Vielen Dank, Herr Spies! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Isenberg. – Bitte!
Der Gesundheitssenator ist im Raum? – Ach, ja! Gut! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebes Präsidium! Ich möchte betonen, dass diesem Gesetz, das wir hier erstmalig beraten und das wir sicherlich in mehreren Sitzungen des Gesundheitsausschusses, des Verbraucherschutzausschusses und des Hauptausschusses weiter beraten werden müssen, eine fachlich solide Beratungszeit gebührt. Es gibt keine Notwendigkeit, hierbei zu Schnellschüssen zu kommen, insbesondere deshalb, weil die Eckpunkte, die dieses Gesetz vorbereitet haben, schon zum Ende der letzten Legislaturperiode im Ausschuss und auch im Parlament diskutiert worden sind.
Seitens der SPD-Fraktion haben wir damals deutlich gemacht, dass es uns sehr wichtig ist, die informierte Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten zu fördern – auch in Lebenslagen und Situationen, wo sie temporär gegenüber anderen oder sich selbst schutzbedürftig sind, und auch in Situationen, wo man durchaus
die Abgrenzung zur UN-Behindertenrechtskonvention und die vorgelagerten Maßnahmen einer möglicherweise nötigen Unterbringung, Medikation oder Behandlung sehr gründlich erörtern muss und wo es auch schwierig sein wird, diese im Gesundheitswesen umzusetzen, weswegen es umso wichtiger ist, die richtigen Instrumente zu haben, gerade in einer Situation, wo leider auf Bundesebene die Ökonomisierung des Gesundheitswesen derzeit noch mehr Einfall in die Psychiatrie zu nehmen droht. Das sind Rahmenbedingungen, die es unter Umständen umso nötiger machen – wenn sich diese Bundesrahmenbedingungen nicht ändern –, sich hier solide noch mehr Zeit bei der Umsetzung dieses Gesetzes zu lassen.
Wir haben auch immer deutlich gemacht, dass für uns Autonomie wichtig ist, weswegen wir Besuchskommissionen haben wollten. In unseren Eckpunkten haben wir damals schon gesagt, dass wir unabhängige Besuchskommissionen haben wollen, die in die Institutionen hineingehen können, und zwar auch unangemeldet und nicht nur notfalls unangemeldet, um zu prüfen, ob alles regelgerecht stattfindet, und um auch Gesprächsangebote mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu haben, deren Freiheitsrechte hier teilweise ein wenig eingeschränkt sind.
Wir wollen, dass die Besuchskommission nicht nur von der Exekutive eingesetzt wird – unter Konsultation eines Psychiatriebeirates, der im Übrigen zweimal im Jahr tagen soll, Herr Czaja, und der, ich glaube, einmal in zwei Jahren getagt hat. Da gibt es noch massiven Optimierungsbedarf, die Anliegen des Beirates und der Mitglieder auch aufzunehmen. Wir wollen nicht nur, dass dieser eingesetzt wird, sondern dass die Rechenschaftspflicht beim Parlament liegt, uns gegenüber berichtet wird, was dort festgestellt worden ist, und auch wir die Besuchskommission mit einsetzen können und die Entscheidungen legitimieren, die die Verwaltung unter Umständen vorbereitet.
Natürlich kann es nicht sein, dass die sozialpsychiatrischen Dienste, die eigentlich Hilfe leisten sollen, in einen Gewissenskonflikt kommen und letztendlich dann vielleicht genötigt sind, in die Wohnungen einzubrechen – sage ich mal. Das ist eine Rollenverquickung, die so nicht geht. Auch darauf hat der Rat der Bürgermeister schon sehr ausführlich hingewiesen.
Wir sehen hier Reformbedarf, aber wir sehen überhaupt keine Notwendigkeit zur Eile. Wir wollen das fachlich sondieren und besprechen, und unter Umständen werden wir das Thema zu Beginn der nächsten Legislaturperiode erneut aufrufen müssen, sofern wir nicht doch noch einen Konsens auf breiter Ebene – und das ist kein parteipolitisches Thema, das sind Gewissensthemen – erreichen sollten. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Isenberg! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Behrendt. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Isenberg! Das war ja eine halbe Oppositionsrede. Herzlich willkommen!
Dass Sie das Projekt von Herrn Czaja schon wieder aufkündigen wollen und auf die nächste Legislaturperiode verweisen, zeigt ja auch, dass der Haussegen in dieser Koalition noch nicht wieder so ganz im Lot ist. Das ist mein Eindruck. Wir sind gespannt, wie die Beratung dieses Gesetzes hier weitergeht.
Zur Sache: Das Bundesverfassungsgericht – das ist angesprochen worden – hat das deutsche System der Zwangsbehandlung bei Freiheitsentziehung gründlich durcheinandergewirbelt. Der Bundesgesetzgeber hat durch eine Anpassung der betreuungsrechtlichen Vorschriften im BGB darauf reagiert, und nun will der Berliner Senat die Zwangsbehandlung bei Freiheitsentziehung auch für das Land Berlin regeln. Ob der absolute Ausnahmecharakter einer solchen Behandlung im Entwurf hinreichend zum Ausdruck kommt, werden wir bei den anstehenden Beratungen zu erörtern haben. Schließlich sind in der Konsequenz aus den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention vor allem ambulante und am Patienten orientierte Strukturen gefordert, und wir Grünen wollen nicht, dass weiterhin nach dem Motto: Wenn keine andere Form der Behandlung möglich ist, dann muss der Betroffene halt in die Psychiatrie! – verfahren wird. Wir wollen lieber die Psychiatrie auf der Grundlage der Freiwilligkeit weiterentwickeln, denn Selbstbestimmung auch von kranken Menschen muss ermöglicht und befördert werden.
