Protokoll der Sitzung vom 14.01.2016

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim ersten Augenblick, als ich dieses hervorragende Papier in der Hand hatte, dachte ich auch, oha, in der Koalition ist der Groschen gefallen. 20 Jahre nach der großen Plattmache suchen SPD und CDU die Trendwende. Nachdem die Wirtschaftssenatorin kürzlich in diesem Hause verkündet hat – Frau Yzer, das war toll! –, man müsse die Industriepotenziale in Berlin stärken, versuchen nun endlich auch die Wirtschaftspolitiker der Koalitionsfraktionen den Schulterschluss zu ihrer Senatorin und haben begriffen, dass die Wachstumspotenziale Berlins eben nicht nur in Jux und Tollerei, nicht nur in Spaß und Event liegen. Das entspräche tatsächlich einer Forderung der IHK vom gestrigen Tag, die hier zitiert wurde. Ich zitiere noch einmal eine Äußerung von Frau Bähr:

Die Stadt braucht Flächen, auf denen produzierendes Gewerbe sich ausdehnen kann.

Frau Bähr verlangte auch für dessen ungestörtes Wachstum eine klare Abgrenzung zu Wohngebieten zum Beispiel und erteilte damit diesen trendy Mischnutzungen eine Absage. – Das ist genau etwas anderes, als das, was hier in Ihrem hervorglänzenden Papier steht. Lesen Sie es doch bitte noch einmal!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Aber ich hatte mich sehr gründlich geirrt, ich lag vollkommen daneben: Sie wollen nicht die Industrie, Sie

(Jürn Jakob Schultze-Berndt)

wollen die Industriekultur fördern. Gut, Industrie lebt in baukulturellen Hürden.

[Martin Delius (PIRATEN): Was ist das eigentlich?]

Mein Vorredner hat das eben versucht, trefflich darzustellen. Sie produziert. Sie ist Kernbereich auch unserer Ökonomie. Ja, gut, aber was haben Sie jetzt hier gemacht, Herr Jahnke? – Sie haben irgendwie Vergangenheitsbeschwörung betrieben. Industriekultur ist im Wesentlichen die Nachnutzung der Hüllen, nachdem der Ursprungsnutzer, die Industrie, eben verschwunden ist: also stillgelegte Stahlwerke, das seiner Turbinen entkleidete Kraftwerk, die leergeräumten Hallen einer Turbinenfabrik oder eines Kabelwerks. Und nebenbei: Es konnte in Berlin bislang noch nicht alles abgerissen werden. Es steht tatsächlich noch etwas rum.

Sie wollen deren Potenziale besser nutzen. Gut, die Frage ist nur, wofür. Was schlagen Sie vor? Irgendwie habe auch ich in Ihrem Katalog hier wenig konkret Belastbares gefunden, viel Schaum und Blase und Absicht ohne Unterfutter. Sie wollen Bewusstseinsverbesserung für die Bedeutung von Industrie. Mein Gott, Bewusstseinsverbesserung! Bei wem denn? Ich hoffe, Sie fangen in Ihren eigenen Fraktionen an, das wäre eine Leistung.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wollen touristische Entwicklung. – Gut, die Tourismuskarte zieht im Moment jeder, der nichts anderes zu ziehen hat. Sie wollen Kreativwirtschaft stärken. – Auch das ist die übliche Leier, die wir seit Jahren hier von Ihnen hören. Sie wollen Aufwertung von Quartieren durch Nachnutzung alter Industriegebäude. – Also, genau das, was die IHK eigentlich nicht will und nicht braucht. Aber okay, das wiederholen Sie gebetsmühlenartig mit dem Begriff „quartiersbezogene Aufwertungsstrategien“ – alles ganz toll, was auch immer das ist. Jetzt wird es konkret: Sie wollen eine Art industriegeschichtliches Wanderwegenetz ausschildern lassen. – Na ja, wenigstens Schilder aufstellen und Wanderkarten dazu zeichnen, das ist auch hübsch. Der Thüringer Wald lässt grüßen.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bin gleich am Ende. – Sie wollen Marketing. – Womit und wofür, sagen Sie nicht. Sie wollen eine Mitgliedschaft im Netzwerk europäische Route der Industriekultur prüfen. – Da stellen Sie schon selbst unter nachhaltigen Beweis, dass Sie keine Ahnung von dem haben, was Sie hier schreiben, weil zumindest das Berliner Zentrum Industriekultur da schon drin ist. Da wurde im Herbst eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Im einzig konkreten Punkt ist Ihr Antrag veraltet.

Sie haben ein absolut unkonkretes Projekt ohne Adressaten. Finanziell untersetzt ist auch nichts.

[Heiko Melzer (CDU): In den Haushalt schauen!]

Ein Stichwort geben Sie allerdings: Museen. – Da wird es interessant. Berlin hat tatsächlich kein Industriemuseum. Schauen Sie einfach mal nach Hamburg oder Chemnitz! Dort gibt es vorbildliche Institute dieser Art, die auch Berlin schmücken würden und zu einem erstrangigen Tourismusfaktor werden könnten. Das wäre doch was. Siedeln Sie dieses Museum in Oberschöneweide an! Da ist einer der historischen Orte Berliner Industriegeschichte. Da ist Platz. Da stehen noch historische Gebäude. Und da gibt es Kooperationspartner mit dem nötigen Knowhow.

