Protokoll der Sitzung vom 08.10.2015

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Radziwill das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Piraten im Hause machen sich also Sorgen über den Kurs in der Flüchtlingspolitik.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Nicht nur wir! – Martin Delius (PIRATEN): Sie nicht, oder? Die SPD ist ganz beruhigt!]

Herr Heilmann! Herr Henkel! Herr Czaja! Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrer Parteichefin!

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzeltes Lachen]

Abschottung und Abgrenzung ist Illusion, sagte Frau Merkel, unser aller Bundeskanzlerin, vor dem EUParlament. Es ist gut, wenn auch die Kanzlerin keine Zäune wieder hochziehen will, die Grenzen nicht dichtmachen will, und sie ist stolz darauf – und sicherlich wir alle auch mit ihr –, dass Deutschland keinen Zaun drumherum hat. Das hat sie gestern in der Sendung bei Anne Will gesagt.

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Es war eine sehr interessante Sendung bei Anne Will. Wir haben eine geradezu sehr menschliche Kanzlerin erleben dürfen, eine, die Rückgrat gezeigt hat.

[Martin Delius (PIRATEN): Plötzlich! – Dr. Manuel Heide (CDU): Wir wissen, was wir an ihr haben! – Zuruf von den PIRATEN: Nicht alle von Ihnen!]

Deshalb kann ich nur sagen: Kurs halten! Das ist die Devise, Kurs halten und weitermachen mit der Willkommenskultur, mit der Integration!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Herr Henkel! Herr Heilmann! Herr Czaja! Wenn Sie einmal den Kurs vergessen haben sollten – wovon ich nicht ausgehe – auf dem langen Weg, kann ich Ihnen nur empfehlen, rufen Sie Ihre Parteichefin an! Frau Merkel wird Sie schon einnorden!

[Heiterkeit und Beifall bei den PIRATEN]

Also, meine lieben Piraten, es gibt keinen radikalen Kurswechsel – nicht in Berlin, nicht in der Flüchtlingspolitik. Willkommenskultur ist bei uns ein großer Schwerpunkt.

[Martin Delius (PIRATEN): Alles in Ordnung!]

(Christopher Lauer)

Nebenbei will ich aber auch Folgendes bemerken: Wir haben schon in vielen anderen Fragen klare Haltung von der Bundeskanzlerin vermisst, aber gerade hier in der Flüchtlingspolitik, dass sie so viel Rückgrat zeigt, dass sie so klar ihre Meinung vorträgt, dass sie so energisch auch gegen die Stammtische hier klar Stellung bezieht!

[Michael Dietmann (CDU): Das hat sie immer gemacht!]

Das ist auch deswegen wichtig, weil aktuelle Umfragen sagen, dass die Ausländerfeindlichkeit in bestimmten Regionen in Deutschland stärker ist, und in Berlin ist sie auch verschieden verteilt. In Marzahn-Hellersdorf haben wir laut Umfragen eine Quote von etwa 45 Prozent, in Charlottenburg-Wilmersdorf etwa von 12 Prozent. Und dieses Signal ist wichtig. Deswegen müssen wir als Politik hier mit besonderer Verantwortung herangehen. Flüchtlingspolitik eignet sich nicht als Thema, um innerhalb von Parteien Gezänk und Ähnliches zu machen.

Wir haben hier eine gemeinsame Aufgabe. Sie heißt, Menschen, die Schutz suchen, hier bei uns Schutz zu gewähren – Menschen, die auf Zeit gekommen sind. Und das wissen viele von uns auch aus unseren Erfahrungen mit Zuwanderung. Weil Deutschland mit seiner Geschichte eine besondere Verantwortung hat, hat das Grundrecht auf Asyl auch eine so besondere Rolle. Es ist nicht verhandelbar. Die SPD steht uneingeschränkt zum Grundrecht auf Asyl. Über diese Grundrechte wollen wir nicht verhandeln, und wir wollen sie verteidigen.

Selbstverständlich müssen wir uns angesichts der steigenden Zahl von Menschen, die hier Hilfe suchen, überlegen, ob wir die Verfahren beschleunigen und wie wir sie verändern. Beschleunigte Verfahren helfen auch zu wissen: Habe ich eine Perspektive in diesem Land? Kann ich mich hier einbringen? – Sie sollen sich einbringen, und deswegen ist ganz wichtig, dass wir in dem Kontext Flüchtlingspolitik gerade heute, gerade aktuell, uns sehr stark auch mit Integrationspolitik befassen. Berlin hat hier einen sehr guten Stand, und weil Berlin aus meiner Sicht seine Aufgaben gut meistert, wundert es mich schon, Herr Czaja, dass Sie, gerade nach der Äußerung der Bundeskanzlerin, sagen, dass Berlin an die Grenzen seiner Belastbarkeit gekommen ist. Ich glaube, dass das so nicht stimmt:

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Die Berlinerinnen und Berliner und viele in den Verwaltungen stemmen hier eine sehr, sehr große Aufgabe, und sie stemmen sie sehr, sehr gut. Die Hilfsbereitschaft in Berlin ist enorm groß – zumindest kann ich das aus meinem Wahlkreis bestätigen.

Herr Czaja! Sie haben unsere vollste Unterstützung, wenn Sie sich darum bemühen, die Verbesserungen beim Landesamt für Gesundheit und Soziales umzusetzen.

[Martin Delius (PIRATEN): Echt?]

Er macht es auch! – Es ist dringend notwendig, dass wir dort die Zustände so verbessern, dass sie nicht menschenunwürdig sind. – Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich das vor Ort angeschaut hat. Ich war gestern noch mal dort, um Spenden abzugeben. Wir müssen dort dringend noch einiges verbessern, und es wird deshalb wichtig sein, dass wir so schnell wie möglich das Gebäude in der Bundesallee als neue Anlaufstelle, als einen neuen Ort, wo Registrierungen schneller erfolgen können, zügig, in diesem Monat ans Netz bringen. Wir können es nicht zumuten, dass Menschen tagelang warten, und gerade nicht bei diesen ungünstigen Wetterbedingungen.

Mit dem Gebäude in der Bundesallee wird sicherlich eine Verbesserung kommen; da bin ich mir sehr, sehr sicher. Es ist gut, dass mit der Unterstützung durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und seine Anstrengungen, die Hilfestrukturen zu verbessern, hier einiges besser geworden ist. Viele landeseigene Gesellschaften helfen mit, dass geflüchteten Menschen schneller geholfen wird. Es ist auch gut, dass der Regierende Bürgermeister mit dem Ex-Polizeipräsidenten Dieter Glietsch als neuem Staatssekretär die organisatorische Leitung und Koordinierung des Koordinierungsstabs für Flüchtlingsmanagement stärkt. Es ist gut, wenn wir diese Hilfen anbieten, und es hilft auch Ihnen, Herr Czaja, Ihre Aufgaben besser und sinnvoller zu bewältigen.

Ich bin ganz bei der Bundeskanzlerin: Wir schaffen es! – Und Berlin schafft es auch. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, können wir uns davon überzeugen: Der Berliner Haushalt – Berlin als kleines, armes Bundesland – wuppt das, und wir schaffen das auch ohne Haushaltssperren, ohne globale Minderausgaben usw. Wir schaffen das in einem Haushalt, den wir jetzt aufstellen. Der Bund tut gut daran, den Ländern zu helfen. Deswegen war die Einigung auf der Bund-Länder-Ebene sehr, sehr wichtig: Berlin wird hier über 200 Millionen zusätzlich bekommen. Ich bin mir sicher, dass wir diese Mittel in der Perspektive in die Integration, in die Unterstützung, in den Ausbau im Bereich Kita, Schule, Ausbildung und auch Arbeitsplätze investieren werden.

Wir stehen besser da als manche Städte und Regionen in Deutschland. Wir können und dürfen hier nicht von Abschottung reden. Es ist unsere Aufgabe – parallel zu dem, was jetzt wichtig ist, nämlich den ersten Schutz anzubieten –, die Menschen, die hergekommen sind, auch in der Integrationspolitik zu unterstützen. Der Kompass zeigt in Richtung Integrationspolitik; er zeigt in Richtung Willkommenskultur und Stärkung der Integrationspolitik. Deshalb werden wir hier auch noch viel mehr Anstrengungen machen und machen wollen.

Zum Schluss möchte ich in diesem Kontext den vielen Ehren- und Hauptamtlichen meinen Dank aussprechen. Die vielen Ehrenamtlichen, die sich momentan in den 83 Flüchtlingseinrichtungen engagieren, die helfen, die

Spenden zu sortieren, die helfen, dass es den Menschen dort besser geht, machen eine enorm gute Aufgabe, und da gebührt es uns, hier einen Dank auszusprechen.

[Allgemeiner Beifall]

Ich will meine Rede mit einem Zitat unseres Regierenden Bürgermeisters Michael Müller beenden, der allen Ehren- und Hauptamtlichen dankt. Ich zitiere:

Die Zahlen sprechen für sich: Die Berliner und Berlinerinnen sind in überragender Weise bereit, sich ehrenamtlich für Menschen in Not zu engagieren. Es ist keineswegs zu hoch gegriffen, von einer Welle der Hilfsbereitschaft zu sprechen. Es ist richtig und wichtig, dass wir dafür alle möglichen Wege nutzen, um Informationen und die vielfältigen Möglichkeiten zum Engagement für Flüchtlinge anzubieten. Einmal mehr danke ich allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich in unserer Stadt für Flüchtlinge einsetzen. Wir sind gegen Abschottung, gegen Ausgrenzung und für eine Willkommenskultur – das tut uns allen gut.

Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Steffen Zillich (LINKE)]

Danke schön! – Für die Fraktion Die Grünen jetzt Frau Kollegin Bayram. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Willkommenskultur oder Abschottung ist die Frage der Aktuellen Stunde. Sie stellt sich tatsächlich, denn seit vielen Jahren weisen wir darauf hin, dass es eine neue Kultur des Miteinanders in Deutschland geben muss. Wir müssen uns mit den Fragen auseinandersetzen: Wie leben wir zusammen? Wie wollen wir in der Zukunft zusammen leben? – Unsere Gesellschaft verändert sich, auch unsere Stadt. Unsere offene Gesellschaft ist ein hohes Gut, dass wir täglich neu verteidigen müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Aber es wird auch klar: Wir brauchen den Raum für neue Diskussionen, für Begegnungen und für Prozesse, die jetzt teilweise zufällig passieren, die wir aber teilweise auch organisieren müssen. Die Frage stellt sich: Welches gemeinsame Leitbild verbindet uns eigentlich? Und welche neue Identität braucht es, um der Aufgabe als Einwanderungsland gewachsen zu sein? – Alle müssen ihren Beitrag leisten und werden die Veränderung spüren. Andere Einwanderungsländer haben sich ein Leitbild gegeben, z. B. der Ansatz „Unity in Diversity“: Der Respekt vor der Vielfalt kann zu einer Einheit verbinden. Das heißt, wir sind vereint in der Gestaltung der Vielfalt.

Aber darüber wird aktuell nicht so viel geredet, sondern über Statistiken und Obergrenzen unseres Grundrechts auf Asyl. Da möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten den Bundesrichter Thomas Fischer aus einem Artikel in der „Zeit“ zitieren. Er sagt zu den Fragen von Kapazitäten und Möglichkeiten völlig zu Recht:

Es könnte sein, dass es unmöglich ist, in einer Turnhalle in Wetzlar 400 Elefanten unterzubringen oder in einem Zeltlager in Merseburg 30 000 Syrer. Aber was heißt das für die Elefanten und die Syrer?

Diese und ähnliche Fragen werden täglich aufgeworfen und mehr oder weniger qualifiziert beantwortet – in Fernsehsendungen, bei Twitter und auf Facebook oder auf der Straße. Willkommensplakate am Bahnhof oder Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen werden entweder als naive Träumereien oder eine neue Willkommenskultur in Deutschland wahrgenommen. Besonders viele Männer überbieten sich gerade darin, die Abschottungsspirale weiter und weiter zu drehen. Beispiele dafür gibt es im Senat: Innensenator Henkel kann im Innenausschuss nicht darstellen, welche Ressourcen er für die Ausländerbehörde braucht – aber ein Westbalkanausreisezentrum will er in der Stadt einrichten. Man ist ja schon versucht zu sagen: Entspannt euch, Leute! Das ist Frank Henkel, der Außensenator. Selbst wenn er mal in Berlin ist, macht er doch nichts. Also kriegt er auch das nicht hin!

Oder: Mario Czaja, Sozialsenator und zuständig für das Landesamt für Gesundheit und Soziales, der will jetzt die Asylanträge von Menschen innerhalb eines Tages ablehnen. Und man fragt sich: Weshalb müssen derzeit die Menschen bis zu 40 Tagen auf eine Wartenummer in der Turmstraße warten, wenn Super-Mario das schneller können soll? Also könnte man auch dort sagen: Keine Sorge, der bellt nur. Also könnte man dort auch sagen: Henkel, Czaja – und es gibt doch noch den Justizsenator Heilmann. Aber der, das muss ich wirklich sagen, hat den Vogel abgeschossen.

[Zuruf von Dr. Manuel Heide (CDU)]

Er legt ein Papier vor, das von Verstößen gegen das Grundgesetz nur so trieft, sodass man sich fragen muss, ob man ihm überhaupt noch ein solch wichtiges Amt wie die Justizverwaltung anvertrauen darf.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Nicht nur deswegen! – Weitere Zurufe von den PIRATEN]

Eines ist klar: An diese drei Typen von der CDU kann Kanzlerin Merkel nicht gedacht haben, als sie sagte: Wir schaffen das!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich kann es mir jetzt nicht verkneifen, obwohl ich den Brief nicht schön geschrieben finde, aber Herr Kollege

(Ülker Radziwill)