Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – gemäß § 38 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. – Eine Beratung ist hierfür nicht vorgesehen. Der Hauptausschuss hat der Vorlage mehrheitlich gegen Grüne und eine Stimme der Piraten zugestimmt. Wer dem Vermögensgeschäft Nr. 21/2011 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der SPD, die Fraktion der CDU, die Fraktion Die Linke und vier Herren aus der Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – Dagegen ist die Fraktion der Grünen. Wer enthält sich? – Ich sehe drei Enthaltungen. Dann ist der Vorlage somit zugestimmt.

Ich komme zu der

lfd. Nr. 19:

Zusammenstellung der vom Senat vorgelegten Rechtsverordnungen

Vorlage – zur Kenntnisnahme – gemäß Artikel 64 Absatz 3 der Verfassung von Berlin Drucksache 17/0104

Von diesen Verordnungen wird hiermit Kenntnis genommen.

Dann komme ich zur

lfd. Nr. 20:

a) Zeitnahe, vollständige und ergebnisoffene Sonderüberprüfung des Berliner Forschungsreaktors vor der Wiederaufnahme des Betriebs (neu)

Vollständige Sicherheitsüberprüfung des Berliner Forschungsreaktors vor Entscheidung über Weiterbetrieb (alt)

Drucksachen 16/4049, 16/4290, 16/4290-1 und 16/4290-2, 16/4418 16/4427– Schlussbericht –

Mitteilung – zur Kenntnisnahme – Drucksache 17/0074

b) Stresstest für den Forschungsreaktor Wannsee nachbessern – Überflugverbot sicherstellen

Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen Drucksache 17/0124

Diese Besprechung soll heute vertagt werden. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich komme nun zur

lfd. Nr. 21:

Zweckentfremdung von Wohnraum rechtssicher unterbinden

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0057

Dieser Tagesordnungspunkt steht eigentlich auf der Konsensliste. Jetzt wurde aber doch die Behandlung beantragt. Die vorgesehenen Reden werden zu Protokoll gegeben.

Die Linke bringt heute einen Antrag für eine neue und rechtssichere Zweckentfremdungsverbotsverordnung in das Plenum ein. Wenn mir die Koalition gleich entgegenhalten wird, das hätten sie ohnehin vor, dann sage ich: Um so besser! Dann sind wir uns ja einig und brauchen keine Zeit im Streit zu verlieren.

Ich sage es ganz offen: Ich bin erfreut, wie der neue Stadtentwicklungssenator Denkverbote zur Seite schiebt, die seine Vorgängerin und die Senatsverwaltung über Jahre gehütet haben wie einen Schatz. Aus diesen Ankündigungen muss aber schnell und belastbar praktische Politik erwachsen. Die Mieterinnen und Mieter in Berlin können und wollen nicht länger warten.

Das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichts Mitte zur Wilhelmstraße unterstreicht die Notwendigkeit einer verlässlichen Rechtsgrundlage zur Unterbindung unerwünschter Zweckentfremdungen, unabhängig davon, ob das Bezirksamt Mitte in Revision geht. Die 2010 noch von Rot-Rot novellierte Betriebsordnung für Beherbergungsstätten war ein offenbar nicht ausreichender Versuch, die Blockade der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu überwinden.

Das Angebot an preiswerten Mietwohnungen in vielen Teilen Berlins ist rapide zurückgegangen, wegen positiver Bevölkerungsentwicklung, steigender Haushaltszahlen, Leerstands wegen Unbewohnbarkeit oder aus wirtschaftlichen Gründen, nicht zuletzt wegen der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und der Nutzung von Wohnraum für andere Zwecke. Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA schätzt die Zahl der Ferienwohnungen vorsichtig auf rund 12 000. Verlässliche Angaben kann derzeit niemand machen. Aber es wird niemand bestreiten, dass der Berliner Wohnungsmarkt eng geworden ist.

