Toleranz, Weltoffenheit und Integration sind unabdingbare Voraussetzungen für den weiteren Erfolg des Wirtschaftsstandorts Berlin.
Die Rahmenbedingungen der Berliner Wirtschaft weiterzuentwickeln und den immer neuen globalen Entwicklungen anzupassen, ist das Ziel unserer Wirtschaftspolitik – zum Wohle des Standorts Berlin, zum Wohle der Wirtschaft mit Blick auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Berlinerinnen und Berliner. Ein prosperierender Wirtschaftsstandort und neue Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen und zu fairen Löhnen ist das Ziel der erfolgreichen Wirtschaftspolitik der SPD für Berlin. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Die Linke jetzt Frau Kollegin Matuschek – bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema heißt „Starkes Wachstum der Berliner Wirtschaft“. Das ist ja wohl die erste Variation des CDU-Wahlslogans, und deswegen ist die heutige Debatte wohl mehr als Wahlkampfveranstaltung zu verstehen.
Das ist richtig. Aber wir nehmen doch mal die Werte aus der jetzigen Regierungszeit zu Hilfe, und da ist zu nennen: 2012 minus 0,2 Prozent, 2013 immerhin schon plus 0,2 Prozent, 2014 dann plus 2,1 Prozent, und 2015 lag das Wirtschaftswachstum exakt wieder auf dem Niveau von 2010 mit glatten 3 Prozent. Das ist erfreulich für die Einnahmen des Landes und die Verdienstmöglichkeiten der Erwerbstätigen. Auch bei der Arbeitsproduktivität holt Berlin auf und liegt mit knapp 65 000 Euro je Erwerbstätigen aber noch immer rund 3 000 Euro deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Hamburg hat im Vergleich eine 30 Prozent höhere Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen. Da fehlt es Berlin an Stärke.
Bei der Investitionsquote ist Berlin mit 19,4 Prozent nach wie vor ziemlich schwach. Unser Nachbarland Brandenburg bringt es da bereits auf 22,7 Prozent, also deutlich mehr als Berlin. Die verfügbaren Einkommen der Berlinerinnen und Berliner entwickeln sich nur langsam und mühselig nach oben und liegen derzeit bei knapp 17 600 Euro. Im Bundesdurchschnitt sind es 20 400 Euro. Achtung, kein Beifall – ganz schwaches Berlin.
Insgesamt hat Berlin nach wie vor eine Schieflage in der Wirtschaftsstruktur. 84 Prozent der Wertschöpfung kommen aus dem Dienstleistungssektor und nur 16 Prozent aus dem produzierenden Gewerbe. Bundesweit wäre der Durchschnitt bei 30 Prozent zu 70 Prozent. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben wir wieder Diskussionen und Meldungen gehört über Betriebsschließungen beim Dynamowerk Siemens, bei Redknee, bei Nokia, bei Coca-Cola. Das gehört mit in eine Gesamtschau zur Wirtschaftspolitik, Herr Jahnke,
vor allem deshalb, weil zu überprüfen ist, ob dies tatsächlich Einzelfälle sind oder Indikatoren für eine nachlassende Attraktivität Berlins. Denn nach Mitteilung des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg hat der Wirtschaftsstandort Berlin gegenüber dem Vorjahr wieder an Popularität eingebüßt. Für einen Umzug in die Hauptstadt haben sich im Jahr 2015 insgesamt gut 1 000 Betriebe, das sind 11 Prozent weniger als im letzten Jahr, entschieden. Die Anzahl der Fortzüge in ein anderes Bundesland stieg hingegen um 2 Prozent, und die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen stieg um fast 8 Prozent. Demgegenüber sank die Zahl der Gewerbeanmeldungen um 2
Prozent. Das sind Anzeichen einer Trendwende und hat nichts mit starkem Berlin zu tun. Der gewerbliche und industrielle Hochbau, ein wichtiger Indikator für Investitionsneigung der Unternehmen, war im Jahr 2015 mit minus 3,4 Prozent ebenfalls rückläufig. Man kann das ja alles vom Tisch wischen und als oppositionelle Nörgelei abtun, aber eine positive Wirtschaftsentwicklung ist eben kein Selbstläufer, und die Anzeichen einer Trendwende sind deutlich erkennbar. Da muss gehandelt werden!
