Protokoll der Sitzung vom 09.02.2012

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0135

Für die Beratung stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Kollege Mutlu hat das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dieses Thema, das wir heute auf der Tagesordnung haben, sollte Ihnen allen, zumindest denen, die schon länger diesem Haus angehören, bekannt sein. Seit ich diesem Haus angehöre, seit 1999, hat unsere Fraktion immer wieder auf diesen Makel hingewiesen, immer wieder deutlich gemacht, dass es sowohl pädagogisch als auch für die Schülerinnen und Schüler keinen Sinn macht, wenn man von der 1. bis zur 4. Klasse eine Ganztagsbetreuung hat, dann in der 5. und 6. keine Ganztagsbetreuung angeboten bekommt und ab der 7. Klasse, seit der neuen Schulstrukturreform, wieder in den Genuss einer ganztägigen Betreuung kommt.

Diese pädagogische Unsinnigkeit war auch wiederholt Thema in dieser Stadt. Es hat hierzu auch ein Volksbegehren gegeben. Unabhängig davon, wie es ausgegangen ist, ist es Fakt, dass hier endlich diese Lücke, diese pädagogisch unsinnige Lücke geschlossen wird.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Deshalb haben wir Grünen immer wieder, zu jeder Legislaturperiode, an die ich mich erinnern kann, dieses Thema als ein wichtiges Thema der Bildungspolitik auf die Agenda gesetzt, immer wieder beraten, etliche Anhörungen dazu gemacht. Ich freue mich, dass inzwischen auch bei der Koalition die Einsicht eingekehrt ist, dass RotSchwarz eingesehen hat, dass diese pädagogisch unsinnige Lücke geschlossen werden muss.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Für das Lernen gibt es kein Alter, und deshalb freue ich mich, dass Sie von der rot-schwarzen Koalition das gelernt haben.

Wir nutzen diesen Antrag dennoch, um Ihnen bei den anstehenden Haushaltsberatungen ein bisschen Feuer zu machen. Ich verstehe diesen Antrag aus der Opposition auch als Angebot an die Regierung, geschlossen und am besten einstimmig, mit der Unterstützung des gesamten Hauses, klarzumachen, dass wir diese Lücke schließen wollen. Die Haushaltsberatungen sind dafür eine Chance. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, diese Lücke zu schließen und den Schülerinnen und Schülern der 5. und 6. Klasse endlich eine Ganztagsbetreuung zu ermöglichen. Das wird es nicht zum Nulltarif geben. Das stimmt. Ich freue mich in diesem Zusammenhang auch, dass es die Schulsenatorin Frau Scheeres anscheinend geschafft hat, ihrem Kollegen Herrn Nußbaum beizubringen, dass er Geld dafür bereitstellen muss.

Nochmals: Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass diese Absicht sich auch tatsächlich im Haushalt widerspiegelt, dass die Mittel für die Schließung der Ganztagslücke in der 5. und 6. Klasse bereitgestellt werden und dass Schülerinnen und Schüler sowie Eltern in den Genuss dieser ganztägigen Betreuung kommen, weil auch die Eltern auf diese Ganztagsbetreuung in der 5. und 6. Klasse angewiesen sind. In dem Sinne hoffe ich, dass wir die Chance nutzen und gemeinsam an einem Strang ziehen. Wie ich schon in der letzten Legislaturperiode gesagt habe: Wenn wir in der Sache einer Meinung sind, und wenn wir alle an diese Sache glauben, sollten wir das übliche Spielchen von Opposition und Regierung sein lassen und gemeinsam dafür sorgen, dass diese pädagogisch unsinnige Lücke in der 5. und 6. Klasse geschlossen wird. Die Eltern, die Schüler, aber auch die Schulen werden uns danken, Sie werden damit ein Wahlversprechen einlösen, und wir werden uns als Opposition freuen, dass wir Ihnen dabei etwas nachhelfen konnten. – Danke sehr!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Özışık das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Berlin sind seit dem August 2005 alle Grund- und Sonderschulen Ganztagsschulen. Sie bieten für die Jahrgangsstufen 1 bis 4 und bei besonderem Bedarf auch für die Jahrgänge 5 und 6 ganztägige Betreuung an. Seit dem Schuljahr 2010/2011 wurde mit Implementierung der integrierten Sekundarschulen auch an weiterführenden Schulen ein Ganztagsangebot für die Jahrgänge 7 bis 10 eingerichtet.

