Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich richtig gerechnet habe, werden wir in diesem Haus, von heute abgesehen, wahrscheinlich noch mindestens drei Mal über die Forderung der Aussetzung der Verhandlungen zum TTIP-Abkommen diskutieren. Die Piraten haben das mit Zustimmung der Opposition 2014 gefordert, 2015 ist jetzt Die Linke dran, 2016 sind es voraussichtlich die Grünen. Und kurz vor der Wahl wird das dann wahrscheinlich auch
die SPD-Fraktion ganz mutig fordern, nachdem sie den mutigen Beschluss gefasst hat, sich in der heutigen Plenardebatte klar von ihrem eigenen Parteivorsitzenden und Wirtschaftsminister zu distanzieren.
Es handelt sich bei diesem Tagesordnungspunkt spätestens ab jetzt um ein Ritual, bei dem Piraten, Linke, Grüne und SPD gebetsmühlenartig ihre festgefügten Meinungen von sich geben, egal, was politisch passiert.
Das ist natürlich generell schade, aber auch nicht wirklich nachvollziehbar, denn: Was hat sich seit unserer letzten Diskussion im letzten Jahr in den Verhandlungen eigentlich Schlimmes ereignet? Gibt es Zwischenergebnisse, die uns alarmieren müssten?
Haben wir eine Überschwemmung mit Chlor-Hähnchen? Sind die Buchpreise astronomisch geklettert? Haben wir vielleicht einen amerikanischen Generalunternehmer, der unseren BER baut?
Wenn ich die letzten Verhandlungen im Bereich TTIP grob zusammenfasse, dann gibt es unter der neuen EUKommissarin Malmström Bewegung beim stark kritisierten Thema Schiedsgerichte, und zwar in eine positive Richtung mit der Etablierung eines internationalen Schiedsgerichtshofs mit transparenter Richterwahl. Des Weiteren hat der Kongress Präsident Obama das Verhandlungsmandat erteilt. Damit hat die Legislative in den USA deutlich zu erkennen gegeben, dass die Verhandlungen stringent weitergeführt werden sollen. Außerdem hat das Europäische Parlament nach engagierter Debatte im Juli eine ausführliche Resolution mit 69 Unterpunkten angenommen, in denen so ziemlich alle roten Linien vorkommen, die in unserem Haus diskutiert wurden und die man sich in diesem Zusammenhang überhaupt vorstellen kann.
Nein, ist es nicht. Deshalb verstehe ich den Antrag der Linksfraktion auch nicht, und deshalb bleiben wir bei unserer Position. Der europäische und der deutsche Wohlstand und Arbeitsmarkt basieren auf der Exportorientierung, deshalb muss die Verbesserung der Exportbedingungen beispielsweise durch den Abschluss von Handelsabkommen eine permanente Aufgabe sein. Wir wollen das Zusammenwachsen der beiden Wirtschaftsräume mit den höchsten Standards in der Welt. Wir wollen intelligente Lösungen, wir wollen mehr Kooperation. Die Schweiz und Island können Freihandelsabkommen mit China abschließen und wir nicht mit den USA, unserem wichtigsten Handelspartner. Der Abbruch der Verhandlungen würde die transatlantischen Beziehungen enorm beschädigen. An einen Neustart wäre für viele Jahre nicht zu denken. Wir wollen jetzt nicht die Flinte ins Korn werden, sondern mit Ausdauer und Kreativität weiterverhandeln. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Kollegin Bentele! – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Kollege Spies. – Bitte schön!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Bentele hat gerade die Frage gestellt, was bei den Verhandlungen in der Zwischenzeit Schlimmes passiert sei. Die Antwort ist ganz einfach: Wir wissen es nicht!
Das ist ja eine Hauptkritik, dass die Verhandlungen völlig intransparent ablaufen. Wir wissen, dass selbst die Abgeordneten des Europäischen Parlaments faktisch keinen Zugang zu den Unterlagen haben.
Neben den Verhandlungen zu TTIP und TISA gilt es vor allem – mit oberster Priorität –, das europäischkanadische Freihandelsabkommen CETA zu verhindern. Das Abkommen ist bereits verhandelt, der Vertragstext liegt seit einem Jahr öffentlich vor. Da wissen wir also, was drinsteht. Die wichtigsten Punkte: Produkte und Technologien dürfen erst aus dem Verkehr gezogen werden, wenn ihre Schädlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist.
Verwaltungsgremien, also Kooperationsgremien, erhalten weitgehende Kompetenzen für Interpretation und Weiterentwicklung des Abkommens. Gesetzesvorhaben können so bereits zu Fall gebracht werden, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, die privatisiert sind, dürfen nicht mehr rekommunalisiert werden. Durch private Schiedsgerichte können private Unternehmen Entschädigungszahlungen bei jedem neuen Gesetz – zum Beispiel zum Gesundheits- und Umweltschutz – bekommen. Last but not least: Regelungen zum Datenschutz fehlen fast vollständig.
Durch die Einbeziehung der übrigen Staaten des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA – USA und Mexiko – kommen auch Privatunternehmen der USA über ihre Niederlassung in Kanada in den Genuss der Bestimmungen von CETA. Mexiko bekam die Knute eines NAFTA-Schiedsgerichts zu spüren, als der Staat die Einfuhr von Isoglukose beschränken wollte. Dieses Produkt – auch als Glukosesirup, Maissirup, Stärkesirup, Bonbonsirup, Corn Sirup oder Maiszucker bezeichnet – ist mit großer Sicherheit für die zunehmende Fettleibigkeit vor allem bei Kindern verantwortlich.
2003 verklagte der US-Konzern Corn Products International den Staat Mexiko auf entgangene Gewinne von 325 Millionen Dollar. Ein privates Schiedsgericht verur
teilte Mexiko, die Strafsteuer zurückzunehmen und einen Schadenersatz von 58 Millionen Dollar zu zahlen.
Wenn die EU jetzt bei TTIP private Schiedsgerichte ablehnt bzw. einen internationalen Handelsgerichtshof anregt, so ist das nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver. Völlig egal, was bei TTIP noch verbessert wird: Wenn CETA wie geplant 2017 in Kraft tritt, wird das alles unterlaufen. Insofern hoffe ich doch, dass sich die Bedenken auch in der Bundesregierung durchsetzen und dort die Beschlüsse der SPD, also auch des SPD-Parteikonvents, ernst genommen werden, die Ratifizierung von CETA zu verhindern.
Ja zum fairen Handel, wir brauchen ein faires und nachhaltiges Handelssystem. Dazu müssen wir aber die WTO, also die Welthandelsorganisation, nutzen. Das ist der richtige Ort, um über einen internationalen Handelsgerichtshof nachzudenken. Bis man zu einem solchen Handelsgerichtshof kommt, der im Übrigen dann auch alle Schiedsgerichtsvereinbarungen aus allen schon bestehenden Handelsabkommen ersetzen muss, sollte man die Verhandlungen zu TTIP und TISA aufs Eis legen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Kollege Spies! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Vielen Dank! – Es wäre schön, wenn sich der Senator anhören würde, was ich zu sagen habe. Es geht um sein Thema.