Im Übrigen wissen wir, dass es ein ganzes Konglomerat an überwiegend externen Einflussfaktoren gibt, die darüber mitentscheiden, wie die wirtschaftliche Dynamik sich entwickelt. Berlin kommt von sehr weit hinten. Insofern sind überdurchschnittliche Zahlen zwar immer erfreulich, sie beziehen sich jedoch immer auf das nach wie vor bescheidene Ausgangsniveau, von dem wir kommen. Solange sich Berlin immer nur mit sich selbst vergleicht, kann die Freude über positive Zahlen ja gar nicht groß genug sein. Legt man aber die Latte auf das Vergleichsniveau mit wirklich großen und bedeutenden Hauptstädten und Ballungsräumen, brauchte Berlin ca. 80 000 Industriearbeitsplätze mehr, als zurzeit vorhanden sind, also fast das Doppelte. Das ist der Maßstab, an dem Berlin sich messen lassen muss.
[Michael Dietmann (CDU): Gut dafür, dass Herr Wolf alles runtergewirtschaftet hat! – Beifall bei der LINKEN]
Die aktuelle Anziehungskraft Berlins für wirtschaftliche Akteure beruht zu einem großen Teil auf sogenannten weichen Standortfaktoren und externen Effekten wie dem exportfreundlichen Eurokurs, niedrigen Mineralölpreisen und – nicht zu vergessen – der lockeren Geldpolitik der EZB. Auf all das hat Berlin wenig Einfluss. Das ist aber der Honig, aus dem die CDU und die SPD vermeintliche Stärke saugen.
Der Start-up-Boom, wenngleich unter Rot-Rot mit vielen Einzelmaßnahmen begünstigt, ist letztlich nicht zielgerichtet herstellbar. Hier hat die Gesamtattraktivität Berlins mit günstigen Mieten, hoher Wirtschaftsdichte, vielen Freiräumen und dem Image der kreativen Metropole im Aufbruch gewirkt. Diese Standortvorteile werden aber gerade von der aktuell regierenden Koalition leichtfertig verspielt. Der schwerste Bremsklotz an der Wirtschaftsentwicklung Berlins ist der Berliner Senat selbst.
Berlin ist als Investor nach wie vor ein Totalausfall. Eine Stadt mit einer kollabierenden Verwaltung ist kein Anziehungspunkt für ernsthafte Investoren. Eine Stadt, in der ansässige und zuziehende Menschen keine bezahlbare Wohnung finden, ist kein Zukunftsort.
Eine Stadt, in der Bürgerämter geschlossen sind, Schulen verdrecken, Kitas die Kinder nicht mehr aufnehmen können, ist keine Stadt, in der man Wurzeln schlagen möchte.
Ein speziell die Wirtschaft betreffendes Thema sind die Gewerberäume. Ich wiederhole es zum x-ten Mal: Die Verdrängungsprozesse von Gewerbe aus den Wohngebieten sind dramatisch. Hier ist schnelles und mutiges Handeln erforderlich – über die Senatsressorts hinweg. Herr Müller, das ist eine Aufgabe für Sie, die Sie auch verstehen, dass sie gelöst werden muss! In einer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen Überprüfung des StEP Industrie und Gewerbe, schon vom Dezember 2014, heißt es:
Die Verknappung von verfügbaren und tatsächlich am Markt angebotenen Flächen wird zu einem Anstieg der Preise führen. Die Entwicklung der Wirtschaft in Berlin ist jedoch nicht als so robust einzuschätzen, als dass deutliche Preissteigerungen verkraftet werden können. Insofern ist auf die Preisentwicklung dämpfend einzuwirken. Dies beinhaltet ein angemessenes Angebot an verfügbaren Flächen in unterschiedlichen Qualitäten und Lagen. Zum anderen sollte das Eindringen von hochwertigen Nutzungen vermieden werden, die zu einem Anstieg von Preisen bzw. Preiserwartungen in einzelnen Gebieten führen. Dies betrifft neben Nutzungen wie Einzelhandel und Vergnügungsstätten auch Wohnen oder Wohnsonderformen.
So die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2014. Die Gutachter empfehlen darüber hinaus, die Flächeneffektivität zu erhöhen und kompakte Mischstrukturen wie z. B. in Kreuzberg zu erhalten, da vergleichbare kompakte Strukturen nicht wieder aufgebaut werden können. Sie empfehlen eine Sicherung der Flächenkulisse aus dem StEP Industrie und Gewerbe. Dessen Potenziale seien zwischen 2020 – faktisch morgen – und 2025 rechnerisch aufgezehrt. Und da nur ein Teil dieser Potenziale auf dem Markt angeboten wird, stößt die Nachfrage bereits früher auf ein knappes Angebot. Im Jahr 2030 werden sich die Potenziale insgesamt deutlich reduziert haben. Soweit die Gutachter!