Mit Beginn des Schuljahres 2012/2013 wird nunmehr die Ganztagsbetreuung für Kinder der Jahrsgangsstufe 5 und 2013/2014 für Kinder der Jahrgangsstufe 6 auch ohne besondere Bedarfsprüfung ermöglicht. Demnach können Kinder der Jahrgänge 5 und 6 im Rahmen einer der Jahrgänge 1 bis 4 analogen Bedarfsprüfung ein Ganztagsangebot wahrnehmen. Damit wird die Lücke in der Ganztagsbetreuung für Kinder der Jahrgänge 5 und 6 geschlossen und allen Kindern ein durchgängiges Angebot in der ergänzenden Förderung und Betreuung in den Jahrgängen 1 bis 10 gemacht. Sowohl die notwendigen Veränderungen in Gesetzen und Verordnungen als auch die Verfahrensanforderungen werden derzeit von der Senatsverwaltung mit den Akteuren im Bildungs- und Jugendbereich abgestimmt.

Bereits im Koalitionsvertrag mit der CDU wurde der Lückenschluss beim freiwilligen Besuch der außerschulischen Förderung in den Klassenstufen 5 und 6 mit dem Wegfall der besonderen Bedarfsprüfung vereinbart. In Berlin finden Eltern ein einzigartiges Ganztagsangebot vor.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Na ja!]

Die Ganztagsbetreuung für alle Schülerinnen und Schüler ist ein Erfolg der Schulreform. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Schulreform auf den Weg gebracht, die sich ein verlässliches Ganztagsangebot für alle Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse zum Ziel gesetzt hat.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Na ja!]

Inzwischen wird die für die Bundesrepublik so prägende Halbtagsschullandschaft in ein flächendeckendes Ganztagsangebot umgewandelt. Ganztagsschulen haben sich zum Erfolg entwickelt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Mehrer Studien belegen auch, dass vor allem die sozialen Kompetenzen in allen Schulformen gefördert werden. Die Ganztagsschule bietet unseren Kindern viel mehr Chancen, besonders denen aus sozial schwachen Familien. Die Ganztagsschule ist für unsere Kinder richtig und gut.

Diese und andere Nutzen sind nur möglich, weil wir uns für eine Schulreform eingesetzt und dafür gekämpft haben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Was haben Sie denn zu verbergen?]

Dann fahren Sie bitte fort!

Für meine Fraktion hat die Bildung eine hohe Priorität, denn nur durch Bildung können Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe realisiert werden. Wir werden das Ganztagsangebot ausbauen und weiterentwickeln. Die Ergebnisse werden sich erst in dieser Legislaturperiode voll entfalten können. Die Lücke in der Ganztagsbetreuung für Kinde der Jahrgänge 5 und 6 ist hiermit geschlossen und allen Kindern ein durchgängiges Angebot gemacht. Mit dem Lückenschluss entsprechen wir den Wünschen der Elternverbände und den Unterstützern des Volksbegehrens.

[Benedikt Lux (GRÜNE): In welcher Realität lebt dieser Mann?]

Die Schülerinnen und Schüler profitieren von einem flächendeckenden, verlässlichen Ganztagsangebot. Lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuss die Voraussetzungen für eine chancengleiche, individuell fördernde und inklusive Berliner Schule schaffen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion Die Linke hat Frau Kollegin Kittler das Wort. – Bitte schön!

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Ich kann ja nicht mehr reden! Klären Sie ihn auf!]

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich werde mir Mühe geben, Herr Kollege Mutlu!

Unter der Überschrift „Berlin macht ganztags Schule“ finden wir auf der Website der Senatsbildungsverwaltung folgende Aussage:

Die Berliner Grundschulen, seit dem Schuljahr 2010/2011 auch die integrierten Sekundarschulen,

leisten mit ihrem Ganztagsbetrieb einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie verknüpfen Bildung, soziales Lernen und sinnvolle Freizeitgestaltung miteinander. Durch die Ganztagsschule wird Schule zum Lern- und Lebensort, der eine kontinuierliche und individuelle Förderung der Kinder möglich macht. Es entsteht eine Lernkultur, die die unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt, und einen vielgestaltigen Schulalltag ermöglicht.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lux?