Bei der zunehmenden Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen verlieren die sozial Benachteiligten: die Geringverdienenden, die Studentinnen und Studenten, die Trans

ferleistungsbeziehenden. Auch deshalb will die Linke den weiteren Verlust von Mietwohnungen durch Zweckentfremdung stoppen.

Eine neue Verordnung zu einem Verbot der Zweckentfremdung ist absolut dringlich. Dabei soll der Senat auch prüfen, ob eine räumliche Beschränkung auf Teilgebiete der Stadt sinnvoll ist. Es soll sichergestellt werden, dass Wohnraum, der zum dauerhaften Wohnen errichtet oder umgebaut bzw. umgenutzt worden ist, nicht für Zwecke eines Gewerbes, z. B. als Ferienwohnung mit gewerblichem Charakter, entfremdet werden oder dauerhaft leer stehen darf. Des Weiteren darf Wohnraum nicht aufgrund unterlassener Instandhaltung oder baulicher Maßnahmen unbrauchbar gemacht oder abgerissen werden. Ausnahmen sollen mit Genehmigung des zuständigen Bezirksamtes möglich sein. Eine erneute Genehmigung soll nicht erforderlich sein, wenn andere als Wohnzwecke erlaubt worden waren.

Die Verordnung zum Zweckentfremdungsverbot, die jahrelang in Berlin existierte und erfolgreich angewendet worden war, ist im Jahr 2002 per Gerichtsurteil abgeschafft worden, weil es zum damaligen Zeitpunkt nach Auffassung des Gerichts keine angespannte Wohnungsmarktlage in Berlin mehr gab. Diese Ansicht vertrat bis vor kurzem auch die SPD-geführte Stadtentwicklungsbehörde stoisch. Inzwischen hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt geändert. Dafür sprechen Leerstände unter der normalen Fluktuationsrate von 3 Prozent, lange Wartezeiten für studentische Wohnheimplätze und eine sich immer schwieriger gestaltende Unterbringung von Personen im „geschützten Marktsegment“. Die materiellen Voraussetzungen für ein rechtlich zulässiges Zweckentfremdungsverbot sind damit in Berlin längst wieder gegeben. Weitere Indizien für eine rechtssichere Begründung einer Zweckentfremdungsverbotsverordnung sind deutlich ansteigende Mietpreise im aktuellen Mietspiegel gegenüber vorausgegangenen Mietspiegeln und ein stärkeres Anwachsen der Bevölkerung bzw. der Anzahl der Haushalte in Relation zu den fertig gestellten Neubauwohnungen. Auch dies ist für Berlin zutreffend.

Das Angebot an Wohnungen verknappt sich in dem von steigender Nachfrage geprägten Berliner Mietenmarkt noch zusätzlich, wenn Wohnungen in nicht unerheblichem Maß in Gewerberäume und Ferienwohnungen umgewandelt werden.

Die Vermietung von Wohnraum zu Gewerbezwecken oder als Ferienwohnungen mit gewerblichem Charakter sowie der bewusst herbeigeführte dauerhafte Leerstand von mehr als sechs Monaten muss wirksam unterbunden und als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern verfolgt werden können, um eine Entspannung des Berliner Wohnungsmarktes zu erreichen und damit den Druck für weitere Mietsteigerungen zu reduzieren. Das ist ein Baustein

der neuen wohnungspolitischen Strategie, die Berlin so schnell wie möglich braucht.

Unser gemeinsames Ziel ist, dass wir genügend bezahlbaren Wohnraum für die Berlinerinnen und Berliner haben. Aber alle wollen natürlich auch, dass viele Touristen unsere Stadt besuchen. Die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen unterliegt lediglich der Anzeigepflicht gemäß § 14 Abs. 1 der Gewerbeordnung. Bauordnungsrechtlich werden Ferienwohnungen wie normale Wohnungen behandelt.