So bleibt uns nur übrig, bei Ihrem Antrag mit der Schulter zu zucken. Mein Gott, was wollen die eigentlich? Aber okay, der Antrag schadet nichts, er nutzt auch nichts, na gut, er hat uns Zeit geraubt. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Geduld.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Piratenfraktion jetzt der Kollege Magalski.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Um die 400 Objekte sind es, die in der Berliner Denkmalliste als Denkmale der Industrie, der Technik und auch des Verkehrs – damit zusammen sind es sogar noch ein paar mehr – gekennzeichnet sind. Eine wunderbare Zusammenstellung davon findet sich in der Dokumentation „Elektropolis“ von Dr. Thorsten Dame, herausgegeben vom Landesdenkmalamt unter Prof. Haspel, die ich heute extra mit in dieses Hohe Haus gebracht habe und die vielen von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bekannt sein dürfte. Falls sie irgendwo im Regal verstaubt, sollten Sie das dringend ändern.

Wenn man sich dieser Lektüre bedient, erkennt man sehr schnell, welche Faszination und welches Potenzial in den Denkmalen der Industriekultur Berlins liegen. Welchen Schatz uns das ehemalige Zentrum der modernen Großindustrie hinterlassen hat, wird hier anschaulich beschreiben, auch, wo und unter welchen Voraussetzungen uns alte Industriegebäude, alte Produktionsstätten heute wieder als Wohnraum, Gewerbe oder kulturelle Veranstaltungssäle und Spielstätten oder auch als Kombination daraus dienen können.

Im Ruhrgebiet oder der Metropole Ruhr, wie sie sich jetzt auch gerne marktgerecht betitelt – ich sage lieber Ruhrpott, ich darf datt, ich bin von da wech –, genau dort

(Wolfgang Brauer)

konnte mit dem aus dem Strukturwandel geborenen Konzept der Route der Industriekultur mittlerweile eine ganze Region auf vielfältige Weise kulturell und touristisch mit ganz Altem ganz neu erschlossen werden. Und alle profitieren davon. Das ist wirklich – und ich sage das zum ersten Mal in diesem Hause – eine Erfolgsgeschichte, aus der wir lernen können. So gibt es mittlerweile mehrere europäische Routen der Industriekultur, und die Elektropolis Berlin bildet hoffentlich auch bald einen Ankerpunkt in dieser.

Innerhalb Berlins befinden wir uns, was die Entwicklung einer solchen Route angeht, noch im Pionierzeitalter. Aber diesen Pionieren gehört unser Dank, nämlich dem BZI, dem Berliner Zentrum für Industriekultur, das vieles, was in diesem Buch steht, löblicherweise im Netz schon visualisiert hat, aber auch etwas, was hier gar nicht drinsteht, nämlich – Trommelwirbel – die nun erste Route der Industriekultur in Berlin, abrufbar unter www.industrie-kultur-berlin.de/karte. Es lohnt sich, da reinzuschauen.

Der vorliegende Antrag möchte nun die bestehenden Bemühungen um die Potenziale der Industriekultur in Berlin stärken, unter anderem mit der Aufwertung von Quartieren durch die Nachnutzung alter Industriegebäude, ja, zum Beispiel aber auch mit bezahlbarem Wohnraum wäre das toll. Inwiefern dieser sich an solchen Standorten schaffen lässt, darüber müssen wir uns noch unterhalten. Denn ein von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Auftrag gegebenes Gutachten aus dem Jahr 2008 kommt zu dem Schluss, dass insbesondere auch aus ökonomischer Sicht die Nachnutzung altindustrieller Bauten bevorzugt wird. Hier wird auch beschrieben, welche – ich zitiere –

Katalysatorwirkung die Kultur- und Kreativwirtschaft auf den Entwicklungsprozess von Standorten oder ganzen Quartieren haben kann.

Die Gefahr dabei ist jedoch auch die mögliche Verdrängung der gewachsenen Mieterstrukturen im Umfeld durch eine eindimensionale Aufwertung und damit einhergehenden Gentrifizierung. So darf es eben nicht passieren.

[Wolfgang Brauer (LINKE): So passiert es aber!]

Genau dazu fehlt mir eine Klarstellung in Ihrem Antrag, Herr Kollege Jahnke, den ich ansonsten zunächst einmal grundsätzlich – ich will mal sagen – anregend finde, ihn weiter zu verfolgen, ihn zu diskutieren und darüber nachzudenken. Und das kommt aus der Opposition auch nicht alle Tage! Was Sie allerdings mit Ihrem Industriekulturkoordinator meinen, erschließt sich aus dem Antrag nicht, den können wir vielleicht mit unserem GraffitiBeauftragten kombinieren. Dann wird ein feines Ding daraus.

