Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

Ich hoffe, es war Ihnen eine Lehre, künftig genauer hinzusehen, nicht sofort in jede Hysterie zu verfallen und zu einer sachlichen politischen Auseinandersetzung miteinander in diesem Haus zurückzukehren,

[Zurufe von Uwe Doering (LINKE) und Dr. Manuela Schmidt (LINKE)]

und das will ich jetzt auch tun.

Sie alle warten auf einen großen Wurf, Sie warten darauf, dass alle Probleme beim LAGeSo auf einen Schlag gelöst werden.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Ich sage Ihnen, das wird es nicht geben. Das kann es bei dieser Ausgangslage auch nicht geben. Es hat aber bereits eine Vielzahl von Maßnahmen gegeben, die auch Stück für Stück greifen, und es wird eine Vielzahl weiterer Maßnahmen geben. Das mögen Sie als Opposition gerne übersehen, wenn Sie das als Ihren Job verstehen. Wir für unseren Teil arbeiten jedenfalls weiter daran. Das tut auch der Senat. In seiner Senatsklausur hat er eine Reihe weiterer Schritten beschlossen, und auch wir werden heute in diesem Haus einen Teil – nicht die Wundermaßnahme, als die sie hier beschrieben war –, aber einen wichtigen Teil mit der Herauslösung des Asylbereichs aus dem LAGeSo leisten und das neue Amt für Flüchtlingsangelegenheiten auf den Weg bringen. Das ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit als Abgeordnetenhaus, unserer Verantwortung und unseren Pflichten nachzukommen, die sich mit dieser Krisensituation verbinden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Eine ganz besondere Rolle in dieser Debatte nimmt zu Recht der Umgang mit dem ehemaligen Flughafen Tempelhof ein. Seine Hangars sind schon heute weitgehend vollständig mit Flüchtlingen belegt. Wir reden nicht über die Zukunft, sondern über das, was heute schon Tag für Tag in Tempelhof Realität ist. Dass das ein Zustand ist, den wir gemeinsam verbessern wollen – gemeinsam auch hier, hoffe ich –, darüber sind wir uns vielleicht einig.

[Uwe Doering (LINKE): Dann fangt doch mal an!]

In der aktuellen Situation ist es eine Notwendigkeit – die kann man kleinreden oder ignorieren –, alle vorhandenen Platzkapazitäten des Landes zu nutzen, um die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu vermeiden, ob sie uns gefallen oder nicht. Wir tun vieles, was uns noch vor einem Jahr undenkbar erschienen wäre.

[Heidi Kosche (GRÜNE) hält ein Plakat hoch.]

Wir machen es uns nicht leicht, wir tun das schweren Herzens, aber wir tun es, weil wir es für notwendig halten und wir im Gegensatz zu Ihnen in Verantwortung stehen. Sie erwecken den Eindruck, als wollten Sie das nicht; das nehmen wir mal zur Kenntnis.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir stehen dazu, die Kapazität des ehemaligen Flughafengebäudes zu erweitern. Dazu gehört das Zugeständnis, das wir heute zu machen bereit sind, nämlich auch im Bereich des befestigten Flughafenvorfelds mobile Unterkünfte errichten zu können, befristet auf maximal drei Jahre. Ich bin mir sehr bewusst, dass die dafür erforderliche Änderung des Tempelhof-Gesetzes, so kurz nach dem Volksentscheid, vielen Menschen Sorge bereitet. Ich habe an dieser Stelle schon einmal gesagt, dass die Kommunikation, der erste Aufschlag zu dieser Debatte wirklich glücklicher hätte sein können, denn ich habe ein gewisses Verständnis für das Misstrauen, das in Teilen der Bevölkerung besteht.

Zuständig für eine Gesetzesänderung ist am Ende aber dieses Parlament. Dieses Parlament ist kein Abnickverein, das haben wir sehr schnell deutlich gemacht,

[Zuruf von Antje Kapek (GRÜNE)]

und das stellt auch der heute zu verabschiedende Entwurf unter Beweis. Ich habe an diesem Pult bei der ersten Lesung erklärt, dass es die geforderte Änderung des Tempelhof-Gesetzes nicht im Hauruckverfahren mit uns geben wird. Wir haben uns die nötige Zeit genommen, intensiv über die Notwendigkeit und über den Inhalt einer möglichen Gesetzesänderung nachzudenken, mit Ihnen und mit lokalen Akteuren innerhalb und außerhalb dieses Parlaments zu diskutieren und diesen Entwurf gründlich zu überarbeiten, so gründlich wie noch nie ein Gesetz in diesem Haus überarbeitet wurde. Da ist kein Buchstabe auf dem anderen geblieben, das mögen Sie mal zur Kenntnis nehmen!

[Lachen bei der LINKEN – Uwe Doering (LINKE): Au weia! – Zuruf von Antje Kapek (GRÜNE)]

Ich habe außerdem gesagt: Die Inanspruchnahme von Grünflächen auf dem Tempelhofer Feld – wir sind bereit, darüber zu reden,

[Zuruf von Antje Kapek (GRÜNE)]

aber Sie darf allenfalls das letzte Mittel sein, wenn keine besser geeigneten Flächen für den Zweck der Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung stehen.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Ja, die Traglufthallen, nicht?]

Dieser Nachweis hätte erbracht werden müssen, das haben wir eingefordert. Ich stelle heute fest: Keine einzige der damals zur Disposition stehenden Flächen ist heute noch Teil des Konzepts und des vorgelegten Gesetzentwurfs, weil die intensive und kritische Betrachtung stattgefunden hat, und weil man festgestellt hat, welches der bessere Weg ist, den es sich nun zu gehen lohnt.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir stehen zu unserer Verantwortung,

[Antje Kapek (GRÜNE): Ah ja!]

wir stehen dazu, alles Erdenkliche und dieses bisher vielleicht Undenkbar dafür zu tun, die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu vermeiden.