Der massenhaften Umwandlung in überdimensionierte Formen innerhalb bestimmter Wohnstrukturen, insbesondere in Citylage, muss entgegengewirkt werden. Es ist nicht in unserem Sinn, Mieter aus ihren angestammten Wohnquartieren zu verdrängen, z. B. durch Belästigung. Natürlich können Ferienwohnungen auch eine zeitgemäße Form der Tourismusentwicklung sein, aber 50 Prozent Ferienwohnungen in einem Quartier verdrängen die Mieter. Es muss möglich sein, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die die überdimensionierte Zweckentfremdung von Wohnraum stoppen. Die gesetzliche Grundlage, die bisher das Bestehen von Wohnungsmangel in ganz Berlin zur Voraussetzung hatte, muss in Bezug auf Teile in Berlin verändert werden. Die Dunkelziffer der Ferienwohnungen muss durch verschärfte Kontrollen in den Bezirken verändert werden. Ich erwarte vom Senat entsprechende Vorschläge, so auch den Erlass einer Verordnung zum Verbot der Zweckentfremdung für bestimmte Stadtgebiete, wie bereits in Drucksache 16/4069 in der letzten Wahlperiode gefordert.

Die Linke hat die Zweckentfremdung von Wohnraum entdeckt. Wir haben heute hier im Plenum schon mehrfach festgestellt, dass Die Linke Themen plötzlich anders bewertet als noch vor einem halben Jahr. Damals liefen Sie in Nibelungentreue hinter der SPD und Senatorin Junge-Reyer her. Wohnungsknappheit gebe es nicht, Preissteigerungen seien normal, so der Tenor der rotroten Koalition.

Die neue Koalition will Wohnungsneubau voranbringen. Das ist nicht falsch. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, Sie verfallen in alte Muster. Neubau ist teuer. Bestand ist immer billiger, in der Regel sowohl im Erwerb als auch in der Unterhaltung. Kümmern Sie sich prioritär um den Bestand!

Und da sind wir bei der Zweckentfremdung. Jede Wohnung, die nicht zweckentfremdet wird, brauchen Sie nicht neu zu bauen. Bündnis 90/Die Grünen haben Anfang des letzten Jahres, im Februar 2011, einen Antrag für eine Zweckentfremdungsregelung eingebracht. Wohnraum muss Wohnraum bleiben und darf nicht einfach abge

rissen, leer stehen gelassen oder zu Gewerbe umgenutzt werden. Rot-Rot hat den Antrag nach mehrmonatigem Schweigen dann auf das Thema Ferienwohnungen reduziert und angefangen zu prüfen. Im August 2011 haben wir einen Zwischenbericht bekommen, der uns auf März 2012 vertröstet. Aha, so lange wird erst mal geprüft! Und in der Zwischenzeit zeigt sich, dass die bisherigen Werkzeuge gegen Zweckentfremdung nicht ausreichen. Die Ferienwohnungskolonie an der Wilhelmstraße ist gerichtlich nicht einzuschränken. Die Betriebsverordnung hat als Rechtsgrundlage nicht ausgereicht – so zumindest die vorläufige Auffassung des Verwaltungsgerichtes. Der erste Fehlversuch!

Wie nun weiter? Ist der Senat vorbereitet? – Ich vermute, nein. Jetzt rächt sich, dass der Senat sich nicht langfristig auf Veränderungsprozesse in der Stadt vorbereitet. Wohnungspolitik ist langfristig. Sie passt nicht in Jahresscheiben, sie passt kaum in Legislaturperioden. Seit ich hier im Abgeordnetenhaus bin, seit 2006, ist der Trend am Wohnungsmarkt eindeutig. Die Mieten steigen, der Leerstand geht zurück – auch durch Zweckentfremdung. Dagegen wollen wir etwas tun. Hamburg macht das vor. Dort gibt es seit Jahrzehnten eine Zweckentfremdungsregelung. Rechtsgrundlage ist aktuell ein Landesgesetz. Nach der Föderalismusreform ist der Umgang mit Zweckentfremdung Ländersache. Die Hamburger können das. Und die Hamburger Verwaltung hat uns das im Rahmen einer Anhörung hier im Hause auch erklärt. Der Berliner Senat war dabei, aber geschehen ist nichts, frei nach dem Motto: „Warum sollen wir von Hamburg lernen, wir sind ja Berlin.“ – Das muss sich ändern, nicht nur Ihr Motto, sondern Ihre Politik! Dieser heutige Antrag kann ein zusätzlicher Anstoß sein.

