall bei den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Das stimmt!]

Das wollte ich Sie doch auch noch einmal persönlich hören lassen. Dass dies aber nicht nur ein ungefähres Gefühl ist, sondern sich auch belegen lässt, zeigen die vielen kaputten Radwege, die schlechte Infrastruktur insgesamt, besonders aber auch die Gefahrenstellen, die nicht entschärft werden und immer wieder für schwere Unfälle in Berlin sorgen.

Das erfährt auch jeder Radfahrende in Berlin, der sich jeden Morgen auf einen lebensgefährlichen Slalomkurs zwischen den parkenden Zustellfahrzeugen, die dort von Polizei und Ordnungsamt geduldet werden, und dem fließenden Verkehr wiederfindet,

[Lars Oberg (SPD): Rote Ampeln!]

und jeder Autofahrer, der an der Ampel als Rechtsabbieger einen Radfahrenden hinter dem anderen durchlassen muss, weil gerade an Ampelkreuzungen die Infrastruktur den stark steigenden Radfahrerzahlen nicht gerecht wird, aber auch Fußgänger, die sich mit Rädern auf dem Gehweg konfrontiert sehen, weil sich die Straße in einem unzumutbaren Zustand befindet oder es an Fahrradabstellanlagen mangelt.

[Zuruf von Ole Kreins (SPD)]

Das ist kein Gefühl, sondern wird auch immer wieder in Studien bestätigt. So belegt Berlin bei der Umfrage im Februar dieses Jahres zur Fahrradfreundlichkeit Platz 30 von 39. Bei einer Untersuchung, wie einfach es ist, sich in Städten zu bewegen – lesen wir heute in der Zeitung –, landete Berlin bei der Frage der Verfügbarkeit von Radwegen auf Platz 20 von 28, bei der Frage zur Qualität auf Platz 25.

[Zuruf von Ole Kreins (SPD)]

So sieht keine leistungsfähige Infrastruktur für das Rad aus. Da nutzt auch nichts das laute Reklamieren, Herr Kreins. Liebe SPD und liebe CDU: Die immer wieder

lautstarken Behauptungen, dass Berlin doch eine so tolle Infrastruktur für Radfahrende bietet, werden relativiert durch die Zahlen, an denen sich zeigt, wie Sie Politik machen: Augen und Ohren zu, nichts sehen, nichts hören.

[Beifall bei den PIRATEN]

Warum ist das aber so? Warum befindet sich Berlin bei dem Thema seit Jahren im Tiefschlaf? – Wie der Antwort auf die Schriftliche Anfrage 17/16023 vom Kollegen Gelbhaar zu entnehmen ist, gibt es lediglich zweieinhalb Stellen in der Senatsverwaltung, die sich mit dem Thema Radverkehr beschäftigen. So schreibt Herr Gaebler auch, dass es zwar einen integrativen verkehrsträgerübergreifenden Ansatz gibt, der das rechtfertigen soll. Dass es aber nicht funktioniert, zeigt sich eben auf der Straße immer dann, wenn der Radverkehr gerade beim Neu- und Umbau von Straßen und Kreuzungen einfach vergessen wird. Das ist keine funktionierende Infrastruktur in der Senatsverwaltung, die eine zukunftsorientierte Radverkehrspolitik umsetzen könnte. Diesen Zustand kann sich Berlin nicht länger leisten.

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Aus diesem Grund hat die Piratenfraktion den Antrag „Fahrradbeauftragte für Berlin – Radverkehrsförderung neu organisieren“ eingebracht. Im Antrag gibt es vier einfach umzusetzende Punkte, die eine wesentliche strukturelle Verbesserung ermöglichen.

[Martin Delius (PIRATEN): Super!]

Erstens: Ein eigenes Referat für Radverkehr mit entsprechender Personalausstattung unter der Leitung einer Radverkehrsbeauftragten.

[Martin Delius (PIRATEN): Konsequent!]

Zweitens: Der Senat wird aufgefordert, bei den Bezirken darauf hinzuwirken, dass die für jeden Bezirk vorgesehene Stelle für Radverkehrsplanung auch wirklich eingerichtet wird sowie die notwendigen finanziellen Mittel bereitstehen. Es soll eine Koordinationsrunde Radverkehr eingerichtet werden, in der sich die Radverkehrsbeauftragte mit den wichtigsten Akteuren für die Radverkehrsplanung mindestens einmal im Monat trifft. Hier sollen die konkreten Maßnahmen miteinander abgestimmt werden. Der FahrRat, den es schon gibt, soll zu einer Lenkungsgruppe Radverkehr aufgewertet werden. Hier soll die Radverkehrsstrategie fortgeschrieben werden und ein detailliertes Radverkehrskonzept für die Umsetzung erarbeitet werden.

[Beifall bei den PIRATEN]

Das sind die Grundlagen, die in Berlin dafür sorgen können, dass Berlin wirklich zur viel zitierten Fahrradstadt werden kann.

Wenn Ihnen hier einige Vorschläge bekannt vorkommen, haben Sie sich mit der Fahrradstadt Wien auseinandergesetzt, an deren erfolgreicher Struktur wir unseren Antrag angelehnt haben. Dort gab es nämlich ähnliche

Schwierigkeiten bei einer ähnlichen Struktur mit eigenständigen Bezirken. Mit diesen Änderungen konnten sie erfolgreich überwunden werden.

Ich freue mich im Übrigen auch außerordentlich, dass der Senat erkannt hat, dass es im Bereich der Verkehrslenkung so nicht weitergehen kann und für einen Personalwechsel an der Spitze gesorgt hat. Hoffentlich sorgt dies aber auch wirklich für einen Kurswechsel, der gerade beim Thema Radverkehr in Baustellensituationen besonders dringend ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE) – Wolfgang Brauer (LINKE): Zum fünften Mal die gleiche Rede! – Martin Delius (PIRATEN): Aber es fahren doch auch immer mehr Leute Rad!]

Vielen Dank, Kollege Baum! – Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Kreins das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Baum! Ich habe eine andere Wahrnehmung. Die hat etwas mit den wachsenden Zahlen der Radfahrerinnen und Radfahrer zu tun, mit dem wachsenden Anteil am Modal Split. Es hat etwas damit zu tun, dass Berlin eine sehr attraktive Fahrradstadt ist. Der Vergleich, den Sie vorhin genommen haben, hinkt. Wenn man Berlin mit kleinen Gemeinden wie Münster oder Freiburg vergleicht,

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Mit Wien!]

sind das kurze Wege und andere Bedingungen. Sie haben von Spandau bis nach Hellersdorf ein Radwegenetz. Wenn man von Spandau nach Hellersdorf will, braucht man zwei Stunden. Das hat etwas mit der Größe der Stadt zu tun. Deshalb ist es an der Stelle für viele nicht attraktiv.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Delius?

Ich habe 40 Sekunden gesprochen. Was war denn da so irritierend, dass Sie schon eine Zwischenfrage haben? – Nein, Herr Delius!

Also nicht?

Nein, keine Zwischenfrage an der Stelle. – Wir haben eine andere Wahrnehmung und sagen, dass diese Wahrnehmung auf der Straße stattfindet. Die Radfahrerinnen und Radfahrer fahren Rad. Das machen Sie, weil die Infrastruktur eine gute ist.

[Martin Delius (PIRATEN): Trotz des Senats!]

Selbstverständlich diskutieren wir heute über diesen Antrag. In diesem Antrag steht, dass wir einen neuen Fahrradbeauftragten brauchen. Wenn wir ihn schon nicht für das Land brauchen, dann brauchen wir ihn für die Bezirke. Das ist im Übrigen alter Wein in neuen Schläuchen. Die Diskussion hatten wir schon im Jahr 2012. Die damals gefallenen Argumente, die für die Position des Senats oder für unsere Mehrheitsposition standen, gelten heute immer noch.

Der Fahrradbeauftragte war zu einer Zeit eingeführt worden, als die Fahrradinfrastruktur anders aussah, als das Bewusstsein noch nicht vorhanden war. Es hat zu einem Bewusstseinswandel geführt, zu einer Lobbyarbeit. Das war vor 20 Jahren. Es ist auch gelungen, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen.