Zu behaupten, hier werde Demokratie mit Füßen getreten, zu behaupten, wir wüssten das Ergebnis des Volksentscheids nicht zu würdigen, missachtet, dass mit jedem anderen Gesetz von uns anders umgegangen worden wäre. Sie können einfach mal einen Vergleich ziehen; hier hat nun wirklich die intensivste Arbeit stattgefunden. Ich erinnere mich noch an eine mehrstündige Debatte in unserer Fraktion zu der Frage: Was tun wir in dieser Situation, wie finden wir den Weg zwischen dem Respekt vor dem Ergebnis des Volksentscheids und der Notwen

digkeit der aktuellen Flüchtlingssituation? – Ich halte das Ergebnis für überzeugend, denn es achtet den Kerngehalt des Volksentscheids auf der einen Seite, es trägt aber andererseits den aktuellen Notwendigkeiten verantwortungsvoll Rechnung. Das Bebauungsverbot wird entgegen aller Propaganda nicht angetastet.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die vorgesehene Ausnahme vom Behausungsverbot – das ist ja eher ein Übernachtungsverbot – wird ausschließlich für Teile des Flughafenvorfelds gelten, und zwar nur für die Teile, die nicht ohnehin heute schon vom Gesetz ausgenommen sind. Wir schaffen damit die Voraussetzung dafür, was Sie von uns einfordern, nämlich die Situation in den Hangars des Flughafens zu verbessern. Nein, es ist nicht gesund, unter welchen Verhältnissen dort Menschen heute untergebracht sind.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Mit dem Gesetz ermöglichen wir eine Verbesserung der Lage; auch das bitte ich Sie dringend einmal anzuerkennen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Angesichts der Diskussion über Flüchtlingsgettos – über die Sprachwahl kann man streiten – möchte ich ganz klar sagen: Hier wird kein Getto entstehen. Wir reden von einer Notunterkunft. Wir reden von einem Ort, bei dem wir darauf hinarbeiten, dass Menschen dort nicht länger als zwingend erforderlich bleiben und so schnell wie möglich auf reguläre Unterkünfte verteilt werden können. Dass in dieser Stadt nicht von Tag zu Tag Zehntausende neue Wohnungen entstehen, werden Sie nachvollziehen können. Es könnten mehr sein, wenn Sie an dem einen oder anderen Ende auch mal mit uns an einem Strang ziehen würden, das können Sie sich mal vor Augen halten!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE) – Zurufe von den GRÜNEN]

Jedenfalls ist das, was Sie fordern, nämlich eine Unterbringung von geflüchteten Menschen in regulären Wohnungen, letztendlich auch unser Ziel, soweit es sich dann um anerkannte Asylbewerber handelt.

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Für Tempelhof lege ich großen Wert darauf, dass unsere Vorstellung für die Zukunft des Flughafens nicht die heutige Nutzung ist, auf gar keinen Fall. Tempelhof ist und bleibt für uns ein Zukunftsort. Sobald es nicht mehr zwingend erforderlich ist, wie es nun einmal heute notwendig ist, dort Flüchtlinge unterzubringen, werden wir weiter darüber nachdenken, was zu tun ist und auch die entsprechenden Maßnahmen einleiten und umsetzen, Flächen modernisieren und ertüchtigen, um Tempelhof weiter zu entwickeln als das, was es ist, ein einzigartiger Ort im Herzen unserer Stadt, ein einzigartiger Ort, der

Zentrum für Kultur, für Kreativität, für Gründergeschehen sein sollte. Dieses Profil wird Tempelhof auch in Zukunft behalten, auch wenn der Flughafen in dieser Situation seinen Beitrag leisten kann, leisten muss, um die Krise dieser Tage zu bewältigen. Das Bild für die Zukunft ist ein anderes, und auch daran werden wir genauso hart weiterarbeiten, wie wir es in der aktuellen Krise der Flüchtlingsunterbringung tun. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank! – Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt der Kollege Lederer das Wort.

Sehr geehrter Herr Kollege! Sie sollten sich einmal vergegenwärtigen, dass der Begriff Getto im Kontext stadtplanerischer Debatten durchaus für segregierte, abgeschlossene, homogene Wohngebiete gilt und benutzt wird. So ist es!

[Stefan Evers (CDU): Das ist kein Wohngebiet! – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Da werden Menschen leben!]

Wenn 7 000 Leute – es fehlt eigentlich nur noch, dass Sie einen Zaun darum herum aufstellen – zusammen auf engstem Raum und unter übelsten Bedingungen leben müssen, ist es genau das, die Gettoisierung von Menschen. Und damit setzen wir uns kritisch auseinander.

[Zurufe von der CDU]

Sie müssen nicht bellen. Das ist nur ein deutliches Zeichen dafür, dass Sie sich offenbar getroffen fühlen.

[Dr. Manuel Heide (CDU): Tata! Tata! – Zurufe von der CDU]

Im Übrigen fand ich, lieber Herr Kollege, Ihre Bemerkung in Bezug auf den Umgang mit dem vermeintlichen Tod eines Syrers eine ziemliche Unverschämtheit.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Lachen bei der CDU – Zurufe von der CDU]

Dass dort gestern kein Mensch gestorben ist, ist die beste Nachricht des gestrigen Tages.