Wir haben vorhin über unseren wohnungspolitischen Globalantrag, Drucksache 17/0029, abgestimmt. Die Koalition war leider dagegen. Herr Dr. Heide von der CDU-Fraktion hat in der Debatte erklärt, rechtlich sehe er bei den Ferienwohnungen keine Chance, die Entwicklung zu beeinflussen. Ich rufe Ihnen zu: Seien Sie nicht so pessimistisch! Wir können doch nicht hinnehmen, dass ganze Häuser, die zum Dauerwohnen errichtet wurden – und die dafür gebraucht werden –, zu Pensionen umgenutzt werden! Lassen Sie den Senat endlich tätig werden! Was in Hamburg funktioniert, kann doch in Berlin nicht unmöglich sein. Starten Sie den nächsten Versuch!

Vielleicht kennen Sie den Film „Westworld“ mit Yul Brynner: Total echt wirkende künstliche Menschen – Roboter – stellen in einer total echt wirkenden künstlichen Westernstadt total echt wirkende Westernszenen für Touristen dar. Wenn man sich heutzutage auf dem Pariser Platz aufhält, fühlt man sich, als sei ein Euro Disney Resort Berlin eröffnet worden.

Ja, Tourismus ist wichtig für die Berliner Wirtschaft. Aber in einer Stadt, in der niemand mehr lebt, weil in alle Wohnhäuser Ferienwohnungen, Boutiquen oder Galerien eingezogen sind, findet kein Kiez mehr statt.

Der Antrag findet unsere Unterstützung, auch wenn er den Wohnungsnotstand allein nicht lösen kann. Er hilft allerdings, die Verdrängung, auch bekannt als Gentrification, unter Kontrolle zu bekommen.

Als der Antrag, das Zweckentfremdungsverbot für Berlin wieder einzusetzen, im letzten Jahr gestellt wurde, meinte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, es könne doch keinen Wohnungsnotstand geben, wenn 10 000 Wohnungen leer stünden. Da musste ich lachen. Uns Piraten wird mangelnde Wirtschaftskompetenz unterstellt, und Herr Wowereit weiß nichts von spekulativen Leerständen? Oder er will davon nichts wissen.

Die IBB-Leerstandsanalyse 2010 zeigt: Für knapp die Hälfte der befragten Eigentümer mit Leerständen sind diese wirtschaftlich verkraftbar. Für jeden Vierten ist der vorhandene Leerstand sogar planmäßig – und somit wirtschaftlich verkraftbar.

Dass Mieter wie im Beispiel des Kreuzberger Chamissoplatzes aus ihren Wohnungen herausgekauft werden, scheint für Herrn Wowereit keine Relevanz zu besitzen, wenn er wahrnehmen soll, dass es einen Wohnungsnotstand in Berlin gibt. Da werden Mietverträge gekündigt, die Mieter aus ihren Wohnungen entfernt und diese als Eigentumswohnungen angeboten. So fallen die Wohnungen aus der Statistik. Na, danke! Und das in einer Stadt, in der es mindestens 10 000 Menschen ohne Wohnung gibt!

Wenn diese Stadt nicht in naher Zukunft nur noch von Attraktionsrobotern – wie im Beispiel des erwähnten Films „Westworld“ – oder von Zwei-Wochen-Mietern – wie in Friedrichshain – bevölkert werden soll, wird es höchste Zeit, gegen Wohnungsnotstand und Gentrifizierung vorzugehen. Stimmen Sie also bitte ab für eine Stadt, die von Menschen bewohnt wird und nicht nur von Mickey, Pluto und Dagobert Duck in Lederhosen – jetzt!

Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr vorgeschlagen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Die lfd. Nr. 22 war die Priorität der Fraktion Die Linke unter der lfd. Nr. 4.5.

Jetzt kommen wir zur