Die zur Realisierung der Ziele geförderten Maßnahmen werden teilweise schon vom BZI angegangen, aber eine Konkretisierung und Intensivierung, was gerade die Er

schließung von Städten der Industriekultur durch Kreativwirtschaft und Clubkultur angeht, finde ich schon interessant. So wäre es wünschenswert, wenn sich für Veranstaltungen wie das Atonal-Festival, das zuletzt im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte stattfand und das mit experimenteller elektronischer Musik und audiovisueller Kunst, V-Jaying und Perfomances in Interaktion mit dem Gebäude und den Tanzenden tritt, ähnliche Areale fänden, die dann auch durch andere Veranstaltungen genutzt werden könnten, auch durch solche, die nicht primär kommerzielle Ziele verfolgen. Das Radialsystem wurde schon genannt.

Zum Ausgleich noch – ein Beispiel für die Freundinnen und Freunde der klassischen Musik – der Hinweis, dass solche Gastspiele eben nicht nur von Akteuren der elektronischen Musik durchgeführt werden, sondern beispielsweise die Staatsballettproduktion „Masse“ im Jahr 2014 ebenfalls in einem ehemaligen Heizkraftwerk namens Berghain auftrat. Und dass auch andere darstellende Künste wie Theater und Medienkunst in ehemaligen Industrieproduktionshallen wie der Jahrhunderthalle in Bochum große Erfolge feiern können, beweist die Ruhrtriennale seit 14 Jahren Jahr für Jahr. Da können wir vielleicht mal etwas Gutes copy-and-pasten.

So schließt sich für mich der Kreis zum Ruhrgebiet, und ich freue mich mit dem Motto: Macht alte Produktionsstätten zu neuen Spielstätten! – auf die Beratung sowohl im Kultur als auch im Stadtentwicklungsausschuss. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie und mitberatend an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien, an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten und an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt empfohlen. Widerspruch höre ich nicht – dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 17 steht als vertagt auf der Konsensliste. Der Tagesordnungspunkt 18 war die Priorität der Piratenfraktion unter der laufenden Nummer 3.4. Tagesordnungspunkt 19 und 20 stehen auf der Konsensliste.

Ich komme nun zu

(Philipp Magalski)

lfd. Nr. 21:

Sportflächen in Berlin optimal nutzen – Transparenz bei der Vergabe herstellen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/2649

In der Beratung beginnt die Piratenfraktion, und Herr Herberg hat sich schon vorbildlich in die Poleposition begeben. – Herr Kollege, bitte schön, Sie haben das Wort!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht erst seit der wachsenden Stadt oder aktuell durch die Geflüchteten, die eine Menge Sporthallen und Sportflächen belegen, dass wir ein Problem mit den Sportflächen und der Anzahl der Sportflächen in der Stadt haben. Auch endlose Anhörungen, die wir im Sportausschuss mit den Bezirken geführt haben – damit haben wir uns fast ein ganzes Jahr beschäftigt –, haben gezeigt, dass eine zentrale Übersicht über die Sportflächen, die im Land vorhanden sind, dringend notwendig ist, damit wir uns nicht regelmäßig hinsetzen und einzeln alles zusammenschreiben müssen.

Diese zentrale Übersicht ist nicht nur eine Hilfe für die Verwaltung oder für das Abgeordnetenhaus, sondern auch für jede einzelne Berlinerin, jeden einzelnen Berliner, weil sie damit einen Überblick haben, wo Sportflächen in ihrer Umgebung frei sind. Das führt dazu, dass sie sehen können, welche Sportflächen zum Beispiel belegt sind, welche nicht belegt sind. Vor allen Dingen führt es dazu, dass auch eine gewisse soziale Kontrolle da ist, dass Flächen auch so genutzt werden, wie sie genutzt werden sollten. Denn das ist bisher mangelhaft.

Oft ist es so: Man geht an einem Sportplatz vorbei – das kennt jeder von uns –, vielleicht ist das Flutlicht noch an, das Tor ist vielleicht verschlossen, und man sieht niemanden auf dem Sportplatz. Und wenn man dann im Bezirksamt nachfragt, heißt es: Da ist doch Verein XY drin, der hat Trainingszeit XY, und die sollten eigentlich da sein. Ich habe hier auch ein Büchlein, und da steht das alles drin. – Das kennen wir alles. Dagegen müssen wir etwas unternehmen. Solche Übersicht würde dazu führen, dass man das auch besser kontrollieren könnte.

Eine große andere Sache ist – ich war selber mal in der Situation und wollte 2012 mit ein paar Freunden einen Fußballclub gründen: Die Suche nach einer Sportfläche für solch einen Fußballclub ist in Berlin ganz schön schwierig, denn man hat es nicht nur mit zwölf Bezirksämtern zu tun, sondern im Zweifelsfall mit Landesflächen, man hat es mit Flächen, die von anderen Verbänden

organisiert werden, zu tun. Und man fragt in dem einen Bezirk oder in dem andern Bezirk an. Das ist schon relativ schwierig herauszubekommen, an welcher Grenze man jetzt wieder aufhören möchte. Das macht überhaupt keinen Spaß. Da würde eine zentrale Übersicht extrem helfen. So viel zum Inhalt des Antrags.