Die Realität ist weitaus dramatischer. Gerade aus den Gebieten der berühmten Berliner Mischung in Kreuzberg-Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg verschwinden Gewerbe und Handwerk in rasanter Geschwindigkeit. Nach Einschätzung der bezirklichen Wirtschaftsverantwortlichen aus diesen Gebieten ist davon auszugehen, dass in spätestens zehn Jahren dort gar kein Gewerbe mehr ansässig sein wird.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegin Matuschek! Teilen Sie meine Überraschung darüber, dass die Koalition angesichts ihrer heutigen Aktuellen Stunde so mäßig bis gar nicht vertreten und desinteressiert ist?
Lieber Kollege Lederer! Das bringt der Wahlkampf so mit sich. Man hält seine Wahlrede und verschwindet dann.
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zur Digitalisierung und Smart City sagen. Der Senat hat ein Papier mit Anhang beschlossen, das er Strategie nennt. Wir würden es eher eine Skizze nennen. Bisher ist Smart City auch im weltweiten Kontext eher ein erfolgreiches Branding großer IT-Unternehmen zur politischen und realen Implementierung smarter Technologien in urbane Ballungsräume.
Wir wollen das möglicherweise so gar nicht. Für uns gehört zu einer wirklichen Smart-City-Strategie nicht so sehr die Frage, was alles geht und wie man die Bürgerinnen und Bürger dafür werberisch gewinnt, sondern die Frage: Was braucht die Stadt tatsächlich? Was wollen die Bürgerinnen und Bürger?
Wem gehören die Daten, wer verdient daran, und wer bestimmt über ihre Verwendung? Wir reden hier immerhin über den nächsten großen Investitionszyklus, über die Entstehung eines neuen riesigen Marktes, der in der letzten Konsequenz unsere Biologie und unser Verhalten bitgenau ausliest, steuert und verwertet. Es ist völlig klar, dass auch Berlin einen produktiven Umgang mit dieser Entwicklung finden muss – übrigens auch für die ITStruktur des Landes –, aber genau wegen der Tragweite dieser Entwicklungen muss es dazu auch eine gesellschaftliche, stadtpolitische Debatte geben. Lassen Sie uns darüber reden!
Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Mayer das Wort. – Bitte schön!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegen! Werte Gäste! Ich finde, das war alles ein bisschen zu negativ. Man kann dem Senat auch mal einen Erfolg gönnen, so viele hat er ja nicht davon.
Drei Prozent Wirtschaftswachstum – hinter BadenWürttemberg, das 3,1 Prozent geschafft hat – sind schon ordentlich. Darüber kann man sich einfach mal freuen.
Erfreulich ist auch, dass die Arbeitsproduktivität wieder steigt. Das war in den letzten Jahren ein bisschen die Sorge, weil Berlin und Hamburg die einzigen Bundesländer sind, in denen vor fünf Jahren die Arbeitsproduktivität noch höher war, aber zum Glück steigt sie wieder. In Berlin wird auch wieder besser bezahlt. Zu den Arbeitnehmerentgelten: Wenn es aufwärts geht, stellt sich die Frage, wo das Geld ankommt. Man kann sagen, dass Berlin auch 2015 den dritthöchsten Anstieg aller Länder hatte. Nur in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind die Löhne stärker gestiegen. Aber natürlich sind die Löhne und Gehälter des einen die Kosten des anderen. Das heißt, wir hatten aus der anderen Perspektive einen Lohnkostenanstieg von 5 Prozent. Das ist auf der einen Seite erfreulich, aber problematisch auf der anderen.
Besonders erfreulich ist auch, dass es wieder 2 Prozent mehr Erwerbstätige in Berlin gab, und zwar im vierten Jahr in Folge. Das ist die Spitzenposition aller Bundesländer. Seit 2010 sind das etwa 10 Prozent mehr Arbeitsplätze. Darüber kann man sich nur uneingeschränkt freuen. Wir hatten im Jahr 2015 auch 40 000 Einwohner mehr. Das ist sicherlich auch positiv.