Herr Isenberg hat es schon angesprochen: Besonders problematisch sind die Betretensregelungen für die Wohnungen der Betroffenen. Stichwort: Der sozialpsychiatrische Dienst macht in Zukunft auch Hausbesuche. – Es hat uns bisher noch nicht überzeugt, dass das nötig ist. Das ist nicht nur ein erheblicher Autonomieverlust, sondern gerade bei Personen mit Verfolgungsvorstellungen werden durch solche Regelungen mehr Probleme geschaffen als gelöst.
Wir wollen im Gesetz auch eine zeitliche Begrenzung der Fixierung. Es kann nicht sein, dass Menschen über mehrere Tage oder gar Wochen in der Psychiatrie fixiert werden und damit sehr tiefgreifend in ihre Rechte eingegriffen wird. Wir wollen für Psychiatriepatienten, wie es das bei Strafgefangenen auch gibt, das Recht auf einen
täglichen Spaziergang unter freiem Himmel. Das erfordert an der einen oder anderen Stelle eine bauliche Umgestaltung. Aber das, was wir Strafgefangenen gewähren, sollten wir kranken Menschen nicht vorenthalten.
Des Weiteren wollen wir – das kommt unseres Erachtens im Gesetz zu wenig zum Ausdruck – die autonomieschützenden Patientenverfügungen stärken. Wir wollen in das Gesetz ausdrücklich aufnehmen, dass sie zu berücksichtigen sind, dass darüber breit aufzuklären ist, dass diese zu erfragen sind und dann auch Beachtung finden.
Wir können uns auch weitergehende Verfahrensrechte der Betroffenen vorstellen. Da ist im alten PsychKG das eine oder andere drin gewesen, was jetzt weggefallen ist – Informationsrechte von Angehörigen, Konsultationspflichten gegenüber Rechtsanwälten. Da werden wir noch mal genau gucken und das in den Ausschüssen vorschlagen. Wir wollen vor allem auch die Dokumentationspflichten gerade bei der Zwangsbehandlung noch detaillierter geregelt wissen.
Wir müssen auch darüber reden, dass wir hier eine Diskrepanz haben. Auch in anderen Bereichen, wo die Freiheit entzogen wird, haben wir eine Diskrepanz zwischen dem Gesetzestext und der zum Teil recht trüben Praxis. Deswegen begrüßen wir außerordentlich die konkreten Regelungen zur Besuchskommission. Das ist von der Wortwahl ein bisschen zurückhaltend, in der Sache geht es ja um Kontrolle – Kontrollkommission für die stationäre Psychiatrie. Das ist genau das Richtige, denn die Betroffenen selbst können ja nicht darüber berichten. Sie sind häufig bis Oberkante Unterlippe voll mit Psychopharmaka. Wer das mal erlebt hat, weiß, dass es da mit Gesprächen nicht so weit her ist, und sie können auch im Nachhinein nicht schildern, was ihnen passiert ist. Deswegen sind die unabhängigen Besuchskommissionen hier richtig.
Wir sollten auch die gesamte Diskussion über psychische Erkrankungen richtig einordnen. Das ist immerhin ein Umstand, der ungefähr einem Drittel der bundesrepublikanischen Bevölkerung widerfährt, wie wir wissen, und das ist auch kein ganz kleiner Umstand, denn die Zwangsbehandlung in Berlin im Jahr 2011 machte rund 1 800 Fälle aus. Das ist also schon eine relevante Größe, und wir sollten darüber ins Gespräch kommen, weshalb es häufig mit dem vorstationären Bereich nicht wirklich funktioniert. Wir brauchen mehr niedrigschwellige Hilfsangebote im vorstationären Bereich. Zuletzt hat der Fall Mollath in Bayern ja gezeigt, dass die geschlossene Psychiatrie einer der sensibelsten Bereiche des bundesrepublikanischen Rechtsstaats ist. Dem wollen wir auch mit der Debatte über dieses Gesetz Rechnung tragen. Ich bin gespannt, wie das in den Ausschüssen weitergeht. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank! – Meine Damen, meine Herren! Ich glaube, es ist alles gesagt. Die Probleme sind benannt, und ich muss das jetzt nicht auch noch tun. Den Rest machen wir im Ausschuss. – Danke!
Vielen Dank, Herr Dr. Albers! – Weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht vor. Es wird die Überweisung der Vorlage federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie, an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung sowie an den Hauptausschuss empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Vorlage an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und an den Hauptausschuss empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Den gibt es nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die erste Lesung. Auch hier ist eine Beratung nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Vorlage an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Den gibt es nicht. Dann verfahren wir so.