Berlins Radverkehr wächst auch ohne den Radverkehrsbeauftragten. Deswegen ist es notwendig, dass Verwaltung den Radverkehr als Gesamtaufgabe betrachtet. Ich finde es nett, dass Sie den Kleinverkehrsplanern die Krone des Radverkehrsbeauftragten in den Bezirken aufsetzen wollen. Ich will das aber einmal an einem praktischen Beispiel durchexerzieren: Es gibt in einem Bezirk einen Radverkehrsbeauftragten, der sagt, dass hier der Radfahrstreifen erneuert werden muss. Er spricht mit dem FahrRat, mit dem Stadtrat. Der Stadtrat stimmt dem zu. Er spricht mit der Bezirksverordnetenversammlung. Diese sprechen mit dem ADFC. Alle sind sich einig und ziehen eine Linie, stellen ein paar Schilder, und fertig ist der Radfahrstreifen. Nun kommt der Nicht-Fahrradbeauftragte daher und sagt: „Aber der Fußweg ist zu schmal“, oder „wir brauchen Parkplätze an der Stelle, weil es Gewerbetreibende gibt“. Sie merken, dass es in einem begrenzten Verkehrsraum nicht gegeneinander funktioniert. In einem begrenzten Verkehrsraum funktioniert Verkehrspolitik nicht gegen Teile der Fußgängerschaft und auch nicht gegen Teile der mobilisierten Verkehrsinfrastruktur und insbesondere nicht bei Planungsprozessen. Radverkehr kann nicht von den restlichen Verkehrsarten losgelöst sein. Auch das ist eine Schwäche Ihres Antrags. Radverkehr ist in der gesamtstädtischen Mobilität relevant.

Jetzt werden Sie natürlich sagen: Die Bezirke haben viel zu wenig Radfahrbeauftragte. Da sage ich Ihnen: Jeder Verkehrsplaner, jeder Verkehrsingenieur sollte Radfahrbeauftragter werden, und er sollte Fahrrad als integralen Bestandteil der verkehrlichen Mobilität in dieser Stadt

(Andreas Baum)

verstehen. Dann haben wir auch ein weniger großes Umsetzungsproblem.

Das Thema Personal und Radwegeplanung in den Bezirken spricht auch für sich. Es gibt Bezirke, die werden vom ADFC – ich war gestern gerade da – gelobt. Und es gibt Bezirke, die werden nicht gelobt. Wieso schaffen es einzelne Bezirke, Radverkehrsstrategien erfolgreich umzusetzen, Mittel freizumachen, Stellplätze zu organisieren, Jugendverkehrsschulen zu ertüchtigen und Radwege und Radfahrstreifen zu bauen, das Radfahren in Parks freizugeben, und wieso schaffen andere Bezirke es nicht?

Es hängt auch an der politischen Verwaltung, es hängt auch an der politischen Verantwortung der Bezirke und an den Prioritätensetzungen in den Bezirksämtern.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Seien wir uns bewusst, dass das ein Teil des Problems ist!

[Martin Delius (PIRATEN): Das sind alles Argumente für einen Fahrradbeauftragten des Landes!]

Weil wir die Erfordernisse für die wachsende Stadt gesamtstädtisch haben und nicht in einzelnen Bezirken, die wir loben wollen, oder in anderen Bezirken, die wir kritisieren wollen, müssen wir das Thema gesamtstädtisch angehen. Ich freue mich an der Stelle, über den Antrag im Ausschuss reden zu können. Uns wird sicherlich einiges Besseres einfallen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Martin Delius (PIRATEN) meldet sich zu einer Kurzintervention.]

Vielen Dank, Herr Kollege Kreins! – Bündnis 90/Die Grünen hat als Redner den Kollegen Gelbhaar benannt. – Ach so, Entschuldigung, Herr Delius! – Herr Baum hat jetzt eine Kurzintervention. Das muss durch den Geschäftsführer angemeldet werden, das wissen Sie.

[Martin Delius (PIRATEN): Der ist gerade nicht da!]