Nein – gut.

Weiter heißt es:

Die kontinuierliche Verbesserung der Lehr- und Lernkultur ist ein Schwerpunkt der Berliner Grundschulen. Schulische Ganztagsangebote schaffen Zeit, Bildungsangebote inhaltlich und methodisch zu verändern, und alle Schüler individuell zu fördern. Unterricht und außerunterrichtliche Angebote richten sich nach den Lern- und Lebensbedürfnissen der Schüler und beziehen sich inhaltlich und organisatorisch aufeinander.

Die logische Folge dieser Aussagen ist, dass das Gesamtkonzept Ganztagsschule eben auch den außerunterrichtlichen Bereich, auch den Hort als Bereich des Lernens und Lehrens meint. Wenn ich also Kindern nicht die Teilnahme an der Ganztagsbetreuung ermögliche, verweigere ich ihnen die Teilnahme an Bildungsangeboten und die Annahme von Erziehungsangeboten. Insofern ist der vorliegende Antrag natürlich zu unterstützen, weil er fordert, wenigstens den Kindern der Klassenstufen 5 und 6 die Annahme dieser Angebote zu ermöglichen. Aber das kann nur ein Ansatz notwendiger Veränderungen sein. Dieser Antrag kann bestenfalls ein Einstieg in die notwendigen Verbesserungen der schulischen Ganztagsangebote sein. Der Linken geht dieser Antrag nicht weit genug.

Auch wenn die Koalition – das ist begrüßenswert – nun 7,4 Millionen Euro für die Abschaffung der besonderen Bedarfsprüfung für die Klassenstufen 5 und 6 in den Haushalt einstellt, müssen wir weiterdenken und weitergehen. Denn wenn nun in zwei Schritten – 2012 für Klas

se 5 und 2013 für Klasse 6 – die besondere Bedarfsprüfung wegfällt, dann bleibt es trotzdem bei einer Bedarfsprüfung. – Die Herren von der SPD-Fraktion interessieren sich dafür nicht, wie ich sehe.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Frau Scheeres übrigens auch nicht!]

Das ist traurig. – Das heißt – ich zitiere jeweils sinngemäß aus den Verordnungen über die ergänzende Förderung und Betreuung von Schülerinnen und Schülern –: Nur diese Kinder, für die ein Bedarf aus pädagogischen Gründen besteht, also wenn Kinder wegen ihrer individuellen Entwicklung einer Förderung bedürfen, oder für die Kinder, für die ein Bedarf aus sozialen Gründen besteht – also wenn Kinder aufgrund besonderer belastender Familienverhältnisse einer Förderung bedürfen –, oder für die Kinder, wo nachweisbar kein Elternteil die Betreuung übernehmen kann aufgrund ihrer Berufstätigkeit, wobei noch die berücksichtigungsfähigen tätigkeitsbedingten Abwesenheitszeiten maßgeblich sind, – jetzt komme ich auf den Anfang meiner Rede zurück –, es werden also nur diese genannten Kinder in den Genuss kommen, die zusätzlichen Bildungsangebote annehmen zu können.

Ein Kind, das also beispielsweise bei einer alleinerziehenden Mutter lebt, die arbeitslos ist, wird von diesem Bildungsangebot ausgeschlossen, wenn es keinen besonderen Förderbedarf hat, von dem dadurch verweigerten sozialen Kontakt einmal ganz abgesehen. Diese Ungerechtigkeit müssen wir so schnell wie möglich beenden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Özcan Mutlu (GRÜNE)]

Ich möchte deshalb für Die Linke drei Forderungen formulieren: Erstens: Wir wollen, dass sich gerade für diese Jahrgangsstufen altersgerecht an den ganztägigen Angeboten – gebunden, teilgebunden, offen –, wie sie an den integrierten Sekundarschulen praktiziert werden, orientiert wird. So wie in der ISS sollen kein Bedarf mehr nachgewiesen und auch keine Beiträge gezahlt werden. Die Schulen sollen ihr Ganztagskonzept wählen dürfen und erhalten dafür eine unterschiedliche Personalausstattung mit Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen.