Herr Oberg! Können Sie bitte erklären, warum Ihre Landes-AG Bildung der SPD eine ganz andere Meinung hat? Monika Buttgereit hat das vor anderthalb Wochen bei der letzten Veranstaltung der GGG definitiv gesagt, weil sie einschätzte, dass diese Regelung zulasten der ISS und der Gemeinschaftsschulen gehe.
Warum es unterschiedliche Meinungen gibt, lässt sich relativ leicht erklären. Die Einheit von Staat und Partei – könnte ich jetzt sagen, lasse ich mal weg – ist schon ein bisschen her. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Auffassungen. Selbstverständlich diskutieren wir das auch intern, so wie wir das hier auch diskutieren. Das ist bei Volksparteien so. Dass ist das, warum wir bei der Willensbildung ganz besonders effizient sind.
[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Steffen Zillich (LINKE): Da sagt die Partei das eine und die Fraktion das andere!]
Ich sage der Partei auch – da gibt es übrigens auch unterschiedliche Meinungen, weil es nicht nur eine Person gibt, sondern viele –: Was ist denn dann eure Alternative? Wenn mir jemand eine bessere Alternative bietet, können wir darüber reden. Das, was Sie vorschlagen, es schlicht zu streichen, würde die Legitimationsbasis unserer gemeinsamen Schulstrukturreform im Nachhinein untergraben.
Ich glaube, wir würden unseren bildungspolitischen Zielen damit keinen Gefallen tun. Deshalb glaube ich, dass wir über Alternativen diskutieren sollten, aber diese hier ist keine, von der ich mich bisher habe überzeugen lassen können, dass sie mehr positive als negative Effekte bringt.
Wir wollen weiter, dass es ein Bildungssystem gibt, das auf der einen Seite gesellschaftliche Akzeptanz besitzt und gleichzeitig trotzdem für jeden einzelnen die maximalen Chancen bietet. Das war unsere gemeinsame Philosophie,
Vielen Dank, Herr Oberg! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Remlinger.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich störe Ihre Aufarbeitungsdebatte eigentlich nur ungern, aber andererseits nehme ich natürlich gerne an der Debatte teil, wenn Sie offensichtlich ein paar Jahre nach der Schulstrukturreform hier die Debatte ums Gymnasium eröffnen wollen.
Ich habe an dieser Stelle vor Monaten zur CDU gesagt, was ich hier gerne wiederhole: Wir stehen als Grüne nicht dafür bereit, den Schulfrieden aufzukündigen. Wir stehen insbesondere nicht für einen Kulturkampf gegen oder für das Gymnasium zur Verfügung.
Ja, ich weiß, und offensichtlich rüstet ihr euch für den Wahlkampf und haltet dies ausgerechnet für die richtige Zeit, um die Debatte wieder aufzumachen.
[Regina Kittler (LINKE): Mensch! Habt ihr noch andere Argumente? – Uwe Doering (LINKE): Das macht ihr nicht?]
Wir werden die Debatte auch im Wahlkampf führen, und ich skizziere die Linie, die wir haben werden, hier gerne. Ich habe gesagt, wir machen keinen Kulturkampf für oder gegen das Gymnasium. Was wir aber gerne jederzeit machen, ist eine fundierte Qualitätsdebatte und eine ehrliche Debatte darüber, was Schulen brauchen, um sich weiterzuentwickeln – sich weiterentwickeln zu wollen und zu können.
Es ist kein Geheimnis, dass wir als Grüne keine Freundinnen und Freunde des Probejahrs sind. Ich finde es deshalb richtig, dass wir uns ein paar Jahre nach der Strukturreform genauer anschauen, was hier genau passiert, welche Anreizwirkung das Probejahr in den letzten Jahren hatte, wie viel Förderung oder Nichtförderung tatsächlich stattfindet, inwiefern die Abschulung als Instrument verwendet wird, um Klassenfrequenzen abzusenken.
Was wir auf jeden Fall wissen, ist, dass gerade diese Übergangsschwelle eine ist, die Kindern mit Migrationshintergrund zum Nachteil gerät. Gerade an dieser Schwelle bleibt aus interkultureller Sicht noch sehr viel zu tun. Zu sehr stecken Vorurteile über sogenannte bildungsferne Familien und Milieus noch in vielen Köpfen. Zu oft wird aus den falschen Gründen vom Gymnasium abgeraten und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesagt, sie sollten sich keine illusorischen Ziele setzen.
Wie gesagt, mit Blick auf diese Fragen und Probleme debattieren wir gerne und haben deshalb zu diesem Thema eine Anhörung im Bildungsausschuss angemeldet. Und auch nach der Anhörung sollten wir aus unserer Sicht die Gespräche fortsetzen und uns darüber unterhalte, ob eine Abschaffung des Probejahrs als isolierte Maßnahme sinnvoll ist. Hier wäre dann auch der überraschende gestrige Hauptausschussbeschluss mit einzubeziehen, die Gymnasien im Probejahr analog zu den Sekundarschulen zu finanzieren.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob wir diesen Weg weiterzugehen auch gemeinsam willens sind. Und wir sollten uns darüber unterhalten, ob der Weg der Weiterentwicklung einer ist, wo wir Schulen unterstützen, die sich auf diesen Weg machen wollen, oder ob wir einmal mehr den Schulen flächendeckend etwas überstülpen, etwas verordnen wollen. – Wie auch immer wir uns entscheiden, ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Remlinger! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bentele. – Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken führt uns in eine geradezu schizophrene Situation. Die Linke hat im Zuge der Schulstrukturreform im Jahr 2009 das damalige Probehalbjahr am Gymnasium nicht etwa abgeschafft, nein, sie hat es erst recht fest etabliert, indem sie es auf ein Jahr verlängert hat. Wir nehmen gerne für uns in Anspruch, unsinnige rot-rote Reformen zu korrigieren, aber dass uns die Urheber der Reformen selbst zur Korrektur aufrufen, das ist dann schon eine besondere Variante aus dem Tollhaus!
Dazu kommt, dass der Antrag zeigt, dass Die Linke das Zwei-Säulen-Modell – es handelt sich um zwei Säulen; das ist nicht besonders anspruchsvoll – immer noch nicht verstanden hat.
Kapitel 1: Was unterscheidet das Gymnasium von der ISS? – Das Gymnasium ist eine Schulform für viele, aber nicht für alle, so wie die ISS oder die Gemeinschaftsschule.
[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Genau das ist das Problem! – Regina Kittler (LINKE): Sie haben das Problem erfasst!]
Das Gymnasium richtet sich an Schüler mit hohem Sprachvermögen, die leicht, schnell und gerne lernen und die Leistungsbewertungen befürworten.
Ziel des Gymnasiums ist die allgemeine Hochschulreife nach zwölf Schuljahren und die Vorbereitung auf ein Hochschulstudium. Am Gymnasium wird nicht auf verschiedenen Niveaus unterrichtet, sondern durchgehend auf dem höchsten. Weniger als ein Drittel der Gymnasien sind Ganztagsschulen. Die Klassen sind deutlich größer als an den ISS, und den Gymnasien stehen überdies weniger Teilungsstunden für Einzel- oder Gruppenarbeit zur Verfügung. Ich könnte noch viele weitere Unterschiede aufzählen, aber ich glaube, schon die genannten machen deutlich: Das Gymnasium ist ein relativ anspruchsvoller Bildungsweg, für den die Schüler die richtigen Voraussetzungen mitbringen müssen, weil sie sonst aufgrund der eben beschriebenen Struktur des Gymnasiums Gefahr laufen, nicht mitzukommen.
Kapitel 2: Grundschüler in Berlin bringen höchst unterschiedliche Voraussetzungen aus der Grundschule in die weiterführende Schule mit. Grundschulnoten sind nur sehr begrenzt aussagekräftig und schwer vergleichbar.
Wir fordern schon lange zentrale Klassenarbeiten in Klasse 6 in den Kernfächern, die nach einem einheitlichen Schlüssel korrigiert und bewertet werden, damit Schüler und Eltern einen objektiven Überblick über die Leistungen ihres Kindes und damit eine gute Grundlage für die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg bekommen. Das war mit der SPD nicht zu machen, wie Herr Oberg gerade eben auch gesagt hat. Wir haben uns als Behelf in dieser Legislaturperiode darauf geeinigt, dass bei einem Notendurchschnitt von 3,0 abwärts ein obligatorisches Beratungsgespräch durchgeführt wird, damit Eltern, Schüler und das Gymnasium ihre gegenseitigen Erwartungen abgleichen können und Fehlentscheidungen hoffentlich vermieden werden.
Zusammenfassung: Wir haben sehr unterschiedliche Leistungsausgangslagen bei den Grundschülern, gleichzeitig haben wir das klare Zielraster Erreichung des Klassenziels bzw. Abitur an den Gymnasien, das mit deutlich weniger innerschulischen Hilfsstrukturen und pädagogischem Personal unterlegt ist und für das nur sechs Jahre zur Verfügung stehen.
Unter diesen gegebenen Umständen brauchen wir das Probejahr zur Orientierung bzw. zur Neuorientierung für Schüler, die sich in ihrer Leistungsfähigkeit möglicherweise geirrt haben. Momentan führt kein Weg daran vorbei, außer dass wir es eigentlich wieder auf ein halbes Jahr verkürzen könnten.
Nur, damit wir uns nicht missverstehen: Die CDU ist grundsätzlich keine Anhängerin des Probejahres. Wir denken, dass man die Frage: Passt ein Schüler auf das Gymnasium oder nicht? – beispielsweise durch die genannten zentralen Klassenarbeiten und eine Gymnasialplatzgarantie für Schüler, die einen bestimmten Notendurchschnitt mitbringen, viel besser regeln könnte. Was aber nicht geht, ist das, was Sie vorschlagen, nämlich Schüler, die schon in der ersten Gymnasialklasse große Probleme haben, dem gymnasialen Niveau zu folgen, einfach in der nicht mit umfangreichen Hilfsleistungen ausgestatteten Gymnasialstruktur hängenzulassen.
Was übrigens auch nicht geht, ist, die Gymnasialpädagogen mit zusätzlichen Anforderungen, beispielsweise dem Abschluss von Zielvereinbarungen einzudecken, ohne ihnen hierfür die entsprechenden personellen und strukturellen Ressourcen zu geben.
Das ist einfach nur heuchlerisch und unterscheidet diejenigen, die das Gymnasium indirekt sterben lassen wollen, indem sie es mit Heterogenität zufluten, ohne dem Gymnasium die Bedingungen zur Bewältigung dieser Heterogenität zur Verfügung zu stellen, von denen, die die Realität an den Gymnasien ehrlich zur Kenntnis nehmen.
[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Weil Sie die Ressourcen nicht liefern können, müssen die Kinder leiden!]